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Vom Hintern

Heather Radke
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Die Geschichte einer Rundung

„Die Gesäßtour durch Kulturgeschichte, Politik und Naturwissenschaft unterhält trotz und wegen der kritischen Härte.“ - Badische Zeitung

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Vom Hintern — Inhalt

Ein Körperteil zwischen Rätsel und Bewunderung
Ob wir ihn lieben oder hassen, ihn sexy oder seltsam finden, er uns zu groß oder zu klein erscheint – wir Menschen haben eine komplizierte Beziehung zum Hintern.

Er ist ein einzigartiges Körperteil, das für unsere Evolution und unser Überleben von entscheidender Bedeutung ist, und doch steht er für so viel mehr: Sex, Begehren, Unterhaltung, Scham. Vor allem der weibliche Hintern wird ständig bewertet, kritisiert und objektiviert. Aber warum ist das so?

„Fesselnd und persönlich. [...] lassen Sie sich nicht von dem frechen Pfirsich täuschen.“ The New York Times Book Review

Vom Hintern ist eine erhellende Untersuchung darüber, warum bestimmte Silhouetten in Mode kommen und wieder gehen – und wie Vorstellungen von Rasse, Kontrolle, Befreiung und Macht unser Denken und Handeln beeinflussen.

€ 20,00 [D], € 20,60 [A]
Erschienen am 01.06.2023
Übersetzt von: Viola Krauß
352 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-06438-5
Download Cover
€ 19,99 [D], € 19,99 [A]
Erschienen am 01.06.2023
Übersetzt von: Viola Krauß
352 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60325-6
Download Cover
„Es ist regelrecht heilsam zu lesen, wie locker und zugleich ernsthaft, empathisch und niemals bemüht heiter man die Geschichte eines Körperteils erzählen kann, das oft auf hilflose Weise albern gefunden wird.“
Zeit online
„Heather Radke erzählt anschaulich und unterhaltsam, aber nimmt den Hintern ernst. […] Eine Kulturgeschichte von Po, Pop, Politik und von Power.“
NDR Kultur "Journal"

Leseprobe zu „Vom Hintern“

Einleitung

Der erste Po, an den ich mich erinnern kann, ist nicht mein eigener, sondern der meiner Mutter. Mit meinen sieben Jahren saß ich auf dem flauschigen Klodeckelbezug im Badezimmer meiner Eltern und sah ihr dabei zu, wie sie sich morgens fertig machte. In BH und Unterhose stand sie vor dem Spiegel, cremte sich ein und drehte das kurze braune Haar auf Lockenwickler: große, runde rosafarbene oben und ein paar kleinere grüne an den Seiten. Sie kippte das Fenster, um den Wasserdampf vom Duschen entweichen zu lassen, und ich wurde von der kalten, [...]

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Einleitung

Der erste Po, an den ich mich erinnern kann, ist nicht mein eigener, sondern der meiner Mutter. Mit meinen sieben Jahren saß ich auf dem flauschigen Klodeckelbezug im Badezimmer meiner Eltern und sah ihr dabei zu, wie sie sich morgens fertig machte. In BH und Unterhose stand sie vor dem Spiegel, cremte sich ein und drehte das kurze braune Haar auf Lockenwickler: große, runde rosafarbene oben und ein paar kleinere grüne an den Seiten. Sie kippte das Fenster, um den Wasserdampf vom Duschen entweichen zu lassen, und ich wurde von der kalten, dünnen Michiganer Morgenluft wach gepustet. „Mach die Augen zu“, wies sie mich an, und während ich sie schloss, besprühte sie ihr Haar großzügig mit Haarspray. Weil ich den Hustenreiz fürchtete, hielt ich die Luft an. Anschließend nahm meine Mutter die Brille ab, beugte sich ganz nah an den Spiegel und bog sich die Wimpern nach oben, sodass mir ihr Hinterteil entgegenragte.

Der Körper meiner Mutter war bis dahin der einzige Erwachsenenkörper, den ich je nackt gesehen hatte, also stellte ich mir sämtliche Frauenkörper wie ihren vor: klein und wohlproportioniert, mit vollen Brüsten und einem üppigen Po, der es mit jeder Hose aufnehmen konnte. Mir gefiel die Vorstellung, dass mein Körper eines Tages genauso aussehen würde – dieses Schicksal erschien mir ebenso unumgänglich wie das Größerwerden und das Einsetzen meiner Menstruation. Die Scharfsicht der Kindheit ließ mich den Po meiner Mutter als das wahrnehmen, was er war: ein Körperteil wie jeder andere. Ein Körperteil, der meiner Liebe würdig war, denn ich liebte den Menschen, zu dem er gehörte. Er stellte weder ein Problem noch einen Segen dar, er war schlicht eine Tatsache.

Damals wusste ich noch nicht, dass es mit dem Po so eine Sache ist. Es ist mit ihm nicht wie mit Ellbogen und Knien, bei denen es fast ausschließlich um die Funktion geht, in die nichts hineininterpretiert wird. Der Po hingegen, so albern er uns manchmal vorkommen mag, stellt ein extrem vielschichtiges Symbol dar, aufgeladen mit Bedeutung und Zwischentönen, befrachtet mit Witz und Sex, Scham und Geschichte. Der Frauenpo ist schon benutzt worden, um Rassenhierarchien zu erschaffen und aufrechtzuerhalten, um den Grad an tugendhaft harter Arbeit abzulesen und um Lust und Verfügbarkeit zu bemessen. Obwohl (oder gerade weil) sich das Aussehen des eigenen Hinterteils ohne chirurgische Eingriffe kaum verändern lässt, sind von Größe und Form des Pos einer Frau Rückschlüsse auf ihr gesamtes Wesen gezogen worden – auf ihre Sittlichkeit, auf ihre Weiblichkeit, ja sogar auf ihre Menschlichkeit.

Wir selbst können uns kaum ein klares Bild von unserem Po machen. Da er sich an unserer Rückseite befindet, ist er uns gewissermaßen fremd, während andere ihn problemlos sehen können. Wenn wir einen Blick darauf werfen möchten, müssen wir uns in den Spiegelkokon einer Umkleidekabine begeben, die mühselige Dreiecksmethode mit Handspiegel im Schlafzimmer anwenden oder uns mit dem Smartphone verrenken. Und wenn wir schließlich einen Blick auf unseren Hintern erhaschen – zumindest geht es mir so –, dann sind wir irgendwie überrascht: „Dieses Ding schleppe ich mit mir herum?“ Das Ganze hat auch etwas Demütigendes. Wir können einfach niemals wirklich wissen, was eine andere Person sieht, wenn sie uns auf den Hintern schaut, und das macht uns verwundbar. In gewisser Weise gehört unser Hintern der betrachtenden Person mehr als uns selbst, die wir betrachtet werden. Irgendwie legen wir ihn quasi in deren Hände. Unser Po kann heimlich in Augenschein genommen, widerlich begafft, unbemerkt inspiziert werden. Um zu wissen, ob mir eine Hose steht, muss ich das Verkaufspersonal fragen, wie mein Po darin aussieht, weil ich ihn selbst nicht begutachten kann. Wenn sich auf der Straße ein Mann umdreht, um einer Frau auf den Hintern zu schauen, mögen es alle anderen in der näheren Umgebung mitbekommen haben, nur die betroffene Frau nicht. Sie hat vielleicht keine Ahnung, wie sie taxiert, kritisiert, objektifiziert, begehrt wird.

Und in der Tat sagen die Meinungen über ein Hinterteil meist mehr über die betrachtende als über die betrachtete Person aus. Was genau ein Hinterteil bedeutet, hängt davon ab, wer wann und aus welchem Grund darauf schaut. Der Historiker Sander Gilman formuliert es folgendermaßen: „Der Hintern ist mit einer sich stets wandelnden Symbolik behaftet. Er wird mit den Fortpflanzungsorganen assoziiert, mit der Ausscheidungsöffnung des Darms sowie mit dem Bewegungsapparat bei der Debatte um Gangarten. Er steht nie für sich selbst.“[i]

Die These, dass unser Gesäß nie nur sich selbst verkörpert, macht es zu einem besonderen und besonders spannenden Forschungsgegenstand. Da es in seiner Symbolik so unberechenbar ist, kann uns die Erkundung der unzähligen Bedeutungen und Signifikationen eine Menge über andere Phänomene verraten: was von der Allgemeinheit für normal gehalten wird, für wünschenswert, für abstoßend oder für provokant. Das Gesäß ist oftmals ein Indikator für Gefühle, die mit dem Gesäß eigentlich gar nichts zu tun haben: Gefühle zum Thema Rasse, Geschlecht und Sex, die sich von Mensch zu Mensch stark unterscheiden.

Schon die Begriffe für unseren „Allerwertesten“ sind abgesehen von „Gesäß“ wenig neutral. In meiner Kindheit habe ich die beiden Fleischmassen an der Rückseite meiner Hüfte „Popo“ genannt. Ein eher lustiges, unschuldiges, ungezwungenes, kindliches Wort. Wäre das Wort „Popo“ ein Geräusch, käme es aus der Hupe eines Clowns oder wäre ein kleiner Furz.

Als ich älter wurde, probierte ich andere Wörter aus. „Arsch“ fühlte sich erwachsener an, vulgärer, und gehörte in die Kategorie Schimpfwort. Wobei es sich um ein eher harmloses Schimpfwort handelt. Und es gibt viele weitere Ausdrücke für das Gesäß. Da wären die Abkürzung für „Popo“, nämlich „Po“, die leicht verklemmten „vier Buchstaben“ sowie eben der humoristische „Allerwerteste“. Außerdem gibt es eine Reihe von Begriffen, die der Position besagten Körperteils geschuldet sind: „Hintern“, „Hinterteil“, „Kehrseite“. Oder ganz nüchtern und gegenständlich: „Sitzfläche“ und „Sitzfleisch“. Hin und wieder hören wir auch noch die veraltete, vornehme Bezeichnung „Steiß“.

 

Jeder Mensch hat eine andere Geschichte zur Entstehung seines Körperbilds. Meines hat sich aus den Erinnerungsfetzen daran, wie ich den Blick der anderen auf meinen Körper gespürt habe, zusammengesetzt, als wären es in ein Album eingeklebte Fotos. Die frühesten Erinnerungen an meinen Körper stammen jedoch aus der Zeit kurz vor der Pubertät, als sich meine Gliedmaßen und Muskeln nützlich und widerstandsfähig anfühlten und nicht wie Körperteile, die der Bewertung unterliegen. Ich bin durchs ganze Viertel geradelt, bin Hügel hinabgerast und habe die feuchte Sommerluft um die Nasenflügel wehen gespürt. Eines Julinachmittags bin ich kopfüber über den Lenker gefallen, habe mir Wangen und Stirn auf dem Beton aufgeschürft und auch das Hautläppchen, das Lippen und Zahnfleisch miteinander verbindet, aufgerissen. Das Blut strömte nur so auf den Gehweg und später auf die Küchenarbeitsplatte, von der meine Beine herabbaumelten, als mir meine Mutter den Mund kühlte. Am nächsten Morgen aß ich schon wieder Cheerios und war bereit für die nächste Radtour. Mein Vater fotografierte mich, wie ich im lila Ballettkostüm am Esstisch saß und fröhlich lächelte. Nicht, dass ich besonders furchtlos gewesen wäre. Ich sah meinen Körper einfach als etwas, das wuchs, heilte und mich überall hinbrachte. Bis der Kamerafilm fertig entwickelt war, hatte ich nur noch hier und da ein bisschen Schorf im Gesicht.

Mit acht bin ich mit einer Freundin ins Hallenbad gegangen und fand mich zum allerersten Mal in einer Umkleide voller Frauen in unterschiedlichen Entkleidungsstadien wieder. Dort gab es so viele verschiedene Körper, und da ich noch nicht verinnerlicht hatte, sie in Schubladen zu packen und in „besser“ oder „schlechter“ zu unterteilen, beobachtete ich einfach nur gebannt. „So können Brüste aussehen?“, dachte ich, wenn ich Körperteile, die nicht so aussahen wie die meiner Mutter, erblickte. „Hüften können schmal sein? Popos mager?“ Diese Frauen in der Umkleide kamen mir deformiert vor. Angezogen sahen sie ganz gewöhnlich aus, aber untendrunter verbargen sie alle möglichen Kuriositäten, in den unterschiedlichsten Formen.

Mit zehn radelte ich mit einer Freundin in denselben Straßen herum, in denen wir seit Jahren herumradelten, als uns zwei Jungs hinter einem Busch zuriefen: „Süße Ärsche!“ Der Spruch war fies gemeint, doch da war noch etwas anderes, ein neues und alarmierendes Gefühl, das ich heute als die Mischung aus Unbehagen und Beklemmung beschreiben kann, die entsteht, wenn ein fremder Mann meinen Körper taxiert und kommentiert.

Die Tatsache, dass sie unaufgefordert etwas über unsere Pos sagten, fühlte sich unangenehm und grotesk an. Der Po war für mich kein Körperteil, der süß sein konnte. Dass es Körperteile gab, die als schön und sexy galten und von anderen verehrt wurden, dessen war ich mir bewusst. Mir wäre jedoch nie in den Sinn gekommen, dass auch der Po dazugehörte. Für mich fühlte sich ihr Kommentar so an, als hätten sie uns mit heruntergelassener Hose erwischt. Als hätten sie aufgrund eines saukomischen und demütigenden Fehlers tatsächlich unsere Pos gesehen. Wir fuhren heim und erzählten unseren Eltern, was passiert war. Irgendwie schafften sie es, die zwei Jungs aufzuspüren – Teenies mit Skateboards und Heavy-Metal-T-Shirts –, und stellten sie zur Rede. Sie schworen ängstlich, dass sie etwas völlig anderes gerufen hätten, und ich weiß noch wie heute, wie die Scham gleich noch einmal in mir aufstieg. War doch klar. Pos konnten einfach nicht süß sein. Schon gar nicht so, dass es irgendwer in aller Öffentlichkeit rufen würde.

Später in der Mittelstufe war ich es, die das Kuriosum in der Umkleide darstellte. Ich war nicht unbedingt fett – das mit dem größten Makel behaftete Adjektiv in den staubigen Fluren der Kinawa Middle School –, doch mein Körper fühlte sich definitiv nicht richtig an. Er verwandelte sich nämlich langsam in eine jugendliche Annäherung an den meiner Mutter: Mein Hintern war gewachsen, meine Hüfte hatte sich verbreitert. Wie ich da so vor den orangebraunen Schließfächern stand, war ich nicht mehr von Ehrfurcht ergriffen ob der wunderbaren Vielfalt des weiblichen Körpers; inzwischen wusste ich, dass er auf eine bestimmte Art auszusehen hatte. Und auf meinen Körper und auf den meiner Mutter traf das ganz bestimmt nicht zu.

Etwa zur gleichen Zeit begann unser Schwimmunterricht im hypergechlorten, renovierungsbedürftigen Schulschwimmbecken, bei dem Jungs und Mädchen getrennt voneinander unterrichtet wurden. Vermutlich in dem Bestreben, jegliche sozialen Unterschiede auszumerzen, wurden wir befremdlicherweise mit schwarzen Badeanzügen aus Baumwolle ausgestattet, die sich kaum dehnen ließen. Wir zupften sie aus grauen, nach Größe sortierten Plastikeimern, jeder einzelne von ihnen verschlissen von den Industriewaschmaschinen und den Generationen unsicherer Mädchen, die sich darin fröstelnd am Beckenrand herumdrückten. Die jeweilige Größe ließ sich an der Naht erkennen: Die Badeanzüge mit gelber Naht waren die kleinsten, für die Mädchen, die noch in Kinderkörpern steckten. Orange war die begehrteste Farbe – für die Mädchen, die schon etwas reifer waren, aber noch keine Rundungen hatten. Die Badeanzüge mit roter Naht waren groß, und die mit der weißen Naht noch größer – für die Mädchen, die ordentlich Brüste und Hintern und Oberschenkel und Bauch hatten. Die Mädchen, an denen was dran war. Wenn er nass wurde, gab der schwarze Stoff, der uns von den Achseln bis zur Mitte der Oberschenkel bedeckte, nach und wurde weit. Mein Badeanzug hatte eine rote Naht, und ich fürchtete das Schreckgespenst der weißen Naht, das sich bereits am Horizont abzeichnete. Ich machte mir Sorgen, was das wohl für meinen Körper, für meine Attraktivität, meinen Platz in der Rangordnung bedeuten würde.

Auf der Highschool wurde ich dann mit noch mehr handfesten Beweisen dafür, dass mein Körper irgendwie nicht richtig war, konfrontiert. Obwohl ich kaum anderthalb Kilometer rennen konnte, tat ich mich gelegentlich mit den Langstreckenläuferinnen der zehnten Klasse zusammen und nahm an ihren Spaghettiessen vor den Spielen teil, bei denen wir uns klebrige Pasta mit roter Fertigsoße auf die Teller türmten und über die Schule tratschten. Bei einem dieser Abendessen nahm mich eine Freundin beiseite, um mir heimlich etwas zu erzählen. Irgendwer habe mitbekommen, wie eine der Teamangehörigen beim Training gejammert habe, wie fett sie doch werde. Wie megabreit ihre Hüften gerade würden. Daraufhin habe ein anderes Mädchen gelacht und gemeint: „Wenigstens ist dein Hintern nicht so fett wie der von Heather.“

Ich war erschüttert. Ich stellte mir vor, wie diese gertenschlanken und begehrenswerten Langstreckenläuferinnen aus dem Team laut und gehässig darüber lachten, was eine schlichte Tatsache war: Heather Radke hatte einen wirklich fetten Hintern. Und wie heilfroh sie waren, dass dies nicht auf sie selbst zutraf.

 

Wie sich das Verhältnis zu meinem Körper entwickelte, war kein großes Drama. Mich interessiert es hauptsächlich deshalb, weil es mir ziemlich typisch erscheint. Es gab kein endloses Mobbing, keine schlimme Essstörung, nichts, was die Gefühle bezüglich meines Körpers furchtbar triggerte – es gab nur die Scham, die scheinbar jedes Gehirn einer Siebtklässlerin befällt, ein infernalischer Initiationsritus, den so viele von uns durchstehen müssen, bevor wir uns zu halbwegs lebenstauglichen Erwachsenen entwickeln. Als wäre das Bewerten und Klassifizieren von Körpern – und die damit einhergehenden Erniedrigungen und Selbstzweifel – etwas ganz Normales, ja sogar ganz Natürliches. Als ob manche Körper tatsächlich besser wären als andere.

2003 bekam ich zum ersten Mal zu hören, mein Hintern sei sexy. Ich war 20, es war Sommer, und ich arbeitete als Barista in einem Café einer Universitätsstadt im Mittleren Westen. Ich trug einen marineblauen Faltenrock aus Polyester und ein gelbes Secondhand-T-Shirt, bei dem ich den Halsausschnitt herausgeschnitten hatte, damit es punkiger aussah. Das Haar hatte ich im Nacken zusammengebunden, und in meinem verschwitzten Nacken klebte Kaffeepulver. Mein Hintern hatte sich seit der Highschool noch weiter vergrößert. Keine Hose wollte so richtig passen, alle standen an der Hüfte komisch offen, obwohl sie am Po knalleng saßen. Sukzessive war ich von Größe 38 bei Größe 44 gelandet. Wenn wir uns zu viert hinten ins Auto quetschen mussten, platzte ich stets damit heraus, dass es mit meinem großen Hintern nebeneinander nicht klappen werde und sich deshalb irgendwer auf meinen Schoß setzen solle. Eines Tages wurde ich von meinem Arbeitskollegen im Café – einem stillen, hochgewachsenen Singer-Songwriter, der gerne flirtete – gefragt: „Weißt du, was kallipygisch heißt?“ Ich wusste es. Ich hatte es für den Zulassungstest für die Hochschule gelernt und konnte mich noch an die Karteikarte erinnern, die mir die Schamesröte ins Gesicht getrieben hatte. Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet „mit wohlgeformtem Gesäß“. Ich vermute, es ist in der Kunstgeschichte benutzt worden, um Statuen zu beschreiben. „Du, Süße, bist kallipygisch“, meinte der Singer-Songwriter zu mir. Seine Darbietung war ein bisschen zum Fremdschämen und fühlte sich einstudiert an, trotzdem war ich aufrichtig gerührt. Er machte sich nicht über mich lustig. Es war ein ernst gemeintes Kompliment.

Und er war nur der Erste in einer Reihe von Leuten, die ich in meinen Zwanzigern und Dreißigern kennenlernte, die mein großzügiges Hinterteil nicht als Nachteil, sondern als Vorzug begriffen. Wenn mir hinterhergepfiffen wurde, wenn mir im Bett etwas ins Ohr geflüstert wurde, wenn jemand einen zweiten Blick riskierte oder ein Arbeitskollege etwas kommentierte – dann ging es oft um meinen Po. Mit anderen Worten: Mir wurde allmählich klar, dass mein Po ein Sexobjekt darstellte oder unmerklich zu einem solchen geworden war. Etwas, das andere (manche andere, bestimmt nicht alle) begehrten.

Bei diesen Manchen handelte es sich beinahe ausnahmslos um Männer. Obwohl ich queer bin und in jenen Jahren sowohl mit Frauen als auch mit Männern ausging, schien dieser Sinneswandel in puncto meines Hinterteils der Hetero-Mainstream-Kultur zu entstammen. Zwar kommentierten auch jede Menge Frauen meinen Po, doch dabei handelte es sich meist um Hetero-Frauen, die die Beauty-Magazine auf modernisierte, genau umgekehrte Weise wie das Mädchen in der Langlaufmannschaft nachäfften.

Ich versuchte mich davon zu überzeugen, dass es egal war, was die anderen – insbesondere die Männer – über meinen Körper dachten. Doch es gelang mir nicht. Es war mir alles andere als egal. Auf einmal war der Teil von mir, der sich hässlich und beschämend angefühlt hatte, der Teil, der manchen sogar am besten gefiel. Obwohl ich nicht nur für meinen Körper bewundert werden wollte, wollte ich definitiv Bewunderung für meinen Körper. Ich wollte gewollt werden, so wie alle anderen auch. Und es fühlte sich gut an, von dem Typ Mensch gewollt zu werden, der mich früher beschämt hatte.

Heute frage ich mich, wie die Schülerinnen und Schüler auf der Highschool damals zu dem Schluss gekommen waren, mein Körper sei nicht einer der guten, und wie viele dieser Frauen und Männer ein Jahrzehnt später vom genauen Gegenteil überzeugt sein mochten. Wie ist es möglich, dass sich die Bedeutung eines Hinterns derart grundlegend und derart schnell verändern kann? Wie ist es möglich, dass ein Körperteil so unterschiedliche Sinngehalte hat? Genau diese Fragen liegen den Forschungen zu diesem Buch zugrunde.

 

Bevor ich Autorin wurde, war ich einige Jahre als Kuratorin am Jane Addams Hull-House Museum in Chicago tätig, das gleichzeitig historisches Museum, Raum für zeitgenössische Kunst und Versammlungsstätte für die Aktivistinnen und Aktivisten der Stadt war. Beim Erarbeiten einer Ausstellung bestand meine Aufgabe darin, wichtige historische Veränderungen und Themen anhand persönlicher Erlebnisse und kultureller Erfahrungen verständlich zu machen. Und so ähnlich soll auch dieses Buch funktionieren: Ich werde Persönlichkeiten aus Vergangenheit und Gegenwart vorstellen und Geschichten erzählen, die wichtige Verschiebungen bei der Symbolik des Hinterns in den USA und in Westeuropa in den letzten beiden Jahrzehnten widerspiegeln.

Vom Hintern: Die Geschichte einer Rundung stellt einen Versuch dar, einigen der Vorstellungen und Bedeutungen, die diesen rätselhaften Körperteil umkreisen, nachzuspüren und zu untersuchen, wie sie sich entwickeln und teilweise bis heute halten konnten. Meine Betrachtungen sind dabei größtenteils historisch und chronologisch, doch ich beginne mit einigen wissenschaftlichen Grundlagen: Was genau ist ein Hintern eigentlich, wenn wir ihn anatomisch und physiologisch betrachten? Auch wenn Hintern natürlich schon seit ewigen Zeiten existieren, nehme ich die Geschichte von Sarah Baartman als historischen Ausgangspunkt. Die grausame und reißerische Zurschaustellung der einst als »Hottentotten-Venus« bezeichneten Dame, zu ihren Lebzeiten wie über ihren Tod hinaus, hat die Wahrnehmung des Hinterns in den vergangenen beiden Jahrzehnten grundlegend geformt. Davon ausgehend untersuche ich anhand der Geschichte von Mode, Rassifizierung, Wissenschaft, Sport und Popkultur eine Vielzahl von Themen, die sich über das 20. und das 21. Jahrhundert erstrecken. Bei dieser Reise treffe ich eine ganze Karawane von Menschen, die unsere Vorstellungen vom Hintern geprägt haben: den Illustrator, der den schnittigen Look der Flapper skizziert hat, das Model, dessen Po als Vorlage für beinahe jede käufliche Hose dient, den eugenischen Künstler, der Skulpturen der „normalsten“ Männer und Frauen erschaffen hat, den Mann, der die Fitnessvideos Buns of Steel (stählerne Hintern) erfunden hat, Dragqueens, die Po-Polster entwerfen, sowie dicke Fitnesstrainer, für die Aerobic sowohl einen Akt des Widerstands als auch ein Freizeitvergnügen darstellt. Zu guter Letzt werfe ich einen Blick darauf, wie sich die Meinungen zum Thema Hintern in den vergangenen 30 Jahren gewandelt haben – als ein dicker Hintern nämlich nach und nach in das Schönheitsideal der breiten weißen Masse integriert wurde und die Aneignung Schwarzer Körper und Schwarzer Kultur einen neuen Höhepunkt erreichte.

 

Ein Projekt wie dieses wird nie alles gleichzeitig sein können. Es wird auch nicht ansatzweise die Frage „Was ist die Geschichte und die Bedeutung jedes Hinterteils?“ beantworten können. Vielmehr konzentriere ich mich auf die Geschichte und die Symbolik des weiblichen Hinterns. Aus dem einfachen Grund, weil ich selbst eine Frau bin und mich dafür interessiere, wie die weibliche Identität im Lauf der Zeit konstruiert, rekonstruiert und verfestigt wird.

Meine Untersuchungen beschäftigen sich außerdem ausschließlich mit dem Gesäß – also den hervorstehenden Fett- und Muskelmassen zwischen unterem Rücken und Oberschenkeln. Es gibt eine Reihe herausragender Bücher zum Thema Anus und Rektum, ihre Funktionen und die unzähligen Dinge, die damit assoziiert werden, doch diese sind nicht Gegenstand meiner Nachforschungen. Zwar existieren durchaus Verbindungen zwischen den symbolhaften Bedeutungen von Anus und Hintern, doch der Hintern von Frauen hat meist seine ganz eigene Symbolik, die sich nicht unbedingt auf die unterschiedlichen Funktionen des Anus beziehen, wie etwa die sexuelle.

Mein Hauptaugenmerk liegt auf Deutung und Darstellung des Hinterns in der vorherrschenden westlichen Mainstream-Kultur – der Kultur derjenigen, die politische und wirtschaftliche Macht besitzen, über die Massenmedien bestimmen und die Hauptverantwortung für das Erschaffen, Aufrechterhalten und Weiterführen allgemeiner Maßstäbe und Trends tragen. Ich untersuche also oft, wie Heterosexuelle, Weiße und Männer die Maßstäbe, Vorlieben und Ideologie zum Thema Hintern von Frauen aller Rassen (miss-)verstanden und durchgesetzt haben und welche Bedeutungen sie dabei dem weiblichen Körper zugeschrieben haben. Natürlich sind das alles allgemeine Kategorien, die Binaritäten insinuieren, wo vielleicht gar keine sind – das eigene Körpererleben erzeugt stets eine multiple, intersektionale Identität –, doch es sind oft Leute, die sich als männlich, heterosexuell und/oder weiß bezeichnen, die die Bedeutungen der Hinterteile festlegen konnten, weil sie sich in bestimmten Machtpositionen befanden.

Auf diese Mainstream-Vorstellungen vom weiblichen Hintern konzentriere ich mich deshalb, weil ich begreifen und klar und deutlich benennen möchte, woher die oft unausgesprochenen Vorstellungen und Vorurteile beim Thema Hintern stammen. Dank der Machtpositionen, in denen sich Weiße, Heterosexuelle und Männer in Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien lange befanden, hatten sie einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf das, was Körpern alles zugeschrieben wurde. Die Vorstellungen davon, was normal ist und was nicht, was populär ist und was nicht, sind auf ihrem Mist gewachsen. Indem ich genau untersuche, wie die machthabenden Personen jene Bedeutungen konstruierten, versuche ich, etwas offenzulegen, das meist unsichtbar scheint: die historischen Wurzeln der vielen, teils widersprüchlichen Gefühle der Frauen für ihren Hintern. Ich wollte begreifen, warum Hintern so unfassbar viel bedeuten, wo sie doch genauso gut gar nichts bedeuten könnten.

Was sich wie ein roter Faden durch meine Nachforschungen zog: Gespräche über Hintern sind fast immer auch Gespräche über Rassifizierung, speziell über Schwarzsein und Weißsein. Seit den frühesten Tagen der Kolonialisierung von Afrika sind von europäischen Entdeckungsreisenden und Wissenschaftlern pseudowissenschaftliche Theorien über die großen Hintern Schwarzer Frauen instrumentalisiert worden, um Rassenhierarchien und -stereotype zu konstruieren und zu verfestigen (besonders das hartnäckige Stereotyp der hypersexuellen Schwarzen Frau). Im Anschluss an den Tod von Sarah Baartman im 19. Jahrhundert sind diese Vorstellungen noch verstärkt und untermauert worden. Der Gedanke einer unterschiedlichen Schwarzen und weißen Weiblichkeit ist geprägt von den Stereotypen, die in der Wissenschaft des 18. und 19. Jahrhunderts kreiert worden sind. Und diese Stereotype nehmen nicht nur Einfluss auf Schwarze und weiße Frauen, sondern auf Frauen überall auf der Welt. Genau aus diesem Grund beschäftigt sich dieses Buch so oft mit Schwarzsein und Weißsein.

Mein Wissen bezüglich der Bedeutung des Hinterns in einigen Communitys von People of Colour, in anderen Ländern und in vergangenen Kulturen speist sich natürlich aus Berichten und Forschungen, nicht aus eigener Erfahrung. Meine persönliche Körpererfahrung ist eine spezielle, und die Scham, die ich wegen meines Hintern empfunden habe, entstammt dem bestimmten Kontext, in dem ich aufgewachsen bin. Beides sind keineswegs universelle Erfahrungen. Viele Menschen, die ich im Zuge meiner Forschungen kennengelernt habe, lieben ihren Hintern oder sind mit völlig anderen Körperidealen aufgewachsen. Ich wollte bewusst Stimmen einbinden, die von anderen Erfahrungen als meiner eigenen berichten, und habe deshalb als Grundlagenforschung Frauen und nicht binäre Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft interviewt. Trotzdem ist dieses Buch ein spezielles geworden, weil es aus den Fragen erwachsen ist, die mich am Hintern am meisten interessieren: Fragen bezüglich Rassifizierung, Gender, Kontrolle, Mode, Fitness und Wissenschaft. Es stellt weder eine Enzyklopädie des Hinterns noch eine umfassende Abhandlung des Themas dar. Viele faszinierende Forschungsgebiete fehlen, und somit kann dieses Buch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Indem ich meinem persönlichen historischen Kontext nachspüre und meine persönlichen Erfahrungen und Empfindungen äußere, kann ich aber hoffentlich mit meinem eigenen Hintern fertigwerden und anderen dabei helfen, die Machtverhältnisse zu erkennen, die sich hinter dem Nichtbenannten, dem Unausgesprochenen verbergen. In diesem Sinn ist dieses Buch vor allen Dingen ein politisches Projekt: Hier werden Machtstrukturen herausgearbeitet und untersucht, die oft nicht klar ersichtlich sind.


[i] Black Bodies, White Bodies: Toward an Iconography of Female Sexuality in Late Nineteenth-Century Art, Medicine, and Literature, in: Critical Inquiry, Band 12, Nr. 1 (1985).

Heather Radke

Über Heather Radke

Biografie

Heather Radke ist Essayistin, Journalistin und mitwirkende Redakteurin und Reporterin bei Radiolab, dem mit dem Peabody Award ausgezeichneten Programm von WNYC. Sie hat für Magazine wie The Believer, Longreads und The Paris Review geschrieben und unterrichtet am Creative Writing MFA Program der...

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NDR Kultur "Journal"

„Heather Radke erzählt anschaulich und unterhaltsam, aber nimmt den Hintern ernst. […] Eine Kulturgeschichte von Po, Pop, Politik und von Power.“

Badische Zeitung

„Die Gesäßtour durch Kulturgeschichte, Politik und Naturwissenschaft unterhält trotz und wegen der kritischen Härte.“

Welt am Sonntag

„Ein kurzweiliges, lehrreiches Buch.“

Thüringer Allgemeine

„Kurzweilige, meist amüsante und stets befreiend offenherzige Ausführungen.“

Playboy

„Runde Lektüre“

queer.de

„Eine erhellende Untersuchung darüber, warum bestimmte Silhouetten in Mode kommen und wieder gehen.“

L.Mag

„Hinter diesem Titel versteckt sich ein großartig unterhaltsames und vor allem überraschend interessantes Werk. Einmal angefangen, kann man es eigentlich nicht mehr aus der Hand legen.“

kultur-und-politik.de

„Alles in allem ein lesenswerter Essay zu einem ›tabuisierten‹ Thema.“

Berner Zeitung

„US-Autorin Heather Radke hat ein hervorragendes Buch über das Hinterteil geschrieben.“

Kurier

„Wie schön, dass nun ein Buch erscheint, das des Menschen eher kompliziert Beziehung zum Gesäß nicht nur sehr umfassend, sondern vor allem sehr klug beleuchtet.“

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