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Im Land des Silberfarns (Im Land der tausend Wolken 3)Im Land des Silberfarns (Im Land der tausend Wolken 3)

Im Land des Silberfarns (Im Land der tausend Wolken 3) - eBook-Ausgabe Im Land des Silberfarns (Im Land der tausend Wolken 3)

Emma Temple
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Ein Neuseeland-Roman

„Emma Temple ist es erneut gelungen, historische Fakten in eine spannende Geschichte einzubinden, die die Ereignisse zu einem atemlosen Leseerlebnis werden lassen. Lust, Liebe, Leid, Abenteuer, Mord sind schillernde Mosaiksteine, aus denen sich dieses Epos zusammensetzt.“ - Die Rheinpfalz

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Im Land des Silberfarns (Im Land der tausend Wolken 3) — Inhalt

Der dritte und letzte Band der erfolgreiche Neuseeland-Saga „Im Land der tausend Wolken“: Für alle Fans von Sarah Lark! 

Dorset, 1828. Seit ihrem 14. Lebensjahr war sich Anne Courtenay sicher, dass sie eines Tages den jungen Adeligen Gregory heiraten würde. Bis der finanzielle Ruin des Vaters ihr Leben durchkreuzt. Plötzlich ist sie keine standesgemäße Partie mehr. Nach dem Willen ihrer Eltern soll sie den hoffnungsvollen Kapitän Nathan heiraten und mit ihm nach Neuseeland auswandern. Und so bricht sie nur wenige Tage später auf Nathans Schiff in eine ungewisse Zukunft auf – eine Zukunft ohne die Liebe ihres Lebens …

„Emma Temple ist es erneut gelungen, historische Fakten in eine spannende Geschichte einzubinden, die die Ereignisse zu einem atemlosen Leseerlebnis werden lassen. Lust, Liebe, Leid, Abenteuer, Mord sind schillernde Mosaiksteine, aus denen sich dieses Epos zusammensetzt.“, Die Rheinpfalz

€ 4,99 [D], € 4,99 [A]
Erschienen am 20.06.2018
480 Seiten
EAN 978-3-492-98455-3
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€ 18,00 [D], € 18,50 [A]
Erschienen am 16.03.2020
480 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-50382-2
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Leseprobe zu „Im Land des Silberfarns (Im Land der tausend Wolken 3)“

TEIL I


KORORAREKA, 1831




1.


Das Meer schäumte kurz auf, als der Anker in die Wellen sank. Die Kette rasselte noch einmal, dann herrschte Stille. Die Mannschaft der Electra rollte in Windeseile die letzten Taue auf, kümmerte sich darum, dass die Segel ordentlich gerefft waren und keines von einer plötzlichen Windbö erfasst werden konnte. Der magere Schiffsjunge sah sich neugierig um. Es war seine erste große Fahrt in den Südpazifik – und von diesem Ort redeten die alten Seeleute seit Monaten wie von einer Art Himmel. Oder der Hölle, je nach Geschichte, die [...]

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TEIL I


KORORAREKA, 1831




1.


Das Meer schäumte kurz auf, als der Anker in die Wellen sank. Die Kette rasselte noch einmal, dann herrschte Stille. Die Mannschaft der Electra rollte in Windeseile die letzten Taue auf, kümmerte sich darum, dass die Segel ordentlich gerefft waren und keines von einer plötzlichen Windbö erfasst werden konnte. Der magere Schiffsjunge sah sich neugierig um. Es war seine erste große Fahrt in den Südpazifik – und von diesem Ort redeten die alten Seeleute seit Monaten wie von einer Art Himmel. Oder der Hölle, je nach Geschichte, die sie zu erzählen hatten. Im Augenblick ankerten bestimmt zwanzig Walfangschiffe in der weit geschwungenen Bucht. Einige groß und gepflegt, mit mindestens vier kleinen Booten an Bord, dazu große Feuerstätten, in denen der Tran der mächtigen Tiere direkt eingekocht werden konnte. Einige kleinere Schiffe waren auf die Fabriken an Land angewiesen, um ihrem Fang das wertvolle Fett abzunehmen. Aber egal, ob groß oder klein: Ihre Besatzung war höchstwahrscheinlich nicht an Bord.
Kororareka. Der Ort, den die Priester den „Höllenschlund des Pazifik“ nannten. Der Schiffsjunge musterte die einfachen Holzhäuser, die hinter den Bäumen am schmalen Strand zu erkennen waren. Die große Bucht war perfekt vor allen Stürmen geschützt, eine leichte Brise strich über seinen Kopf und sorgte dafür, dass ihm der Schweiß nicht zu sehr über das Gesicht lief. Er wischte sich mit einer ungeduldigen Bewegung eine Strähne aus dem Gesicht und lächelte. Hier konnte man sicher baden, endlich wieder etwas frisches Obst essen. Oder ein Stück Fleisch, das nicht schon vor Monaten in Salz gelegt worden war.
Eine Hand legte sich ihm auf die Schulter. Er sah nach oben und erkannte den Mischling, der irgendwo vor Afrika angeheuert hatte, als einer der Matrosen an einem Fieber gestorben war. So wie er aussah, war seine Mutter aus China und der Vater ein Neger.
„Willst heute etwa ein Mann werden, Kleiner?“, grinste er.
Austin schüttelte den Kopf. Er brachte kein Wort heraus. Von den Frauen von Kororareka hatten die Männer immer mit einem merkwürdigen Gelächter gesprochen. So, als ob sie etwas Besonderes wären. Frauen, die man nicht lange fragen musste. Auch dann nicht, wenn man nur ein Matrose war – wichtig war nur das Geld, das man ihnen gab. Oder den Männern, die sie beschützten. Austin machte schon der Gedanke Angst.
„Ich wollte nur ein bisschen von Bord …“, begann er.
Der massige Mann schlug ihm auf den Rücken und schüttelte den Kopf. „Vergiss es. In Kororareka ist nichts gut – außer Schnaps, Frauen oder eine Tracht Prügel. Ich pass auf dich auf, Kleiner. Dann passiert dir nichts. Ich hab bei meinem ersten Landgang hier einen Zahn verloren. Und meine Rippen tun heute noch weh, wenn wir im Winter oder bei feuchtem Wetter segeln. Muss dir nicht passieren. Komm mit!“
Ehe er sichs versah, schubste der Neger Austin in ein kleines Boot, mit dem sie an Land kommen wollten. Der Junge klammerte sich an der Bordwand fest und starrte dem Ort entgegen. Je näher sie kamen, desto deutlicher konnte er die zahllosen Menschen auf den Straßen unterscheiden. Fast alles Männer. Dazu die vielen Läden und der Geruch nach gebratenem Hühnchen. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Frisches Fleisch nach den vielen Monaten mit gepökeltem Speck, in dem schon die Maden wimmelten – das klang wie das Paradies. Oder zumindest wie ein Stück davon.
Mit einem knirschenden Geräusch lief das Boot am Strand auf Grund. Der Mann vorne im Bug sprang heraus, nahm eine Leine und zog das Boot noch ein wenig höher auf den Sand, während die anderen Männer der Reihe nach von Bord sprangen. Keiner von ihnen hielt sich lange auf, alle verschwanden in der nächsten staubigen Straße, manche zu zweit, manche in größeren Gruppen und manche allein. Der Junge zögerte noch, als ihn die Hand des Negers auf seiner Schulter auch schon in Richtung der Stadt drehte. Er wehrte sich nicht, und wenig später waren sie zwischen zwei Häusern verschwunden.
Mit großen Augen sah er sich um. Die Holzhäuser sahen zum Teil nur grob zusammengezimmert aus, er entdeckte bei einigen von ihnen sogar Spalten in der Wand, breit wie eine Männerhand, durch die man ins Innere blicken konnte. Andere waren sorgfältig gearbeitet, da hatten Zimmerleute weiter als an den nächsten Regenschauer gedacht. Die Dächer waren mit Holzschindeln und Gräsern gedeckt, die sich im leichten Wind bewegten.Was passierte hier während der Winterstürme? Oder gab es in diesem Neuseeland gar keinen Winter wie in seiner Heimat in Wales ? Dort regnete und stürmte es monatelang, und der Junge konnte sich nicht vorstellen, dass es irgendwo anders sein könnte – egal, wie heiß es in den letzten Wochen in der Nähe des Äquators gewesen war. Austin holte gerade Luft, um seinen großen Begleiter nach dem Winter zu fragen, als sie gegen zwei bärtige Männer stießen, die quer über die schmale Straße torkelten. Mit glasigen Blicken sahen sie den Neger an. Einer spuckte verächtlich aus.
„Hast dir wohl den Kleinen zum Spielen mitgebracht, oder ? “
Der Junge spürte, wie sich die schwielige Hand auf seiner Schulter etwas verkrampfte. Er hatte keine Ahnung, wovon diese Männer sprachen. Zum Spielen? Der Matrose aus Afrika war doch viel zu alt zum Spielen …
„Verschwinde“, knurrte sein Begleiter. Er schien sich um einen ruhigen Ton zu bemühen. „Will nich’ mit euch reden, klar ? “ Die Männer schienen ihn nicht zu verstehen. Mit ihren breiten Schultern versperrten sie ihnen den Weg und hoben drohend die Fäuste.
Der Neger schüttelte den Kopf. Er sah müde aus. „Bin noch keine hundert Schritte auf festem Boden gegangen. Sucht euch einen anderen …“ Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Der Kräftigere der beiden Männer hob seine Fäuste und schlug ohne weitere Vorwarnung zu.
Der schmale Schiffsjunge machte einen Schritt zurück und versteckte sich hinter seinem Beschützer. Hier konnte er nicht mitmischen. Er sehnte sich nach seiner Hängematte, die direkt in der Nische hinter dem Ofen des Schiffskochs hing. Es roch zwar oft nach ranzigem Fett, aber da störte ihn wenigstens keiner.
Sein Begleiter seufzte leise und drehte sich halb zu ihm um. „Darum hab ich gesagt, dass du nich’ allein an Land gehen sollst“, erklärte er über seine Schulter hinweg. Um gleichzeitig mit seinem langen Arm dem Angreifer einen gewaltigen Schwinger zu verpassen. „Such dir was in deiner Klasse“, sagte der Neger noch, während er den Schiffsjungen an die Hand nahm und über den Mann hinwegstieg. Der lag am Boden und schüttelte immer noch benommen den Kopf, während Austin und sein Beschützer um die nächste Ecke verschwanden. Sein Freund versuchte zu begreifen, was da eben passiert war. Seinem Gesichtsausdruck nach würde es allerdings noch ein Weilchen dauern, bis ihm aufging, dass sie einem stärkeren Mann begegnet waren. Oder vielleicht auch nur einem Mann, der nüchtern war – und deswegen mit den besseren Reflexen ausgestattet war.
Das ungleiche Paar von der Electra hatte inzwischen den etwas breiteren Weg erreicht, der wohl so eine Art Hauptstraße von Kororareka darstellte. Der Neger deutete auf eine Kneipe. „Wenn du kein’ Ärger willst, darfst du da nich’ rein. Wird gesoffen, gespielt. Die Mädchen sin’ nett.Wollen dein Geld, aber nett. Du willst es wirklich nich’ versuchen, wie es mit so einer is’?“
Der Junge sah neugierig zu der Kneipe hin, die ihm sein Begleiter gezeigt hatte. Vor der weit geöffneten Tür standen ein paar Männer mit Bechern in der Hand und lachten laut, während sie sich irgendetwas erzählten. Einer rauchte eine Pfeife, ein anderer kratzte sich gemütlich im Schritt, während er die freie Hand fest um eine Frau gelegt hatte. Sie hatte schon ein paar graue Strähnen im Haar, das wohl einst braun gewesen war – und als sie den Mann anlächelte, sah man, dass ihre Zähne schon lange nicht mehr vollständig waren. Aber ihre Hüften waren rund, und ihre Augen sahen lebendig in die Runde. Auf ihrem Oberarm sah der Schiffsjunge schwarze Schriftzeichen – aber noch bevor er sie sich genauer ansehen konnte, nahm ihn der Neger an die Hand und zog ihn weiter die Straße herunter.
„Zuerst essen wir was. Da vorne gab es letztes Jahr die besten Pasteten der Welt. Vielleicht …“ Er schob eine Tür zu einem kleinen Raum auf, in dem sich die Menschen nur so drängten. An den Tischen war kein einziger Sitzplatz frei, Männer zwängten sich dicht aneinander und riefen ihre Bestellung einer drallen Rothaarigen zu. „Schätzchen, zwei mit Hühnchen und Süßkartoffel. Und ein bisschen Pfeffer extra!“
„Bist auch so scharf genug!“, grölte ein anderer.
Der Neger lächelte. „Hier ist alles gleich geblieben seit mei’m letzten Besuch. Warte hier!“
Damit verschwand er im Gedränge. Er bahnte sich seinen Weg wie ein Lastkahn, die meisten wichen ihm einfach aus. Der Junge drückte sich in eine Nische neben der Tür. Ohne den Afrikaner fürchtete er sich. Was, wenn ihnen die üblen Gesellen, die ihnen vorher begegnet waren, noch einmal über den Weg liefen? Würden sie ihn in Ruhe lassen? Er drückte sich noch ein wenig enger gegen die Wand.
Eine junge Frau, deren schwarze Locken von einem dunkelroten Tuch nur knapp gebändigt wurden, lächelte ihm zu. „Was hat dich denn hierher gebracht. Bist du nicht ein bisschen zu jung für dieses Kaff? Weiß deine Mutter, wo du dich rumtreibst?“
„Ich bin schon dreizehn Jahre alt“, trumpfte der Junge auf und merkte, dass er gleichzeitig rot wurde. „Und wenn meine Mutter nichts dagegen hat, dass ich als Schiffsjunge anheuere, dann darf sie auch nichts dagegen haben, dass ich hier in diesem Gasthaus bin.“
„Gasthaus?“ Die Frau sah sich mit einem abschätzigen Lächeln um. „So kann man das auch nennen. Aber ich versichere dir, dass hier noch ganz andere Dinge als heiße Pasteten serviert werden. Und die sind nichts für kleine Jungs …“
Er sah sie sich genauer an. Ihre feine Haut und die funkelnden Augen sahen so gar nicht nach einem der Mädchen aus, von denen ihm die anderen Männer immer erzählt hatten. Nein, sie sah aus wie eine echte Lady. Oder zumindest so, wie er sich eine echte Lady vorstellte.
„Wie ich schon gesagt habe“, begann er. „Ich bin kein … “
Sie winkte ab. „Will ich gar nicht wissen. Du bist ein Mann, wenn auch ein kleiner, und du bist in diesem Haus gelandet. Das erklärt alles. Aber ich habe für heute genug von stinkenden Männern und Jungs, wie du es bist.“ Sie drehte sich um und schlüpfte durch die Tür nach draußen.
Der Junge sah ihr hinterher. So musste eine Frau sein, wenn er sich mal eine nehmen wollte. Eine, die so aussah, als ob ihre Lippen nach frischen Kräutern schmeckten.
„Hat sie etwa mit dir geredet?“, staunte neben ihm sein Begleiter und drückte ihm eine dampfende Pastete in die Hand. „Welch eine Ehre! Aber für die bist du ein paar Nummern zu klein. Das ist die stolze Anne. Eine der Königinnen von Kororareka. Kann sich nur ein Käpten leisten – und das vielleicht auch nich’ für mehr als ein paar Tage. Iss lieber deine Pastete. Ist mit echtem Schweinefleisch gemacht. Und Süßkartoffeln. Wird dir schmecken. “
Der Junge sah immer noch zu der Stelle, an der die junge Lady verschwunden war. „Das ist ein Mädchen, das es für Geld macht? Aber – sie ist doch eine echte Dame ! “
Der Neger zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung, was sie hierher verschlagen hat. Aber was auch immer sie wirklich ist – sie ist schon seit über einem Jahr hier. Die findet nie mehr den Weg nach Hause zurück, egal wie hübsch sie ist oder wie fein sie sich aufführt.“
Bedächtig kaute der Junge seine Pastete. „Die ist eine Lady, ganz bestimmt“, erklärte er. „Und wenn ich das nächste Mal hierherkomme, dann bin ich reich genug. Dann hat sie Zeit. Auch für einen wie mich.“
Der Afrikaner lachte und zeigte auf eine Blondine. Nicht ganz so jung und nicht ganz so schön wie Anne. „Die da ist eher was für dich, Bürschchen. Man sollte schon wissen, was man sich leisten kann und was nicht. Sogar wenn man nur ein kleiner Schiffsjunge auf einem nicht allzu großen Walfänger ist.“
Austin schüttelte trotzig den Kopf. „ Nein. Ich will nur die eine ! “




2.


Auf der Straße schloss Anne für einen kurzen Moment die Augen. Täuschte sie sich, oder wurden die Männer in Jamesons Bar immer widerlicher? Und wenn sie noch unschuldig und freundlich waren, dann handelte es sich um Kinder. Wie gerade eben dieser Schiffsjunge. Der gehörte eigentlich noch an den Herd seiner Mutter und nicht hierher. Von allen Orten der Welt am allerwenigsten nach Kororareka.
Sie zog ihr Tuch fester über ihr Haar und machte sich auf den Weg. Immer die Häuser entlang, die Augen fest auf den Boden gerichtet, um nur ja niemanden zu ermutigen, sie anzusprechen. Anne hatte nur wenig Zeit, und sie wusste ganz genau, wohin sie wollte. Ein zahnloser einbeiniger Mann hielt sie am Arm fest. „Wie sieht es aus, Püppchen? Versüßt du mir ein bisschen das Leben?“ Er roch nach dem billigen Schnaps, der hier überall verkauft wurde.
Sie musterte ihn kurz, machte eine abwehrende Handbewegung und beschleunigte ihren Schritt. Ihr Mitleid mit diesem Treibgut der Weltmeere war schon lange verbraucht. Mit ihren Verletzungen waren diese Männer für den Walfang unbrauchbar geworden und hatten damit jede Chance auf eine anständige Heuer oder eine Fahrt in die Heimat verloren. Dieser Alte war schon seit Jahren hier in Kororareka.Wenn ihm nicht ab und zu eine mitleidige Seele ein wenig helfen würde – meistens waren es ehemalige Kameraden seiner Mannschaft –, dann wäre es längst um ihn geschehen. So kam er wenigstens hin und wieder an ein bisschen Fusel oder einen Happen Essen. Aber Anne hatte nichts zu verschenken. Sie wich einer Prügelei aus und erreichte endlich ihr Ziel. Ein kleines Haus, ganz am Rand des Ortes. Gebaut aus dicken Balken, sah es mit seinem tief heruntergezogenen Dach ein wenig wie ein Mann aus, der sich einen Hut in die Stirn gedrückt hat.
Anne hob ihre Hand und klopfte. Niemand öffnete. Sie klopfte noch einmal. Fast hätte sie sich schon umgedreht, als sich die Tür langsam auftat. Ein dicker Mann tauchte auf. Sein weißes Hemd war fast sauber, die Hosen hatten nur wenige Flicken, und seine Hände sahen nicht so aus, als ob er viel körperliche Arbeit verrichten würde. Er musterte sie, ohne ein Wort zu sagen, aus seinen wässrigen hellblauen Augen. Anne fühlte sich unwohl. Sie wusste, was er vor sich sah: eine sehr junge, magere Frau mit dunkelgrünen Augen, tiefen Augenringen und zu vielen schwarzen Locken auf dem Kopf. Ein etwas zu tiefer Ausschnitt, um noch anständig zu sein – und ohnehin: Es gab keine anständigen Frauen in diesem Ort. Ein Rock mit bunten Bändern vervollständigte ihre Kleidung. Schuhe trug sie keine. Hier in der Bucht war das Wetter immer mild, sie musste sich nicht gegen Kälte und Nässe schützen. Außerdem waren Schuhe etwas für die anständigen Frauen.
Der Mann sah sie noch immer wortlos an. Anne schluckte. „Bitte lasst mich ein. Ich muss mit jemandem reden. Und dafür seid Ihr doch da? Die Leute sagen, Ihr hört zu. Dann müsst Ihr auch mir zuhören! Stimmt doch, oder ? “
Samuel Marsden seufzte. Er hatte eigentlich auf einen ruhigen Nachmittag gehofft. Er wollte ein wenig an seiner nächsten Sonntagspredigt arbeiten und vielleicht auch nach seinen Reben sehen, die er im Garten hinter dem Haus gepflanzt hatte. Und jetzt stand eine der Dirnen der Stadt vor ihm. Allein dieser Ausschnitt sollte eigentlich reichen, dass Gott einen Blitz auf sie herabfahren ließ. Und dann dieser Rock. Die roten Streifen, mit denen er besetzt war, machten schon klar, womit dieses Mädchen sein Geld verdiente. Er sah ihr ins Gesicht und versuchte sich zu entscheiden, was er mit ihr anstellen sollte. Einfach weiterschicken? Wahrscheinlich bekam er nur Ärger mit Jameson – denn wenn er sich richtig erinnerte, gehörte sie zu seinen Mädchen. Die stolze Anne. So wurde sie genannt, das fiel ihm plötzlich ein.Weil sie nicht mit jedem redete und auch nur für die reicheren Seeleute zu haben war. Jung und gesund, alle Zähne im Mund und der Bauch noch durch keine Schwangerschaft verunstaltet – das machte sie zu einer der schönsten Frauen in Kororareka. Das musste sogar ein Missionar wie er zugestehen. Er holte noch einmal tief Luft, dann trat er zur Seite und machte eine einladende Bewegung mit der Hand. „Komm rein. Ich weiß nicht, was du von mir willst – aber eine Tasse Tee bekommst du. “
Anne nickte dankbar und huschte durch die Tür. Sie wollte nicht, dass irgendjemand sie sah und dann Master Jameson von ihrem Ausflug erzählte. Der würde nur wieder wütend – und seinen Jähzorn hatte sie zu fürchten gelernt. Ebenso wie seine harten Fäuste, die er so gerne einsetzte, um seine Mädchen gefügig zu machen.
Marsden nahm eine verbeulte Teekanne, die auf dem grob behauenen Tisch stand, und schenkte ihr den Tee in einen Becher. Er reichte ihr das dampfende Gebräu und deutete diesmal auf einen Stuhl. „Setz dich.Was liegt dir auf dem Herzen?“ Seine Stimme klang nicht wirklich einladend.
Anne schloss ihre Hände um seine Tasse und atmete für einen Augenblick den aromatischen Duft ein. Es roch nach Kräutern und der Wildnis, die sie hier umgab – aber ganz sicher nicht nach einem normalen Tee. Sie kannte die Antwort schon. Wie so viele Briten konnte Marsden sich keinen echten schwarzen Tee aus Indien leisten und verwendete stattdessen getrocknete Manukablätter. Sie schmeckten sowohl kalt als auch warm, und nicht wenige der Auswanderer behaupteten, dass dieser Tee sogar der Gesundheit förderlich sei. Aber sie war kaum hierhergekommen, um über die Vorteile des neuseeländischen Kräutertees zu sinnieren.
„Ich hasse es! Ich hasse es! Ich hasse es!“, brach es aus ihr ohne eine weitere Vorrede heraus.
Marsden runzelte die Stirn. „Hass ist ein großes Gefühl …“, begann er vorsichtig.
Anne schüttelte den Kopf. „Aber mein Leben kann man nur hassen. Kein Mensch, der auch nur einen Funken anständig ist, könnte so ein Leben führen … Ich ekele mich vor den dreckigen Männern, ich muss würgen, wenn mich einer anfasst, und ich weigere mich, in einen Spiegel zu blicken, wenn ich in diesem von Gott verlassenen Kaff mal einen sehe.“ Sie brach ab. „Aber ich wollte nicht jammern. Das bringt nichts, und wenn ich Euren Blick richtig deute, kann ich von Euch nicht einmal eine Portion Mitleid erwarten. Was ich von Euch will, ist etwas anderes. Ich will, dass Ihr meinen Eltern eine Nachricht zukommen lasst. Sie glauben, dass ich hier eine gut verheiratete Kapitänsgattin bin.“
Der Missionar musterte ihre Erscheinung. „Und du willst ihnen sagen, dass du in Wirklichkeit in der Gosse gelandet bist und in dem verwerflichsten Ort der südlichen Hemisphäre anschaffen gehst, aber eigentlich nichts dafür kannst?“ Sein Akzent offenbarte seine Heimat: Er rollte die Rs und sang auf eine Weise, wie es nur die Männer aus Schottland taten. Anne mochte seinen stillen Vorwurf nicht, den er in jeder Sekunde und mit jeder Pore ausschwitzte.

Über Emma Temple

Biografie

Emma Temple ist das Pseudonym der deutschen Autorin Katrin Tempel. Sie wurde 1967 in Düsseldorf geboren und wuchs in München auf. Während ihres Studiums der Geschichte und der Politik entdeckte sie ihre Liebe zu Neuseeland und verbrachte ein Jahr auf einer Farm in der Nähe von Christchurch – ein...

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