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Gebrauchsanweisung fürs ScheiternGebrauchsanweisung fürs Scheitern

Gebrauchsanweisung fürs Scheitern

Heinrich Steinfest
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„Heinrich Steinfests ›Gebrauchsanweisung fürs Scheitern‹ ist ein tiefsinniges, zugleich humorvolles Plädoyer für eine ›Kultur des Scheiterns‹, für ein von Hoffnung geleitetes, kontinuierliches Vorwärtsscheitern, um nicht der Verzweiflung anheimzufallen. Mit Würde scheitern – auch das lässt sich erlernen.“ - Nürnberger Zeitung

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Gebrauchsanweisung fürs Scheitern — Inhalt

Das Scheitern beginnt früh, darin besteht seine Macht. Natürlich, wir lernen, uns gegen die beständige Kraft der Misserfolge zu stemmen. Der eingebildeten wie der tatsächlichen. Weshalb wir auch ein solches Theater um Triumphe, Goldmedaillen oder Intelligenzquotienten machen. Es ist unser Weg, gegen all die Beschränkungen, die uns Gott oder die Natur auferlegt haben, anzukämpfen. Zugleich studieren wir begeistert das vertraute und fremde Unglück, die Fehlschläge und Blamagen. Heinrich Steinfest beschäftigt sich mit der philosophischen Seite des Scheiterns ebenso wie mit der praktischen, dem Scheitern beim Kochen, in der Liebe und der Kunst, erzählt vom spirituellen Scheitern und dem Versuch, einen gewissen Mr. Ku im Tischtennis zu schlagen.

€ 15,00 [D], € 15,50 [A]
Erschienen am 01.10.2019
240 Seiten, Flexcover mit Klappen
EAN 978-3-492-27733-4
Download Cover
€ 12,99 [D], € 12,99 [A]
Erschienen am 01.10.2019
224 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99514-6
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Leseprobe zu „Gebrauchsanweisung fürs Scheitern“

Ein Nachwort als Vorwort oder Über den Christus an meiner Wand

Dieses Buch begann mit einem Scheitern, bevor noch der erste Satz geschrieben war. Denn eigentlich sollte es ja ein ganz anderes Buch werden. Ich hatte mir überlegt, welches Thema in der Reihe der literarischen Reise- und Lebensführer unbedingt noch zu verfassen sei, und war zu dem Entschluss gekommen, es bräuchte eine Gebrauchsanweisung für das Leben nach dem Tod. Beziehungsweise für die Reise dorthin.

Ganz verliebt in diese Idee, meldete ich dem Verlag meine Pläne, um zu erfahren, dass [...]

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Ein Nachwort als Vorwort oder Über den Christus an meiner Wand

Dieses Buch begann mit einem Scheitern, bevor noch der erste Satz geschrieben war. Denn eigentlich sollte es ja ein ganz anderes Buch werden. Ich hatte mir überlegt, welches Thema in der Reihe der literarischen Reise- und Lebensführer unbedingt noch zu verfassen sei, und war zu dem Entschluss gekommen, es bräuchte eine Gebrauchsanweisung für das Leben nach dem Tod. Beziehungsweise für die Reise dorthin.

Ganz verliebt in diese Idee, meldete ich dem Verlag meine Pläne, um zu erfahren, dass bereits Bruno Jonas an einem diesbezüglichen Werk arbeite und es demnächst erscheinen werde. Und das war nun auch der Fall: Bruno Jonas, Gebrauchsanweisung für das Jenseits, Piper, München 2018.

Ein österreichisches Schicksal!

Denn ich bin ja Österreicher.

In jener berühmten Travnicek-Doppelconférence von Gerhard Bronner und Helmut Qualtinger gibt es eine Szene, in welcher der von Qualtinger gespielte Travnicek davon spricht, die Schiffsschraube erfunden zu haben. Sein Gesprächspartner entgegnet, diese sei doch schon längst erfunden. Woraufhin Travnicek antwortet, ja, das habe er leider nicht gewusst. Und folgert: „Ein österreichisches Schicksal.“

Ein österreichisches Schicksal, das ziemlich gerecht über die ganze Welt mit ihren vielen irgendwie Zuspätgekommenen verteilt ist. Travniceks „Schiffsschraube“ ist geradezu ein Symbol für all die Leider-nein-Millionäre und die kleinen und großen Bankrotteure, für Leute mit grandiosen Ideen, aber weniger grandiosen Umsetzungen, nicht zuletzt aber auch für die Zufrühgekommenen, für Leute, die Schiffsschrauben in die Welt gesetzt haben, bevor noch das Schiff erfunden wurde.

Okay, meine Gebrauchsanweisung für das Leben nach dem Tod konnte ich also im wahrsten Sinne „abschreiben“, weshalb ich zu überlegen begann, wovon ich sonst noch mindestens so viel Ahnung besitze wie vom Jenseits. Und kam rasch auf das Thema der Niederlage. Um aber festzustellen, dass, sobald ich Leuten von diesem Vorhaben erzählte, viele mich erstaunt fragten, ob denn nicht schon längt eine Gebrauchsanweisung für Holland auf dem Markt sei. Es bestand ein akustisches Missverständnis: Niederlande statt Niederlage. Darum wechselte ich in der Folge zum Begriff des Scheiterns, ohnehin das sehr viel bessere Thema. Die Niederlage scheint vor allem im Politischen, Militärischen und Sportlichen beheimatet und ist einer der Pole allerlei Wettbewerbe, das Scheitern aber ist fundamentaler, alltäglicher, „menschlicher“, es verbindet uns alle, basiert nicht immer nur auf Tatsachen, ist oft ein Gefühl. Niederlagen müssen wir erst einmal erleiden, um zu wissen, was das ist. Mit dem Gefühl des Scheiterns – zumal als sterbliche Wesen – werden wir bereits geboren und reagieren mit verständlicher Empfindlichkeit auf alles, was dieses Gefühl bestätigt.

Dennoch, diese Gebrauchsanweisung will natürlich auch ein lustiges Buch sein, weil in nichts so sehr wie im menschlichen Scheitern eine ungeheure Komik steckt, eine befreiende Kraft des Negativen, des Fragilen und Verbesserungswürdigen. Ein göttliches Zwinkern, das sich auf unsere niedergeschlagenen Lider senkt.

 

Ich weiß nicht so recht, warum, aber an dem Nachmittag, als ich die ersten lektorischen Kommentare zur Rohfassung dieser Gebrauchsanweisung erhalte und rein gar nicht weiß, wie ich es schaffen soll, die bereits bestehende Überlänge des Manuskripts mit all dem unter einen Hut zu bringen, was laut meinem Lektor noch fehlt oder anders besser wäre – also eine Hecke so zuzuschneiden, dass trotz faktischer Reduktion die Masse zunimmt –, in diesem Moment größter Unsicherheit fotografiere ich den Arbeitsraum in meiner Stuttgarter Wohnung, um das Foto an meine in der Wiener Heimat lebende Mutter zu schicken. Das Bild eines sehr ordentlichen, disziplinierten Raums: ein leer geräumter Tisch, dazu die brav in Reih und Glied dastehenden Bücher, natürlich auch akkurat gestapelte Türme von Manuskripten, die kein Karatemeister durchschlagen und kein Wrestler zerreißen könnte. Nicht zuletzt an der Wand eine leicht gelbliche, hölzerne Christusfigur sowie eine mit Goldfarbe bestrichene Schutzmantelmadonna.

Ich bin in einem atheistisch geprägten Haushalt aufgewachsen. Es war kein militanter Atheismus, der da gepredigt wurde, kein linker, kein philosophischer, mehr ein Atheismus der Verwunderung darüber, dass Menschen auf die Idee kommen, in einer sichtbaren Welt Vorstellungen über das Unsichtbare zu entwickeln. In erster Linie aber bestand ein Aufbegehren gegen den Umstand, aus einer Kirche austreten zu müssen, in die man willentlich ja noch gar nicht eingetreten war. Und im Falle der katholischen Kirche auch gar nicht wirklich austreten kann, der Austritt ist nur eine Illusion jener ewig Getauften, die sich quasi das Begehen ihrer kirchenrechtlichen Straftat – der Apostasie – dadurch versüßen, in Zukunft keine Kirchensteuer mehr bezahlen zu müssen. Nur logisch, dass meine Eltern mich gar nicht erst taufen ließen.

Ich schicke also dieses Foto meines Arbeitsplatzes und Arbeitsraums an meine Mutter, wie um mir zu beweisen, dass, obgleich Chaos in meinem Kopf herrscht, in meiner Wohnung Ordnung und Übersicht walten. Vielleicht auch bin ich ihr einfach mal wieder eine Nachricht schuldig, habe mich aber völlig leer geschrieben. Darum ein Foto, das zwar nicht mehr als tausend Worte sagt, ein paar aber schon.

Ein Foto, das in der Folge auch meine Mutter zu ein paar Worten anregt.

Dass in meiner Wohnung ein Christus hängt, irritiert sie natürlich. So wie alle Eltern, die sich fragen, was sie bloß falsch gemacht haben in ihrer Erziehung. Der Friedensaktivist, dessen Sohn Offizier wird, mag es so wenig fassen wie die Immobilienmaklerin, deren Tochter eine Karriere beim Mieterschutzbund anstrebt. Umgekehrt wundert es kaum jemanden, wenn Kinder aus einer Familie, in der die Erwachsenen ständig alle Zimmer vollqualmten, froh sind, wenn sie den Rest ihres Leben in raucherfreien Zonen verbringen können.

Meine Mutter ist mir nicht böse. Sie wundert sich nur, umso mehr, als ich noch immer ungetauft bin, noch immer konfessionslos, aber zu Hause einen Christus hängen habe. Die goldene Schutzmantelmadonna kann man noch verstehen, sie ist aus Mariazell und vermittelt schon sehr stark dieses „Wenn es nichts nützt, schadet es zumindest nicht“. Einmal in Mariazell gestrandet – Atheist hin oder her –, nimmt man halt gern ein Andenken mit.

Der einfache, fast weiße Christus hingegen, in seiner Haltung des Gekreuzigten, aber ohne Kreuz, ist zu fundamental, zu ernst, zu schmucklos. Noch dazu in diesem Arbeitszimmer hängend, über den Stößen von Manuskripten.

Meine Mutter schreibt mir dazu das Folgende: „Welche Beziehung hast Du zum Jesus? Imponiert er Dir als Mensch? Oder ist es das Leid, welches man ihm angetan hat?“

Eine wirklich gute Frage. Ist es das Leid, an dem ich so hänge?

Man denkt nur selten daran, weil man sich derart an den Gekreuzigten gewöhnt hat. Aber es ist doch verwunderlich, dass die Menschheit, die so gerne in Heldenposen und Siegesräuschen, in Triumphgesten und Führerkulten denkt, einen ihrer wichtigsten „Superhelden“ in einem Moment schrecklichster Demütigung und offenkundiger Hilflosigkeit zeigt. Ihn im Augenblick seines Scheiterns dokumentiert, ja, dieses Scheitern zum grundlegenden „Markenzeichen“ macht: das Kreuz (immerhin das Todeswerkzeug der Feinde) sowie den gekreuzigten Menschen. Statt etwa die so viel würdevollere, geradezu triumphatorische Auferstehungsszene. Abgesehen von all den für einen Superhelden typischen Handlungen des Übermenschlichen, übers Wasser laufen und Ähnliches.

Aber nein, es ist der ans Kreuz Genagelte, Verblutende, Sterbende, der zumindest nach Markus und Matthäus seinen Gott fragt, warum er ihn verlassen hat, und den es laut Johannes ganz menschlich dürstet und welcher laut dem späten Lukas – schon etwas übermenschlicher – um Vergebung für jene bittet, die ihn überhaupt erst in diese Lage gebracht haben. Dieser wunderfähige Mann, der auf dem Kreuz verbleibt, anstatt von ihm herunterzusteigen, wie von einigen erwartet und erhofft. Und den wir Abertausende Male verbildlicht genau in diesem Moment seines Scheiterns festhalten.

Ist das der Grund, dass er hier an meiner Wand hängt? Gottes Sohn als ein an der Menschheit Gescheiterter. Der dabei aber – ich muss es einfach sagen – eigentümlich schön ist. Bei aller Qual, bei aller Erniedrigung, bei allem geradezu anmaßenden Gewicht, das darin besteht, die Sünden der Menschen auf die eigenen Schultern zu nehmen. Und zwar gleich mal für die nächsten zweitausend Jahre, in denen ja einiges geschehen wird abseits von Liebe und Fürsorge und freundlichem Umgang beim Anstellen an den Futtertrögen der Welt.

Die Welt ist Scheitern.

Der Mensch ist Scheitern.

Und all das besitzt eine Schönheit, die zu definieren sich dieses kleine Buch auf den Weg macht. Wie auch einiges an Hässlichkeit.

Die gescheiterte Hoffnung

Denke nicht ans Gewinnen, doch denke darüber nach,
wie du nicht verlierst.

Funakoshi Gichin,
Die 20 Regeln

Denke nicht ans Verlieren, doch denke darüber nach,
wie du nicht gewinnst.

Unbekannter Mann


Als ich vielleicht zehn, elf Jahre alt war, fiel mir ein Buch über Segelboote in die Hände. Dieser Bildband war sicher der Ausgangspunkt vieler in meiner Jugend angefertigter Zeichnungen derartiger Boote, so wie dieses Buch vielleicht auch sehr viel später dazu beigetragen hat, dass einige Segelszenen in meinen Romanen auftauchten. Ich selbst war allerdings nur ein einziges Mal segeln, so mit vierzehn etwa, ein Wochenendausflug mit meinem oft absenten Vater und meinem Bruder. Ein Ausflug, der seinen Höhepunkt darin fand, dass wir auf dem für seine geringe Wassertiefe bei gleichzeitiger Gefährlichkeit bekannten Neusiedler See kenterten. Wir waren nicht die Einzigen. Überall auf dem von starkem Wind aufgepeitschten Wasser sah man die liegenden Boote von Ausflüglern. Es hatte etwas von einer Regatta für Waagrechtsegler.

Mein Vater war ein aus vielen Demütigungen heraus entstandener Mann des Siegens, den dieses Missgeschick schrecklich ärgerte und der keinesfalls vom Bootsverleiher gerettet werden wollte, welcher an diesem Tag sein Geschäft weniger mit dem Verleih der Boote als ihrer Rückholung machte.

Wir standen da im Wasser, die Füße im weichen Schlamm wie in einer saugenden Muschel, und versuchten unter den Anweisungen meines Vaters, das Boot wieder in die Senkrechte zu befördern. Ich meine, mich an meine Angst zu erinnern, Angst vor dem Wasser, Angst, etwas falsch gemacht zu haben, Angst, dieses Boot nie und nimmer zum „Aufstehen“ bewegen zu können. Eher schien mir das Boot wie eines dieser in Wildwestfilmen umgeschossenen Pferde, einerseits. Andererseits empfand ich mit großer, berauschender Plötzlichkeit, wie sich hier ein ersehnter Zustand einstellte: Familie zu sein. In diesem Moment des Scheiterns und der Angst spürte ich eine große Nähe zu dem während seiner seltenen Besuche mir stets so fremden Erzeuger. Einen verrückten Moment lang dachte ich mir, dass dieser „Unfall“ uns auf ewig zusammenschweißen würde. Aber klar, wir mussten natürlich zusehen, der Schmach des Abgeschleppt-und-aus-dem-Wasser-gezogen-Werdens zu entkommen, schafften es tatsächlich, das „Pferd“ wieder auf die Beine zu befördern, wären dann aber beim Hineinklettern beinahe erneut gekentert … Fast wünschte ich mir eine kleine, uns verbindende Komödie wiederholten Kenterns.

Doch wir blieben oben und begannen, mit einem Eimer und bloßen Händen das Wasser aus dem Inneren des Boots zu schöpfen. Um in der Folge unter einigen Mühen an einen Ufersteg zu gelangen, ein Abflauen des Windes abzuwarten und schließlich die Rückfahrt anzutreten. Es gelang. Sehr zum Erstaunen des Bootsverleihers, der gehofft hatte, uns kostenpflichtig retten zu müssen. Nachher erhielt diese Geschichte innerhalb der Familienhistorie diverse Ausschmückungen, die den Sturm heftiger, die Situation dramatischer und den Ärger des Bootsverleihers ärgerlicher erscheinen ließen. Ich dachte noch lange an diese gewisse familiäre Verbundenheit, als wir da mit einem Mal im Wasser standen. Das Glück im Moment des Scheiterns und weniger im Moment des Gerade-noch-davongekommen-Seins.

Es war also drei, vier Jahre davor, als ich auf besagtes Buch übers Segeln stieß, einen Band mit vielen tollen Bildern, auf denen die Ozeane, über welche die Schiffe fuhren, wie eine 

Bühnenfassung des romanhaften Neusiedler Sees wirkten. Was mich dabei am meisten faszinierte, waren gar nicht so sehr die großen Jachten und gewaltigen Dampfer, sondern die im wahrsten Sinne handlichen Boote der Einhandsegler. Wobei ich noch lange vermutete, dies würde eben nicht nur bedeuten, dass hier ein Mann oder eine Frau ganz alleine segelte, sondern vor allem, dass er oder sie das Steuerrad immer nur mit einer Hand bediente. Dies hatte in meiner Vorstellung eine ungemeine Würde und Souveränität. Wie man sich einen großen Bildhauer denkt, der eine Figur mit nur einer Hand modelliert, in der anderen aber elegant eine Zigarette hält. Und zwar vor lauter Überheblichkeit mit seiner schlechteren Hand – also mit der schlechteren Hand die Figur modelliert, mit der besseren die Zigarette hält.

Eine der Abbildungen in diesem Buch ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. Darauf ist ein kränklich blasses Boot bei ruhiger See zu erkennen. Blass und verlassen. Ich weiß noch, dass die Bildunterschrift irgendwelche Hinweise darauf lieferte, wie sehr das Einhandsegeln nicht allein den menschlichen Körper herausfordere, sondern eben auch den menschlichen Geist, und zu immensen psychischen Problemen führen könne. Man bedenke die Isolation über einen so langen Zeitraum.

Genau das musste dem „einhändigen“ Mann zugestoßen sein, der auf diesem Boot gewesen war, das mich, den Zehn- oder Elfjährigen, so fasziniert hatte. Ein trauriges Boot. Und erst sehr viel später würde mir der Anblick eines anderen Fahrzeugs der Meere ein ähnliches Gefühl vermitteln. Ein Schiff, das man kaum sieht, derart ist es von arktischen Eisblöcken zugedeckt. Und doch ist es gerade mittels seines Verschwindens das zentrale Objekt.

So, wie ich lange glaubte, Einhandsegler seien in lässiger Weise nur ihre Rechte oder Linke gebrauchende Gelehrte der Einsamkeit, so dachte ich auch lange, dass der Titel dieses bestimmten Bilds von Caspar David Friedrich Die gescheiterte Hoffnung laute. Und unter diesem Titel ist es ja auch heute noch bestens bekannt. Allerdings ist seit 1965 kunsthistorisch erwiesen, dass es sich bei diesem Titel um eine Verwechslung handelt und er, der Titel, sich eigentlich auf das bereits 1822 entstandene Polarbild Ein gescheitertes Schiff auf Grönlands Küste im Wonne-Mond (auch Misslungene Nordpolexpedition oder Die zertrümmerte Hoffnung) bezieht. Darauf ein ähnlich von Eisschollen zerdrücktes Schiff zu sehen ist. Ein Wrack, auf dessen Resten man den Schiffsnamen lesen kann: Hoffnung. Dieses Bild gilt allerdings sei 1868 als verschollen. Während das allgemein bekannte zweitgemalte seit 1905 in der Hamburger Kunsthalle hängt und nun Das Eismeer heißt. Was aber nichts daran ändert, dass man bei seinem Anblick meint, die „gescheiterte Hoffnung“ zu sehen, möglicherweise sogar ein Schiff, das den gleichen Namen trägt wie jenes auf dem davor gemalten und nun verschollenen.

Ich glaube, es ist dies wirklich ein Gemälde, das in den Köpfen der Europäer festsitzt. Bewusst oder unbewusst. Sowohl in Kombination mit dem Namen des Malers und seiner Bedeutung als auch in Form einer irgendwo aufgeschnappten Abbildung. Es ist geradezu die gemalte Hymne auf das Scheitern. Im Falle des Künstlers selbst bezieht sich dies auf die vielen nicht erfüllten Hoffnungen in der Zeit des Vormärz sowie auf den Umstand von Friedrichs damals bereits verblassendem Stern. Es brauchte darum das 20. Jahrhundert mit seiner Begeisterung für die Leere, um die betörenden Einsamkeitsbilder dieses Künstlers wieder in den Blickwinkel eines großes Publikums zu rücken.

Ohne noch viel über den Hintergrund dieses Bilds zu wissen, empfand ich schon beim ersten Mal, als ich es in der verkleinerten Form einer Kunstkarte sah, dennoch die tiefe Wahrheit seiner Aussage. Wie sehr eben die Hoffnung an das Scheitern gebunden ist. Wie banal eine Welt wäre, in der sämtliche Hoffnungen sich erfüllten. Weil nämlich in einer solchen Welt Bilder wie dieses von Friedrich gar nicht entstehen würden. Es braucht das Unglück, um darüber berichten zu können. Und natürlich schafft das Unglück die Kunst und die Philosophie. Und eigentlich alles, was ständig damit beschäftigt ist, das Unglück zu verhindern oder es erträglich zu machen oder auch nur es zu begreifen. Unentwegt geschehen Fehler, erfolgen Irrtümer, passieren Missgeschicke.

Man wird mir entgegenhalten, dass doch auch vieles gut geht. Ja, es geht aber darum gut, weil wir so verzweifelt wie verbissen gegen die Natur des Schlechtgehens ankämpfen. Die Welt ist ununterbrochen dabei, auf einer Bananenschale auszurutschen. Und ununterbrochen dabei, Bananenschalen aus dem Weg zu räumen.

 

Als ich mich jetzt an dieses Bild einer verlassenen Segeljacht erinnere und dabei an die Traurigkeit, aber eben auch Rührung, die der Anblick in mir auslöste, beginne ich zu recherchieren und stoße auf einen Mann namens Donald Crowhurst. Und bin mir bald sicher, dass es sich bei ihm um jenen Einhandsegler handelt, dessen verlassenes Boot, ein Trimaran namens Teignmouth Electron, mir als Kind ein Gefühl gab für die bittere Süße des Scheiterns.

Obgleich ich also den Namen des Boots und den Namen des Mannes zu diesem Boot bald kenne, kann ich gleichzeitig in der Menge von Fotos, die das Internet anbietet, nicht das eine Bild aus dem Buch meiner Kindheit ausmachen. Viele ähnliche, aber nicht dieses eine. (Es bereitet uns zwischenzeitlich auch eine gewisse Freude, etwas nicht zu finden. Etwas nicht zu finden erscheint fast wie ein Beweis dafür, dass es wirklich existiert oder existiert hat.)

Was ich freilich gleich entdecke, sind die vielen Hinweise darauf, es komme soeben ein Film mit Colin Firth in der Rolle des Donald Crowhurst in die Kinos, ein Film nach einer wahren Begebenheit. Was immer ein wenig so klingt, als würde sich jemand für ein Ausweiden der Realität entschuldigen.

Spiegel Online hatte siebenundvierzig Jahre nach den Ereignissen getitelt: Der Mann, der sich um den Verstand segelte. Während die FAZ zwei Jahre später sich zu einem Er wollte Meer aufschwang. Dürfte auch ich einen derartigen Titel auswählen, ich würde sagen: Der Ed Wood des Segelns.

Das Faszinierende an dieser Geschichte ist sicherlich die Blindheit des Akteurs für die Realitäten. So wie die extreme Vermessenheit, mit der er sich an einem Weltereignis beteiligte.

Als die Sunday Times 1968 eine Trophäe namens Golden Globe für die erste Nonstop-Einhand-Weltumsegelung auslobt sowie einen beträchtlichen Geldpreis für den, der dabei am schnellsten sein würde, gehen neun „einhändige“ Männer ins Rennen. Darunter mit dem Briten Donald Crowhurst ein absoluter Amateur und Dilettant. Ein Wochenendsegler, der im Zuge solcher Hybris zum „mystery sailor“ wird.

Dieser mysteriöse Segler sticht als letzter der Mitbewerber mit seinem Trimaran von Teignmouth aus in See, mit einem Boot, das erst kurz zuvor fertiggestellt worden war und schon bei der Überfahrt zum Startort erhebliche Probleme bereitet hatte. Statt der veranschlagten drei Tage war eine ganze Woche benötigt worden. Ähnlich wie mit diesen Hunden, die, mehrere Querstraßen bevor man den Tierarzt erreicht, ihre Körper versteifen und in erstarrter Haltung und mit gespreizten Beinen über den Gehweg geschleift werden müssen. Denn bei aller Dramatik, diese Geschichte trägt auch die Züge einer Allerweltsgeschichte, bei der nämlich ein kleines Scheitern ein großes vorbereitet.

Da ist ein Mann, der hat Familie, und er hat Schulden. Er ist Besitzer einer winzigen Firma, die ein einziges Produkt herstellt, ein Funkpeilgerät. Und er ist ein Freizeitsegler. Er hat also etwas Ahnung von der Materie, aber das haben eben auch Leute, die einen Führerschein besitzen, trotzdem jedoch keinen eigenen Formel-1-Stall gründen, um Ferrari oder Mercedes das große Geld streitig zu machen.

Heinrich Steinfest

Über Heinrich Steinfest

Biografie

Heinrich Steinfest wurde 1961 geboren. Albury, Wien, Stuttgart – das sind die Lebensstationen des erklärten Nesthockers und preisgekrönten Autors, welcher den einarmigen Detektiv Cheng erfand. Er wurde mehrfach mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, erhielt 2009 den Stuttgarter Krimipreis und...

Pressestimmen
medienprofile – Medienempfehlungen für die Büchereiarbeit

„Krimiautor Heinrich Steinfest hat hier über ein interessantes Thema in unterhaltsamem Ton geschrieben.“

DAS ARCHIV- Magazin für Kommunikationsgeschichte

„Eine ›Gebrauchsanweisung fürs Scheitern‹ (…), die dem fast schon zur Mode gewordenen Thema Frisches, Lustiges und Bedenkliches abgewinnt.“

Nürnberger Zeitung

„Heinrich Steinfests ›Gebrauchsanweisung fürs Scheitern‹ ist ein tiefsinniges, zugleich humorvolles Plädoyer für eine ›Kultur des Scheiterns‹, für ein von Hoffnung geleitetes, kontinuierliches Vorwärtsscheitern, um nicht der Verzweiflung anheimzufallen. Mit Würde scheitern – auch das lässt sich erlernen.“

Der Bayerwald-Bote

„Wie schöpferisch und lustig es sein kann, absurd verlaufene Hindernisläufe ungehemmt zu beschreiben, die ganz wesentlich zum Leben gehören, lässt sich bei Steinfest wunderbar nachlesen.“

Ruhr Nachrichten

„Ein literarisches Kleinod, eben ein echter Steinfest“

Ruhr Nachrichten

„Ein Buch übers Scheitern, mit dem der Autor keineswegs gescheitert ist.“

Falter (A)

„Auf erholsame Weise unperfekt.“

Südwestpresse Ulm

„Ein Lesevergnügen.“

Literaturoutdoors.com

„Der Autor versteht es mit außergewöhnlicher Erzählgabe in Intellekt, Witz und Phantasie das Leben in Glück und Niederlage zu öffnen und Leserin/Leser in Staunen, Lächeln und Nachdenken daran teilhaben zu lassen – an der unerträglichen Leichtigkeit der Schönheit des Scheiterns.“

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