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Der Bienenmann

Der Bienenmann

Elias Mattay
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Kriminalroman

„Ein klasse Krimi-Debüt: Elias Mattay hat mit ›Der Bienenmann‹ einen Kriminalroman mit Serienqualität vorgelegt.“ - Ruhr Nachrichten

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Der Bienenmann — Inhalt

Ein idyllisches Seengebiet bei Berlin: Hier leben die Reichen zurückgezogen in ihren Villen ... Bis ein eiskalter, unberechenbarer Killer auftaucht. Als Imker maskiert, tötet er scheinbar wahllos und entführt einen kleinen Jungen. Will der Täter Geld? Hat er ein politisches Motiv? Oder ist er ein Psychopath? Unter wachsendem Druck der Öffentlichkeit sucht der Berliner Kommissar Baer vergeblich nach einem Schlüssel für die blutigen Taten. Eine Verbündete findet er in der jungen Brandenburger Ermittlerin Jana Seitz, auch wenn ihr Vorgesetzter und Liebhaber das nur äußerst ungern sieht. Dann schlägt der Imker wieder zu, noch brutaler als zuvor, und den Ermittlern wird endgültig der Boden unter den Füßen weggezogen ...

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 12.01.2017
416 Seiten, WMePub
EAN 978-3-8270-7899-5
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Leseprobe zu „Der Bienenmann“

1

Etwas hatte sich bewegt, draußen auf der Veranda.

Ein heller, keuchender Schatten in der feuchten Abenddämmerung.

Oder nicht?

Der Junge hob den Blick von seinem neuen Puzzle, das er auf dem dunklen Teppich nahe der halb geöffneten Verandatür legte.

Ein Dino-Puzzle. Nur noch ein Teil, der linke Hinterfuß, dann war der Dino fertig.

Er blickte neugierig hinaus und betastete dabei das glatte, an den Rändern so sonderbar gewundene Teil in seiner rechten Hand. Drehte und wendete es, im Vorgefühl seines Glücks, hin und her.

Plötzlich war der Schatten ganz nah.

Er [...]

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1

Etwas hatte sich bewegt, draußen auf der Veranda.

Ein heller, keuchender Schatten in der feuchten Abenddämmerung.

Oder nicht?

Der Junge hob den Blick von seinem neuen Puzzle, das er auf dem dunklen Teppich nahe der halb geöffneten Verandatür legte.

Ein Dino-Puzzle. Nur noch ein Teil, der linke Hinterfuß, dann war der Dino fertig.

Er blickte neugierig hinaus und betastete dabei das glatte, an den Rändern so sonderbar gewundene Teil in seiner rechten Hand. Drehte und wendete es, im Vorgefühl seines Glücks, hin und her.

Plötzlich war der Schatten ganz nah.

Er stand direkt hinter der breiten Glasfront.

Und stieß im nächsten Moment die Tür ganz auf.

Der Junge zuckte vor Schreck zusammen.

Aber schon im nächsten Augenblick musste er lachen.

Da stand ja ein Bienenmann!

In einem weißen Anzug, der den ganzen Körper bedeckte, vom Hals bis runter zu den Füßen. Mit einem runden weißen Hut auf dem Kopf und einem dunklen Netz vor dem Gesicht. Und mit Handschuhen natürlich, um die Hände zu schützen.

Ein Bienenmann, ja. Seine Eltern hatten einen anderen Namen für den Bienenmann, aber den konnte er sich nicht merken.

Ein Bienenmann liebte die Bienen und sorgte dafür, dass es Honig gab.

Der Junge liebte Bienenhonig.

Aber was wollte der Bienenmann? Hier in ihrem Haus? Er schaute ihn erwartungsvoll an.

Doch der Bienenmann blieb stumm. Senkte nur den Kopf und schien ihn anzustarren durch sein braunschwarzes Netz vor dem Gesicht.

Das war unheimlich.

Etwas stimmte nicht mit diesem Bienenmann.

Der Junge spürte, wie seine Lippen zu zittern begannen.

Im nächsten Moment hob der Bienenmann seinen Arm in die Luft, in der Hand befand sich ein glänzendes schwarzes Ding.

Und dann platzte die Welt mit einem gewaltigen Knall auseinander!

Der Junge wirbelte herum, sah den feinen weißen Pulverschnee, der aus einem Loch in der Wand auf die rote Couch hinabrieselte. Ein Blitz hatte eingeschlagen, zuckte mitten durchs Zimmer, zerfetzte die Wände, brachte die Decke zum Bersten. Der Esstisch, die Stühle, der Fernseher, sogar der Teppich unter seinen Füßen, alles begann sich in einem wilden Wirbel um ihn herum zu drehen.

Sein Herz raste, etwas Schleimiges, furchtbar Saures stieg in seinem Hals auf, steckte dann fest. Sein Bauch begann zu zucken und zu krampfen.

Er wollte schreien.

Wegrennen.

Zu Mami in die Küche.

Zu Papa, der draußen war, irgendwo verborgen in der dicken grauen Suppe des Vorgartens.

Aber seine Lippen gehorchten ihm nicht, er bekam den Mund nicht auf. Wie festgeklebt. Seine Beine waren kalt und steif, bewegten sich keinen Zentimeter. Er fühlte, wie er sich in die Hose machte.

Er hatte jetzt nur noch eines, an das er sich klammern konnte: das Dino-Bein, sein Puzzleteil, das er hatte legen wollen. Er presste es in seiner Faust zusammen, bis er es nicht mehr fühlte.

Auf einmal war Mami da.

Doch sie sah gar nicht aus wie Mami. Sie war weiß wie eine Wand, hatte die Augen aufgerissen wie ein Monster.

Jemand schrie etwas, er verstand nicht, was, aber Mami konnte das nicht sein, die schrie nicht, niemals.

Plötzlich waren aber auch ihre wild erhobenen Fäuste in der Luft. Sie schien keine Angst vor dem schwarzen Ding in der Hand des Bienenmanns zu haben.

Doch das Ding schlug furchtbar heftig zurück, mit voller Wucht seitlich gegen ihren Kopf.

Es gab einen Laut, als würde eine große Nuss geknackt.

Mami sackte zusammen. Es machte ein schlimmes, dumpfes Geräusch, als ihr Hinterkopf auf dem Boden aufschlug.

„Mami!“

Er wollte zu ihr. Aber die Hand des Bienenmanns packte ihn von hinten an seinen Haaren und hielt ihn fest.

Komisch, es tat gar nicht weh. Er spürte nichts.

„Verflucht! Was …?“

Das war Papa!

Endlich.

Papas Stimme in seinem Rücken.

„Papa!“

Der Bienenmann schleuderte ihn an den Haaren herum. Er flog beinahe, fuhr Karussell … he, Pferdchen, schneller, schneller!

Es knallte von Neuem. Das schwarze Ding spuckte wieder seinen Blitz.

„Papa!“

Sein Vater stöhnte auf. Er tapste rückwärts wie ein Tanzbär. Es sah lustig aus. Papa schien sich vor Vergnügen zu schütteln. Er schlug der Länge nach hin.

„Papa!“

Sein Vater lag auf dem Rücken und versuchte wieder aufzustehen, doch es gelang ihm nur, den Kopf zu heben.

Aber Papa lachte ja! Sein Mund stand weit auf, er gab einen gurgelnden Laut von sich, wie beim Zähneputzen. Roter Saft floss über seine Lippen wie Himbeersaft.

Jetzt wusste er es: Papa spielte einen Clown!

Aber auch aus einem Loch in seinem weißen Hemd floss Himbeersaft. Er floss sogar unter seinem Rücken. Das war seltsam.

Dann fiel der Kopf wieder zurück und schlug hart auf dem Boden auf. Papa begann am ganzen Körper zu zittern, immer heftiger, die Arme und Beine zuckten wild.

Das sah hässlich aus, er wollte das nicht sehen.

„Neeeeiiiin!“

Im nächsten Moment rührte Papa sich nicht mehr.

Der Bienenmann riss wieder an seinen Haaren, zerrte ihn fort. Weg von Papa.

„Papaaaa!“

Weiter, schneller. Fort. Durch die hässliche graue, nasse Nebelwolle im Garten. Runter zum See, riesig und schwarz lag er da. Feen und Elfen tanzten darauf, sahen aus wie weiße Nebelfetzen.

Wartet auf mich! Bitte! Wartet doch … ich …


2

In der Dämmerung verließ sie ihr Zelt und verdeckte es wieder sorgfältig mit dem Tarnnetz, an den Seiten zusätzlich mit Ästen und Zweigen. Nicht, dass es nötig gewesen wäre. Ihre Behausung stand tief genug im Sumpf, es war ausgewiesenes, umzäuntes Naturschutzgebiet, nicht mal die Förster betraten es. Aber wenn sie eines im Leben gelernt hatte, dann, dass auf nichts Verlass war, am wenigsten auf Wahrscheinlichkeiten. Das Unwahrscheinliche, Außergewöhnliche, angeblich Unmögliche konnte jederzeit geschehen.

Wie jeden Abend kämmte sie sich geduldig durch das Schilf, übersprang die Wassergräben, stakste mit den schweren Stiefeln durch fette, feuchte, schwarze Erde. Sie mochte das.

Dann erreichte sie das mit ersten Herbstblättern beschenkte Waldgebiet, das Wunder aus Totholz, Moosen, Farnen, Sträuchern, Birken, Erlen. Zwängte sich durch das kaum sichtbare Loch im Maschendrahtzaun.

Fette graue Pilze, die wie Ufos an den dunklen Stämmen klebten, die waren neu. An einzelnen Tannen hing das Herbstlaub wie verfrühter Weihnachtsschmuck.

Sie ging die lange Schneise entlang, die an den jahrzehntealten Holzstapeln vorbei zum Kanal führte.

Das Bild veränderte sich, wurde grüner, gelber. Dann nebliger.

Unten am Ufer des Kanals balancierte sie auf den trittschmalen betonierten Befestigungen, bis sie den See erreichte, unzugänglich für jeden, der es nicht machte wie sie und dabei stets riskierte, in den Kanal zu stürzen.

Der Blick wurde weit, sie atmete tief ein. Würzige feuchte Luft.

Kein Mensch außer ihr. Kaum ein Laut.

Das Wasser lag ruhig und glatt unter einem verblassenden Abendhimmel wie aus rauchgrauem Glas.

Von Ferne hörte sie ein Geräusch. Es kam vom See, von weit her. Vom Reich der Reichen drüben auf der anderen Seite.

Dann erkannte sie den dunklen Fleck vor dem Abendgrau, ein Boot, das um die Landzunge herum näher kam. Sie trat ein paar Schritte zurück ins Unterholz.

Das Boot verminderte sein Tempo und sie wandte sich um, musste verschwinden, bevor das Boot anlegte. Doch dann hörte sie es auf gleicher Höhe in den Kanal einmünden. Die dichte Bewaldung versperrte die Sicht, aber das Geräusch verlor sich rasch in der Entfernung.

Sie atmete auf.

Schon die bloße Vorstellung, dass es hätte anlegen können, ließ sie erschauern.

Sie würde auf der Hut sein müssen.

Und das würde niemals aufhören.

Aber sie hatte es ja so gewollt.


3

Corinna hob ihren Blick von der Zeitschrift, in der sie lustlos geblättert hatte, und sah ihn vom Sofa her verstört an.

Roman Baer saß ihr im Sessel gegenüber, streifte seine Armbanduhr, deren Batterie er soeben gewechselt hatte, wieder übers Handgelenk, und wusste bereits, was sie sagen würde.

„Hörst du das, Roman?“

Und ob er das hörte. Die Bässe hatten wieder eingesetzt. Wie dumpfe Detonationen, die den Boden unter ihren Füßen erzittern ließen. „Müssen neue Gäste sein.“

Solche, die keinen Gedanken daran verschwendeten, dass dies hier ein ganz normales Wohnhaus in Schöneberg war. Kein Club am Alex oder in Friedrichshain.

Die keine Ahnung hatten, dass über ihnen im Zweiten eine kranke Frau lebte, die vor einem Jahr einen Schlaganfall erlitten hatte.

Seine Frau.

Seit einer geschlagenen Stunde ging das nun schon, budumm, budumm, budumm.

„Weißt du, wie früher es ist, Roman?“

„Gleich halb zwölf, Schatz.“

„Roman?“

„Hm?“

„Was ist … was heißt Schatz?“

Ihr verzweifelter Blick stach ihm direkt ins Herz.

Budumm, budumm.

Sie schaute auf ihre Füße. In den roten Hausschuhen schienen sie zu beben. „Roman. Das macht mir …“ Sie sah ihn erschrocken an. Wieder ein Wort, das ihr nicht einfiel. „Es macht …“

Baer erhob sich ächzend aus seinem Sessel. Es machte ihr Angst. Sie konnte es nicht einordnen, jedenfalls nicht unter der Kategorie Musik. Er ebenso wenig. „Ich geh runter.“

Im Flur warf er sich das Jackett über, fasste zur Sicherheit in die Innentasche, wie zum Dienst. Verließ die Wohnung, stiefelte die Treppe hinunter. Stufe für Stufe rückte die Front näher, die Wohnungstür des Nachbarn. Eines Wasserbauingenieurs, der sich in Indien aufhielt oder in Afrika oder Aserbaidschan oder Timbuktu. Und der in der Zwischenzeit seine Wohnung vermietete. An die Jugend der Welt, zu einem Mörderpreis vermutlich. Offiziell waren sie alle seine Freunde, nur kurz zu Besuch, nichts weiter. Verdammter …

Er klingelte erst gar nicht, sondern hämmerte mit der Faust gegen die Tür. Mindestens ein Dutzend Mal, ehe geöffnet wurde.

Ein schlaffes junges Gesicht mit schwarzen Locken und dunklem Kinnflaum zeigte sich im Türrahmen.

Budumm, budumm, budumm. Wie im Krieg, hautnah.

Mit einer raschen Bewegung, die die Weltjugend diesem Alten Ende fünfzig sicher nicht zugetraut hätte, zog er den Dienstausweis aus der Innentasche des Jacketts und hielt ihm dem Jungen vors Gesicht. „Polizei. Speak English? Police. Open the fucking door, mate!“

Der Junge erwachte schlagartig aus seinen Tablettenträumen oder was immer er intus hatte. Große kugelige schwarze Augen. Baer schob ihn beiseite und betrat die Wohnung, die mehr einer Müllhalde für Bierflaschen glich.

Nicht sein Problem, sollte sich Neumann, der Nachbar, drum kümmern, wenn er zurückkehrte. Falls er zurückkehrte.

Im Flur begegneten ihm jede Menge leerer Gesichter, knutschende Paare, junge Leute, die lässig an der Wand lehnten und ihn teilnahmslos anglotzten. Er stampfte an ihnen vorbei, schnurstracks ins Berliner Zimmer, wo, wie er wusste, die Anlage stand.

Er bückte sich und fingerte nach der Steckdose hinter einer der Riesenboxen. Zack, aus, Stecker raus.

„Okay. Alle mal herhören. This is not allowed.“ Er deutete mit dem Kinn auf die Boxen. „I will …“ Beinahe hätte er gesagt, er wolle die Polizei rufen. Verflucht noch mal! Er hielt seinen Ausweis hoch und hoffte, dass er nicht so lächerlich wirkte, wie er sich fühlte. „This is Police. Polizei. No joke.“

Ein Dutzend Paare blutjunger kaninchenroter Augen starrte ihn an, jeder zweite mit einer Bierflasche in der Hand, die andere Hälfte das Smartphone im Anschlag. Offenbar für Fälle wie diesen, denn sie begannen sofort, auf ihren Geräten herumzutippen. Vielleicht schossen sie sogar Fotos von ihm.

Eine hohlwangige junge Frau, brünettes kurzes Haar, stakste auf ihn zu, die Zigarette zwischen den apart abgewinkelten Fingern. „We are from Italy, Mister. We rent this flat. From Mister Neumann.“

Ihr Englisch hörte sich mindestens so katastrophal an wie seines.

Er erklärte ihr, dass es verboten sei, in Wohnvierteln an Touristen zu vermieten. Er wohne im Stock über ihnen. Seine Frau sei krank, der Lärm bringe sie um. „Will kill her.“

Zu seiner Überraschung schien sie ihn zu verstehen. Sie nickte säuerlich. Sah dabei immer noch hübsch aus. Versprach, die Musik leiser zu stellen.

„No.“ Sein Finger schnellte hoch. „No music any more. Not here. Understand?“

Sie sah ihn eine Weile an, ruhig, nachdenklich, als wären sie beide ganz allein auf der Welt. Dann zuckte sie die Achseln und versprach: „No music anymore. Okay.“

Er steckte den Ausweis wieder in seine Jacketttasche, ließ sie stehen, ließ alle stehen und marschierte zur Tür hinaus, die noch immer offen stand.

Es war schon vorgekommen, dass der Lärm wieder losbrach, noch bevor er oben in seiner Wohnung war und die Tür hinter sich geschlossen hatte.

Diesmal nicht. Es blieb ruhig.

„Roman?“

„Alles in Ordnung, Scha… Alles gut.“

Er zog sich das Jackett und die Schuhe aus, schlüpfte in die Pantoffeln. Ging ins Wohnzimmer, wo Corinna noch immer auf dem Sofa saß und ihn verlegen ansah. Als ob sie sich schämte.

„Es hat …“ Sie dachte angestrengt nach.

„Was, Corinna? Es hat was?“

Ihr Gesicht verkrampfte sich, sie blickte zu Boden, starrte den Teppich an. Dachte verzweifelt nach. Schüttelte den Kopf. Sah ihn wieder an.

Dann gab sie es auf und deutete mit dem Finger zum Telefon.

„Ach so.“ Er nahm das Handteil des Apparats. Drückte die Taste und sah, wer angerufen hatte.

Iwersen.

Verdammt. Das bedeutete, der Job hatte ihn wieder. Zu früh für Corinna. Und für ihn zu spät. Wenigstens was die Karriereleiter betraf.

Er ging nach nebenan ins Arbeitszimmer und rief zurück.


4

Es war kurz vor Mitternacht oder kurz danach, Jana Seitz hatte nicht auf die Uhr gesehen. Sie freute sich einfach, dass Frank so spät noch vorbeischaute. Dabei sahen sie sich jeden Tag im Dienst.

Aber irgendwas stimmte nicht mit ihm.

Frank stand, noch im Mantel, die großen Hände in den Taschen vergraben, vor dem Fenster ihrer Parterrewohnung und schaute hinaus. Sofern das möglich war – das Licht der Straßenlaternen legte einen milchigen Schleier aufs Glas.

Neben seiner athletischen hohen Gestalt sah sie im Fenster ihr eigenes Gesicht. Kam sich auf einmal vor wie ein Geist in einem Spiegel. Die kalkweiße Haut, gerahmt von ihren rötlich schimmernden Haaren, deren Spitzen den seidigen dunklen Kragen ihrer Bluse berührten; die kräftigen Wangenknochen, die schräg geschnittenen schwarzen Augen, die ihr zu klein und irgendwie deplatziert vorkamen, als wären sie zu hoch die Stirn hinaufgerutscht. Eigentlich, fand sie wieder mal, passten die verschiedenen Partien ihres Gesichts gar nicht zueinander. Auch wenn Frank, ebenso wie die anderen Männer, die sie gehabt hatte, es abstritten, aber es waren wohl eher die sportlichen Rundungen ihres Körpers, die sie anziehend fanden.

Er schwieg noch immer, und so wandte sie ihm ihr Gesicht wieder zu. „So spannend da draußen, Frank? Willst du nicht wenigstens den Mantel ausziehen?“

Er drehte sich langsam zu ihr um und sah sie an, die Lippen aufeinandergepresst, die blauen Augen starr auf sie gerichtet.

Ihr Magen begann plötzlich zu krampfen. Und statt ihrem ersten Impuls nachzugeben, zu ihm zu gehen und sich von ihm in den Arm nehmen zu lassen (vielleicht auch mehr), ließ sie sich auf einen der drei Stühle am Esstisch fallen. „Was ist denn los, um Himmels willen?“

Er machte zwei Schritte zum Sofa, ließ sich stumm und wie hüftsteif darauf nieder. Stierte dann auf den niedrigen Glastisch mit den Zeitschriften und der Fernbedienung, die obenauf lag.

„Nun sag doch, Frank. Was ist?“ Manchmal verstand sie ihn einfach nicht.

Er hob den Kopf endlich wieder, wandte ihr sein schmales kantiges Gesicht zu, mit diesem kalten Blick, der ihr die Kehle zuschnürte.

„Du hast mit Grand-“ Er unterbrach sich, sehr formal. „Du hast gestern mit dem Opfer gesprochen.“

Sie atmete auf. Ach, darum ging’s, die Arbeit! Das konnte ja nur ein Missverständnis sein. Frank war zwar ihr Vorgesetzter, Erster Kommissar im Bezirk Potsdam. Aber auch ihr Geliebter.

„Ich habe mit Grandgenet gesprochen, ja.“ Sie versuchte ihrer von Natur aus rauen Stimme einen mokanten Unterton zu geben und sprach den Namen des Luxemburgers auch nicht wie Frank französisch weich aus, sondern in etwa so hart wie „Granit“.

Er verzog irritiert den Mund. „Warum hast du das getan, Jana?“ Seine Lippen öffneten sich nur halbseitig und entblößten etwas schief die beneidenswert weißen Zähne.

„Warum?“ Jetzt verzog sie den Mund. „Frank. Ich hab’s dir erklärt, gestern morgen noch, nachdem wir … noch vor dem Dienst halt.“

Die Entführung und Ermordung von Ruth Grandgenet gab ihr Rätsel auf. Die schwer nervenkranke Frau hatte mit ihrem Mann, einem aus Luxemburg stammenden Architekten, in ihrer Villa am Küstinsee gelebt. Die Tat lag nun schon zwei Wochen zurück, ohne dass sie mit den Ermittlungen weitergekommen wären.

Dabei hatten sie Ruth Grandgenets leblosen Körper bereits einen Tag nach der Entführung gefunden. In einem seit Jahrzehnten ausrangierten Bauwagen am gegenüberliegenden Ufer des Küstinsees, Luftlinie nur wenige Kilometer von ihrem Zuhause entfernt. Gefesselt und geknebelt. Erstickt durch das Versiegeln von Mund und Nase mit einem Gewebeband.

Welchen Sinn ergab ihr Tod, noch vor der Lösegeldforderung? Wie war es dazu gekommen? Und welche Rolle genau spielte ihr Ehemann, der Architekt Jean-Luc Grandgenet, in dieser Nacht? Darüber wollte sie mehr wissen. Sie hatte in der ersten Woche der Ermittlungen mit Fieber im Bett gelegen und die Vernehmung von Grandgenet durch ihre Kollegen war nicht eben erhellend gewesen. Oder schlampig dokumentiert. Abgesehen von der außergewöhnlichen Maskierung des Täters durch Imkerkleidung von Kopf bis Fuß, einschließlich einer Imkermaske vor dem Gesicht, waren Grandgenets Beschreibungen ziemlich vage geblieben.

Also war sie gestern zu der Villa am See gefahren, um selbst mit dem Architekten zu reden. Eine simple Zeugennachbefragung, mehr nicht.

„Ich hab dir eine Notiz hinterlegt, Frank, dass ich mit Grandgenet gesprochen habe.“

Er richtete seinen imposanten Oberkörper auf, die breite, gut trainierte Brust. „Stimmt, Jana. Aber erst hinterher, verdammt noch mal!“ Sein Gesicht lief vor Ärger rot an. „Wer zum Teufel hat dir gesagt, dass du mit dem Opfer reden sollst? Ohne dich mit mir abzustimmen?“ Er schüttelte unwirsch den Kopf und sah sie an. „Du hast mir wirres Zeug erzählt, gestern früh im Bett. Mir irgendwelche … Details des Falls um die Ohren gehauen. Ich war auch noch etwas … benommen.“

„Benommen?“ Sie glaubte den Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht zu erkennen. Doch sie täuschte sich. Sein Blick nahm einen säuerlich-enttäuschten Ausdruck an. Der ihm weder stand – noch zustand. Sie kniff ärgerlich die Brauen zusammen. „Was willst du mir eigentlich sagen, Frank? Weswegen bist du hergekommen?“ Um diese Zeit, nachts um zwölf. „Nur um mir eine Moralpredigt zu halten? Um mir ein schlechtes Gewissen zu machen?“

„Lenk nicht ab, Jana. Ich wollte – verdammt, ich hab darauf gezählt, dass du mich unterstützt bei den Ermittlungen. Du weißt, der Laden ist ein Haifischbecken. Jeder Arsch im Team will dem Ersten an den Karren fahren. Mir.“ Er krümmte den Zeigefinger und stieß ihn gegen seine Brust, die glatt und haarlos war wie ein Kinderpopo, wie sie wusste. „Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet du mir in den Rücken fällst, Jana.“

Sie atmete durch und dachte darüber nach. Okay, vielleicht war sie wirklich etwas vorschnell gewesen. Hätte sich noch mal mit ihm absprechen müssen. Ganz formal und offiziell sozusagen. Aber Herrgott, es war ja letztlich keine große Sache. Und leider war aus dem Gespräch mit Grandgenet auch nichts Brauchbares herausgekommen. Divenhaft und schmallippig, so hatte sie den Architekten erlebt.

„Hör mal, Frank.“ Sie legte die kalte Hand an die Stirn, hob die andere als Friedenszeichen in seine Richtung. „Es tut mir leid, war vermutlich ein Fehler von mir. Es ging mir bloß um die Sache, um ein paar Details. Mehr nicht.“

Er öffnete bereits den Mund, um etwas zu erwidern, aber sein Smartphone summte und er riss es aus der Ledertasche wie eine Waffe aus einem Holster. Blickte kurz darauf, hob die Augenbrauen, steckte es wieder weg.

Sie setzte rasch nach, um das Thema zu beenden. „Ist doch im Grunde auch nichts passiert, Frank. Und ich verspreche dir …“

„Nichts passiert?“ Er schnaubte sarkastisch. „Grandgenet hat bei Laschwitz angerufen und sich beschwert.“

„Bei Laschwitz?“ Der Sphinx. Scheiße. „Wieso das denn?“ Roswitha Laschwitz war ihr gemeinsamer Boss, seit zwei Jahren Leiterin der Kriminaldirektion. Den Spottnamen „die Sphinx“ hatte sie sich wegen ihres undurchdringlichen Gesichtsausdrucks wahrlich verdient, ihre Miene wirkte oft wie versteinert.

„Die beiden kennen sich, Laschwitz und Grandgenet. Ich hab dir davon erzählt. Vorher.“

Hatte er, das stimmte.

„Laschwitz hat mich heute zur Rede gestellt. Deinetwegen. Sie wollte dich gleich von der Gruppe abziehen. Aber …“, er hob die breiten dunkelblonden Brauen, „ich hab erreicht, dass du bleiben darfst. Unter zwei Bedingungen.“

Sie zuckte nur mit dem Kinn.

„Du erledigst die Aufgaben, die ich dir gebe. Als dein Vorgesetzter. Keine Alleingänge mehr. Und: Du spekulierst nicht weiter öffentlich über Details. Oder was du dafür hältst. Schon gar nicht gegenüber Grandgenet, dem Opfer. Und Ergebnisse, mündlich oder schriftlich, gehen nur an mich.“ Er sah sie eindringlich an, ließ ein paar Sekunden verstreichen. „Kann ich mich darauf verlassen?“

Sie saß am Tisch und hielt den Kopf in die Hand gestützt.

Einsichtig.

Oder auch nicht.

„Gut. Okay. Das gilt ab sofort, Jana. Zumal jetzt noch die Berliner Kollegen dazukommen.“

Sie schaute überrascht zu ihm auf. „Was haben die Berliner damit zu tun?“

Er tippte mit zwei Fingern auf seine Handytasche. „Wir haben seit heute Abend einen neuen Entführungsfall. Das heißt, die Berliner haben ihn, auf ihrer Seite. Wird wahrscheinlich eine gemeinsame SoKo mit denen geben. Morgen früh PK in Berlin.“ Er machte einen Schritt auf sie zu. Wirkte plötzlich versöhnlicher. „Du bist allerdings nicht dabei, Jana. Wegen Laschwitz. Sie wird natürlich auch dort sein. Tut mir ehrlich leid, aber ich nehm dich da besser aus dem Schussfeld.“ Er lächelte schief, erinnerte ein wenig an einen Hund, der nur eine Lefze hochzieht, und wartete auf ihre Reaktion.

Sie war enttäuscht.

Sagte aber nichts.

Dachte nach.

Sie hatte es sich letztlich wohl selbst zuzuschreiben. Hatte zu spontan gehandelt, im Alleingang.

Sie blickte auf. „Willst du bleiben, Frank? Heut Nacht, meine ich.“

Elias Mattay

Über Elias Mattay

Biografie

Elias Mattay hat als Psychologe mit zahlreichen Strafgefangenen und auch wissenschaftlich zu Fragen der Kriminalität gearbeitet. Er lebt mit seiner Familie in Berlin. Unter verschiedenen Namen veröffentlichte er Erzählungen, Romane und Hörspiele für Kinder und Erwachsene.

Pressestimmen
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„Ein klasse Krimi-Debüt: Elias Mattay hat mit ›Der Bienenmann‹ einen Kriminalroman mit Serienqualität vorgelegt.“

Kommentare zum Buch
Bienenmann im Puttensaal
Cas Carax am 27.01.2017

Eine sehr schöne Lesung des unglaublich spannenden und souverän geschriebenen Kriminalromans von Elias Mattay   cascarax.wordpress.com/2017/01/26/bienenmann-im-puttensaal/

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