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Als wir vom Aufbruch träumten Als wir vom Aufbruch träumten - eBook-Ausgabe

Farina Eden
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Roman

— Liebe und Verrat im Schatten des Mauerfalls – der große neue Roman der Autorin der „DDR-Saga“​
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€ 13,00 inkl. MwSt. Erscheint am: 29.08.2025 Bald verfügbar Das Buch kann 30 Tage vor dem Erscheinungstermin vorbestellt werden.
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Als wir vom Aufbruch träumten — Inhalt

Liebe und Verrat im Schatten des Mauerfalls – der große neue Roman der Autorin der „DDR-Saga“

Ostberlin, 1989: Anni ist eine Rebellin. Gemeinsam mit ihren Studienfreunden Chrissi, Bene und Fexe taucht sie in die literarische Untergrundszene Ostberlins ab. Dank mutiger Texte werden die vier schnell bekannt – vor allem Anni ist der Star der Gruppe. Als sie dann auch noch in einer bekannten verbotenen Literaturzeitschrift veröffentlichen kann, beginnt sie daran zu glauben, dass sich mit Texten wirklich ein System sprengen lässt.

Plötzlich nehmen jedoch willkürliche Verhöre und Auftrittsverbote zu. Gibt es einen Verräter in der Untergrundszene? Die Lage eskaliert, als Anni wegen landesverräterischer Hetze in Untersuchungshaft genommen wird. Und dann bricht die DDR zusammen. Während ihre Freunde schicksalhafte Entscheidungen treffen, weiß Anni nicht mehr, wem sie trauen kann ...

Dramatisch, mitreißend, authentisch – der große Roman zu einem der emotionalsten Momente in der deutschen Geschichte: dem Mauerfall​ 

Farina Eden, aufgewachsen in der DDR, erzählt in „Als wir vom Aufbruch träumten“ von einer Gruppe junger Schriftsteller in Ostberlin und ihrem Mut, die Stimme zu erheben. 

„Farina Eden beschreibt diese Szenen, die einer wahren Begebenheit folgen, erschütternd emotional und mit viel Kenntnis über die Stasi-Methoden.“ Ruhr Nachrichten über „Geteiltes Land - Zwischen Verlust und Liebe“ (DDR-Saga 2)

€ 13,00 [D], € 13,40 [A]
Erscheint am 29.08.2025
448 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-32166-2
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€ 10,99 [D], € 10,99 [A]
Erscheint am 29.08.2025
448 Seiten
EAN 978-3-492-61129-9
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Leseprobe zu „Als wir vom Aufbruch träumten“

Kapitel 1

Mirko

Donnerstag, 7. Januar 1988

Schon auf der Treppe, die aus dem U-Bahn-Schacht führte, pfiff Mirko eisiger Wind entgegen. Er zog die Mütze tief in die Stirn, zupfte den kratzigen Schal übers Kinn und schob seine Hände in die Jackentaschen. Bis in seine Amtsstube in der Magdalenenstraße waren es nur ein paar Schritte, doch heute trieb ihn nicht nur die Kälte zur Eile. In weniger als drei Minuten hatte er einen dringenden Termin mit einem, wie sein Vorgesetzter ihm mitgeteilt hatte, potenziellen IM.

Oberflächlich betrachtet hatte Mirko ein [...]

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Kapitel 1

Mirko

Donnerstag, 7. Januar 1988

Schon auf der Treppe, die aus dem U-Bahn-Schacht führte, pfiff Mirko eisiger Wind entgegen. Er zog die Mütze tief in die Stirn, zupfte den kratzigen Schal übers Kinn und schob seine Hände in die Jackentaschen. Bis in seine Amtsstube in der Magdalenenstraße waren es nur ein paar Schritte, doch heute trieb ihn nicht nur die Kälte zur Eile. In weniger als drei Minuten hatte er einen dringenden Termin mit einem, wie sein Vorgesetzter ihm mitgeteilt hatte, potenziellen IM.

Oberflächlich betrachtet hatte Mirko ein kollegiales, fast freundschaftliches Verhältnis zu Oberleutnant Manfred Schmeurer. Der war nicht nur sein Vorgesetzter, sondern auch Leiter der Abteilung HA XX, deren Augenmerk auf den Bereichen Kultur, Kirche und Untergrund lag. Mirko war vor etwas mehr als vier Monaten zu dieser Abteilung gestoßen, was vor allem daran lag, dass er während der Ausbildung an der Hochschule für Staatssicherheit durch besonderes literarisches Talent aufgefallen war. Genau deshalb traute man ihm zu, sich als falscher Schriftsteller unters Berliner Kunstvolk zu mischen und dort Staatsfeinde ausfindig zu machen und zu melden.

Mirko mochte seine Arbeit. Die Möglichkeit, seine Liebe zur Literatur mit den verantwortungsvollen Aufgaben eines Offiziers der Staatssicherheit zu verknüpfen, schien ihm wie ein Geschenk des Himmels. Er konnte in die faszinierende Welt der Kunst eintauchen und sie genießen, wurde dafür auch noch fürstlich entlohnt und erhielt die Anerkennung, die er sich immer gewünscht hatte.

An diesem Donnerstag im Januar war allerdings Eile geboten. Mirko hastete die zwei Treppenabsätze hinauf und betrat den Flur, an dessen Ende sich sein Dienstzimmer befand. Vor seiner Tür lief ein Mann ungeduldig auf und ab.

„Entschuldigen Sie vielmals“, begann Mirko, schlug dabei jedoch einen kühlen Ton an, um dem Besucher deutlich zu machen, dass er zwar höflich war, sich jedoch aufgrund seines Dienstgrades sicher nicht zu erklären hatte. „Ich wurde aufgehalten.“

„Kein Problem“, gab der Mann zurück. „Ich warte noch nicht lange.“

Mirko nickte kurz. „Dann kommen Sie mal herein in die gute Stube, wie es so schön heißt.“

Die Männer setzten sich an den Schreibtisch. Quadratisch. Hässlich. Braun. Und in jeder Amtsstube das gleiche Modell. Würde er je betrunken seinen Dienst antreten und dabei versehentlich auf der falschen Etage enden – er würde einige Zeit brauchen, um den Fehler zu bemerken. Eine Amtsstube sah aus wie die andere, und das galt nicht nur für das Gebäude in der Magdalenenstraße.

Wie immer, wenn er sein Büro betrat, fiel Mirko der muffige Geruch auf. Es war eine Mischung aus Bohnerwachs und kaltem Rauch, der noch immer in den Gardinen und der vergilbten Stofftapete hing und sich auch durch Dauerlüften nicht vertreiben ließ. Der riesige Gummibaum, der vor dem Fenster stand, hatte schon wieder Blätter verloren, was dem Raum neben diesem unangenehmen Geruch auch noch ein trostloses Aussehen verlieh. Die Gardinen und diese abscheuliche Pflanze sollten wirklich dringend ausgetauscht werden, doch natürlich war er sich darüber im Klaren, dass Gardinenstoffe nicht gerade im nächsten Kaufhaus erhältlich waren.

Mirko räusperte sich und mahnte sich zur Konzentration. „Ich freue mich sehr, dass Sie uns Ihre Hilfe anbieten“, begann er das Gespräch. „Wir können wache Augen und Ohren brauchen, wie Sie sich sicher denken können.“

Der Mann nickte. „Möchten Sie, dass ich mich vorstelle?“

Mirko schüttelte den Kopf. „Nicht nötig, ich kenne Ihre Personalien. Außerdem sollten Sie sich von nun an daran gewöhnen, dass Sie in der Abteilung unter einem Decknamen geführt werden und bei dienstlichen Belangen auch nur noch unter diesem aufzutreten haben.“

Mirko sah den Mann mit den zerzausten Stoppelhaaren ruhig an und bemerkte das Lächeln, das ihm bei der Erwähnung eines Decknamens übers Gesicht huschte. So einer also, überlegte er, einer, der sich nur um des Bespitzelns willen andient. Vermutlich hatte der Mann, der ein wenig jünger war als Mirko selbst, zu viele Filme gesehen und erträumte sich nun das Leben eines 007. Es war Mirkos Aufgabe, ihm den Ernst seiner zukünftigen Tätigkeit zu verdeutlichen.

„Sie sind sich darüber im Klaren, dass es möglicherweise auch Freunde sein werden, zu denen Sie uns Informationen zu liefern haben? Wer immer in Ihren Kreisen auffällig wird, ist zu melden. Ganz gleich, ob es langjährige Weggefährten oder Familienmitglieder sind oder die neue Geliebte.“

„Ich bin mir der Tatsache bewusst und bereit dafür.“

„Gut, dann wäre das geklärt. Dann sind Sie ab heute für das MfS, das Ministerium für Staatssicherheit, tätig.“ Mirko schlug eine Akte auf, die seine Sekretärin Karina ihm bereitgelegt hatte. „Haben Sie eine Präferenz hinsichtlich eines Decknamens? Ansonsten würde ich …“

„Nein, nein“, sagte sein Gegenüber hastig. „Ich hätte da einen Vorschlag, wenn es keine Einwände gegen Ortsnamen gibt.“

„Aber nicht doch.“ Mirko lehnte sich abwartend zurück.

„Husum bitte“, sagte der zukünftige IM, als würde er in einem Café seine Kuchenbestellung aufgeben.

„Warum ausgerechnet Husum?“

„Der Geburtsort meines Idols.“

„Also dann Husum. Soll mir recht sein.“ Mirko trug den neuen Decknamen in die Akte ein und fragte nicht weiter danach, wer das Vorbild seines Gegenübers war. Stattdessen machte er sich daran, seinen neuen Mitarbeiter einzuweisen. „Ihnen ist sicher bewusst, dass auch Sie unter Beobachtung stehen, bis Sie sich bewährt haben. Sie werden sich regelmäßig, das heißt spätestens nach vier Wochen, mit mir in Verbindung setzen und Bericht erstatten. Die Ergebnisse Ihrer Observationen sind in schriftlicher Form abzufassen und mit Ihrem Decknamen gegenzuzeichnen.“

Husum nickte. „Gibt es denn schon einen ersten Auftrag?“

Fast hätte Mirko die sorgfältig einstudierte Beherrschung verloren und lauthals gelacht. Einen so beflissenen Spitzel wie diesen Husum hatte er bisher noch nicht erlebt.

„Vorerst nicht“, antwortete er ruhig. „Bewegen Sie sich in Ihrem Umfeld. Seien Sie aufmerksam, aber unauffällig. Verhalten Sie sich so, wie Sie es immer tun – nur dass Sie dabei Augen und Ohren offen und den Stift parat halten. Kriegen Sie das hin?“

„Selbstverständlich, Offizier Meißner.“

„Nun, Husum, das wäre dann alles für heute.“

Nachdem der neu rekrutierte IM sein Amtszimmer verlassen hatte, griff Mirko in seinen Aktenkoffer und holte seine in Pergamentpapier gewickelte Leberwurststulle, einen Apfel und die Thermoskanne hervor. Während er das Brot auspackte, fiel ihm ein, dass er Leberwurst als Kind immer gehasst hatte, weil seine Mutter ihm nur die grobe mit den dicken Knorpel- und Fettstücken aufs Brot gestrichen hatte. Inzwischen hatte er zur feinen gewechselt und kaufte diese auch nicht mehr in der Kaufhalle, sondern im teureren Deli.

In diesem Moment klopfte es.

„Ja?“

Seine Sekretärin steckte den Kopf durch die Tür. „Kaffee, Chef?“, fragte sie ohne jede Scheu vor seinem Dienstgrad. Sie hatte diesen kumpelhaften Ton ihm gegenüber von Tag eins an angeschlagen, und aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters, Karina Koslowski könnte gut und gern seine Mutter sein, ließ er ihr dies auch durchgehen.

„Nein, danke. Ich hab alles dabei.“

Karina schüttelte lachend den Kopf.

„Was ist so lustig?“, fragte Mirko mit vollem Mund.

„Das erlauben sich auch nur Sie, Chef“, sagte sie und grinste noch immer. „Sie waren spät dran, haben vermutlich die Nacht zum Tag gemacht. Aber noch Zeit finden, um Stulle und Kaffee vorzubereiten.“

Mirko nickte mit einem breiten Lächeln im Gesicht. „Die wichtigen Dinge im Leben müssen auch in Fällen wie diesen sein. Und überhaupt, wie kommen Sie darauf, dass ich etwas anderes tun könnte, als nachts zu schlafen? Vielleicht wurde ich ja bereits heute Morgen dienstlich aufgehalten.“

„Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht“, sagte Karina und schloss leise die Tür.

Mirko lächelte, goss sich Kaffee ein und hielt genüsslich die Nase darüber. Echter Bohnenkaffee, dachte er seufzend. Das war eines der wenigen Dinge, die seine Sekretärin noch nicht durchschaut hatte. Obwohl er inzwischen täglich den ihm angebotenen Kaffee ablehnte, war sie noch nicht auf die Idee gekommen, dass er eben nicht den billigen Muckefuck in seiner Thermoskanne hatte, sondern echten Röstkaffee aus dem Intershop. Kam Karina Koslowski erst hinter sein Geheimnis, würde er den Kaffee zukünftig mit ihr teilen müssen, und das musste er verhindern, denn dafür war das braune Pulver nun wirklich zu wertvoll und zu schwer zu bekommen.

Sah man von seinem Geiz in Sachen Kaffee einmal ab, waren Frau Koslowski und er ein Herz und eine Seele. Sie war wirklich ein wenig wie seine Mutter, die ihn nur ansehen musste, um ihn zu durchschauen. Und wenn er ehrlich war, gefiel ihm dieser Umgang zwischen ihnen, denn mit ihrer Herzlichkeit hatte sie dafür gesorgt, dass er sich auf der neuen Dienststelle sofort willkommen gefühlt hatte. Er war davon überzeugt, dass er sich auf sie verlassen konnte.

Vorsichtig pustete Mirko in die Tasse und trank einige Schlucke Kaffee. Schwarz, stark und ungesüßt. Milch, Sahne oder Zucker würden den guten Geschmack nur verfälschen. Dann stellte er die Tasse beiseite und griff noch einmal nach der Dienstanweisung 2/85. Die war, wie üblich, mit den Worten Vertrauliche Verschlusssache gekennzeichnet. Er überflog die ersten Seiten, blieb an der für ihn wichtigen Stelle hängen und nickte zufrieden. Er hatte sich exakt an die Anweisung gehalten, in der es hieß, dass zur wirksamen Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit vor allem IM einzusetzen seien, die in der Lage waren, vertrauliche Beziehungen zu feindlichen Kräften herzustellen, in die Konspiration des Feindes einzudringen und rechtzeitig Informationen über feindliche Pläne und Absichten zu beschaffen.

Mirko war davon überzeugt, dass er genau so einen IM in Husum gefunden hatte, denn der Mann bewegte sich in einer Untergrundszene, die dringender Überwachung bedurfte. Natürlich war Husum nicht sein einziger IM, und Mirko dachte auch nicht daran, dem Mann blind zu vertrauen. Stattdessen würde er Informationen von ihm abwarten und sich parallel dazu selbst in die Szene einschleusen.

Mirko horchte in sich hinein und legte die rechte Hand flach aufs Herz. Sein Puls hatte sich beschleunigt, doch es war nicht etwa Sorge, die ihn umtrieb. Vielmehr verspürte er so etwas wie positive Anspannung und Aufregung. In diesem Moment nahm er sich fest vor, nicht einfach nur einer unter vielen zu sein. Er wollte sich einen Namen machen und für die Abteilung HA XX schnellstens unverzichtbar werden.

Dafür musste er nicht viel mehr tun, als seine IMs mit großer Sorgfalt auszuwählen und selbst die richtigen und für ihn fruchtbaren Kontakte zu knüpfen. Er war neu auf dieser Dienststelle, sein Gesicht noch gänzlich unbekannt. Trat er zurückhaltend auf und machte von seinem literarischen Talent Gebrauch, würden die feindlichen Kräfte der Untergrundszene ihn schnell für einen der Ihren halten und über kurz oder lang sicher auch offen über Pläne und Vorhaben sprechen, die der DDR Schaden zufügen könnten.

„Geduld und ein wenig Geschick“, murmelte er vor sich hin, das war alles, was er außer seinen IMs noch benötigte.

Von beidem hatte Stasioffizier Mirko Meißner mehr als genug.


Kapitel 2

Husum

Donnerstag, 7. Januar 1988

Husum stand unschlüssig am Bahngleis. Eigentlich hatte er Bärbel versprochen, sich den Nachmittag für sie und ihre gemeinsame Tochter Zeit zu nehmen. Eigentlich. Denn natürlich stand ihm der Sinn ganz und gar nicht nach Frau und Kind. Er wusste, dass Bärbel nur darauf wartete, dass sie zusammenzogen und er sich um sie und Sabine kümmerte. Das würde allerdings nie passieren, denn er hatte nicht die Absicht, sich und seine Talente hinter der langweiligen Fassade eines spießigen Familienlebens verkommen zu lassen.

Solange er denken konnte, hatte er davon geträumt, Spion zu werden. Vermutlich waren es die Erzählungen seines Opas gewesen, der einst aus Russland gekommen war und vor Husums Zubettgehen immer wieder aufregende Geschichten eines KGB-Agenten namens Juri zum Besten gegeben hatte.

Er hatte seinen Großvater einmal gefragt, ob Juris Abenteuer denn nicht eigentlich seine eigenen gewesen wären. Anstelle einer Antwort hatte der alte Mann allerdings nur verschwörerisch den Zeigefinger auf die Lippen gelegt und ihm zugezwinkert. Damals war Husum überzeugt gewesen, dass die Geste ein Geständnis war. Doch weder Opa noch Eltern hatten ihn je in seiner Vermutung bestätigt, und heute gab es niemanden mehr, der seine Fragen beantworten konnte. Großvater und Mutter lagen längst unter der Erde, und sein Vater vegetierte ohne Erinnerungen in einem Altersheim vor sich hin – so war das eben, wenn sich Paare erst spät dazu entschieden, ein Kind in die Welt zu setzen.

Beim Gedanken an seinen Vater kam Husum eine Idee. Statt die Bahn zu Bärbel zu nehmen, würde er seinen alten Herrn im Heim besuchen. Es war ein eisiger Januartag, doch die kalte, klare Luft tat gut und schärfte seine Sinne. Er zog sich die Mütze über die Ohren und machte sich auf den kurzen Fußweg zum S-Bahnhof Lichtenberg, in dessen Nähe das Pflegeheim lag.

Den Gedanken an seine wütende Freundin und die Heulerei der vierjährigen Sabine schob er beiseite. Ihm war trotz Tochter längst klar, dass die Beziehung zwischen ihm und Bärbel vor dem Aus stand. Er war eben nicht gemacht für ein heiles Familienleben – jetzt schon gleich gar nicht mehr. Als inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit hatte er Wichtigeres zu tun, als Bärbels Launen zu ertragen oder Sabine auf der Schaukel anzuschubsen. Er war dabei, sich seinen lang gehegten Traum zu erfüllen! Dafür würde er von nun an jede freie Minute opfern. Bärbel musste verstehen, dass er zu Höherem berufen war, und tat sie es nicht, würde er sich eben noch schneller trennen. Es war ohnehin Zeit für diesen Schritt. Nach fünf Jahren nebst ungeplantem Nachwuchs schränkten ihn die zwei mehr ein, als dass sie sein Leben bereicherten.

 

Kurz darauf betrat Husum das Zimmer seines Vaters. Wie so häufig saß der vor dem Fenster und starrte durch die weiße Gardine hinaus. Mehr als die Straße gab es nicht zu sehen, und das Wetter war grau und trostlos.

„Na, sieh einer an“, begann Husum mit gedämpfter Stimme. „Wird dir diese immer gleiche Aussicht nicht irgendwann langweilig, Vati? Wie geht es dir denn heute?“

Der alte Mann wackelte lediglich mit dem Kopf, was Husum als seine Art der Begrüßung auffasste, denn er sprach schon seit Monaten nicht mehr.

„Ich hole dir erst mal einen Becher Tee. Wie ich dich kenne, hast du seit Stunden keine Pflegerin mehr gesehen und deswegen sicher auch nichts getrunken.“

Er lief hinaus auf den Flur. Vor dem Schwesternzimmer stand ein Tisch mit gefüllten Teekannen und Bechern. Husum griff nach einer Kanne und stapelte zwei Becher ineinander. Nach dem Fußweg durch die Kälte konnte auch er einen heißen Tee vertragen. Zurück im Zimmer füllte er einen Becher zur Hälfte und goss den Tee mehrere Male von einem Behälter in den anderen, damit er schneller abkühlte. Dann prüfte er die Temperatur und hielt seinem Vater den Becher unter die Nase.

„Trink einen Schluck“, bat er leise. Sein Vater kam der Aufforderung, ohne zu zögern, nach. Husum entspannte sich langsam und begann zu erzählen.

„Endlich ist es so weit, Vati. Ich bin dabei, ist das denn zu glauben? Dabei hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben. Und jetzt das. Husum – diesen Namen solltest du dir merken.“ Er hielt inne, schlug sich mit der flachen Hand lachend gegen die Stirn und nahm seine Worte zurück. „Das war natürlich Blödsinn. Du und was merken, was, Vati?“ Er strich dem alten Mann über den Arm, nahm ihm den Teebecher wieder ab und füllte ihn erneut.

„Wo war ich? Richtig. Merken musst du dir nichts. Aber das ist mein Deckname. Husum. Ich bin jetzt ein richtiger Spion. Ich werde beobachten, zuhören und abwägen, was für den mir vorgesetzten Offizier bedeutsam sein könnte. Das berichte ich dann. Wird nicht ganz einfach, vor allem, wenn ich meine Freunde auskundschaften muss, die ich ja trotz allem nicht verlieren will. Aber ich sollte mir nicht zu viele Sorgen machen, was, Vati? Wird schon schiefgehen, schließlich bin ich zum Spion geboren. Mehr noch, ich werde nebenbei auch noch zu einer echten Szenegröße, zumindest ist das mein Plan. Sie werden mich um Rat fragen, mich brauchen, damit sie bekannt oder vielleicht sogar berühmt werden. Kommen sie dabei nicht vom sozialistischen Weg ab, ist alles bestens. Aber natürlich“, er rieb sich grinsend die Hände, „natürlich wäre das für mich nur der halbe Spaß. Wäre doch langweilig, wenn ich jetzt, da ich ein Spion sein darf, nichts zu berichten hätte, richtig? Aber was mache ich mir Sorgen? Ich weiß doch, dass einige meiner Freunde gedanklich schon längst falsch abgebogen sind. Mit ihrer intellektuellen Überheblichkeit hinterfragen sie das System und seine Regeln, freunden sich mit dem Gedankengut imperialistischer Klassenfeinde an oder tragen gar die Idee in sich, unser System umzustürzen. Und genau da“, Husum klopfte mit den Fingerspitzen auf den Tischrand, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen, „komme ich ins Spiel. Gehen sie zu weit, werde ich Meldung machen, und dann werden sie aus dem Verkehr …“

Der Rest seines Satzes ging im Husten seines Vaters unter. Husum stellte seinen Teebecher beiseite, erhob sich und klopfte ihm behutsam auf den Rücken. „Hast du dich verschluckt?“ Er beugte sich hinunter und sah seinem Vater direkt ins Gesicht.

„Judas.“

Husum zuckte zusammen und unterbrach das Rückenklopfen. Sein Vater hustete, röchelte und würgte, als wäre er kurz vor dem Ersticken. Sicher hatte er sich verhört.

„Wie war das?“, fragte er trotzdem, und sein Puls beschleunigte sich. Er sah seinem Vater direkte ins Gesicht, erkannte jedoch keinerlei Regung in dessen Mimik. „Hast du was gesagt, Vati?“, fragte er erneut, doch der alte Mann reagierte nicht und hustete und röchelte noch eine ganze Weile weiter. Den Tee, den Husum ihm anbot, damit sich sein Reizhusten beruhigte, ignorierte er. Stattdessen starrte er weiter aus dem Fenster.

Wenig später verabschiedete sich Husum von seinem Vater. Auf dem Weg aus dem Pflegeheim traf er auf eine Krankenschwester.

„Entschuldigen Sie, kann es sein, dass mein Vater wieder spricht?“

Die übergewichtige Schwester schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich würde Ihnen gern Gutes vermelden, aber nein. Seine letzten Worte sind Monate her, und schon damals war es nur wirres und unzusammenhängendes Gebrabbel. Ich möchte wirklich keine falschen Hoffnungen wecken.“

Husum hob kurz die Hand und nickte dann. Die Auskunft der Schwester hätte ihn beruhigen sollen, und ein Stück weit tat sie das ja auch. Aber mit jedem Schritt, den er ging, war er überzeugter davon, dass er völlig richtig gehört hatte. Es gab keinerlei Zweifel an der Demenz seines Vaters. Aber er war trotzdem sicher, dass der Mann noch immer den einen oder anderen lichten Moment hatte. Möglicherweise hatte er die Geschichte, die Husum ihm heute erzählt hatte, ganz genau verstanden. Und ebenso war es möglich, dass sein Vater dieses eine Wort sorgfältig ausgewählt hatte, um ihm klarzumachen, was er von seiner Spitzeltätigkeit hielt.

Husum lächelte voller Stolz. Sein Vater war der einzige noch lebende Verwandte, wenn man von seiner Tochter einmal absah. Sein ganzes Leben lang hatte er versucht, seine Eltern stolz zu machen, doch nie war er gut genug gewesen. Irgendwann war er sogar auf die schiefe Bahn geraten und hatte versucht, durch Betrug an Geld zu kommen, mit dem er dann wiederum seine Eltern beeindrucken wollte. Sein Vater hatte ihn damals durchschaut und ihm gedroht, dass er nicht davor zurückschrecken würde, sein eigenes Kind anzuzeigen, wenn er nicht sofort damit aufhörte.

Seinen Traum, ein richtiger Spion zu werden wie dieser Juri aus den Erzählungen seines Großvaters, hatte sein Vater immer als dumme Kinderei abgetan. Als die Ärzte vor zwei Jahren Demenz bei ihm diagnostiziert hatten, war Husum enttäuscht gewesen, bedeutete dies doch, dass er nie erfahren würde, wenn sein Sohn es am Ende doch schaffte. Und nun das! Sein Vater hatte den einzigen lichten Moment ausgerechnet in der Sekunde, in der er ihm von seinem Erfolg erzählte! Dass er ihn dabei als Judas betitelt hatte, störte Husum ganz und gar nicht. Er war weder naiv noch dumm. Er wusste selbst, dass er genau das war: ein Verräter. Doch so war das eben, wenn man sich für das Leben eines Spions entschied. Es gab Menschen, deren Vertrauen man gewinnen und die man dann verraten und hintergehen musste. Es lag in der Natur der Sache, dessen war sich Husum voll und ganz bewusst. Doch das aufregende Leben, das ihm nun bevorstand, würde ihm gar keine Zeit für ein schlechtes Gewissen lassen. Von jetzt an lebte er eben den Traum, für den sein Vater ihn immer ausgelacht hatte.

„Wer zuletzt lacht, Vati …“, murmelte Husum und verließ mit beschwingten Schritten das Pflegeheim. Er war so guter Dinge, dass er sogar beschloss, doch noch bei Bärbel vorbeizuschauen. Heute Abend neben einem warmen Körper einzuschlafen, würde ihm sicher guttun.

Foto von Farina Eden

Über Farina Eden

Biografie

Farina Eden, 1977 in Berlin geboren, entdeckte bereits als Kind ihre Begeisterung für Bücher und begann früh mit dem Schreiben. Nach Schule und Abitur fand sie einen Weg, die Leidenschaft fürs Schreiben mit ihrem Beruf zu verbinden. Sie studierte Deutsch und Englisch und unterrichtet heute an einer...

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