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Schwarzbuch Putin

„Für wirkliche Putin-Versteher und solche, die es werden wollen, ist das ›Schwarzbuch Putin‹ eine unverzichtbare, erhellende Aufklärungslektüre.“ - Die Tagespost

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Schwarzbuch Putin — Inhalt

Am 24. Februar 2022 schickte Wladimir Putin seine Armee gegen die Ukraine in den Krieg und traf damit eine Entscheidung, die das politische und ökonomische Gleichgewicht der ganzen Welt ins Wanken brachte. Der russische Angriffskrieg bringt unzählige menschliche Tragödien und immense materielle Zerstörung mit sich, und er wirft eine zentrale Frage auf: Wer ist Wladimir Putin, dieser Mann, der sich weigert, Lehren aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu ziehen, und der von der Rückkehr zu den Grenzen des Zarenreichs und der Wiedereinsetzung eines Regimes träumt, das sich der totalitären Methoden des Stalinismus bedient?

Wie wurde dieser Mann, der 1952 in Leningrad in einfachen Verhältnissen geboren wurde, ausgebildet? Warum war er schon in jungen Jahren von der „heroischen“ Idee fasziniert, für den KGB zu arbeiten? Welche Tätigkeiten übte er dort vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus? Wie schaffte es dieser bescheidene Oberstleutnant an die Spitze der Macht? Warum entfachte er mehrere mörderische Kriege? Woher kommt seine Obsession für die Eroberung der Ukraine? Und selbst wenn er eines Tages seine Position verlieren sollte, würde sich sein Regime nicht halten?  

Das „Schwarzbuch Putin“ liefert Antworten auf diese und weitere drängende Fragen von den renommiertesten internationalen Expertinnen und Experten für Russland und den Kommunismus.  

Mit exklusiven Beiträgen von Katja Gloger, Claus Leggewie und Karl Schlögel.

€ 26,00 [D], € 26,80 [A]
Erschienen am 26.01.2023
Herausgegeben von: Galia Ackerman, Stéphane Courtois
Übersetzt von: Jens Hagestedt, Ursula Held, Jörn Pinnow, Nadine Püschel, Barbara Sauser, Thomas Stauder, Elisabeth Thielicke
512 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
EAN 978-3-492-07098-0
Download Cover
€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erschienen am 28.03.2024
Herausgegeben von: Galia Ackerman, Stéphane Courtois
Übersetzt von: Jens Hagestedt, Ursula Held, Jörn Pinnow, Nadine Püschel, Barbara Sauser, Thomas Stauder, Elisabeth Thielicke
528 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-32057-3
Download Cover
€ 25,99 [D], € 25,99 [A]
Erschienen am 26.01.2023
Herausgegeben von: Galia Ackerman, Stéphane Courtois
Übersetzt von: Jens Hagestedt, Ursula Held, Jörn Pinnow, Nadine Püschel, Barbara Sauser, Thomas Stauder, Elisabeth Thielicke
512 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60339-3
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Leseprobe zu „Schwarzbuch Putin“

1 Wladimir Putin, ein Homo sovieticus

Galia Ackerman und Stéphane Courtois


Wladimir Putins Auftritt auf der Bühne der Weltgeschichte gehört zu den eigentümlichsten Ereignissen der vergangenen dreißig Jahre. Der kometenhafte Aufstieg des kleinen, so gar nicht charismatischen Mannes wird gerüchteweise auf eine Abstammung aus dem kommunistischen Hochadel zurückgeführt: Einmal heißt es, er sei der Enkel von Stalins Koch[i], dann wieder soll er der Sohn eines heldenhaften Offiziers und Angehörigen der Geheimpolizei NKWD[ii] gewesen sein. Auch wird behauptet, [...]

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1 Wladimir Putin, ein Homo sovieticus

Galia Ackerman und Stéphane Courtois


Wladimir Putins Auftritt auf der Bühne der Weltgeschichte gehört zu den eigentümlichsten Ereignissen der vergangenen dreißig Jahre. Der kometenhafte Aufstieg des kleinen, so gar nicht charismatischen Mannes wird gerüchteweise auf eine Abstammung aus dem kommunistischen Hochadel zurückgeführt: Einmal heißt es, er sei der Enkel von Stalins Koch[i], dann wieder soll er der Sohn eines heldenhaften Offiziers und Angehörigen der Geheimpolizei NKWD[ii] gewesen sein. Auch wird behauptet, er sei aus einer außerehelichen Affäre mit einer russischstämmigen Georgierin namens Vera Putina hervorgegangen, die den Jungen im Alter von zehn Jahren zu seinen Großeltern zurückgebracht habe, bevor er dann von seinen offiziellen Eltern adoptiert worden sei.[iii]

Die Wahrheit ist natürlich profaner. Wladimir Putin wurde 1952 in Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, in sehr einfachen Verhältnissen geboren. Die Familie war zutiefst geprägt durch die 872-tägige deutsche Belagerung Leningrads in den Jahren 1941 bis 1944: Der Vater trug eine Kriegsverletzung davon, die Mutter entkam nur knapp dem Hungertod. Anfangs selbst Prügelknabe der Nachbarjungen, entwickelte sich der Jugendliche zu einem aufsässigen Raufbold. Schließlich begann Putin, an der Leningrader Universität unter Professor Anatoli Sobtschak Jura zu studieren – das heißt, sozialistisches Recht, mit dem man „Volksfeinde“ in den Gulag schicken oder zum Tode verurteilen konnte.

Er war fasziniert von der Macht des KGB und tat alles, um rekrutiert zu werden. Von ganz unten arbeitete er sich hoch und wurde schließlich Offizier, der für die Bekämpfung von Dissidenten in der Region Leningrad zuständig war. Seine Tätigkeit brachte ihm eine Beförderung ein, er absolvierte ein einjähriges Praktikum am Institut Andropow. Trotz einer eher negativen Beurteilung[iv] wechselte Putin anschließend zum Auslandsgeheimdienst und wurde 1985 in der offiziellen Tarnung als Mitarbeiter des örtlichen KGB-Verbindungsoffiziers zur DDR-Staatssicherheit nach Dresden geschickt, wo er in Wirklichkeit andere, weniger verbindende Tätigkeiten ausübte.

Ein Hauptbetätigungsfeld Putins galt der großen Leipziger Industriemesse, die alle zwei Jahre stattfand und als „Schaufenster“ des kommunistischen Lagers diente. Dort tummelten sich Dutzende westlicher Geschäftsleute, die auf lukrative Aufträge hofften, und Putin suchte unter ihnen nach interessanten Zielen zum Abgreifen von Spitzentechnologien. Letzten Endes köderte man die Männer mit den banalsten Methoden: einem Bataillon hübscher Mädchen, das zur Unterhaltung der netten Herren aus der Wirtschaft abgestellt wurde. Am Ende dieses Vergnügens ermöglichten eindeutige Fotos einen „asymmetrischen“ Dialog, sprich sexuelle Erpressung. Putins Geschick im Kompromat, der KGB-Methode zur Erzwingung einer Kooperation, ist berüchtigt.[v] Offenbar versuchte er unter anderem, einen Medizinprofessor aus der Bundesrepublik dazu zu bringen, ihm Informationen zu spurlos zu verabreichenden tödlichen Giften zu liefern, indem er ihn mit kompromittierendem pornografischem Material erpresste.

Im November 1989 verfolgte Putin mit Entsetzen, wie Demonstranten die Berliner Mauer zu Fall brachten und daraufhin innerhalb weniger Wochen die kommunistischen Regimes in fünf der sogenannten Volksdemokratien – DDR, Polen, Tschechoslowakei, Rumänien und Bulgarien[vi] – wie die Dominosteine fielen. Während er noch Stasidokumente verbrannte, damit sie nicht in die Hände der Bürgerrechtler fielen, stand ihm immer deutlicher vor Augen, welch große Gefahr die Macht der öffentlichen Meinung und das Aufkommen friedlicher Massenproteste für eine Diktatur bargen. Von den Ereignissen behielt er eine Angst vor dem Volk und einen zunehmenden Hass auf die Demokratie zurück. Nun musste er in Gorbatschows UdSSR zurückkehren, als diese gerade von einer starken Demokratiebewegung infiziert wurde. Ein weiteres Trauma erlitt er, als im Sommer 1991 ein Putschversuch reaktionärer Kräfte fehlschlug und ein zerstörerischer Konflikt zwischen Gorbatschow – dem ersten und letzten vom Kongress der Volksdeputierten gewählten Präsidenten der UdSSR – und Boris Jelzin – dem in allgemeiner Wahl gewählten Präsidenten der Russischen Föderation – losgetreten wurde. Diese Konfrontation führte innerhalb weniger Monate zur Implosion der UdSSR. Bereits im August 1991 erklärten Estland, Lettland und Litauen ihre Unabhängigkeit. Am 24. August rief der Oberste Sowjet der Ukraine die Unabhängigkeit aus, welche im Dezember 1991 durch ein Referendum bestätigt wurde: Fast 90 Prozent der Wähler, auch im Donbass und auf der Krim, sprachen sich für die Loslösung von der Sowjetunion aus.

Am 8. Dezember 1991 gründeten Jelzin und seine ukrainischen und belarussischen Pendants die „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“, mit der man die UdSSR endgültig begrub und zwölf eigenständige Nachfolgestaaten ins Leben rief: Russland, die Ukraine, Belarus, Moldawien, Armenien, Georgien, Aserbaidschan, Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgistan und Turkmenistan. Am 25. Dezember 1991 um 19 Uhr unterzeichnete Gorbatschow seine Rücktrittserklärung und beendete damit die Existenz der Sowjetunion – des ersten, im November 1917 von Lenin ausgerufenen totalitären Regimes der Geschichte. Eine Stunde später wurde die über dem Kreml wehende rote Flagge mit Hammer und Sichel durch die weiß-blau-rote Flagge Russlands ersetzt, und die Welt dachte, nun werde endlich eine demokratische Ära eingeläutet.

Die Realität sah ganz anders aus. Anders auch im Vergleich zu Nazideutschland, das 1945 militärisch besiegt und nach seiner bedingungslosen Kapitulation in verschiedene Besatzungszonen aufgeteilt worden war; die Nazielite war entweder im Laufe des Krieges verschwunden, zum Tode oder zu Gefängnisstrafen verurteilt oder gesellschaftlich degradiert worden. Die Nürnberger Prozesse hatten die rassistische Ideologie des Naziregimes, seine Führer und ihre Verbrechen vor der Welt gebrandmarkt. Die USA, Großbritannien und Frankreich führten in ihren Besatzungszonen demokratische Standards ein und stellten sich den Sowjets entgegen, als diese 1948 die Berlin-Blockade als Druckmittel einsetzten. Die Westalliierten organisierten in einem gewaltigen Kraftakt eine Luftbrücke, mit der ihre Garnisonen und die Berliner Zivilbevölkerung mit dem Nötigsten versorgt werden konnten. So zwangen sie Stalin innerhalb eines Jahres zum Nachgeben.

Derlei sucht man im postsowjetischen Russland vergebens. Das System kollabierte ohne äußeres Zutun, da die kommunistische Planwirtschaft in einem gewaltigen Konkurs an die Wand fuhr. Die Funktionärswelt hatte nichts als Stagnation und Gerontokratie befördert. Gehalten hatte sich das System ohnehin nur durch mehr oder weniger intensiven Terror, dem Gorbatschow – und das ist sein großes Verdienst – ein Ende setzte. Eine wirkliche Entsowjetisierung fand unter seinem Nachfolger Jelzin nicht statt, die sowjetische Mentalität verschwand nicht einfach wie durch Zauberhand. Bezeichnenderweise griff die neue russische Hymne auf die unter Stalin geltende zurück, wenn auch mit verändertem Text. Gorbatschow und Jelzin unterstützten scheinbar die freie Meinungsäußerung, es gelang ihnen jedoch nicht, demokratische Institutionen und einen Rechtsstaat aufzubauen. Viele Institutionen wechselten lediglich ihre Etiketten, rasch übernahm Jelzins Präsidentschaft die geheime und undurchsichtige Arbeitsweise des ehemaligen Politbüros der KPdSU. Vor allem aber blieb das Personal des ehemaligen totalitären Regimes im Amt, auch wenn der KGB in den Inlandsgeheimdienst FSB und den Auslandsgeheimdient SWR umgewandelt wurde.[vii]

Der Zusammenbruch der kommunistischen Ideologie rehabilitierte auf einen Schlag das Privateigentum und damit die Möglichkeit für nahezu unendliche persönliche Bereicherung. Es kam zu einem regelrechten „Goldrausch“ und einer umfassenden Plünderung der Reichtümer des Landes durch eine Handvoll Eingeweihter unter den Funktionären des Komsomol (der kommunistischen Jugendorganisation) und der KPdSU. So entstand ein wilder „Kapitalismus“, beherrscht von Ex-Bürokraten, die ihre Machtposition ausnutzten, um sich die besten Stücke zu sichern, und zugleich von einem entfesselten Banditentum, das ein Klima der Anarchie schuf und die Kultur der „Diebe im Gesetz“, also das „Recht“ der Kriminellen stärkte. Den Bolschewiki, den Berufsrevolutionären, die sich mit einer laut Lenin fast „militärischen Disziplin“ dem „demokratischen Zentralismus“ verschrieben und eine Apparatschiksprache pflegten, hatte die Kaste der „Diebe im Gesetz“ schon lange ihren eigenen Slang und ihre eigene Hierarchie entgegengesetzt: Die von einem aus der Gruppe ernannten Paten dominierte Mafia folgte einem Ehrenkodex, der jegliche Illoyalität mit dem Tod bestrafte (vgl. auch Kapitel 6, „Putins Jargon“).

Schon 1869 hatte Lenins Vorbild Sergei Netschajew in seinem Katechismus eines Revolutionärs erklärt: „Wir müssen uns mit den abenteuerlustigen Stämmen von Briganten verbünden, die die einzig wahren Revolutionäre Russlands sind.“

Und weiter heißt es in seiner Schrift:

„Der Revolutionär ist ein vom Schicksal verurteilter Mensch. Er hat keine persönlichen Interessen, keine geschäftlichen Beziehungen, keine Gefühle, keine seelischen Bindungen, keinen Besitz und keinen Namen. Alles an ihm wird von dem einzigen Gedanken an die Revolution und von der einzigen Leidenschaft für sie völlig in Anspruch genommen. Der Revolutionär weiß, dass er in der Tiefe seines Wesens, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten, alle Bande zerrissen hat, die ihn an die gesellschaftliche Ordnung und die zivilisierte Welt mit allen ihren Gesetzen, ihren moralischen Auffassungen und Gewohnheiten und mit allen ihren allgemein anerkannten Konventionen fesseln. Er ist ihr unversöhnlicher Feind, und wenn er weiterhin mit ihnen zusammenlebt, so nur deshalb, um sie schneller zu vernichten.“[viii]

Ebenso schworen die „Diebe im Gesetz“, diese Elite der sowjetischen Unterwelt, ihrer Gemeinschaft absolute Treue, indem sie sich als für die Außenwelt „tot“ erklärten.[ix] Bei den einen wie bei den anderen wurden allein Stärke, Gewalt, Unerbittlichkeit und Arglist respektiert. Felix Dserschinski, Gründer und Chef der 1917 entstandenen Tscheka – dem bewaffneten Arm der Bolschewiki, aus dem GPU, NKWD und schließlich KGB wurden –, wiederholte am 31. Mai 1918 noch einmal eine grundlegende Direktive dieser gigantischen Terrororganisation: „Es gibt nichts Wirksameres als eine Kugel, um jemanden zum Schweigen zu bringen.“[x]

Schon im Gulag, wo die Strafgefangenen oft selbst für die Durchsetzung der sowjetischen Ordnung zuständig waren, kam es zu einer Vermischung der beiden Machtpole, und letzten Endes führte die gemeinsame Gewaltkultur zu einer Kriminalisierung der Gesellschaft: Zwischen 1960 und 1991 wurden in der UdSSR 35 Millionen Strafurteile gefällt, einer von vier Sowjetbürgern hatte eine Haftstrafe verbüßt. Die Mentalität und der Jargon der Unterwelt hatten die Gesellschaft derart infiltriert, dass Alexander Solschenizyn in seinem Archipel Gulag die Frage stellte: „Wer hat wen umerzogen? Die Tschekisten die Unterweltler? Oder die Unterweltler die Tschekisten?“

Vor allem aber gab es Millionen unschuldiger Opfer, die bei großen geheimen Terroraktionen ums Leben kamen: der „Entkosakisierung“ im Jahr 1919, bei der etwa 300 000 Menschen vor allem in der Ukraine ermordet wurden; der „Entkulakisierung“ von 1929 bis 1933, bei der vier Millionen ukrainische Bauern (Männer, Frauen und Kinder) während der von Stalin 1932/33 organisierten, als Holodomor bezeichneten Hungersnot starben; dem Großen Terror von 1937/38, bei dem 700 000 Menschen durch Kopfschuss hingerichtet und weitere 700 000 in den Gulag verschleppt wurden; dann den ungeheuren Massakern und Verschleppungen, die in den 1939/40 eroberten Ländern – in Ostpolen, den baltischen Staaten und Bessarabien – durchgeführt wurden; den Deportationen von sowjetischen Volksgruppen – Wolgadeutsche, Tschetschenen und andere Völker des Nordkaukasus, Krimtataren –, die der „Kollaboration“ zu Kriegszeiten beschuldigt wurden; den Säuberungen, Hinrichtungen, Verschleppungen von 1944 bis 1953 in allen mittel- und osteuropäischen Staaten, die ironischerweise als „Volksdemokratien“ bezeichnet wurden.

In dieser von absoluter Willkür, völliger Straffreiheit und offener, an Sadismus grenzender Gewalt geprägten Gesellschaft war der kleine Wladimir Putin aufgewachsen und hatte schon früh deren „Werte“ und Codes übernommen. Und vergessen wir nicht: Der „totale Krieg“, den Hitler zwischen Juni 1941 und dem Sommer 1944 gegen die UdSSR und ihre Bevölkerung führte, hatte den Tod von zwölf Millionen Soldaten und fünfzehn Millionen Zivilisten gefordert.

Dem Zerfall der UdSSR folgte keinerlei Entkommunisierung. Weder Mitglieder der Kommunistischen Partei noch Angehörige des KGB wurden vor ein den Nürnberger Prozessen vergleichbares Tribunal gestellt, das die unzähligen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozide öffentlich abgeurteilt hätte. Mit Ausnahme einer kleinen demokratischen Minderheit aus dem Umfeld der Dissidentenbewegung, die bestrebt war, einen Rechtsstaat zu errichten, erinnerte die Mentalität der neuen postsowjetischen Eliten sehr an jene der alten kommunistischen Nomenklatura, aber eben auch an jene der kriminellen Mafia: Sie war geprägt durch Unmoral, Verachtung für das Volk, Missachtung des Rechts, Unterwürfigkeit gegenüber dem Kreml, tödlichen Auseinandersetzungen mit Konkurrenten, der mitleidlosen Vernichtung von Unterlegenen und Schwachen und dem besessenen Streben nach Reichtum.

Die Gesellschaften in Mittel- und Osteuropa durchliefen einen Prozess der „Lustration“, durch den Personen, die besonders eng mit dem früheren totalitären Regime verbunden gewesen waren, aus öffentlichen Ämtern entfernt wurden – in Moskau dagegen endete die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Kommunismus mit der 1992 verkündeten Legalisierung der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation. Zwar wurde anerkannt, dass sich die Führung des Zentralkomitees der KPdSU und die Führung des sowjetischen Staates der Verbrechen des Stalinismus schuldig gemacht hatten, doch sollte dies weder für die Basis- und Primärorganisationen der Partei, die nicht an diesen Verbrechen beteiligt gewesen waren, noch für die 1990 gegründete Kommunistische Partei der Russischen Föderation gelten. Die Hoffnung auf ein Tribunal wie in Nürnberg, das über die Verbrechen des Kommunismus befinden würde, wurde endgültig begraben.[xi] Trotz einer Neuorganisation blieben die Sicherheitsstrukturen der ehemaligen UdSSR bestehen, und das oftmals mit denselben Verantwortlichen. Sie umfassen die Polizei (Miliz), Sondereinsatzkräfte (Speznas), die aus dem KGB hervorgegangenen Dienste FSB und SVR (Ersterer zur Gegenspionage, Grenzüberwachung und Bekämpfung von Terrorismus, organisiertem Verbrechen und Korruption, Letzterer zur Auslandsspionage), die Armee und deren Nachrichtendienst GRU sowie die Staatsanwaltschaft.

Diese bewaffneten Kräfte aus Geheimdienst und Militär, die sogenannten Silowiki, hatten nie aufgehört, dem Kreml zu Diensten zu sein. Anders als in der Sowjetzeit aber – und in der Absicht, das Land auszuplündern – schlossen sie sich mit den Großkriminellen zusammen, die sie eigentlich bekämpfen sollten. Und wie in der bolschewistischen Partei – aber auch wie in jeder Mafia – bestand das entscheidende Kriterium für das Funktionieren ihres Systems in der absoluten Loyalität gegenüber dem Anführer. Diese Loyalität stellte man am deutlichsten durch einen Blutpakt unter Beweis – die Beteiligung an einem – symbolischen oder tatsächlichen – Mord.[xii]

In dieser unbeständigen Lage eskalierten die Clankämpfe zwischen Präsident Jelzin und den das neue Parlament beherrschenden Kommunisten des Obersten Sowjets. Kommunisten und Ex-Kommunisten kämpften in einem Klima des latenten Bürgerkriegs um die Macht. Am 21. September 1993 schlug Jelzin eine Verfassungsreform vor, die der Auflösung des Volksdeputiertenkongresses und des Obersten Sowjets der Russischen Föderation gleichkam. Dies löste einen bewaffneten Aufstand von Teilen des Parlaments aus, der am 4. Oktober mit Waffengewalt niedergeschlagen wurde. Es gab 146 Tote und zahllose Verwundete.[xiii]

Im folgenden Jahr, am 11. Dezember 1994, brach Jelzin mit dem Ziel des Machterhalts einen Krieg gegen die kleine autonome Republik Tschetschenien los. Das Land hatte 1991 seine Unabhängigkeit erklärt und verweigerte den Anschluss an Russland. Jelzin verkündete, die Separatisten seien „tollwütige Hunde“, die man erschießen müsse – eine Anlehnung an Stalins Ausspruch aus den 1930er-Jahren, als dieser gegen die ebenso als „tollwütige Hunde“ bezeichneten Trotzkisten vorging. Jelzin nahm an, die tschetschenische Hauptstadt Grosny könne innerhalb von zwei Stunden von Fallschirmjägern eingenommen werden – eine düstere Vorwegnahme der Fehleinschätzung beim Angriff auf die Ukraine 2022. Die Tschetschenen leisteten jedoch erbitterten Widerstand, sodass sich Russland am 31. August 1996 gezwungen sah, ein Waffenstillstandsabkommen zu unterzeichnen und die Autonomie Tschetscheniens anzuerkennen – bis dahin waren auf beiden Seiten knapp 100 000 tote Zivilisten und Soldaten zu beklagen.[xiv]

In diesem katastrophalen Umfeld musste sich der aus der DDR zurückgekehrte Wladimir Putin erst einmal zurechtfinden. Niedergeschmettert bezeugte er den Zusammenbruch einer Weltsicht, die von der Idee der sowjetischen Supermacht und ihrer „strahlenden Zukunft“ beherrscht gewesen war. Wieder gab ihm der KGB Halt. Als Oberstleutnant trat Putin in die Leningrader KGB-Führung ein und wurde zudem Berater für internationale Angelegenheiten seines ehemaligen Professors Anatoli Sobtschak, der dem Leningrader Sowjet vorstand. Als dieser 1991 zum Bürgermeister der Stadt Sankt Petersburg gewählt wurde, beförderte er seinen treuen Berater zum Vorsitzenden des städtischen Ausschusses für auswärtige Beziehungen.

Putin war loyal, diskret und zu allem bereit. Ganz Opportunist, verließ er den KGB und trat aus der Partei aus. Im allgemeinen Chaos machte er sich unentbehrlich und wurde zu Sobtschaks grauer Eminenz – am Ende setzte ihn dieser sogar als stellvertretenden Bürgermeister ein. Leningrad war damals die Hauptstadt des organisierten Verbrechens, eine Art russisches Chicago der 1930er-Jahre, und Sobtschak ein durch und durch korrupter Mann. Putin, der sowohl als Jurist wie auch als ehemaliger KGBler mit seinem Schutz betraut war, unterhielt Verbindungen zur örtlichen Mafia, die den Ostseehafen kontrollierte, und zugleich zu staatlichen Stellen – insbesondere zum FSB – und zu Partnern in Deutschland. Er nutzte diese Kontakte, um die Bank Rossija unter seine Kontrolle zu bringen, bei der Parteigelder der KPdSU geparkt waren.[xv] Putin setzte ein Modell der organisierten Korruption ein, das sich aus Schutzgelderpressungen und Geldwäsche speiste – Geld, das aus kriminellen Aktivitäten wie Drogenhandel, Prostitution und Schmuggel stammte. Er sammelte einen Clan aus Ergebenen um sich und fand immer mehr Gefallen an der Macht – dies zeigt auch ein ihm zu Ehren gedrehter Film aus dem Jahr 1992 mit dem Titel Macht. Dabei handelte es sich um eine verborgene, willkürliche und äußerst einträgliche Macht. Damals war Putin gerade 39 Jahre alt.[xvi]


Anmerkungen

[i] Putins Großvater Spiridon war ein ehemaliger Bauer, der sich als Koch verdingte. Er soll im in der Oblast Moskau gelegenen Gorki gearbeitet haben und dort zusammen mit anderen Küchenangestellten nach dessen Tod Lenins Familie versorgt haben. Bei Stalin war er jedoch nie beschäftigt.

[ii] Dies erklärt Putin in einem wenig kritischen Buch mit Interviews, die er drei russischen Journalisten gewährte. Die deutsche Ausgabe erschien im Jahr 2000 unter dem Titel Aus erster Hand: Gespräche mit Putin bei Heyne, München.

[iii] Vgl. „Die Phantome des Wladimir Putin“, veridik.fr/2022/03/01/les-fantomes-de-vladimir-poutine/.
Ein angesehener UdSSR-Experte der 1980er-Jahre ging sogar so weit, Putin als Adoptivsohn von Juri Andropow anzusehen, der KGB-Chef und später noch Staatschef der Sowjetunion war: Alexandre Adler, Interview mit dem RTBF vom 3. März 2022.

[iv] Laut dem ehemaligen KGB-Agenten Sergej Jirnow wurde Putin am Institut Andropow, der Kaderschmiede für Sowjetspione, für ungeeignet befunden. Siehe Sergej Jirnow, „À l’Institut Andropov, on avait déclaré Vladimir Poutine inapte“ (lefigaro.fr).

[v] Siehe hierzu Stéphane Courtois, „Poutine, kompromat et chantage sexuel“, Desk Russie, Nr. 18, März 2022.

[vi] In Ungarn kam es bereits ab Ende 1988 zu einem demokratischen Umbruch.

[vii] Siehe insbesondere Jewgenija Albaz, La Bombe à retardement. Enquête sur la survie du KGB, Paris, Plon 1995.

[viii] Katechismus eines Revolutionärs, zitiert in: Robert Payne, Lenin. Sein Leben und sein Tod, Rütten & Loening, München 1965, S. 17 – 20.

[ix] Чемклянутся воры в законе | Media news (maxpark.com).

[x] Zitiert von Nicolas Werth, in: Stéphane Courtois, Nicolas Werth u. a., Schwarzbuch des Kommunismus, München, Piper 1998, S. 82.

[xi] Wladimir Bukowski, Abrechnung mit Moskau. Das sowjetische Unrechtsregime und die Schuld des Westens, Bergisch Gladbach, Lübbe 1996.

[xii] Alexander Litwinenko, LPG: Lubianskaia Prestupnaia Gruppirovka: Ofitser FSB Daet Pokazaniia, Moskau, Grani 2002.

[xiii] „Who Was Who? The Key Players In Russia’s Dramatic October 1993 Showdown“ (turbopages.org).

[xiv] Перваячеченская война (frwiki.wiki).

[xv] Россия(банк) – Википедия (wikipedia.org).

[xvi] „All Putin’s Men: Secret Records Reveal Money Network Tied to Russian Leader – ICIJ“ (turbopages.org).
Zu den undurchsichtigen Geldgeschäften Putins in Sankt Petersburg siehe auch: ТЕМНОЕ ПРОШЛОЕ ПУТИНА (livejournal.com).

Pressestimmen
Die Tagespost

„Für wirkliche Putin-Versteher und solche, die es werden wollen, ist das ›Schwarzbuch Putin‹ eine unverzichtbare, erhellende Aufklärungslektüre.“

Frankfurter Neue Presse

„›Schwarzbuch‹ gehört zu jenen Büchern, die nicht nur jeder deutsche Politiker gelesen haben sollte, sondern auch jeder Bürger, der nicht auf Demagogen, Falschmünzer, Lügen und Hetz-Propaganda jeder Art hereinfallen will.“

die tageszeitung

„Äußerst aufschlussreich ist ein Rückblick auf die Geschichte des Geheimdienstes nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.“

culturmag.de

„Die Bandbreite der hier diskutierten und analysierten Themen ist enorm, die Faszination bei der Lektüre bestechend – weil immer wieder überraschende Aspekte angesprochen und erläutert werden.“

Straubinger Tagblatt

„Das Bild des anfangs gemäßigten, der Demokratie zugeneigten Putin, der sich erst später vom Westen entfernt habe, wird mit diesem Buch schonungslos entlarvt […].“

Sächsische Zeitung

„Das ›Schwarzbuch Putin‹ ist sehr zu empfehlen. So gut wird man kaum anderswo bedient.“

Süddeutsche Zeitung

„Die einzeln zu lesenden Artikel sind fesselnde Lektüre.“

Handelsblatt

„Lesenswert sind vor allem die Schlüsse, die die Herausgeber aus dem Gesamtbild der Beiträge der einzelnen Autorinnen und Autoren ziehen und in denen sie den Finger in die Wunde westlicher Russlandpolitik legen.“

Radio SRF2 „Kultur Aktuell“

„Das ›Schwarzbuch Putin‹ der Russlandexperten Galia Ackerman und Stéphane Courtois liest sich wie das Drehbuch zu einer weltpolitischen Katastrophe mit Ansage.“

rbb Kultur „Der Morgen“

„Wer einen soliden Überblick über gut 20 Jahre Putin-Herrschaft finden will (…), der wird hier sicher fündig.“

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