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Ich schreib dir morgen wieder

Cecelia Ahern
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Roman

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Ich schreib dir morgen wieder — Inhalt

Wie immer schafft es Cecelia Ahern mit ihrer Geschichte mitten ins Herz zu treffen

Nach dem Tod des Vaters ändert sich Tamaras Leben komplett, und sie muss zu merkwürdigen Verwandten aufs Land ziehen. Ihre Mutter ist vor Trauer kaum ansprechbar, und Tamara fühlt sich völlig alleingelassen an diesem abgelegenen Ort. Nur ein Bücherbus und der charmante Fahrer Marcus sorgen hin und wieder für etwas Abwechslung. Dort findet Tamara ein seltsames Buch in einem Ledereinband: ein Tagebuch, in dem ihr eigenes Leben aufgeschrieben ist. Und zwar immer der nächste Tag! Es führt Tamara zu den verborgenen Geheimnissen ihrer Familie und hilft ihr, den Weg zur Liebe und Zukunft zu finden.

„In diesem modernen Märchen wechseln realistische Momente mit magischen, lustige mit traurigen ab – alle gespickt mit Denkanstößen für das eigene Leben.“ freundin

„Eine wunderschöne Geschichte!“ Welt

€ 12,00 [D], € 12,40 [A]
Erschienen am 01.06.2023
Übersetzt von: Christine Strüh
416 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-31295-0
Download Cover
€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 01.06.2023
Übersetzt von: Christine Strüh
416 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60410-9
Download Cover

Leseprobe zu „Ich schreib dir morgen wieder“

Prolog

Es hatte am Vortag geregnet. Inzwischen war der Regen auf dem Asphalt verzischt. Sommergeruch lag in der Luft. Ganz in der Frühe waren noch Nebelschwaden über den Boden geschlichen, doch nun wurde es schön. Sie waren mit der ersten Bahn gefahren. Die Fernsicht war gewaltig, ein fast religiöses Gefühl stellte sich ein. Sie war frei. Und glücklich.

Es war ein ganz normaler Wochentag, und noch zogen keine Touristenheere zu Berge. Die Sommerferien in den ersten Bundesländern würden erst nächste Woche beginnen. Sie hatten den Tag mit Bedacht gewählt, [...]

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Prolog

Es hatte am Vortag geregnet. Inzwischen war der Regen auf dem Asphalt verzischt. Sommergeruch lag in der Luft. Ganz in der Frühe waren noch Nebelschwaden über den Boden geschlichen, doch nun wurde es schön. Sie waren mit der ersten Bahn gefahren. Die Fernsicht war gewaltig, ein fast religiöses Gefühl stellte sich ein. Sie war frei. Und glücklich.

Es war ein ganz normaler Wochentag, und noch zogen keine Touristenheere zu Berge. Die Sommerferien in den ersten Bundesländern würden erst nächste Woche beginnen. Sie hatten den Tag mit Bedacht gewählt, das Wetter musste passen. Sie brauchte Licht und Farbe, man konnte am Computer ein wenig nachhelfen, aber die pure Kraft hatten immer jene Bilder, die man nicht schönen musste. Wie bei Menschen. Er war ein perfektes Model, bei dem es nichts zu verbessern gab. Jung. Gut aussehend. Und er war ihr ein umsichtiger Kletterpartner gewesen. Hatte sie bestärkt und mit ihr gelacht. So viel gelacht.

Doch nun zog es auf einmal zu. Dunkles Grau schob sich vor Hellgrau. Die Wolkenberge wuchsen, immer höher. Aus dem Dunkel flog ein Steinadler heraus, der von drei Bussarden angegriffen wurde. Die vier flogen waghalsige Manöver, stießen hinunter, fingen sich ab, nutzten die Thermik.

Sie sah nach oben. „Diese kleinen Wadlbeißer fordern den König der Lüfte heraus.“

„Er nimmt die Herausforderung an. Und wird siegen. Wie wir auch.“

Er lachte wieder. Setzte den Rucksack ab und zog ein Shirt heraus. Sein Oberkörper war nackt – lauter definierte Sehnen und Muskeln.

„Wir sollten abhauen“, sagte er und warf das Shirt über. „Das Wetter schlägt um.“

„Ja, das Licht ist auch nicht mehr toll. Aber du warst großartig. Wie ein Oachkatzl. Bestimmt kannst du auch kopfabwärts klettern.“ Sie lachte hell. „Das können sonst nur die Eichhörnchen, weil sie an den Pfoten besonders bewegliche Gelenke haben, die sie um hundertachtzig Grad drehen.“

„Nein, das kann ich nicht, aber der Kleiber macht das auch, glaub ich. Komm, sei stolz auf dich. Das lief doch super. Schafft nicht jede. Der Rest ist nur noch ein Spaziergang.“

„Aber wir müssen noch ein paar Bilder machen!“

„Tun wir. Ich weiß eine gute Stelle. Komm!“

Er kletterte so leichtfüßig und grazil, und doch waren seine Bewegungen kraftvoll. Was auf sie besonders anziehend wirkte, war seine innere Leichtigkeit. Das Leben war für ihn ein Spiel. Er kannte keine Grenzen.

Sie hatten den Aussichtspunkt erreicht. Unter ihnen wogte ein Meer aus Berggipfeln. Ein magischer Moment. Und mit dem Wolkentanz eigentlich schöner als in Himmelblau. Sie trat einen Schritt rückwärts. Um den Ausschnitt perfekter einzufangen, hätte sie das Objektiv wechseln müssen. Aber es eilte. Es eilte immer. Das Licht war selten aufseiten der Fotografen. Sie machte noch einen Schritt rückwärts. Stieß gegen etwas. Und dann war da dieses Geräusch. Knirschen, Poltern, Steine, die sich lösten.

Hoch oben hatte der Adler sich der Übermacht der Bussarde gebeugt. Sein Schrei war pure Anklage.


1

Irmi fühlte nichts. Sie sah hin, ihre Augen wanderten von den Füßen der Frau hinauf zu ihrem Kopf, ihre Augen registrierten das Netz und ein paar Algen. Bilder stiegen in ihr auf. Eine zerbrechlich schöne Kylie Minogue, die im Wasser lag, eine rote Rose zwischen den Zähnen. Ein mysteriöser Nick Cave, ein Musikvideo aus den Neunzigern, verstörend und betörend zugleich … Where The Wild Roses Grow … Doch diese Frau hatte nichts von Kylies blasser Schönheit, obwohl auch sie zerbrechlich war, überschlank, die Knie knochig. Hier hatte kein Maskenbildner in den Tod Schönheit gezaubert. Nein, es war eine grausame Inszenierung.

All beauty must die – der Satz kam von irgendwoher. Irmi sah kurz auf. Neben dem Bootshaus übergab sich jemand, und das Geräusch brach den Bann, der über ihr lag. Es war still, der See fast spiegelglatt, der Morgen noch kühl. Alle schienen sich auf Zehenspitzen und in Zeitlupe zu bewegen. Ihr Blick ging zurück zu der Frau. Sie lag in einem weißen Wetsuit auf einem türkisfarbenen Brett, unter ihr ein Stück Netz, doch in ihrer Brust steckte etwas, das jede ästhetische Überhöhung des Todes unmöglich machte. Der Gegenstand war mehrzackig und hatte die Frau durchbohrt. Der Tod war meisterlich böse – und blutig.

Irmi sah erneut hoch, in die Augen eines Kollegen von der Wasserschutzpolizei, dessen grünliche Blässe verhieß, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Es war für alle eine Erlösung, dass eine völlig normal klingende Stimme Klarheit brachte.

„Wir werden ein Zelt darüber bauen, der Anblick ist etwas unverträglich, und bald werden mehr Leute kommen“, sagte der Hase.

Irmi schenkte ihm einen warmen Blick. Die Kirchturmuhr schlug acht Uhr. Es würde kein schöner Tag am See werden, die Sonne hatte sich rargemacht in diesem Mai, der wohl eher ein April hatte werden wollen. Es war kalt gewesen, immer wieder waren Regenfronten übers Land und Sturmböen durch die Bäume gefegt.

Es war kurz vor sechs Uhr gewesen, als Irmis Handy geläutet hatte. Glücklicherweise gehörte sie zu den Menschen, die schnell in ihrem Körper und ihrem Gehirn ankamen, wenn sie so früh aus dem Schlaf gerissen wurden. Es war der Chef, der sie bat, an den Starnberger See zu fahren. Nun war das zwar nicht ihr Beritt, aber der Kollege Gerhard Weinzirl war im Urlaub. Und zwar auf einer Mountainbike-Überquerung, die ihn aus dem Wallis an den Lago Maggiore führen sollte. Weinzirl neigte schon im normalen zivilen Leben dazu, sein Handy zu überhören. Und auf dem Weg zum Simplonpass war es mit Sicherheit ausgeschaltet. Weinzirls Kollegin Evi Straßgütl war erkrankt, und der Chef bemerkte, dass Irmi ja in ihrem letzten Fall auch schon in Weinzirls Bereich gewildert habe. So hätte Irmi das zwar nicht formuliert, aber das tat im Moment wenig zur Sache. In Seeshaupt am Uferbereich liege nämlich eine „tote Frau am Spieß“, was die dortige Polizei etwas aus den Schuhen gekippt habe. Pietät oder gar Mitgefühl war keine Spezialität ihres Chefs. In jedem Fall hielt er die Anwesenheit des Hasen für erforderlich.

Also rumpelte Irmi nach unten und weckte ihn. Der Hase bestand umsichtigerweise noch auf einem Cappuccino, dann fuhren sie los. Um zehn nach sieben waren sie am See angekommen, auf dem Gelände eines kleinen Biergartens und Bootsverleihs. Einige Brötchenkäufer drückten sich dort herum, zwei Jogger, aber das Absperrband hielt sie zurück.

„Die Dame mit der roten Jacke hat sie gefunden?“, fragte Irmi.

Der Kollege nickte.

Die Frau, die sich als Hanne Mergenthaler vorstellte, hatte sich schon vor fünf Uhr morgens ein Elektroboot ausgeliehen. Irmi konnte die Frau gut verstehen. So ein See war nur dann zauberhaft, bevor die lärmende bunte Bademeute ihn stürmte. Hanne Mergenthaler hockte auf dem Bootssteg und hatte einen Becher Kaffee in der Hand.

„Geht’s bei Ihnen?“, fragte Irmi.

Sie nickte.

„Würden Sie mir noch einmal berichten, was passiert ist?“

„Ich bin mit dem Boot los, in Richtung Seemitte. Und da kam mir etwas entgegen. Ich dachte zuerst an ein herrenloses Surfbrett oder so, bis ich … O Gott!“

„Was haben Sie dann gemacht?“

„Ich bin zurück, hab den Bootsverleiher informiert, und der hat die Wasserschutzpolizei und eine Streife aus Weilheim gerufen. Die Wasserschutzpolizei hat das … das … an den Strand geschleppt.“

Und man hatte wohl festgestellt, dass diese auf ein Brett gepinnte Frau eher ein Fall für die Kripo war.

„Brauchen Sie Hilfe?“, fragte Irmi.

„Nein, ich kann eigentlich Blut sehen. Ich bin Tierarzthelferin, bloß so auf nüchternen Magen und so … so …“ Sie brach ab.

„Der Mann da drüben ist der Bootsverleiher?“

Hanne Mergenthaler nickte erneut.

Ludwig Angerer wirkte betroffen, aber doch so, als sei er in seinem Leben schon durch so manchen Wellengang geschifft. Er war nicht nur der Grundstückseigner, sondern auch Fischer und entstammte einer der wenigen Familien, die über ein Fischereirecht verfügten.

„Ist es normal, dass Sie so frühmorgens Boote verleihen?“, fragte Irmi.

„Nein, aber Hanne ist eine alte Freundin, da mach ich mal eine Ausnahme. Die Arme, was für ein Morgen!“

„Sie ist also quasi auf dem Surfbrett …“

„Das war ein SUP, ein Stand-up-Paddle-Board“, unterbrach Angerer sie. „Oder S für Seuche, U für Und, P für Pest.“

Irmi sah ihn aufmerksam an.

„Diese SUPs sind wirklich Seuche und Pest“, fuhr Angerer fort. „Seit einigen Jahren überschwemmen die den See. Schlimm ist das!“

„Klare Worte! Musste da mal ein Exempel statuiert werden?“

„Ich bitte Sie! Ich war das sicher nicht. Ich kenne die Frau auch nicht, falls Sie das wissen wollen.“

„Will ich. Und Sie haben sie nie zuvor hier gesehen?“

„Keine Ahnung. Hier sieht man viele Menschen. Aber eine Seeshaupterin ist sie nicht. Da kennt man sich. Auch kein Stammgast. Es könnte höchstens sein, dass ich sie vor einigen Tagen auf dem SUP gesehen habe. Das Wetter war nicht gerade einladend, aber die stochern ja auch bei Schlechtwetter hier im See rum.“

„Sie trieb also auf dem See. Haben Sie eine Ahnung, aus welcher Richtung sie gekommen sein könnte?“

„Schauen Sie, der See hat ein Eigenleben. In der Nacht zieht er Dinge in die Seemitte und spuckt sie morgens wieder an den Strand. Ich schicke ab und zu angespülte alte Surfbretter wieder los, und am nächsten Morgen sind sie wieder da. Wie ein Bumerang.“

„Das heißt, die Frau könnte hier ins Wasser geschoben worden sein?“

Er wiegte den Kopf hin und her. „Bis zehn waren im Biergarten Gäste, zwar in Daunenanoraks, aber immerhin ein Gefühl von Freiheit. Ich war bis Mitternacht im Bootshaus. Zu viel los für solch eine Aktion, würde ich sagen.“

Sofern er es nicht doch selber gewesen ist, schoss es Irmi durch den Kopf. Aber er hätte ja gewusst, dass die Fracht vom See postwendend retourniert werden würde …

„Ich könnte mir eher vorstellen“, er wies nach links, „dass sie dort im Schilfgürtel losgeschickt wurde. Beim Bootshaus, unterhalb vom Schloss. Die Strömung heute Nacht können Sie bestimmt rekonstruieren lassen.“

„Und dieser Spieß?“, fragte Irmi. „Was ist das für ein Ding?“

„Das ist in der Tat ungewöhnlich. Fischer haben so ein Gerät früher zur Jagd auf Raubfische verwendet. Zum Wallerstechen. Die Alten kennen das noch. Und sie kennen auch die vielen Sagen rund um den Waller. Am Walchensee soll bis heute ein riesiger Waller am Seegrund liegen – mit dem Schwanz im Maul. Es heißt, sobald die Menschen zu unmoralisch werden, lässt er den Schwanz los. Und dann bricht der Kesselberg entzwei, und das Wasser des Walchensees ergießt sich über ganz Bayern und überschwemmt das unmoralische München.“ Er zuckte mit den Schultern. „Da das bis heute nicht passiert ist – dabei hätte es genug Gründe gegeben, die Münchner auszuradieren –, wird das wohl wirklich nur eine Mär sein. Oder der Waller hat verpennt!“

Irmi sah zu Boden. Auch seine Begeisterung für die Bewohner der bayerischen Hauptstadt hielt sich eindeutig in Grenzen.

„Wissen Sie, der Waller ist schon ein ganz spezieller Fisch, ein Raubfisch eben“, fuhr Angerer fort. „Mein Opa hat Waller zerlegt, die hatten einen ganzen Kormoran oder auch Blesshühner im Magen. Einen Waller zu fangen war immer etwas Besonderes. Mein Vater hat seinerzeit immer von einem Ger zum Wallerstechen gesprochen.“

„Besitzen Sie so etwas auch?“

„Natürlich.“ Er erhob sich, ging in das Bootshaus und kam mit zwei Geräten zurück. Das eine war etwas kleiner und ein Vierzack, das andere größer mit fünf Zacken. Ein ganz ähnliches Ding hatte in der Toten gesteckt. Die Spitzen besaßen jeweils Widerhaken, wirklich martialisch und unfair – gegenüber Fischen, mehr aber noch gegenüber Menschen.

„Und das dritte haben Sie in der Frau versenkt“, bemerkte Irmi provozierend.

Er lachte. „Netter Versuch. Ich besitze nur diese zwei. Solche Fanggeräte haben aber viele Fischerfamilien hier am See. Das Netz ist übrigens ein Fischernetz.“

„Ihres?“

Er lächelte. „Nein.“

„Woher wissen Sie das?“

„Ich kenne meine Netze. Es fehlt auch keines. Aber es werden natürlich immer mal wieder Netze gestohlen. Womöglich wurde es irgendwo angespült.“

Auch das war eher unerfreulich. Schade, dass nicht jeder Fischer einen Faden in seinen Hausfarben einwob, damit sie sofort zu erkennen waren. So wie die Kilts bei den Schotten.

„Vielen Dank, Herr Angerer. Es tauchen bestimmt noch weitere Fragen auf, dann werde ich mich bei Ihnen melden“, sagte Irmi. „Kann ich diese Dinger da mal fotografieren?“

„Klar.“ Er legte sie nebeneinander auf eine Holzbank.

Irmi fotografierte und ging zum Hasen zurück, der inzwischen ein Zelt über der Frau hatte errichten lassen. Ein Arzt war aufgetaucht, der die Todeszeit zwischen zehn und zwölf Uhr am Abend zuvor schätzte.

„Das ist sicher?“

„Sicher ist nur der Tod. Ich kann die Livores noch wegdrücken, aber der enge Surfanzug macht den Augenschein schwierig. Es war zudem kalt heute Nacht. Was ich Ihnen aber versichern kann: Ich schließe einen natürlichen Tod aus. Suizid auch. Niemand stürzt sich so in einen Mehrzack und drapiert auch noch ein Netz um sich herum.“

Er klang völlig neutral und sah auch nicht so aus, als sei Ironie das Mittel seiner Wahl.

Der Arzt ging, und Irmi sah ihm nach.

„Und sie hatte gar nichts bei sich?“, fragte sie den Hasen.

„Sie hatte ein kleines Bauchtäschchen um, das offen war. Da könnte ihr Handy drin gewesen sein. Allerdings waren nur noch ein Labello und zwei Euro drin, sonst nichts. Vom Alter her schätze ich die Dame auf sechzig plus“, sagte der Hase. „Ich tippe auf etliche Dosen Botox und Hyaluron im Gesichtsbereich, die Hände aber sprechen eine andere Sprache.“

Sie war also in Irmis Alter, eine Frau, die sich offenbar mit eisernen Diäten, viel Sport und Injektionen gegen einen Prozess zu stemmen gedacht hatte, den man leider nicht besiegte, der extrem unfair und letztlich unaufhaltsam war. Und genützt hatte die Mühe nun traurigerweise rein gar nichts. All beauty must die. Dabei war sie nicht einmal in Schönheit verstorben.

„Sie muss irgendwo ein Auto haben“, sagte Irmi und versuchte, das Bild der Frau abzuschütteln, das sie nicht loslassen wollte.

„Sofern sie nicht direkt am See wohnt und zu Fuß gehen konnte“, warf der Hase ein.

Irmi war angespannt, das Ganze gefiel ihr gar nicht. Zu viel Inszenierung, zu viel Overkill. Die Spannung wurde durch Kathi aufgelöst, die in ihrer unnachahmlichen Lautstärke heranbrandete.

„Was ist das denn für ein Scheiß? Frau am Spieß?“

„Benetzte Frau am Spieß“, entgegnete der Hase.

„Ihr seid ja wahnsinnig witzig“, meinte Irmi. „Ich würde die Dame gerne in die Rechtsmedizin überstellen. Und wir beide“, sie sah Kathi an, „fahren mal da rüber und schauen, ob wir ein Auto finden, das ihres sein könnte. Der Fischer vermutet, dass das Board dort drüben im Schilf losgefahren sein könnte.“

„Unter dem rechten Schloss?“, fragte der Hase.

„Von mir aus gesehen liegt das aber eher links“, sagte Kathi und gähnte wie ein Nilpferd, ohne sich die Hand vorzuhalten.

„Die Besitzer des Schlosses sind schrecklich rechts. Wilhelm Peter Finck war einer der Mitbegründer der Allianz und der Münchner Rück und wurde in den Adelsstand erhoben. Sein Sohn, Baron August von Finck, war glühender Verehrer Hitlers und finanzierte ihn. Die Privatbank Merck Finck & Co. hat von der Judenvernichtung profitiert und unter anderem das Bankhaus von Rothschild übernommen. Der Sohn heißt ebenfalls August und ist nicht nur enorm reich, sondern auch enorm einflussreich. Nach einer Donation von über einer Million Euro an die FDP machte die sich stark für die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Hotelübernachtungen. Ganz zufällig ist Finck der Hauptaktionär von Mövenpick. Man munkelt, dass auch die AfD auf der Liste der Beschenkten steht. Einer der Söhne, François von Finck, macht ebenso diskret weiter.“ Der Hase sah in die Runde. „Was ich euch damit sagen will: Wenn die Sache irgendetwas mit dieser Familie zu tun haben sollte, dann hängt uns allen der Allerwerteste zu tief, meine Lieben.“

„Wir hoffen auf etwas Banales“, entgegnete Kathi. „Fischer ermordet Frau, weil sie, statt Fischsupp zu kochen, lieber rumsupt.“

Irmi schüttelte den Kopf, nickte dem Hasen zu und stapfte wieder Richtung Kirche, wo ihr Auto stand.

„Dicke Luft?“, fragte Kathi.

„Nein, aber ihr geht mir alle auf den Zeiger mit so viel Witz am frühen Morgen.“

„Du bist doch der Morgenmensch und ich der Muffel“, meinte Kathi lächelnd.

„Heute nicht.“

Mehr und mehr erwachte der See. Es waren Pfingstferien, und schon die zweiten, die Irmi bei sich Nabucco-Ferien nannte wegen des Gefangenenchores. Sie waren immer noch Gefangene im eigenen Land. Corona hatte sie alle fest im Griff. Natürlich waren einige schon Richtung Mallorca oder Kanaren geflogen, und auch Österreich mühte sich wieder um Gäste. Der Gardasee lockte wieder. Irmi war ihnen dankbar. Alle, die nicht das Oberland fluteten, waren ihr sympathisch. Ihre Abwesenheit machte sie zu Lieblingsmenschen.

Schon der vergangene Sommer war die Hölle gewesen. Menschen, die sich sonst durch Fußgängerzonen schoben, hatten sich auf Bergpfaden gedrängelt. An den Gipfeln waren Heerscharen von hockenden und stehenden Menschen aufmarschiert und hatten Berghängen narbige Wunden zugefügt. Nie war Bergeinsamkeit lauter gewesen. Die Campingplätze bis zum Anschlag gefüllt, auch mit jenen, die sonst auf Malle gewesen wären und ihr Hobby Kübelsaufen nun an die Seen Bayerns verlegt hatten. In Irmis Kindheit war man mit dem Radl und einem auf den Gepäckträger geklemmten Handtuch zum Baden gefahren. Heute hatten die Menschen ihren halben Hausrat dabei. Picknickdecken, Strandmuscheln, Getränkekühler, Dosenbatterien. Handtuch an Handtuch wurden am Strand ausgelegt und die Kühltaschen auf den angrenzenden Radlwegen abgestellt. Und noch nie hatte Irmi so viele Boote gesehen! Von der alten Luftmatratze über Schlauchboote bis zu Kanus und Kajaks in allen Größen und Farben. Und ein SUP neben dem anderen – auch ohne Jesus zu sein, hätte man trockenen Fußes übers Wasser wandeln können. Dieser Sommer schien nicht viel besser zu werden.

Als Staatsbeamtin schämte Irmi sich derer, die diesen Staat lenken sollten. Zu langsam, zu unflexibel, zu reaktiv. Nie hatte man das Ganze im Blick gehabt, stattdessen versuchte man, immer wieder an neuen Ecken zu agieren. Aber das Virus war auch zu unberechenbar! Mal war es nachtaktiv, weswegen man Ausgangssperren nach neun verhängt hatte. Dann hatte es sich offenbar nur in kleinen Läden und der Gastronomie verbreitet. Während es sich in Fußballstadien gar nicht vermehrte, obwohl die Leute dort dicht an dicht standen und sich zuprosteten. Irmi erinnerte sich gut an eine Bekannte, die eine kleine Boutique besaß und zur Öffnung der Friseure im März lakonisch bemerkt hatte: „Sehr gut, ich kann meine Insolvenz dann wenigstens gut frisiert anmelden.“

Dass eine lange Zeit außer Lebensmittelgeschäften fast nur noch Drogeriemärkte geöffnet waren, hatte dazu geführt, dass die Menschen sich mangels anderer Alternativen dafür weit länger dort aufhielten als nötig. Auch Irmi hatte sich dabei ertappt. Man konnte in unerträglicher Langsamkeit an Regalen entlangflanieren und Gesichtscremes bewundern und all die bunten Shampooflaschen. Früher, da hatte es Schauma gegeben und das Grüne-Apfel-Shampoo, das gefühlt und gerochen jede benutzt hatte. Chemischer Apfelgestank mit dem Effekt, dass die Haare in jedem Fall strohiger als ein ganzes Weizenfeld wurden. Ach, die Welt war damals so viel einfacher gewesen …

„Irmi, hallo, kann man dich jetzt wieder ansprechen?“, fragte Kathi.

Irmi kehrte aus der Gedankenflut ans Ufer der Realität zurück. „Ja, natürlich.“

Sie fuhren durch Seeshaupt bis zum Gasthof Seeseiten. Dort standen bereits einige Autos.

„Ich glaube, ihr Wagen ist nicht dabei“, sagte Kathi, nachdem sie einen Blick auf die Autos geworfen hatte.

„Warum?“

„Sie fährt einen Mini.“

„Bist du Hellseherin?“

„Nein, ältere Weiber, die so aussehen, fahren oft Mini.“

Ältere Weiber, soso. Irmi schwieg.

„Gehen wir mal Richtung Bootshafen“, schlug Kathi vor.

Sie legten wenige Schritte auf einem befestigten Weg zurück und kamen zu einem gelben Kirchlein. Kathi las sich die Tafel durch. Das Gebäude war St. Jakobus dem Älteren geweiht und 1746 errichtet worden.

„Der heilige Jakob war Totenerwecker“, meinte Kathi.

„Ist ihm bei der Frau aber nicht gelungen“, murmelte Irmi.

Neben der Kirche stand ein Mini Countryman, frecherweise quer hingestellt, laut Kennzeichen in Garmisch-Partenkirchen registriert. Irmi schaute durch das Seitenfenster. Ein Shopper lag auf der Rückbank, Bergschuhe, eine Jeans.

„Schau mal!“ Kathi wies auf die Frontscheibe, hinter der eine eingeschweißte Pappe lag. Eine Durchfahrtserlaubnis. Fahrerlaubnis 2021 für gesperrte staatsforsteigene Privatwege, stand da. Kulissensuche für Dreharbeiten. Daneben steckte eine Karte mit der Aufschrift: Light ’n’ Fun – Produktionsfahrzeug.

Kathi war schon am Handy. „Sailer, Morgen! Eine Halterabfrage. Kennzeichen GAP EM 707. Pronto!“ Sie wandte sich an Irmi. „Siehst du, doch ein Mini!“

„Wenn das ihrer ist! Das Auto gehört einer Filmproduktion. Das heißt ja erst mal gar nichts.“

Sailer war schnell. Kathi lauschte. „Echt, oder? Danke. Servus.“ Dann wandte sie sich wieder an Irmi.

„Das Auto gehört Elisabeth Mühlegger. Wohnhaft in Farchant.“

„Ja, und weiter?“

„Sailer kennt die Frau. Er sprach von der Sissy. Sie ist Locationscout, sagt er.“

Irmi runzelte die Stirn. „Was für ein Ding?“

„Sie ist freiberuflich für Filmproduktionen tätig. Sucht Drehorte. Drum auch der Derfschein – sie kann überall durchfahren, um sich schöne Orte anzusehen. Ist doch ein cooler Job, oder?“

„Wie sieht die Dame aus? Wie alt ist sie? Hat Sailer was gesagt?“

„Laut Sailer, ich zitiere, sechsundsechzig Johr, dürr wie a Hacklstecken, anstrengend für zwoa und immer auf der Roas.“

Das Alter könnte passen, dachte Irmi. Dafür hatte sie sich wirklich gut gehalten, auch wenn sie nachgeholfen hatte.

„Sailer ist unterwegs zu ihrem Haus. Wenn sie da ist, kann sie ja nicht die Tote sein. Ihre Handynummer schreibt er mir auch gleich.“

Wenig später kam die SMS mit der Nummer. Kathi probierte, Elisabeth Mühlegger zu erreichen, doch nichts tat sich.

„Scheiße“, sagte sie. Eine Weile suchte sie auf ihrem Handy herum und reichte es dann Irmi. Das Foto zeigte eine Gruppe Frauen. Freude nach Abschluss des Drehs, lautete der Untertitel, daneben waren die Namen der Damen aufgeführt. Die dritte in der Reihe war Sissy Mühlegger. Es gab keinen Zweifel mehr.

„Ich rufe den Hasen an, dass er rüberkommt“, sagte Irmi leise. „Vielleicht finden er und sein Team ja etwas.“

Nach dem Telefonat standen sie schweigend neben dem Fahrzeug. Irmi fühlte Schärfe und Schmerz in ihrer Speiseröhre aufsteigen. Ihr Hausarzt hatte ihr kürzlich geraten, regelmäßiger zu essen und vor allem zu frühstücken. Leere Mägen wurden schnell sauer … Sie schluckte. Dann lächelte Kathi sie an. Aufmunternd fast. Es ging wieder los. Sie waren am Start.

Cecelia  Ahern

Über Cecelia Ahern

Biografie

Cecelia Ahern erzählt Geschichten über Menschen, die gerade durch eine Phase der Veränderung gehen. Sie selbst beschreibt ihre Bücher mit den Worten: »Ich fange meine Figuren dort auf, wo sie gefallen sind, und begleite sie von ganz unten wieder zurück. Ich mische gern Dunkelheit und Licht, Trauer...

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