Spektakuläre Kriminalfälle: Wie stellt die forensische Psychiatrie die Straffähigkeit von Straftätern fest?
Helmut Kury über die Arbeit als Gerichtsgutachter:
Dies ist kein Buch für Fachleute, keine akademische Abhandlung. Vielmehr will es einen Einblick geben in die Arbeit eines Gutachters und die grundlegenden Fragen beantworten, die die Bürger zu Recht an uns und unsere Arbeit stellen.
Tut er oder sie es wieder und wird nochmals schwer straffällig? So lautet beispielsweise die zentrale Frage an den Prognosegutachter, der einen möglicherweise rückfallgefährdeten Täter einschätzen soll: Stellt dieser nach Gewährung von Vollzugslockerungen oder seiner Entlassung aus dem Strafvollzug noch eine Gefahr dar? Diese Täterbeurteilung des Gutachters soll dann für den Rest von dessen Leben gelten.
Der Anspruch „Garantie: für immer und ewig“ wird von mehreren Kriminologen – mich eingeschlossen – kritisch gesehen, da er nicht eingelöst werden kann. Teilweise wird gefordert, die Zeit der Vorhersage zu begrenzen, etwa auf zwei Jahre. Anschließend müsste eine neue Prognose erstellt werden, denn in diesem Zeitraum kann sich ein Leben sehr verändern. Kann sich somit auch ein Mensch sehr verändern. Was er fühlt. Was in seinem Kopf vorgeht, wie er in seinem Umfeld integriert ist.
Es gibt zahllose zum Teil auch nur ganz gering scheinende Aspekte, die „das Böse“ in jemandem (wieder) hervortreten lassen können. Zwei Jahre: Man denke nur an das eigene Leben und was sich darin in diesem Zeitraum verändert. Meist eine ganze Menge. Eine Prognose, die
unserer Gesellschaft mit der Sicherheit dient, die sie wiederum verdient, sollte daher nicht auf das gesamte weitere Leben eines Täters angelegt sein.
Obgleich ich seit über 40 Jahren immer wieder Prognosegutachten erstelle, sind meine Gefühle angesichts der schweren Straftaten, um die es in der Regel geht, nicht geringer geworden. Diese Gefühle aber sind meine private Angelegenheit. Weder dürfen sie während der Exploration des Täters – in den Gesprächen mit ihm – in den Vordergrund treten noch für das Gutachten eine Rolle spielen. Ziel meiner Arbeit ist es, mit zu der Beantwortung der schwierigen Frage beizutragen: Womit ist der Gesellschaft am besten gedient? Mit einer weiteren kostenintensiven Inhaftierung – oder kann der Täter ohne große Sicherheitsprobleme entlassen werden?
Ich suche nach Antworten auf die Frage, wie ein Mensch seine zurückliegenden Gewalttaten reflektiert, ob und vor allem wie es ihm gelingt, Schuld als Teil seiner Identität zu integrieren und damit weiterzuleben. Und der entscheidende Faktor: ob er in der Lage ist, sich zu kontrollieren, sein Leben für ihn befriedigend einzurichten, ohne dass es zu (schweren) weiteren Straftaten kommt.
Die Situation des Gutachters ist dabei nicht einfach: Ziel seiner Untersuchung ist die Einschätzung der Person hinsichtlich der Gefahr eines zukünftigen (schweren) straffälligen Verhaltens, sie zu „durchschauen“, ob es Hinweise hierfür gibt. Das Ziel des Täters ist ein ganz anderes: Er will vielfach nicht, zumindest nicht primär, dass der Psychologe oder Psychiater ihm hilft, er will vielmehr raus aus der Haft. Bald. Er will, dass der Gutachter ihm eine positive Prognose ausstellt, dass er vor Gericht darstellt: Dieser Mensch ist ungefährlich, kann wieder in „der Welt da draußen leben“.
Die Gesprächssituation ist also von Anfang an davon besetzt, dass beide nicht dasselbe wollen. Das positive Bild, das Inhaftierte dem Gutachter verkaufen wollen, können sie allerdings, je länger die Gespräche dauern, meist nicht konsequent durchhalten – wenn es vorgespielt ist. Auch aus diesem Grunde sind mehr Gespräche als nur eines für eine aussagekräftige Prognose ausgesprochen wichtig.
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