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Meine Familie und andere Tiere

Gerald Durrell
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Roman

„Ein schwarzhumoriges und geistreiches Lesevergnügen.“ - LandLust

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Meine Familie und andere Tiere — Inhalt

„Auf Korfu zu leben, war ein bisschen so, als wäre man in eine dieser opulenten, komischen Opern geraten.“

Man schreibt das Jahr 1935. Die Durrells sind das britische Klima leid. Was also läge näher, als auszuwandern? So kehrt der zehnjährige Gerry gemeinsam mit seinen drei Geschwistern und seiner Mutter Louisa England den Rücken – und betritt eine zauberhafte Welt, die für die ganze Familie prägend sein wird: die griechische Insel Korfu.
In seinen literarischen Erinnerungen erzählt Gerald Durrell, wie sich sein Blick für die Natur öffnete. Und macht dabei so geistreiche wie witzige Beobachtungen über Mensch und Tier. Über die eigensinnigen Einheimischen, die herrlichen Marotten seiner Familie und die tierischen Gäste in ihrem Haus.

„Ein schwarzhumoriges und geistreiches Lesevergnügen.“ LandLust

„So unglaublich komisch und feingeistig. Ich liebe dieses Buch. Mundwinkel-nach-oben-Garantie. Zu hundert Prozent!“ Bayern 1, "Ulla Müllers Buchtipps

€ 15,00 [D], € 15,50 [A]
Erschienen am 01.06.2023
Übersetzt von: Andree Hesse
400 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-31480-0
Download Cover
€ 12,99 [D], € 12,99 [A]
Erschienen am 02.11.2018
Übersetzt von: Andree Hesse
400 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99260-2
Download Cover

Leseprobe zu „Meine Familie und andere Tiere“

Die Verteidigungsrede

Na und, manchmal habe ich schon vor dem Frühstück an bestimmt sechs unmögliche Dinge geglaubt.

Die weiße Königin – Alice hinter den Spiegeln


Dies ist die Geschichte unseres fünfjährigen Aufenthalts auf der griechischen Insel Korfu. Ursprünglich schwebte mir eine leicht nostalgische Abhandlung über die Naturgeschichte der Insel vor, doch leider beging ich schon auf den ersten Seiten den groben Fehler, meine Familie einzuführen. Nachdem sie erst einmal auf dem Papier war, machte sie sich dort breit und lud im Verlauf der Kapitel auch [...]

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Die Verteidigungsrede

Na und, manchmal habe ich schon vor dem Frühstück an bestimmt sechs unmögliche Dinge geglaubt.

Die weiße Königin – Alice hinter den Spiegeln


Dies ist die Geschichte unseres fünfjährigen Aufenthalts auf der griechischen Insel Korfu. Ursprünglich schwebte mir eine leicht nostalgische Abhandlung über die Naturgeschichte der Insel vor, doch leider beging ich schon auf den ersten Seiten den groben Fehler, meine Familie einzuführen. Nachdem sie erst einmal auf dem Papier war, machte sie sich dort breit und lud im Verlauf der Kapitel auch noch einige Freunde ein. Nur unter größter Anstrengung gelang es mir, hier und da ein paar Seiten zu retten, die ich ausschließlich der Tierwelt widmen konnte.

Ich habe auf den folgenden Seiten versucht, ohne Übertreibung ein genaues Bild meiner Familie zu zeichnen: Sie werden sie so kennenlernen, wie ich sie sah. Um jedoch ein paar ihrer seltsameren Eigenarten zu erklären, sollte ich anmerken, dass wir zu unserer Zeit auf Korfu alle noch recht jung waren: Larry war damals dreiundzwanzig, Leslie war neunzehn, Margo achtzehn, und ich, der Jüngste, befand mich im zarten und empfänglichen Alter von zehn Jahren. Über das Alter meiner Mutter herrschte immer Unklarheit, was ganz einfach daran liegt, dass sie sich an ihr Geburtsdatum partout nicht erinnern kann. Deshalb möchte ich dazu nur sagen, dass sie alt genug war, um vier Kinder zu haben. Meine Mutter besteht außerdem auf dem Hinweis, dass sie schon damals Witwe war, denn, wie sie sehr scharfsinnig beobachtet hat, man kann nie wissen, was die Leute denken.

Da die Beschreibung aller Erlebnisse und Beobachtungen dieser fünf wunderbaren Jahre jeden Rahmen gesprengt hätte, sah ich mich gezwungen, eine Auswahl zu treffen, zu kürzen, zu straffen und auf eine Weise in die Ereignisse einzugreifen, die vom tatsächlichen zeitlichen Ablauf nicht mehr viel übrig gelassen hat. Außerdem musste ich viele Begebenheiten und Begegnungen weglassen, von denen ich gerne erzählt hätte.

Dieses Buch wäre ohne die Hilfe und die Ermutigung einiger Menschen wahrscheinlich nie geschrieben worden. Ich erwähne das, damit man sich an der richtigen Stelle beschweren kann. Meine Dankbarkeit gilt daher:

Dr. Theodore Stephanides, der mir mit der ihm typischen Großzügigkeit erlaubte, Material aus seinem unveröffentlichten Werk über Korfu zu benutzen. Nebenbei versorgte er mich mit einer Reihe grauenhafter Wortspiele und Anekdoten, von denen ich ein paar verwendet habe.

Meiner Familie, die mir unbewusst eine Menge Stoff für das Buch lieferte. Außerdem kriegten wir uns über jedes Ereignis, zu dem ich sie befragte, heftig in die Haare und waren selten einer Meinung – was mir enorm beim Schreiben half.

Meiner Frau, die mir eine Freude bereitete, als sie bei der Lektüre des Manuskripts in schallendes Gelächter ausbrach, nur um mir hinterher mitzuteilen, dass es meine Rechtschreibung war, die sie amüsiert hatte.

Sophie, meiner Sekretärin, die für die Einführung der Zeichensetzung und die unbarmherzige Anwendung der korrekten Grammatik verantwortlich war.

Besondere Anerkennung muss ich meiner Mutter zollen, der dieses Buch gewidmet ist. Wie ein sanfter, neugieriger und verständnisvoller Noah hat sie ihre Arche mitsamt ihrer merkwürdigen Brut dank außerordentlicher Geschicklichkeit durch die stürmischen Meere des Lebens gelenkt, ständig im Angesicht einer möglichen Meuterei, stets bedroht von gefährlichen finanziellen Untiefen, niemals sicher, ob ihre Navigation Zustimmung bei der Crew findet, aber immer in der Gewissheit, dass man ihr für alles, was falsch läuft, die Schuld geben würde. Dass sie die Reise überlebte, ist ein Wunder, zumal sie dabei auch noch einen mehr oder weniger klaren Verstand bewahrte. Wie mein Bruder Larry völlig zu Recht anmerkt, können wir stolz darauf sein, wie wir sie großgezogen haben: Sie macht uns alle Ehre. Mittlerweile hat sie den Zustand des glückseligen Nirwanas erreicht, in dem sie nichts mehr erschüttert oder überrascht. Das durfte ich erst neulich wieder erleben, als sie an einem Wochenende in die Verlegenheit geriet, ganz allein zu Hause, unerwartet eine Reihe von Kisten entgegenzunehmen, die zwei Pelikane, einen Ibis, einen Geier sowie acht Affen enthielten. Eine normale Sterbliche hätte angesichts einer solch unvorhergesehenen Aufgabe verzagt, doch nicht unsere Mutter. Am Montagmorgen entdeckte ich sie in der Garage, verfolgt von einem zornigen Pelikan, den sie mit Sardinen aus der Dose füttern wollte.

„Ich bin froh, dass du kommst, Schatz“, keuchte sie, „mit diesem Pelikan wird man nicht so leicht fertig.“

Als ich sie fragte, woher sie überhaupt gewusst habe, dass die Tiere mir gehörten, entgegnete sie: „Aber natürlich wusste ich, dass es deine sind, Schatz. Wer sonst würde mir Pelikane schicken?“

Was beweist, wie gut sie wenigstens ein Mitglied ihrer Familie kennt.

Zum Schluss möchte ich noch betonen, dass alle Anekdoten über die Insel und ihre Bewohner absolut wahr sind. Auf Korfu zu leben war ein bisschen so, als wäre man in eine dieser opulenten, komischen Opern geraten. Unsere damalige Seekarte, die sehr detailliert die Insel und die gegenüberliegende Küste darstellte, brachte die Atmosphäre und den Charme der Gegend bestens auf den Punkt. Am unteren Rand stand in einem kleinen Kasten:

ACHTUNG: Da die Seezeichen häufig nicht in Position sind, werden Seeleute angehalten, diese Küstengewässer nur mit äußerster Vorsicht zu befahren.

 

Teil eins

Verrückt zu sein ist sicherlich

eine Freude, die außer dem Verrückten niemand kennt.

John Dryden, Der spanische Mönch


Die Auswanderung

Der Juli war wie eine Kerze von einem beißenden Wind ausgeblasen worden, der einen bleiernen Augusthimmel mit sich brachte. Ein schneidender, stechender Sprühregen setzte ein und blähte sich in den Böen zu dunkelgrauen Schwaden auf. Die Strandhütten entlang der Küste von Bournemouth wandelten sich zu tristen Holzfassaden vor einem grünlich grauen, schäumenden Meer, das unbändig über die Betonwälle des Ufers klatschte. Die Möwen waren landeinwärts über die Stadt getrieben worden, sie segelten nun mit ausgebreiteten Flügeln über die Häuser und kreischten gereizt. Ein Wetter wie dafür geschaffen, jedermanns Geduld auf die Probe zu stellen.

Als Gruppe betrachtet, bot meine Familie an diesem Nachmittag keinen besonders einnehmenden Anblick, denn das Wetter hatte die übliche Auswahl an Krankheiten mit sich gebracht, für die wir anfällig waren. Ich, der ich auf dem Boden lag und meine Muschelsammlung beschriftete, hatte einen Schnupfen bekommen. Er breitete sich in meinem Schädel aus wie Beton, und ich konnte nur noch röchelnd durch den Mund atmen. Mein Bruder Leslie, der vor dem Kamin kauerte und finster ins Feuer starrte, hatte sich eine Mittelohrentzündung eingefangen, sodass beide Ohren leicht bluteten. Meine Schwester Margo litt unter frischen Aknepusteln auf ihrem sowieso schon mit roten Flecken übersäten Gesicht. Bei meiner Mutter war es eine schwere Erkältung und als Krönung ein Rheumaschub. Nur mein ältester Bruder Larry war verschont geblieben, allerdings brachte ihn unsere versammelte Schwäche auf die Palme.

Es war natürlich Larry, der alles lostrat. Der Rest von uns war zu apathisch, um an etwas anderes als die eigene Krankheit zu denken. Larry war jedoch vom Schicksal dazu auserkoren, wie ein kleines, blondes Feuerwerk durchs Leben zu springen und Ideen in den Köpfen anderer Leute explodieren zu lassen, nur um sich dann mit katzenhafter Theatralik zusammenzurollen und zu weigern, die Verantwortung für die Konsequenzen zu übernehmen. Im Laufe des Nachmittags war er immer gereizter geworden. Irgendwann, nach einem mürrischen Blick in die Runde, fiel er über Mutter her, als könnte nur sie der Grund für seine Verstimmung sein.

„Warum müssen wir dieses Scheißklima ertragen?“, fragte er plötzlich und deutete auf das vom Regen verschleierte Fenster. „Guck dir das an! Und guck uns mal an … Margo ist aufgedunsen wie ein roter Pudding … Leslie rennt mit tausend Wattebäuschchen in den Ohren rum … Gerry hört sich an, als wäre er mit einer Hasenscharte geboren … Und du: Du siehst von Tag zu Tag klappriger und fertiger aus.“

Mutter spähte über den Rand eines dicken Buches mit dem Titel Einfache Rezepte aus Rajasthan.

„Also bitte“, sagte sie empört.

„Doch“, beharrte Larry. „Du hast schon Ähnlichkeit mit einem irischen Waschweib … und deine Kinder sehen aus wie die Illustrationen in einem Medizinlexikon.“

Dem konnte Mutter spontan nichts entgegenhalten, also ließ sie es bei einem bösen Blick bewenden, ehe sie sich wieder hinter ihr Buch zurückzog.

„Was wir brauchen, ist Sonnenschein“, fuhr Larry fort. „Stimmt doch, Les, oder? Les … Les!“

Leslie fummelte Unmengen an Watte aus seinem Ohr.

„Was hast du gesagt?“

„Siehst du!“, sagte Larry und wandte sich triumphierend an Mutter. „Es ist schon ein Ding der Unmöglichkeit geworden, ein Gespräch mit ihm zu führen. Wo kommen wir denn da hin! Der eine Bruder kann nicht hören, was man sagt, und den anderen versteht man nicht mehr. Es wird wirklich Zeit, etwas zu unternehmen. Keiner kann von mir verlangen, dass ich in dieser eukalyptusgeschwängerten Krankenhausatmosphäre unvergessliche Literatur schaffe.“

„Ja, Schatz“, sagte Mutter ausweichend.

„Was wir alle brauchen“, sagte Larry und kam wieder in Fahrt, „ist Sonnenschein … ein Land, in dem wir wachsen und gedeihen können!“

„Ja, Schatz, das wäre schön“, stimmte Mutter zu, ohne richtig zuzuhören.

„Heute Morgen habe ich einen Brief von George bekommen – er meint, dass Korfu herrlich sei. Warum packen wir nicht alles zusammen und gehen nach Griechenland?“

„Na schön, Schatz, wenn du meinst“, sagte Mutter unüberlegt. Was Larry betraf, war sie eigentlich sehr darauf bedacht, sich nicht festzulegen.

„Wann?“, fragte Larry, ziemlich überrascht von dieser Offenheit.

Als Mutter merkte, dass sie einen taktischen Fehler begangen hatte, senkte sie vorsichtig die Einfachen Rezepte aus Rajasthan.

„Ich denke, es wäre am vernünftigsten, wenn du erst mal allein fahren und alles arrangieren würdest. Dann kannst du mir schreiben, und wenn alles in Ordnung ist, kommen wir nach“, sagte sie gerissen.

Larry schenkte ihr einen vernichtenden Blick.

„Das hast du schon gesagt, als ich Spanien vorgeschlagen habe“, erinnerte er sie. „Und dann habe ich zwei endlose Monate in Sevilla gesessen und auf euch gewartet, während du mir nur ellenlange Briefe über sanitäre Anlagen und Trinkwasser geschrieben hast, als wäre ich ein Angestellter der Stadtverwaltung. Nein, wenn wir nach Griechenland gehen, dann alle zusammen.“

„Jetzt übertreibst du aber, Larry“, sagte Mutter wehleidig. „Außerdem kann ich hier nicht so einfach weg. Ich muss erst einmal überlegen, was ich mit dem Haus mache.“

„Überlegen? Was denn überlegen? Verkauf es.“

„Das kann ich nicht tun, Schatz“, sagte Mutter schockiert.

„Warum nicht?“

„Ich habe es doch gerade erst gekauft.“

„Dann verkaufe es, solange es noch in Schuss ist.“

„Das ist doch lächerlich, Schatz“, sagte Mutter bestimmt. „Das kommt gar nicht infrage. Es wäre verrückt.“

Und so verkauften wir das Haus und entflohen wie eine Schar Zugvögel der Tristesse des englischen Sommers.

 

Wir reisten mit leichtem Gepäck, jeder nahm nur mit, was er oder sie für lebensnotwendig hielt. Als wir unsere Koffer beim Zoll öffnen mussten, offenbarte ihr jeweiliger Inhalt deutlich die verschiedenen Charaktere und Interessen. Margos Gepäck enthielt eine Vielzahl an durchsichtigen Kleidern, drei Bücher übers Abnehmen sowie eine Batterie kleiner Fläschchen mit verschiedenen Aknelotionen. In Leslies Koffer befanden sich ein paar Rollkragenpullover und eine Hose, die um zwei Revolver, eine Luftpistole, ein Buch mit dem Titel Büchsenmachen für Anfänger sowie eine große, tropfende Ölkanne gewickelt waren. Larry hatte zwei Kisten mit Büchern und eine Aktentasche mit seiner Kleidung dabei. Mutters Gepäck war fein säuberlich unterteilt in Kleidung und verschiedene Koch- und Gartenbücher. Ich packte lediglich die Dinge ein, die ich für erforderlich hielt, um die Langeweile einer langen Reise zu ertragen: vier Bücher über Naturgeschichte, ein Schmetterlingsnetz, ein Hund und ein Marmeladenglas voller Raupen, die bedrohlich kurz vor der Verpuppung standen. Und so, nach unseren Maßstäben vollständig ausgerüstet, verließen wir die feuchtkalten Gestade Englands.

Wir durchquerten das vom Regen gepeitschte und trübsinnige Frankreich, die wie ein Weihnachtskuchen anmutende Schweiz und schließlich das überschwängliche, laute und übel riechende Italien. Verworrene Erinnerungen waren das Einzige, was wir von unterwegs mitnahmen. Im Abendlicht tuckerte das winzige Schiff vom Stiefelabsatz Italiens aufs Meer hinaus, und während wir in unseren stickigen Kabinen schliefen, passierten wir irgendwo auf dieser mondhellen Wasserfläche eine unsichtbare Grenze und erreichten die glänzende Spiegelwelt Griechenlands. Allmählich sickerte diese Veränderung in uns ein, und so erwachten wir voller Unruhe in aller Frühe und gingen an Deck.

In der Morgendämmerung kräuselten sich kleine, blaue Wellen auf dem ruhigen Meer, und die Gischt in unserem Kielwasser fächerte sich sanft auf wie der Schwanz eines weißen Pfaus, mit glitzernden kleinen Bläschen. Der Himmel war blass und färbte sich am östlichen Horizont gelb. Vor uns lag ein schokoladenbrauner Flecken Land, eingehüllt in Nebel und mit Schaumrüschen gesäumt: Korfu. Aber sosehr wir unsere Augen auch anstrengten, um die Formen der Berge auszumachen, um Täler zu entdecken, Gipfel, Schluchten und Strände, es blieb eine Silhouette. Als jedoch die Sonne über den Horizont stieg, färbte sie den Himmel so blau wie das Auge eines Eichelhähers. Für einen Augenblick leuchteten die endlosen, gleichmäßigen Wogen des Meeres und wandelten sich dann zu einem tiefen, königlichen, grün gesprenkelten Purpur. Der Nebel lichtete sich in flüchtigen, geschmeidigen Bändern, und mit einem Mal lag die Insel vor uns. Die Berge schienen unter einer zerknitterten braunen Decke zu schlafen, in die Talfalten schmiegte sich das Grün der Olivenhaine. Entlang der Küste lagen Strände so weiß wie Stoßzähne zwischen wackligen Blöcken aus leuchtend goldenen, roten und weißen Felsen. Wir umrundeten das nördliche Kap, eine glatte Schulter aus rostroten Klippen, in die sich riesige Höhlen gefressen hatten. Die dunklen Wellen trieben das Kielwasser sacht den Höhlen entgegen, an deren Eingängen es zerstob und gierig auf die Felsen sprühte. Bald ließen wir die Berge hinter uns, die Insel fiel nun gleichmäßig zum Meer ab, verschwommen auf den Hängen das silbergrüne Schillern der Olivenhaine, aus dem hier und dort eine schwarze Zypresse in den Himmel ragte. Das seichte Wasser in den Buchten war schmetterlingsblau, und selbst über den Lärm der Schiffsmotoren konnten wir vom Ufer her ein schwaches Summen hören, einem Chor winziger Stimmen gleich: der schrille, frohlockende Gesang der Zikaden.


Die ungeahnte Insel

Von der Zollbaracke bahnten wir uns unseren Weg durch Lärm und Getümmel hinaus ins gleißende Sonnenlicht am Kai. Über uns thronte die Stadt, scheinbar planlos türmten sich Reihen bunter Häuser aufeinander, deren aufgeklappte, grüne Fensterläden aussahen wie die Flügel Tausender Falter. Hinter uns lag die Bucht, spiegelglatt, und strahlte in diesem unglaublichen Blau.

Larry marschierte erhobenen Hauptes voran, ohne die Träger, die sich mit seinen Kisten abschleppten, aus den Augen zu lassen, wobei er derart arrogant wirkte, dass man seine schmächtige Statur kaum bemerkte. Hinter ihm trottete Leslie, klein, stämmig und mit einer Pose, als würde er keinem Streit aus dem Weg gehen, dann folgte Margo und zog eine Wolke aus Musselin und Parfüm hinter sich her. Mutter, die aussah wie eine winzige, in Not geratene Missionarin inmitten einer Revolte, war vom aufgebrachten Roger sofort widerwillig an den nächsten Laternenpfahl gezerrt worden. Da stand sie verloren und starrte ins Leere, während der Hund seinen Bedürfnissen nachging, die sich die Reise über aufgestaut hatten. Larry wählte zwei fürchterlich heruntergekommene Pferdekutschen, ließ in eine das Gepäck laden und setzte sich in die zweite. Dann schaute er sich gereizt um.

„Und?“, fragte er. „Worauf warten wir?“

„Auf Mutter“, erklärte Leslie. „Roger hat einen Laternenpfahl gefunden.“

„Lieber Gott!“, sagte Larry, richtete sich in der Kutsche auf und rief: „Mach zu, Mutter. Kann der Hund nicht warten?“

„Bin gleich da“, rief Mutter teilnahmslos und wenig glaubwürdig, denn Roger machte keinerlei Anzeichen, den Pfahl verlassen zu wollen.

„Der Hund nervt schon die ganze Zeit“, sagte Larry.

„Sei nicht so ungeduldig“, entgegnete Margo barsch. „Der Hund kann nichts dafür … und außerdem, in Neapel mussten wir eine Stunde auf dich warten.“

„Da hatte ich Magenprobleme“, meinte Larry kalt.

„Tja, vielleicht hat jetzt Roger Magenprobleme“, sagte Margo triumphierend. „Unsere Gruppe besteht aus sechs Mitgliedern, und dieses Dutzend bleibt zusammen.“

„Das halbe Dutzend, meinst du.“

„Egal, du weißt, was ich meine.“

In dem Moment kam Mutter, leicht derangiert, und wir mussten uns überlegen, wie wir Roger in die Kutsche kriegten. Er hatte noch nie in so einem Gefährt gesessen und reagierte mit Argwohn. Letztlich blieb uns nichts anderes übrig, als den verzweifelt jaulenden Hund mit vereinten Kräften in die Kutsche zu hieven. Dann sprangen wir atemlos hinterher und hielten ihn fest. Das Pferd, durch diesen Trubel aufgeschreckt, fiel in einen hektischen Trab, sodass wir alle auf dem Boden der Kutsche landeten und den winselnden Roger unter uns begruben.

„Was für ein Auftritt“, sagte Larry genervt. „Ich hatte gehofft, wir könnten hier einen würdevollen, majestätischen Eindruck machen, und jetzt das … Wir kommen in die Stadt wie ein mittelalterlicher Wanderzirkus.“

„Reg dich nicht auf, Schatz“, sagte Mutter beschwichtigend und richtete ihren Hut. „Wir sind gleich im Hotel.“

So trappelte und bimmelte unsere Kutsche in die Stadt, während wir auf den Rosshaarbänken saßen und versuchten, den würdevollen, majestätischen Eindruck zu vermitteln, den Larry von uns verlangte. Roger, in Leslies eisernem Griff, hängte seinen Kopf über die Seite der Kutsche und verdrehte die Augen, als würde er seinen letzten Atemzug tun. Dann ratterten wir durch eine Gasse, in der vier struppige Mischlinge in der Sonne lagen. Roger machte sich steif, starrte sie finster an und bellte drauflos. Schlagartig wach, rannten die Straßenhunde hinter der Kutsche her und kläfften wie wild. Unsere Haltung war unwiederbringlich dahin, denn es brauchte zwei Leute, um den tobenden Roger im Zaum zu halten, während sich die anderen aus der Kutsche lehnten und versuchten, mit Zeitungen und Büchern um sich schlagend, die Meute der Verfolger loszuwerden. Die Hunde wurden dadurch aber nur noch aufgebrachter, und an jeder Kreuzung, die wir passierten, kamen immer mehr dazu. Als wir die Hauptstraße der Stadt hinabrollten, schwirrten ungefähr vierundzwanzig hysterisch bellende Köter um die Räder unserer Kutsche.

„Warum tut denn niemand etwas?“, rief Larry. „Das ist ja wie eine Szene aus Onkel Toms Hütte.“

„Hör auf zu meckern und mach selber was“, blaffte Leslie, der in den Kampf mit Roger verstrickt war.

Prompt richtete sich Larry auf, riss dem erstaunten Fahrer die Peitsche aus der Hand und drosch damit auf die Meute ein, verfehlte sie aber und traf stattdessen Leslie am Nacken.

„Was sollte das denn, verdammte Scheiße?“, fauchte Leslie und stierte Larry mit hochrotem Gesicht an.

„War keine Absicht“, meinte Larry unbekümmert. „Ich bin außer Übung … ist lange her, dass ich eine Pferdepeitsche in der Hand hatte.“

„Pass bloß auf“, rief Leslie streitlustig.

„Na, na, es war ja keine Absicht“, sagte Mutter.

Larry schwang noch einmal die Peitsche und riss Mutter den Hut vom Kopf.

„Du machst mehr Ärger als die Hunde“, sagte Margo.

„Sei vorsichtig, Schatz“, sagte Mutter und umklammerte ihren Hut. „Sonst tust du noch jemandem weh. Ich an deiner Stelle würde die Peitsche weglegen.“

In diesem Moment kam die Kutsche ruckelnd vor einem Portal zum Stehen, über dem ein Schild mit den Worten „Pension Suisse“ hing. Die Straßenhunde wollten sich nun endlich diesen verweichlichten schwarzen Artgenossen vorknöpfen, der in einer Kutsche fuhr, und umzingelten uns keuchend. Die Tür des Hotels ging auf, und ein uralter, bärtiger Portier erschien. Doch angesichts der Aufregung auf der Straße blieb er verdutzt stehen. Mit vereinten Kräften hoben wir Roger aus der Kutsche und versuchten, ihn zu beruhigen. Larry hatte mittlerweile seine majestätische Haltung vergessen und sprang auf die Straße. Er ließ die Peitsche über das Pflaster tanzen und bahnte so einen Pfad, über den Leslie, Margo, Mutter und ich mit dem zappelnden, knurrenden Roger ins Hotel eilten. Kaum waren wir in die Eingangshalle gestolpert, knallte der Portier die Tür zu und stemmte sich mit dem Rücken dagegen. Sein Schnurrbart zitterte. Der Hoteldirektor eilte herbei und betrachtete uns mit einer Mischung aus Besorgnis und Neugier. Mutter trat ihm mit schief sitzendem Hut und meinem Marmeladenglas voller Raupen in der Hand entgegen.

„Aha!“, sagte sie und lächelte süßlich, als wäre unsere Ankunft das Normalste auf der Welt gewesen. „Unser Name ist Durrell. Sie haben ein paar Zimmer für uns reserviert, richtig?“

„Ja, Madame“, sagte der Direktor und drückte sich an dem knurrenden Roger vorbei. „Sie befinden sich in der ersten Etage … vier Zimmer und ein Balkon.“

Mutter strahlte ihn an. „Sehr schön. Dann werden wir direkt hinaufgehen und uns vor dem Mittagessen noch etwas ausruhen“, sagte sie und führte ihre Familie bewundernswert vornehm und würdevoll nach oben.

Später gingen wir hinunter, um in einem großen, düsteren Saal mit staubigen Topfpflanzen und schiefen Statuen Mittag zu essen. Bedient wurden wir vom bärtigen Portier, der sich in den Chefkellner verwandelt hatte, indem er sich einen Frack und eine Hemdbrust aus Kunststoff übergezogen hatte, die knarzte wie eine Handvoll Grillen. Doch das Essen war üppig und lecker, und wir aßen mit großem Appetit. Als der Kaffee kam, lehnte sich Larry mit einem Seufzen zurück.

„Das war ein passables Mahl“, sagte er generös. „Was hältst du von dem Haus, Mutter?“

„Na ja, das Essen war in Ordnung, Schatz“, sagte Mutter und wollte sich nicht weiter festlegen.

„Die scheinen hier auch ganz hilfsbereit zu sein“, fuhr Larry fort. „Der Direktor hat mein Bett eigenhändig näher ans Fenster gerückt.“

„Als ich ihn um Papier gebeten habe, war er nicht besonders hilfsbereit“, sagte Leslie.

„Papier?“, fragte Mutter. „Wozu brauchst du Papier?“

„Fürs Klo … da war keins“, erklärte Leslie.

„Pst! Nicht bei Tisch“, flüsterte Mutter.

„Du hast wohl nicht genau hingeguckt“, sagte Margo mit klarer, durchdringender Stimme. „Neben dem Klo steht eine kleine Kiste voller Klopapier.“

„Margo, Schatz!“, rief Mutter entsetzt.

„Was ist denn? Habt ihr die kleine Kiste nicht gesehen?“

Larry prustete los.

„Aufgrund der – sagen wir – gewagten sanitären Anlagen dieser Stadt“, erklärte er Margo freundlich, „ist diese kleine Kiste für die … äh … sozusagen für die Hinterlassenschaften bestimmt, nachdem du deinem Naturbedürfnis nachgegangen bist.“

Margos Gesicht färbte sich mit einer Mischung aus Verlegenheit und Ekel dunkelrot.

„Du meinst … du meinst … das war … Mein Gott! Vielleicht habe ich mir irgendeine widerliche Krankheit eingefangen“, jammerte sie. Dann fing sie an zu heulen und rannte aus dem Speisesaal.

„Äußerst unhygienisch“, sagte Mutter ernst. „Das sind wirklich abscheuliche Sitten. Ganz abgesehen von den Fehlern, die man dabei machen kann. Da kann man ja Typhus kriegen.“

„Diese Fehler würden nicht passieren, wenn sie hier besser organisiert wären“, stellte Leslie fest und kehrte damit zu seiner ursprünglichen Beschwerde zurück.

„Ja, Schatz, aber ich glaube nicht, dass wir das jetzt besprechen sollten. Am besten finden wir so schnell wie möglich ein Haus, ehe wir uns alle noch was holen.“

Oben stand Margo halb nackt im Zimmer und bespritzte sich in rauen Mengen mit Desinfektionsmittel. Mutter hatte den ganzen Nachmittag damit zu tun, sie in regelmäßigen Abständen nach Symptomen all der Krankheiten zu untersuchen, die Margo in sicherem Glauben bereits ausbrütete.

Unglücklicherweise wurden Mutters Sorgen noch dadurch vergrößert, dass die Pension Suisse zufällig an der Straße lag, die zum örtlichen Friedhof führte. Als wir auf unserem kleinen Balkon saßen, zog unter uns eine scheinbar endlose Prozession von Leichenzügen dahin. Die Einwohner Korfus glaubten offensichtlich, das Beste an einem Trauerfall sei die Beerdigung, denn jede Gesellschaft wirkte pompöser als die vorherige. In Purpur und Schwarz geschmückte Kutschen wurden von Pferden gezogen, die man derart mit Federn und Baldachinen überladen hatte, dass es ein Wunder war, dass sie sich überhaupt bewegen konnten. Jeweils sechs oder sieben dieser Kutschen mit Trauernden, die ihrem Schmerz ungehemmt freien Lauf ließen, fuhren der Leiche voraus. Diese folgte auf einem karrenähnlichen Gefährt und war in einem so großen und prunkvollen Sarg verborgen, dass er eher einer riesigen Geburtstagstorte glich. Manche waren weiß, mit purpurnen, schwarzen und scharlachroten oder dunkelblauen Verzierungen, andere dagegen glänzend schwarz mit ausschweifenden goldenen und silbernen Girlanden und Kränzen. Ich hatte noch nie etwas so Farbenfrohes und Prachtvolles gesehen. Wenn schon sterben, dachte ich, dann so, mit geschmückten Pferden, Unmengen an Blumen und einer Horde aufrichtig trauernder und tief ergriffener Angehöriger. Gefesselt hing ich über dem Balkongeländer und schaute fasziniert zu, wie die Särge vorbeifuhren.

Während die Trauerzüge dahinrollten und die Klagelaute und das Geklapper der Hufe in der Ferne verklangen, wurde Mutter immer nervöser.

„Das muss eine Epidemie sein“, rief sie schließlich und starrte besorgt auf die Straße.

„Unsinn, Mutter, reg dich nicht auf“, sagte Larry unbekümmert.

„Aber, Schatz, so viele … das ist unnatürlich.“

„Am Sterben ist nichts unnatürlich. Menschen sterben die ganze Zeit.“

„Ja, aber normalerweise nicht wie die Fliegen.“

„Vielleicht werden sie gelagert und dann alle in einem Aufwasch beerdigt“, meinte Leslie kühl.

„Ach was“, sagte Mutter. „Ich bin sicher, dass es etwas mit den sanitären Anlagen zu tun hat. Das kann nicht gesund sein für die Leute.“

„Mein Gott!“, sagte Margo mit Grabesstimme. „Dann habe ich es auch.“

„Nein, nein, Schatz, das muss nicht sein“, sagte Mutter wenig überzeugt. „Es könnte auch etwas sein, das nicht ansteckend ist.“

„Wenn es eine Epidemie ist, dann ist es auch ansteckend“, bemerkte Leslie.

„Wie auch immer“, sagte Mutter, die sich nicht auf eine medizinische Diskussion einlassen wollte. „Jedenfalls sollten wir es herausfinden. Kannst du nicht beim Gesundheitsamt anrufen, Larry?“

„Hier gibt es wahrscheinlich gar kein Gesundheitsamt“, meinte Larry. „Und selbst wenn – mir wird man bestimmt nichts sagen.“

„Na gut“, sagte Mutter mit Entschlossenheit. „Dann geht es nicht anders. Wir müssen umziehen. Wir müssen raus aus der Stadt. Wir müssen ein Haus auf dem Land finden, und zwar sofort.“

Am nächsten Morgen begannen wir unsere Suche nach einem Haus, begleitet von Mr Beeler, dem Reiseführer des Hotels. Er war ein fetter, kleiner Mann mit unterwürfigem Blick und verschwitztem Gesicht. Als wir aufbrachen, wirkte er recht munter, aber da wusste er noch nicht, worauf er sich eingelassen hatte. Wer noch nie auf Haussuche mit meiner Mutter war, kann sich nicht vorstellen, was es tatsächlich bedeutet. Wir fuhren in einer Staubwolke über die Insel, Mr Beeler zeigte uns ein Haus nach dem anderen, in allen Größen, Farben und Lagen, aber Mutter schüttelte bei jedem energisch den Kopf. Schließlich hatten wir das zehnte und letzte Haus auf Mr Beelers Liste begutachtet, und Mutter hatte erneut den Kopf geschüttelt. Erschöpft setzte sich Mr Beeler auf die Stufen und wischte sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab.

„Madame Durrell“, sagte er dann, „ich habe Ihnen jedes Haus gezeigt, das ich kenne, trotzdem wollen Sie keins davon. Was wollen Sie, Madame? Was stimmt nicht mit diesen Häusern?“

Mutter sah ihn erstaunt an.

„Ist Ihnen das nicht aufgefallen?“, fragte sie. „Keines davon hatte ein Badezimmer.“

Mr Beeler starrte Mutter mit hervortretenden Augen an.

„Aber Madame“, jammerte er gequält. „Wozu brauchen Sie ein Badezimmer? Sie haben doch das Meer.“

Schweigend kehrten wir zum Hotel zurück.

Am folgenden Morgen beschloss Mutter, einen Wagen zu mieten und auf eigene Faust ein Haus zu suchen. Sie war davon überzeugt, dass es irgendwo auf der Insel ein Haus mit Bad geben musste. Da wir Mutters Glauben nicht teilten, trieb sie eine leicht gereizte und streitbare Gruppe hinab zum Taxistand am Hauptplatz. Die Taxifahrer, die sofort unsere Ahnungslosigkeit spürten, sprangen aus ihren Wagen und umzingelten uns wie Geier. Jeder versuchte, seine Kollegen auszustechen. Ihre Stimmen wurden lauter und lauter, ihre Augen blitzten, sie drängten sich vor und fletschten die Zähne, und dann packten sie uns, als wollten sie uns auseinanderreißen. Wie wir im Laufe der Zeit lernen sollten, ging es wohl noch einigermaßen gesittet zu, aber wir waren das griechische Temperament nicht gewohnt und wähnten uns in Lebensgefahr.

„Kannst du nicht etwas tun, Larry?“, flehte Mutter, als sie sich mit Mühe aus dem Griff eines großen Fahrers befreite.

„Sag ihnen, du meldest sie dem britischen Konsul“, schlug Larry mit erhobener Stimme vor.

„Red keinen Unsinn, Schatz“, sagte Mutter atemlos. „Vielleicht erklärst du ihnen einfach, dass wir nichts verstehen.“

Margo trat auf ihre alberne Art in die Bresche.

„Wir Englisch“, brüllte sie die gestikulierenden Fahrer an. „Wir nicht verstehen Griechisch.“

„Wenn der Kerl mich noch einmal schubst, haue ich ihm eine rein“, sagte Leslie mit erhitztem Gesicht.

„Na, na, Schatz“, keuchte Mutter, die immer noch mit dem Fahrer kämpfte, der sie energisch zu seinem Wagen zerrte. „Die meinen es bestimmt nicht böse.“

In diesem Moment dröhnte eine Stimme über den Platz, die alle schlagartig zum Schweigen brachte. Eine tiefe, laut schallende Stimme, eine Stimme wie die eines Vulkans.

„He!“, donnerte es. „Warum keiner sprechen Sprache?“

Als wir uns umdrehten, sahen wir einen alten, am Bordstein geparkten Dodge. Hinter dem Steuer saß ein kleiner, untersetzter Mann mit Riesenpranken und einem großen, ledernen und mürrischen Gesicht, darüber eine schief sitzende Schirmmütze. Er öffnete die Tür des Wagens, schwankte aufs Pflaster und watschelte auf uns zu. Dann blieb er stehen, starrte noch finsterer und musterte die Gruppe der schweigenden Taxifahrer.

„Haben Ärger?“, fragte er Mutter.

„Nein, nein“, sagte Mutter nicht ganz wahrheitsgemäß, „wir hatten nur Probleme mit der Verständigung.“

„Brauchen jemand, der sprechen Sprache“, sagte der Mann. „Arschlöcher alle … bitte entschuldigen Wörter … würden betrügen eigene Mutter. Entschuldigen eine Minute, ich regeln.“

Mit einem polternden Schwall Griechisch wandte er sich an die Fahrer, sodass sie sich kaum auf den Füßen halten konnten. Betrübt, gestikulierend und wütend wurden sie von diesem außergewöhnlichen Mann zu ihren Wagen zurückgetrieben. Nachdem er ihnen eine letzte und anscheinend abfällige Standpauke in seiner Landessprache gehalten hatte, widmete er sich wieder uns.

„Wo wollen hin?“, fragte er beinahe brutal.

„Können Sie uns helfen, ein Haus zu finden?“, fragte Larry.

„Klar. Ich bringen überall. Müssen nur sagen.“

„Wir suchen“, sagte Mutter mit fester Stimme, „ein Haus mit Badezimmer. Kennen Sie eins?“

Der Mann grübelte wie eine sonnengebräunte Statue, seine schwarzen Augenbrauen zogen sich nachdenklich zusammen.

„Badezimmer?“, sagte er. „Wollen Badezimmer?“

„Kein Haus, das wir bisher gesehen haben, hatte ein Badezimmer“, sagte Mutter.

„Ich kennen Haus mit Badezimmer“, sagte der Mann. „Nur nicht wissen, ob groß genug für alle.“

„Würden Sie uns hinbringen, damit wir es uns anschauen können, bitte?“, fragte Mutter.

„Klar, hinbringen. Alle steigen in Auto.“

Wir kletterten in den geräumigen Wagen, unser massiger Fahrer wuchtete sich hinters Lenkrad und legte krachend den Gang ein. Wir schossen durch die gewundenen Straßen hinaus aus der Stadt, umkurvten mit betäubendem Hupen beladene Esel, Karren, Gruppen von Bäuerinnen und unzählige Hunde. Dabei nutzte unser Fahrer die Gelegenheit, uns ins Gespräch zu verwickeln. Jedes Mal, wenn er sich an uns wandte, verrenkte er seinen gewaltigen Kopf, um unsere Reaktion zu sehen, und dabei schlingerte der Wagen über die Straße wie eine betrunkene Schwalbe.

„Englisch? Ich mir denken … Englisch immer wollen Badezimmer … Ich haben Badezimmer in meine Haus. Spiro meine Name … Spiro Hakiapoulos … alle mich nennen Spiro Amerikano, weil ich leben in Amerika … Ja, acht Jahre Chicago … lernen dort meine gute Englisch … War da Geld machen … Nach acht Jahren ich sagen: ›Spiro‹, ich sagen, ›haben machen genug Geld‹ … dann ich zurück nach Griechenland … Auto haben mitgebracht … beste Auto auf Insel … keiner haben Auto wie diese … Englische Touristen mich kennen alle, alle fragen nach mich, wenn kommen hier … Wissen, werden nicht betrogen … Ich Englisch mögen … gut Menschen … Ehrlich, wenn ich nicht sein griechisch, ich gerne sein englisch.“

Wir rasten über eine weiße Straße, die mit einer dicken Schicht aus seidigem Staub bedeckt war, der hinter uns zu einer dichten Wolke aufwirbelte, eine Straße, gesäumt mit Feigenkakteen, wie ein Zaun aus grünen Tellern, die geschickt Kante auf Kante balancierten und mit knopfartigen, scharlachroten Früchten gemustert waren. Wir passierten Weinberge, wo die winzigen, verkümmerten Beeren in grünen Blättern verschnürt waren. Wir kamen an Olivenhainen vorbei, deren knorrige Stämme uns aus der Dunkelheit ihres eigenen Schattens anstarrten wie zahllose erstaunte Gesichter, und wir sahen große Flächen mit gestreiften Rohrpflanzen, deren Blätter wie ein Meer aus grünen Fahnen flatterten. Nachdem wir schließlich einen Berg hinaufgebraust waren, trat Spiro auf die Bremse und brachte den Wagen in einer Staubwolke zum Stehen.

„Da“, sagte er und deutete mit einem kurzen, dicken Zeigefinger nach draußen, „Haus mit Badezimmer, wie Sie wünschen.“

Mutter, die ihre Augen während der Fahrt fest geschlossen hatte, öffnete sie nun vorsichtig und schaute hinaus. Spiro zeigte auf einen sanft gewölbten Bergrücken, der sich vom gleißenden Meer erhob. Der Berg und die Täler wirkten wie eine Daunendecke aus Olivenhainen, die einen schuppigen Glanz annahm, wenn die Brise durch die Blätter wehte. Auf halber Höhe, geschützt von einer Gruppe hoher, schlanker Zypressen, schmiegte sich wie eine exotische Frucht im Laub ein kleines erdbeerrotes Haus an den Hang. Die Zypressen wogten in der Brise, als wollten sie den Himmel für unsere Ankunft noch blauer malen.

Über Gerald Durrell

Biografie

Gerald Durrell wurde 1925 im indischen Jamshedpur geboren. Als Kind zog er mit seiner Familie auf die griechische Insel Korfu, wo er ein ausgeprägtes Interesse an der heimischen Tierwelt entwickelte. Später leitete er internationale Expeditionen zur Erforschung seltener Arten, aus denen zahlreiche...

Ein englischer Klassiker

„Meine Familien und andere Tiere von Gerald Durrell ist einer der beliebtesten Klassiker der englischen Literatur - und eines meiner absoluten Lieblingsbücher. Mit Zärtlichkeit und Witz schildert Durrell die Eigenheiten von Menschen und Tieren und die kleinen und größeren Herausforderungen ihres Zusammenlebens."

Felicitas von Lovenberg, Verlegerin

Medien zu „Meine Familie und andere Tiere“
Pressestimmen
LandLust

„Ein schwarzhumoriges und geistreiches Lesevergnügen.“

fraulehmannliest.com

„›Meine Familie und andere Tiere‹ ist meine diesjährige Empfehlung für Weihnachtsgeschenkesuchende. Es ist herzerwärmend, aber nicht kitschig, leicht zu lesen, aber nicht seicht, witzig, aber nicht albern, kurz: es ist nahezu perfekt.“

buntegespinste.wordpress.com

„Das Schönste in diesem Buch ist, dass Durrell zwar jede Menge interessante Kenntnisse über verschiedenste Tiere liefert, doch grundsätzlich unheimlich liebevoll und lustig über Menschen erzählt, die ihm ebenso interessant, eigenartig und eben deshalb bemerkenswert sind, wie die Tiere. (…) Die deutsche Fassung ist sehr anspruchsvoll und bietet eine genüssliche Lesung.“

Frau und Mutter

„In seinem Roman macht (Gerald Durell) geistreiche wie witzige Beobachtungen über Mensch und Tier – vor allem über die herrlichen Marotten seiner Familie.“

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