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Im Regen erwartet niemand, dass dir die Sonne aus dem Hintern scheint

Im Regen erwartet niemand, dass dir die Sonne aus dem Hintern scheint

Bernhard Blöchl
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Roman

„272 Seiten voll unerwarteten Begegnungen, verpassten Chancen und der großen Liebe. (...) Mit viel Situationskomik bring der Roman den Leser zum Schmunzeln. Aber er regt auch zum Nachdenken an. Denn wer steht seinem Glück nicht ab und an selbst im Weg?“ - regensburger-nachrichten.de

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Im Regen erwartet niemand, dass dir die Sonne aus dem Hintern scheint — Inhalt

Er will nichts mehr vom Leben – sie will alles. Knoppke sucht Ruhe – Sam sucht Gesellschaft. Gemeinsam verschlägt es das ungleiche Duo in Knoppkes Transit nach Schottland, sein Motto: Im Regen erwartet niemand, dass dir die Sonne aus dem Hintern scheint. Was aber, wenn dich gerade dort das Glück verfolgt, das sonst nur die anderen haben? Das Glück der anderen ist ein Arschloch, so dachte Knoppke früher, nachdem er um seine große Liebe nicht gekämpft hatte. Zu seinen vergrabenen Gefühlen findet er ausgerechnet in den stürmischen Highlands zurück: Er traut sich Extremes und will wieder was. Und dann ist da noch Sams Geheimnis, das anscheinend auch ihn betrifft, oder vielleicht doch nicht?

€ 11,99 [D], € 11,99 [A]
Erschienen am 01.03.2017
272 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-97630-5
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„Bernhard Blöchl, (…), ist ein sonnengelbes Roadmovie gelungen, das von eigenartig schönen, manchmal sehr lustigen und immer liebevoll gestreichelten Sätzen lebt. (...) Es ist ein großes Vergnügen, den Undercover-Poeten Knoppke zu begleiten.“
Münchner Feuilleton

Leseprobe zu „Im Regen erwartet niemand, dass dir die Sonne aus dem Hintern scheint“

ZU EINEM SPÄTEREN ZEITPUNKT DER GESCHICHTE

Am Ende des Regenbogens beginnen die Probleme. Das fängt schon mit der zermürbenden und erst recht nicht mit einem GPS zu bewältigenden Suche nach dem Ende an und hört mit der Enttäuschung darüber noch lange nicht auf, dass es einen Goldtopf in aller Regel nicht gibt, zumindest nicht in der Nähe eines Naturspektakels, da ist sich das Schauspiel selbst Gold genug.
Aber so etwas hatte Knoppke ohnehin nicht im Sinn, also einen Goldtopf, der hätte ihm keine seiner Sorgen genommen, im Gegenteil. Reichtum macht ja [...]

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ZU EINEM SPÄTEREN ZEITPUNKT DER GESCHICHTE

Am Ende des Regenbogens beginnen die Probleme. Das fängt schon mit der zermürbenden und erst recht nicht mit einem GPS zu bewältigenden Suche nach dem Ende an und hört mit der Enttäuschung darüber noch lange nicht auf, dass es einen Goldtopf in aller Regel nicht gibt, zumindest nicht in der Nähe eines Naturspektakels, da ist sich das Schauspiel selbst Gold genug.
Aber so etwas hatte Knoppke ohnehin nicht im Sinn, also einen Goldtopf, der hätte ihm keine seiner Sorgen genommen, im Gegenteil. Reichtum macht ja alles nur noch schlimmer, davon war er überzeugt, seit er Grätschi beim Großkotzwerden zugeschaut und beschlossen hatte, arm zu bleiben. Knoppke stieg aus einem anderen Grund seit fünf Stunden den Ben Nevis hinauf, den Kopf in den Wolken, die Nase im Eiswind. Er war auf dem Weg zum höchsten Punkt, den die Insel zu bieten hatte, und keine Regentropfen dieser Welt würden ihn davon abhalten. Schon eher sein linkes Knie, das solche Strapazen nicht mehr gewohnt war und dem er in den vergangenen Wochen ohnehin mehr zugemutet hatte, als die Krankenkasse empfehlen würde. Aber Knoppke biss die Zähne zusammen, er war bereits nah dran, fast oben, und es müsste ihn schon der Teufel holen, um ihn jetzt noch zu stoppen.
Dummerweise kann auch ein Regenbogen teuflisch sein, weil man die Sache mit dem Glück gelegentlich überspannt. Knoppke war gerade in so einer überspannten Phase, also berauscht von der wiedererlangten Abenteuerlust, überrascht vom Leben, dem er keine Überraschungen mehr zugetraut hatte. Aber dann war da dieser Regenbogen, er hatte den Eindruck, er wandere direkt hinein, und als dieser sich mitsamt dem Nebel in Luft auflöste, war da zwar kein Eimer Gold, aber ein Klavier. Knoppke wollte es zunächst auch nicht glauben, aber mitten am Berghang, knapp unterhalb des Gipfels, in 1300 Meter Höhe, wuchs die Ruine eines Klaviers aus dem nasskalten Boden. Abseits der Touristenpfade, womöglich wirklich am Ende des Regenbogens, wer wusste das schon? Und damit fingen sie an, die Probleme, das kann man sich denken.
Eine mächtige Kraft zog Knoppke zu dem Fundstück, einige Tasten fehlten, das sah er sofort. Das Klavier muss schon länger hier herumstehen, dachte er und staunte. Das Holz war verwaschen und erdig, der Korpus hatte sich ein Stück in den Boden gedrückt. Knoppke musste in die Hocke gehen, aber das war es ihm wert. Mit zittrigen Beinen stand er da und erinnerte sich an die Lieder, die ihm sein Großvater in Vohwinkel beigebracht hatte. Ohne lästige Gedanken, im Zustand des reinen Bewusstseins, legte Knoppke seine klammen Finger auf das schwarz-weiße Ensemble, und dann spielte er „Stairway to Heaven“. Der Klang war eine Katastrophe, Led Zeppelin würden ihn dafür in die Hölle prügeln, aber Knoppke war selig wie lange nicht. Auf dem Barometer der Gefühle ganz weit oben, Emo-Stand 10, das war Rekord! Wie in Trance bediente er das Instrument, dem das hohe C und mehrere Fis fehlten. Doch er bestieg die Treppe zum Himmel, immer weiter, immer lauter. Und merkte nicht, dass ihm der Boden unter den Füßen entglitt. Aus dem Gleiten wurde Rutschen, aus dem Rutschen wurde Schlittern, das Klavier verstummte, Gestrüpp und Felsen schossen an ihm vorbei, und seine Hände griffen ins Nichts.
Knoppke fiel, er fiel viel zu lang, schließlich ein Schlag, dann kamen die Bilder. Bilder, die ihm durch den Schädel flimmerten wie Kopfkino mit analoger Projektion. Es lief eine Dokumentation, rückwärts erzählt wie von einem überambitionierten Filmhochschüler, und Knoppke dachte, das bin ja ich, bevor er Bilder eines himmelblauen Bullis sah, der in einer Horde Kühe feststeckte, die lustige Frisuren trugen. Er erblickte Landschaften mit magischem Licht, Umrisse einer fluchenden Frau, der er eine Blutwurst unter die Nase hielt, dann senkte sich ein Vorhang aus gold gelocktem Haar, und Knoppke sah jubelnde Menschen in der Münchner Arena, blaue Fans, die völlig aus dem Häuschen waren, die sich umarmten, auszogen, niederknutschten, alles.
Das Glück der anderen war das Letzte, das er sah, bevor es um ihn herum schwarz wurde, und fast kam es Knoppke so vor, als würde am Rande seines Blickfeldes noch einmal ein Regenbogen aufblitzen, der schönste, den er je gesehen hatte, in den Farben seines Lieblingsvereins.

 

 

 


DAS GLÜCK DER ANDEREN IST EIN ARSCHLOCH


1)  Das Glück der anderen traf ihn mit voller Wucht.
Knoppke zupfte gerade seine orange Weste zurecht, die neuerdings in der Hüftgegend bedenklich spannte, als das Tor fiel, welches das Schauspiel vor seiner Nase eröffnete. Er hob den Kopf und schaute auf Hunderte entrückter Gesichter, genauer gesagt schaute er in Hunderte Kehlen, so weit standen ihre Münder offen. Knoppke sah Fäuste, überall Fäuste, wie sie durch die flirrende Luft tanzten, Kerle, die zu Kindern wurden und flennten, wahlweise ihre Freundinnen knutschten oder die Freundinnen der Nachbarn oder völlig fremde Frauen. Er entdeckte graubärtige Matrosen in diesem hochhaushohen Wimmelbild, Tätowierte, die ihre Fish-&-Chips-Plauzen enthüllten und ihren Nebenmännern Bierküsse auf die Glatzen drückten. Ein blaues Meer des Überschwangs schwappte durch das rote Stadion, als Knoppke sich am Bauch kratzte.
Diese Halunken, dachte er voller Respekt für die Gäste aus London, denen er den Triumph zu keiner Zeit der Partie zugetraut hätte. Knoppke konnte den entscheidenden Elfmeter zwar nicht sehen, sondern nur hören, ein dumpfes, weit entferntes Flappen, dafür erlebte er hautnah, was dieser eine Schuss mit den Menschen machte, die ihn live und ganz genau verfolgten. Der Schuss zum High-Sein. Die Überdosis Gefühl.
Knoppke stand ein paar Meter vor dem Block der Auswärtsmannschaft in der Münchner Arena und sah den Fans der Sieger dabei zu, wie sie sich gegenseitig in die Arme fielen und rangelten. Einer zog sogar seinen Schwanz aus dem Hosenschlitz, einen gar nicht mal so mickrigen, wie Knoppke befand, so einen konnte man schon herzeigen. Später würden alle das Teil auf YouTube begutachten können, in dem verwackelten Video eines dieser Hobby-Filmer. Ein Glück, dachte Knoppke, dass es diese Dinger zu seiner Zeit noch nicht gegeben hatte, also diese Handykameras. Große Schwänze hatte es immer gegeben, kleine übrigens auch, weiß Gott. Aber wenn das Penisfechten in der Kabine des WSV im Netz gelandet wäre, damals in der A-Jugend, dann hätten sich ja doch nur wieder alle aufgeregt.
Drei Jahrzehnte später waren noch viel mehr Erwachsene aus dem Häuschen, es roch nach Silvester und Testosteron, nach feuchtem Gras und dem Schweiß der Massen. So sieht also Ekstase aus, dachte Knoppke und versuchte sich daran zu erinnern, wann er zuletzt so erregt war wie diese Meute. Wann er zuletzt geweint hatte. Oder sich entblößt hatte. Oder geschrien, getanzt, irgendwas. Musste lange her sein. Ihm kam nichts in den Sinn.
Gar nichts.
Einem Impuls folgend trat Knoppke ein paar Schritte zurück, so wild rüttelten die Fans an der Absperrung mit den mitgebrachten Union-Jack- und Vereins-Flaggen, so dröhnend und schrill war das Gebrüll auf den Rängen. Er konnte schon jetzt den Pfeifton hören, der ihn morgen begleiten würde, einen Ton, der sich anfühlen würde wie ein Ohrwurm, der seine Melodie vergessen hatte.
Morgen. Für die Fans des FC Chelsea existierte morgen nicht, für sie gab es nur den Moment. Diesen Moment für die Ewigkeit, von dem sie noch ihren Enkeln erzählen würden. Diesen Moment, den Knoppke nur indirekt erlebte, weil er ihm den Rücken zukehrte. Aber er hatte sich daran gewöhnt. Als Security Steward bestand sein Los darin, mittendrin zu sein und nicht dabei. Mitten im Stadion, in das die halbe Welt wollte, nur nicht als Spieler oder Trainer, noch nicht einmal als rechte Hand des Aufwärmprogrammkoordinators oder als Maskottchen im bärigen Plüschanzug. Und eben auch nicht als Zuschauer. Knoppke war der Zuschauerzuschauer, das Neutrum in Orange, dessen Fluch es war, nicht hinsehen zu dürfen auf die Ballstafetten und Laufwege, die Volleyschüsse und Blutgrätschen. Auf das Glück des kleinen Mannes, wie ihn Silvi gerne aufzog.
Silvi war seine Lebensabschnittsgefährtin, wie sie ihren gemeinsamen Status kategorisierte, und als solche hatte sie für Fußball weniger übrig als Knoppke für diese Wellnesshotels, in die sich Silvi regelmäßig hineinbuchte, und wenn es schlecht lief für Knoppke, dann buchte sie nicht nur sich, sondern auch ihn ein. Dabei wusste er noch nicht einmal, worauf es beim Wellness eigentlich ankam, und noch viel weniger glaubte er daran, dieses postmoderne Utopia in einem Hotel zu finden, in dem sich viel zu viele Menschen gegenseitig auf den Sack gingen, im wahrsten Sinne des Wortes, da brauchte man sich nur eine überfüllte Sauna vorzustellen.
Je länger er den hüpfenden Engländern beim Feiern zusah, immer auf der Hut, ob nicht der eine oder andere Rabauke auf dumme Gedanken kam, Grenzen überschritt und zurechtgewiesen werden musste, desto mehr reifte seine Erkenntnis: Die Blauen, denen er seit mehreren Stunden in die Gesichter sah, waren die unverdienten Gewinner dieses Matches. Darüber würde Knoppke nicht mit sich diskutieren lassen, wahre Sieger sahen anders aus, und er wusste, wie man ein Fußballspiel zu lesen hatte. Die Wahrheit, davon war Knoppke überzeugt, lag nicht auf dem Platz, sondern neben dem Platz, in den Gesichtern des Publikums. Man brauchte lediglich die Fans zu studieren, wie sich deren Lippen von einem Moment auf den anderen auseinanderbewegten, wie klare Blicke in Schockstarren verfielen und noch interessanter: Wie lange diese anhielten; wie heftig Tränen geschminkte Wangen übermalten und wie schnell Frust in Freude umkippte, das alles brauchte man nur zu studieren, und schon wusste man Bescheid. Die Tribüne wurde zum Barometer der Gefühle, der Jubel der anderen war seine Vorstellung des Glücks.
Knoppke wechselte das Standbein, weil sein linkes Knie wieder schmerzte, und kam zu dem Schluss, dass es ein gutes Spiel gewesen sein musste, ein intensives, ein dramatisches. Und einen kurzen Moment lang fuchste es ihn dann doch, dass er es verpasst hatte. Die Bayern, die vor zehn Minuten das Endspiel der Champions League im eigenen Stadion vergeigt hatten, das legendäre „Finale dahoam“, wie es von allen Zeitungsständern der Stadt brüllte, waren ihm so wurscht wie der Currywurst das Zwölf-Uhr-Läuten. Als Zugezogener und treuer Anhänger des Wuppertaler SV war es ihm bislang nicht gelungen, sich für den Stern des Südens zu begeistern. Er hatte es noch nicht einmal probiert, wozu auch? Man konnte sich schließlich nicht aussuchen, für wen sein Fanherz schlug. Fan war man von Geburt an, alte Knoppke-Regel. Knoppke war Fan seines Großvaters mütterlicherseits und Fan vom WSV, daran gab es nie etwas zu deuteln. Die Gäste aus London waren ihm ebenfalls egal. Wenn es um die Insel ging, dann mochte er die Schotten lieber als die Engländer, die waren ihm stets zu vornehm und nippten eindeutig zu viel milchigen Tee. Guten Whisky hatten sie auch nicht zu bieten, wozu also noch überlegen? Aber gesehen hätte er die Partie trotzdem gerne, dafür war er viel zu sehr Sportsmann.
Warum musste er ausgerechnet im Finale hier stehen, fragte sich Knoppke in dem Moment, als ihn ein geworfener Chelsea-Schal nur knapp verfehlte. Er hob ihn auf und schleuderte ihn zurück, was aber niemanden interessierte, nicht einmal den Werfer selbst, der, eben noch kurz vor der Absperrung herumhüpfend, mittlerweile auf den Schultern eines Mannes mit Drogba-Maske saß und Tränen schluchzte.
Meist nahmen ihn die Zuschauer überhaupt nicht wahr, Knoppke kam es so vor, als würden sie durch ihn hindurchstarren, dabei war er von jener bulligen Statur, breites Kreuz, breite Knie, breite Stirn, wie sie jeder Coach gern in seinem Team sah. Nur halt nicht mit Bauch, damit wäre kein Spiel zu gewinnen gewesen, weder in den Achtzigern noch heute. Komfortranzen, hatte Silvi vorgestern gefrotzelt, ihre Stimme war überzogen gewesen mit dem Frust einer hungrigen Biomarktkundin. Einer hungrigen Biomarktkundin, die im Regal das gepoppte Amaranth nicht finden konnte, weil es ihr ein hibbeliger Grünschnabel weggeschnappt hatte. Hunger den freiwilligen Hungrigen, hatte Knoppke gedacht. Erwidert hatte er nichts.
Jedenfalls war es eines dieser Spiele, dämmerte es ihm, von denen sich die Leute hinterher gegenseitig berichten würden, wo sie damals gewesen waren, was sie damals angehabt, mit wem sie hinterher geschlafen und welchen Song sie zu welcher Stellung gehört hatten. „Wir wuppen das“, hatte Knoppke gesagt, als er den Anruf von der Sicherheitsfirma bekam und seinen Dienst bestätigte. Mehr als an die Bedeutung dieses Fußballspiels hatte er an seinen Seelenfrieden gedacht.
Übermorgen würden Silvi und er nach Gran Canaria fliegen, und als wären drei Wochen zu zweit in der viel zu heißen Sonne nicht schon unerträglich genug, würde er seiner Lebensabschnittsgefährtin bei einer besonders heiklen Sache zur Seite stehen müssen. Vor Kurzem war Silvis größte Liebe unter die Räder gekommen, also ihr Hund, und weil sie den Straßenköter seinerzeit von den Kanaren nach München gerettet hatte, bestand sie nun darauf, Diegos Asche zurück nach Gran Canaria zu bringen. Knoppke hielt das für übertrieben, der Ostpark hätte es auch getan, aber solche Gedanken behielt er lieber für sich, sonst wären die Wortfluten bereits vor dem Abflug über ihn hereingebrochen.
Insgeheim war er also froh gewesen, vor dieser Reise noch eine Weile allein sein zu können und nicht so viel reden zu müssen. Allein war er im Stadion immer gewesen. Allein unter 66.000, doch, das ging gut.

 



2)  Nun war es vielleicht nicht die beste Idee seines Lebens gewesen, mitten in der Nacht noch zu Silvi zu fahren. Aber das konnte Knoppke natürlich nicht wissen, als er sich Stunden nach dem Spielende die orange Weste abgestreift, sich in seinen Ford Transit gesetzt und festgestellt hatte, dass er den Bund mit seinen Wohnungsschlüsseln bei seiner Freundin vergessen haben musste. Wenn er es gewusst hätte, dann hätte er vorher bei ihr angerufen und sich somit einen Anblick erspart, den er so schnell nicht vergessen würde. Andererseits wäre Knoppke dann nicht in Versuchung gekommen, sich aus dem Staub zu machen, und sein Leben wäre womöglich nie in neue Bahnen gelenkt worden. Bahnen, von denen er keine Ahnung hatte, dass sie für ihn noch zugänglich waren.

Knoppke wälzte Frauengedanken, als er die grün und blau leuchtende Arena in Fröttmaning hinter sich ließ und seinen Kleinbus in Richtung Stadtmitte lenkte. Seine Augenlider waren schwer wie Bleiklumpen, sein Körper sackte ab, und wie gerne wäre er jetzt schnurstracks in sein Bett gefallen, aber er hatte noch ein gewichtiges Problem zu lösen. Also zündete er sich eine Fluppe an, die erste seit Stunden, dementsprechend hastig zog er daran und dachte nach. Was schockte eine Silvi mehr, grübelte Knoppke um zwei Uhr früh, welche seiner Handlungsoptionen würde ihr nicht den ersten Herzinfarkt ihrer jugendlichen 40-Jährigkeit bescheren? War es der überraschende Anruf des Freundes, mit dem sie des Nachts nicht mehr rechnete? Oder war es das Klingeln an der Wohnungstür, das bei Silvi weiß Gott welche Horrorszenarien auslösen würde, weil sie niemanden erwartete? Wie denkt eine Frau, quälte sich Knoppke, obwohl die Antwort tief in ihm verankert war: keine Ahnung. Als konsequenter Frauennichtversteher kam er doch immer ganz passabel über die Runden, redete er sich ein. Er blies den Rauch aus dem linken Mundwinkel zum Fensterspalt und entschied sich für den direkten Weg. Beim Läuten des Telefons, legte sich Knoppke zurecht, malen sich um diese Zeit alle sofort einen Unfall aus, ein Gewaltverbrechen oder irgendetwas mit den Eltern. Er würde sich Silvis Vorwurf, was er doch für ein Gefühlstrampel sei, noch den ganzen Urlaub anhören müssen, davon war er fest überzeugt. Und eine SMS würde Silvi um diese Zeit sowieso nicht mehr mitkriegen, in der Regel ging sie lange vor dem Schlusspfiff eines Champions-League-Spiels schlafen, das sie selbstverständlich nicht guckte, niemals. Also fuhr Knoppke in die Reihenhaussiedlung in Bogenhausen, parkte nahezu vollständig auf dem Gehsteig und schleppte sich zur Eingangstür, als er im Erdgeschoss noch Licht entdeckte. Die schwache Erhellung kam von der rechten Seite, wohin sich der Weg zum Garten zickzackte.
Knoppke wusste, dass es sich um Silvis Schlafzimmer handelte, die beiden verbrachten mehr Zeit bei ihr als bei ihm, weil Silvi seine Wohnung im Hasenbergl nicht leiden konnte. Schlechtes Karma, schlechte Erdstrahlen, schlechte Idee, sie dorthin zu bringen. Knoppkes Rauchersalon, spottete Silvi immer, und bevor er sich auf eine Diskussion darüber einließ, wie er seine Möbel zu verrücken und wann er wie stark wie lange zu lüften hatte, eine Diskussion, die er nicht zu seinen Gunsten entscheiden konnte, weil es keine Diskussion war, sondern ein astreiner Monolog, aus genau diesen Gründen übernachtete er lieber gleich bei ihr.
Das Silvilicht irritierte Knoppke, also schritt er über die Granitplatten zur Terrasse, von wo er, geschützt durch einen moosbewachsenen Mauervorsprung, in die Wohnung linsen konnte. Die Vorhänge, selbst genäht und für seinen Geschmack viel zu blumig geraten, waren nur lässig zugezogen, weshalb er sehen konnte, was er sah. Der Anblick, der sich Knoppke durch den Stoffschlitz bot, hatte erneut etwas Surreales. Man mag es Ironie des Schicksals nennen oder schlicht eine riesengroße Sauerei, aber schon wieder traf ihn das Glück der anderen mit voller Wucht. Das Glück der anderen. Das Glück seiner Silvi.
Das Glück der anderen ist ein Arschloch, hätte Knoppke denken und den Lump auf der Stelle aus dem Haus befördern können, dass dieser glaubte, Bogenhausen müsse ein Franchise des Fegefeuers sein. Knoppke war noch immer stark genug für diese dahergelaufenen jungen Hemden, denen Silvi immer schöne Augen machte – und nicht nur schöne Augen, wie sich nun herausstellte. Er hätte seiner Freundin eine Standpauke halten können, sie maßregeln, ihr Handeln hinterfragen, links- und rechtsherum analysieren und über Vor- und Nachteile ihrer Beziehung streiten können. Er hätte ihr auch einfach eine schallern können.
Hat er aber nicht. Knoppke stand da und staunte. Er hatte die Frau, in die er sich irgendwann verliebt hatte, noch nie so glücklich gesehen, und wahrscheinlich war sie das auch nicht, zumindest nicht mit ihm. Also blieb er unerkannt und sah ihr zu. Er fragte sich, wo denn plötzlich dieser Männerfuß herkam und wie die groben Zehen neben Silvis Kopf Halt finden konnten, der verkehrt herum vom Fußende des Bettes herunterhing. Ihr blond gelocktes Haar fiel wie eine Engelsgardine. Das wäre ein schöner Vorhang, schoss es ihm durch den Kopf, in dem sich noch mehr merkwürdige Dinge abspielten. Das Glück, dachte Knoppke, ist eine Heuchlerin, ein Chamäleon, eine windige Type. Und während sich Silvis Mundwinkel nach oben zogen, offensichtlich hervorgerufen durch ein göttliches Halleluja, sah es für ihn so aus, als bögen sie sich steil nach unten. Auf die Perspektive kommt es an, analysierte er, es kommt immer auf die Perspektive an. Knoppke hörte seine Lebensabschnittsgefährtin gedämpft tschilpen, ein ihm völlig unbekanntes Silvigeräusch, wodurch seine linke Braue irr zuckte, sich aber augenblicklich wieder stabilisierte.
Ihre Arme reckte Silvi schräg in die Luft, als jubelte sie über ein spätes Tor, und Knoppke musste an die Fans im Stadion denken, nur dass es sich hierbei nicht um ein Wimmelbild handelte, schon eher um ein Fummelbild. Denn auf einmal kamen auch Hände ins Spiel. Große, zupackende Männerhände, die nach Silvi griffen, als wollten sie unhaltbare Bälle halten. Knoppke begriff auch etwas. Das Funkeln in Silvis Augen, deren Pupillen sich gelegentlich nach unten beziehungsweise nach oben schoben, erinnerte ihn an die Zuschauerblicke beim Elfmeterschießen.
Strafstoß, schoss es ihm durch den Kopf.
Strafstoß.
Wie konnte es nur dazu kommen, fragte sich Knoppke und vergrub seine Hände in den Taschen seiner Lederjacke. Glich seine Beziehung einem Unentschieden nach Verlängerung, oder bestrafte sie ihn für ein unsportliches Foul? Tat sie das öfter, oder war das eine Art Trauerbewältigung nach dem Tod ihres Hundes, und was zur Hölle machte der Typ da eigentlich genau mit ihr? Knoppke beschloss, den Antworten nicht nachzuhecheln. Ihm genügte, was er sah. Und während er beobachtete, wie der verkehrten Silvi eine Träne in die Stirn floss, eine Glücksträne, davon war er überzeugt, begannen betrunkene Fans ein paar Straßen weiter, den Chelsea-Song anzustimmen. Knoppke verstand nicht viel, aber eine Zeile reimte er sich zusammen. Eine Zeile wie ein Stinkefinger: „Home or away, come and see us play, you’re welcome any day.“
Knoppke grinste irr, er wollte sich nicht dagegen wehren. Seine mittelmäßigen Englischkenntnisse reichten locker dafür aus, die Ironie der Strophe zu erfassen. Gleichzeitig sah er Silvi rhythmisch zucken, die den Eindringling mittlerweile umklammerte, als wollte sie nicht nur ihn, sondern vor allem den Moment für immer festhalten. Auf dem Barometer der Gefühle schienen alle ganz weit oben zu sein, dachte Knoppke und zog seinen Kopf ein Stück zurück, um nicht doch noch entdeckt zu werden. Die Wahrheit liegt auf dem Bett, spann er weiter und spürte das Bedürfnis, sich zu verziehen, doch dann fiel ihm ein, dass es keinen Ort gab, wohin er sich verziehen konnte. Auf eine Nacht in seinem Kleinbus hatte er überhaupt keine Lust, so viel stand fest, er war schließlich keine zwanzig mehr.
Knoppke knurrte, stützte sich mit der flachen Hand an der Mauer ab, grübelte ein wenig und erinnerte sich an den Zweitschlüssel, den Silvi unter der Skulptur beim Briefkasten deponiert hatte. Für Notfälle, hatte ihm Silvi in einer frühen Beziehungsphase erklärt, vor zwei Jahren muss das gewesen sein. Knoppke entschied, dass dies ja wohl ein arger Notfall war, sozusagen der Niagarafall der Notfälle, auch wenn die Auslegung eines Notfalls bei seiner Freundin anders geklungen hätte, hätte er sie je danach gefragt. Knoppke zog maimilde Nachtluft in seine Lungen und ging zur Vorderseite des Reihenhauses. Die Fangesänge hatten gerade aufgehört, als er den Hausschlüssel in der Erde fand. Er war tatsächlich unter dem Marmorschwan verbuddelt, der als Trinkstätte für Vögel konzipiert worden war und auf dem Weg zur Eingangstür die Augen der Besucher beleidigte.
„Bingo“, murmelte Knoppke, während er das seitlich gebeugte Tier zurechtrückte und sich an die Aufgabe machte, in der Wohnung seiner Freundin seine eigenen Schlüssel zu holen. Angst hatte er keine, er sah sich nicht einmal nach beiden Seiten um, wie das die Einbrecher im Fernsehen machen. Mit ruhiger Hand steckte er den Zweitschlüssel in das Schloss und drehte langsam herum, bis er ein Knacken hörte und die Tür sich öffnen ließ. Als er sich in den Flur schlich, drang sofort das Silvitschilpen in seine Ohren, diesmal ungedämpft. Wenn er es sich recht überlegte, war es eher ein Silviquieken, und, ob er es glauben wollte oder nicht, das Quieken beruhigte ihn. Womöglich lag es auch an dem zwielichtigen Duft nach Zimt und Nelke, der rücksichtslos in Knoppkes Nase drang und ihn an Silvis Vorliebe für Öle im Speziellen und Esoterik im Allgemeinen erinnerte. Kurz hielt er inne, um störende Gerüche und Gedanken abzuschütteln und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Er würde unentdeckt zum Garderobenschrank gelangen, sich seine Schlüssel schnappen und abhauen. Er wusste, dass er freie Bahn hatte, solange die beiden im Bett lagen und Porno spielten.
Seine Hoffnung verflog, als er fiel. Genauer gesagt, stolperte er über ein Paar Schuhe, auf deren Absätze er getreten war. Silvi hatte es offenbar besonders eilig gehabt, ihre Pumps abzuschütteln. Flink wie ein Wiesel, dachte Knoppke, der seine Freundin eher als Faultier kennengelernt hatte, was ihm äußerst sympathisch gewesen war. Zunächst aber dachte er Folgendes: Verdammt, mein Knie!
Er hielt inne und kurz stockte ihm der Atem, als ihm bewusst wurde, dass das Silvigeräusch infolge seines Sturzes fehlte.
Stille schluckte Sexklänge.
Knoppke blieb regungslos auf den Kacheln liegen und verhielt sich ruhig, trotz des Stechens in Bein, Arm und Schulterblatt – in der Reihenfolge der Heftigkeit. Als Fußballer hatte er gelernt, Schmerzen zu schlucken, das war noch nie ein Problem für ihn gewesen. Er war ein Schmerzensbrecher, so nannte ihn sein Jugendtrainer.
Silvi dagegen schien sich auf den wohligsten Schmerz zu konzentrieren, den sich Menschen gegenseitig zufügen. Als ihr Quieken wieder einsetzte, leiser zwar, aber stetig, richtete sich Knoppke auf, rieb sich das linke Bein und schlich zur Garderobe. Zunächst wollte er sich nur seinen Schlüsselbund schnappen und abhauen, aber als er auf der Holzablage den Silberring und die Kette mit dem blauschwarzen Herzchen entdeckte, die er Silvi zum dritten Jahrestag geschenkt hatte, konnte er der Versuchung nicht widerstehen und griff zu. Du bist es nicht wert, dachte Knoppke, als er die Sachen zusammen mit zwei Jacken und einem Schal in den roten Rucksack stopfte, der vor seinen Füßen bei den Schuhen lag. Ohne weitere Gedanken packte er alles zusammen und verschwand.
Zuerst aus Silvis Wohnung.
Dann aus Silvis Leben.
Schließlich aus seinem eigenen Leben.
Seinem alten Leben.

Als Knoppke heimfuhr und sich eine Fluppe ansteckte, noch bevor er viel zu spät in den zweiten Gang schaltete, was sein alter Ford mit einem vorwurfsvollen Transitheulen kommentierte, tauchte aus dem Nichts ein dunkelgrauer Gedanke auf: Er würde sich fortan immer daran erinnern, dass das „Finale dahoam“ der Tag war, als es sich seine Lebensabschnittsgefährtin zu Hause von einem anderen besorgen ließ. Und diese Demütigung war Champions League, doch, das war sie.



Über Bernhard Blöchl

Biografie

- geboren am 12. Juni 1976 in Ebersberg bei München - 1996-2002: Studium der Diplom-Journalistik, LMU München - 1996-2002: Ausbildung zum Redakteur an der Deutschen Journalistenschule (DJS) - seit 2002: Autor und Redakteur, vor allem für die Süddeutsche Zeitung - die Themen seiner journalistischen...

Pressestimmen
Münchner Feuilleton

„Bernhard Blöchl, (…), ist ein sonnengelbes Roadmovie gelungen, das von eigenartig schönen, manchmal sehr lustigen und immer liebevoll gestreichelten Sätzen lebt. (...) Es ist ein großes Vergnügen, den Undercover-Poeten Knoppke zu begleiten.“

literaturseiten-muenchen.de

„Bernhard Blöchl erzählt aus der Perspektive seines Helden, bedächtig und lebhaft, sperrig und geschmeidig, einsilbig und wortreich, den Charakteren seiner Figuren angepasst. Manchmal haben es die Sätze in sich, wie etwa die Titelzeile.“

saetzeundschaetze.com

„Blöchl schreibt mit viel Wortwitz, ohne platt zu sein, und zeichnet seine Charaktere mit Wärme & Humor. Zudem wirft das Buch mit leichter Hand die großen Fragen auf: Was heißt Lebensmut? Gibt es immer nur das Glück der anderen? Und: Gibt es zweite Chancen? Aber ja!“

Hans Grünthaler von der Buchhandlung Schmid (in „Augsburger Allgemeine“)

„Haufenweise Sätze, die man am liebsten an den Kühlschrank kleben würde.“

literaturmarkt.info

„Unterhaltung, wie sie amüsanter kaum sein kann - Bernhard Blöchl ist unsere Antwort auf Jonas Jonasson (...) Der deutsche Autor schreibt seine Bücher mit ganz viel Humor, und noch mehr Emotionen (...) Einfach nur herrlich - nämlich herrlich schräg und außerdem wunderbar turbulent, dieses Lesevergnügen!“

Freie Presse

„Letztlich geht es darum, Träume zu heilen, Chancen zu sehen, Liebe wiederzufinden. Und damit ist das Buch natürlich nicht nur eines für schlechte Laune.“

regensburger-nachrichten.de

„272 Seiten voll unerwarteten Begegnungen, verpassten Chancen und der großen Liebe. (...) Mit viel Situationskomik bring der Roman den Leser zum Schmunzeln. Aber er regt auch zum Nachdenken an. Denn wer steht seinem Glück nicht ab und an selbst im Weg?“

Süddeutsche Zeitung

„Eine Hymne auf das wetterwendische Leben, den Norden und auf Wuppertal, und nicht zuletzt: auf die große Liebe.“

Playboy

„Tragikomisches Roadmovie über die Suche nach Glück.“

Moments (Oberösterreich)

„Tragikomischer Roadtrip mit unvergesslichen Figuren und eine Hymne auf den Regen.“

In-München

„Nicht beinahe grandios, sondern wirklich geerdet. Und hundskomisch.“

In-München

„Alles schön launig, frech und mit einer großen Detailliebe für fein ziselierten Unfug geschrieben. Und nebenbei natürlich eine wunderschöne Hymne aufs Mistwetter. Ein wichtiger Lebensbegleiter!“

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