Zoë Ferraris und ihre arabischen Krimis
19 Leichen in der Wüste: Ist der Mörder ein religiöser Fanatiker, der mit der Zahl 19 auf einen Koranvers anspielt? Und was bedeuten die Spuren im Sand? Ibrahim Zahrami und seine furchtlose Kollegin Kaya ermitteln im modernen „Morgenland“ und enthüllen dabei seine dunkelsten Seiten.
Dunkel, schwarz und undurchsichtig wie eine Burka: So fühlt sich die Frauenwelt an, in der sich Kaya im saudi-arabischen Dschidda bewegt. Kaya, die Hauptfigur in Zoë Ferraris „Wüstenblut“ ist Laborantin in der Pathologie. Sie hat sich in den männlichen Polizeiapparat hineingemogelt und ermittelt dort nun teilweise heimlich. Mutig, klug und sehnsuchtsvoll zugleich nimmt Kaja uns mit in ihren Alltag, der nicht selten eine Gratwanderung ist. Denn in diesem Land ist die Kluft zwischen archaisch anmutenden religiösen Vorschriften und den Errungenschaften der modernen Konsumgesellschaft riesengroß.
Kaya lebt in einer Welt, in der es selbstverständlich ist, Beweismittel per Video auf dem Smartphone anzusehen, während der fromme Kollege nebenan im Verhörzimmer einen Tatverdächtigen mit der Kamelpeitsche malträtiert. Die Todesstrafe droht Ehebrechern wie Mördern und Hinrichtungen gehören hier ebenso zum Alltag wie eine Religionspolizei, die über das sittsame Benehmen von Frauen wacht, oder Henker, die Hände abhacken. So ist der Leichenfund an dem unerträglich heißen Tag vor den Toren von Dschidda zwar grausam, aber auch Teil der Realität:
19 Frauenleichen mit abgehackten Händen liegen in der Wüste verscharrt. Die einzige Spur: Schuhabdrücke im Wüstensand.
Der Beduine Talib kann die Spuren lesen und erstellt daraus ein Täterprofil: Gesucht wird eine Person, die den rechten Fuß anders als den linken belastet. Ibrahim Zahrami von der Mordkommsion Dschidda schlussfolgert daraus, dass der Täter entweder verletzt ist oder häufig Auto fährt. Und damit mit großer Wahrscheinlichkeit ein Mann ist, denn Frauen dürfen in Saudi-Arabien nicht Auto fahren. Doch Ibrahim verfolgt noch eine weitere Spur. Der 19. Koranvers lautet: »Und neunzehn Wächter haben wir über sie gesetzt. Und nur Engel haben wir über das Höllenfeuer gesetzt, und die Zahl derselben haben wir nur zur Prüfung der Ungläubigen bestimmt.“ Handelt es sich beim Täter um einen religiöser Fanatiker?
Beim Verfolgen dieser Spuren stößt Ibrahim Zahrami immer wieder an Grenzen, wenn durch religiöse Gesetze Verbote gesetzt werden. So ist er damit konfrontiert, Frauen aufspüren zu müssen, die in der Öffentlichkeit mit einer Burka verhüllt sind. Doch wie dringt man in eine weibliche Welt vor, die den Männern verboten ist? Nur gut, dass Ibrahim wieder die ehrgeizige Kaya an seiner Seite hat.
Auch in diesem Fall beweist Kaya ihren Spürsinn für kriminalistische Zusammenhänge. Und sie liefert ihrem kollegialen Gönner Ibrahim dieses Mal nicht nur wertvolle Tipps für die Ermittlung, sie hilft ihm auch privat aus der Bredouille: Denn durch eine Liebschaft wird der Chefermittler in die Mordsache verstrickt und steht unter einem hohen Druck. Das verleiht dem dritten „Saudi-Arabien-Krimi“ nach den Romanen »Totenverse“ und „Die letzte Sure“ eine weitere spannende Note. Darüber hinaus erfüllt Ferraris das, was sich der Leser von einer guten Krimiautorin wünscht: Sie entwickelt ihre Figuren und baut sie aus. Kaya entdeckt in sich mehr und mehr den Drang nach Befreiung aus der Abhängigkeit. Sie realisiert von Tag zu Tag, wie eng das vorgeschriebene Rollenkorsett einer Frau in der islamischen Welt ist und wie unwohl sie sich darin fühlt. „Wieder einmal fühlte sie sich wie einer der Sklaven, die die Pyramiden erbaut und gewaltige Gesteinsquader durch die Wüste gezerrt hatten, ohne das Gesamtbauwerk je zu Gesichtzu bekommen“, umschreibt Ferraris die Gedankenwelt ihrer Protagonistin. Ein Satz, der auch stellvertretend für die Situation vieler Frauen in diesem Land gemeint sein kann: Teil eines Ganzen zu sein, aber sich wie ein Nichts zu fühlen. Doch auch die Männer leiden unter der Zwangsjacke der religiösen (Doppel-) Moral, und dieses Mal ist es Ibrahim, der, seit vielen Jahren gefangen in einer unglücklichen Zwangsehe, ausbricht. Ein gewagtes Spiel, das tödlich enden kann.
Für zusätzliche politische Brisanz sorgt Ferraris, weil ein Teil der Ermittlungen die Lebenswirklichkeit der ausländischen Arbeitnehmer enthüllt, die der arabisch-bürgerlichen Gesellschaft Reichtum und Komfort sichern. Darunter viele Hausmädchen, die nicht selten von ihren Herrinnen geschlagen und von den Herren vergewaltigt werden. „Hört das denn nie auf?“, stöhnt Ermittlerin Kaya, als im Fernsehen wieder von einem solchen Fall berichtet wird. Bald drängt sich der Verdacht auf, dass es sich auch bei den 19 Opfern, die der Serienmörder im Wüstensand draußen vor den Toren von Dschidda verscharrt hat, um ebensolche Hausmädchen handeln könnte. Ob sich der Verdacht bewahrheitet? Alles deutet darauf hin. Aber: Dieser Krimi ist voller überraschender Wendungen und enthüllt am Ende eine der dunkelsten Seiten des modernen „Morgenlandes“.
(der Titel ist ursprünglich im „Revolverblatt“ erschienen)
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