Auch Autoren haben das Recht, ein Trottel zu sein
Das Verhältnis zwischen Autor und Leser könnte intimer kaum sein. In monatelanger, oft jahrelanger Feinarbeit schreibt der Schriftsteller uns sein Herz aufs Papier, überarbeitet seine Worte mehrmals, schleift und feilt an der Handlung und wird irgendwann von einem übereifrigen Lektor zur Abgabe des Werkes gedrungen. Aber ist es nun perfekt? Hätte man die Handlung nicht doch anders und den Charakter etwas besser und die Erzählweise strukturierter und überhaupt ist in jedem Buch stets noch so viel Hadern und Kämpfen und Hoffen enthalten, wenn es dem Leser vom Buchhändler seiner Wahl in die Hände gelegt wird.
Inzwischen geht es im Literaturmarkt aber auch längst nicht mehr nur um den Text an sich, weil das allein ja noch nicht kompliziert genug ist, der Autor dahinter ist meist ebenso wichtig – er muss nach all der Schreiberei noch dafür werben, bei Facebook und Twitter posten, in Leserunden diskutieren, in endlosen Dorftingeleien daraus vortragen, soll sein Werk erklären und definieren, im Idealfall ist er wie Fitzek oder Knausgard ein literarischer Popstar und verkauft über Fernsehshows und Plakatwände seine Bücher gleich im Halbjahresturnus auf die Bestsellerlisten. Wer den Autor liebt, der liebt auch seine Bücher und umgekehrt. Oder?
Auch ich kann mich davon nicht freisprechen. Seit Jahrzehnten besuche ich Lesungen, zuerst in der heimischen Stadtbibliothek, später via Livestream und inzwischen moderiere ich sie gar selbst. Zudem habe ich via soziale Netzwerke und im Verlagsalltag täglich mit dutzenden Schriftstellern und ihren Ideen zu tun, abonniere, befreunde und folge. Ich bin fasziniert von den Menschen hinter den Romanen, möchte meist alles aufsaugen, was mit einem von mir geliebten Buch zu tun hat, die Idee, die Entwicklung, die Ausführung, man könnte mich gar ein Fangirl der Metaebene nennen.
Literatur ist eine sinnliche Form des Zwiegesprächs, so beschreibt es zumindest Susanne Lewalter, die Leiterin des Literaturhauses Wiesbaden. Im Idealfall entsteht die jeweilige Geschichte im Kopf jedes Lesers neu und einzigartig und wenn beide aufeinandertreffen, also Autor und Leser, werden diese durch das Gespräch über das Werk neu inspiriert. Aber kann die bunte und übereifrige Marketingmaschinerie der Verlage on- und offline wirklich noch als sinnliche Beschäftigung bezeichnet werden? Wo ziehen wir die Grenze, wenn wir doch aber im Idealfall nie genug bekommen?
Und was ist eigentlich, wenn dies nach hinten losgeht? Wenn ich einen Autor liebe und mir gefällt sein neuestes Werk nicht oder aber, ich liebe einen Roman und mir missfällt der Schriftsteller persönlich derart, dass dann auch seine dazugehörigen Texte für immer verdorben werden? Inwieweit man dies trennen kann, wird stets von Neuem diskutiert. Der Autor an sich, das wird viele überraschen – aber ich schreibe diese Kolumne, um Sie als Leser ab und zu mit der harten Wahrheit zu konfrontieren – ist auch nur ein Mensch und als solcher begeht er Fehler, hat eine eigene Meinung über die Literatur hinaus und macht sich damit angreifbar. Manch ein Katzenkrimiautor entpuppt sich als psychopathischer Nazi oder eine internationale Bestsellerautorin aus dem Fantasygenre wird mit Kindesmissbrauch in Verbindung gebracht. Nicht immer braucht es solch große Schlagzeilen und Aufreger.
So ging es mir mit einem befreundeten Autor, der auf Facebook ein Livebild aus dem Stripclub postete und von da an hatte ich dies auch bei seinen Romanen im Kopf. Der bereits erwähnte Katzenkrimiautor wurde natürlich bereits recht früh aussortiert sowie später geblockt und auch bei sonstigen Literaten google ich sofort sämtliche Videos und Interviews, um mir ein möglichst umfassendes Bild zu machen. Natürlich filtere ich dementsprechend: lese ich das Buch oder nicht? Passt der Erzähler in mein Welt- und Wunschbild, entspricht er dem von mir gewünschten Klischee? Nervt der Schriftsteller auf Facebook mit täglicher Werbung, Katzenbildern oder politischen Statements? Und geht mich das nicht eigentlich alles gar nichts an?
Umgekehrt ist dies natürlich ebenso möglich und ich bin in meinem Leseleben schon auf weit über hundert tolle Romane und spannende Projekte gestoßen, weil mich ihre Autoren in Interviews, Diskussionen oder Fernsehauftritten für sich und ihre Bücher begeistern konnten. Zum Beispiel traf ich auf der letzten Buchmesse Autorin und Fernsehstar Andrea Sawatzki,die ich aufgrund ihrer unfassbar herzlichen und offenen Art und privaten Begeisterung für Bücher gleich aus meiner „noch so eine schreibende Schauspielerin“-Schublade befreien musste. Da hatte sie Glück, denn sonderlich viel Platz ist darin sowieso nicht mehr.
So gewinnt und verliert man also gleichzeitig und wie überall ist am wichtigsten, dass sich der Autor selbst damit wohlfühlt. Das gilt im Umgang mit den sozialen Medien ebenso wie im realen Leben. Nehmen wir einen Patrick Süskind, der wollte nach seinem Erfolgsroman „Das Parfum“ mit gar niemandem mehr reden und ab und zu kann der Ruf als verschrobener, alter Zausel auch genau richtig fürs Image sein. Harry Rowohlt war bekannt dafür, dass er gern schon während Lesungen trank und noch lieber auch ein bisschen mehr und genau für solche Spirenzchen liebten wir ihn – einem anderen Autor hätte wir dies wiederum in den heutigen, so politisch korrekten Zeiten enorm verübelt.
Im Idealfall ist das Werk vom Sender bzw. Schriftsteller getrennt zu behandeln, dies gelingt aber nur in Ausnahmefällen. Und genau das macht die Literatur aber auch aus, dass wir leidenschaftlich und emotional mitgehen, mitlieben und mitleiden und im Idealfall fühlen, was der Autor dem Buch mitgegeben hat. Lisa Rank, Journalistin und selbst Autorin, fasst dies in einem aktuellen Statusposting ganz gut in Worte:
„Wie man immer denkt ›Hoffentlich ist der kein Trottel‹, wenn man einen seiner Lieblingskünstler trifft. Dabei hat ja jeder das Recht, ein Trottel zu sein.“
Über Karla Paul
Karla Paul ist am Welttag des Buches geboren, seit mehr als einem Jahrzehnt literarisch im Netz aktiv.
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