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Krieg im Schrebergarten

Krieg im Schrebergarten

Karin B. Holmqvist
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Roman

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Krieg im Schrebergarten — Inhalt

Als Berta die Zusage für eine kleine Schrebergartenparzelle erhält, schlägt ihr Botanikerherz höher. Endlich ein Ort, an dem sie und ihr Mann Gunnar der Hektik des Stadtlebens entfliehen und ihrem Lieblingshobby, dem Gärtnern, nachgehen können. Doch mit der ländlichen Idylle ist es schnell vorbei. Denn ab dem Moment, als der fiese Parzellengenosse Holger Gunnar beim Blumenkaufen beobachtet und diesem eine Affäre mit einer anderen Frau unterstellt, herrscht Krieg im Schrebergarten ...

€ 7,99 [D], € 7,99 [A]
Erschienen am 01.04.2016
Übersetzt von: Annika Krummacher
304 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-97328-1
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Leseprobe zu „Krieg im Schrebergarten“

1. Kapitel


Hjördis Kron rasselte mit dem Schlüsselbund und öffnete die Tür zu den Sanitärräumen der Laubenkolonie.
„Spürst du den Geruch, Berta?“
Die Nasenflügel von Berta Andersson blähten sich wie bei einem wütenden Stier.
„Ich finde nicht, dass es hier stinkt“, sagte Berta und warf Hjördis einen fragenden Blick zu.
„Ich habe doch gar nicht behauptet, dass es stinkt“, korrigierte Hjördis. „Aber es riecht ziemlich stark nach Reinigungsmitteln. Hat Inga diese Woche Putzdienst?“
„Ich glaube schon. Aber es ist doch gut, wenn sie ordentlich putzt, oder?“
»Man [...]

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1. Kapitel


Hjördis Kron rasselte mit dem Schlüsselbund und öffnete die Tür zu den Sanitärräumen der Laubenkolonie.
„Spürst du den Geruch, Berta?“
Die Nasenflügel von Berta Andersson blähten sich wie bei einem wütenden Stier.
„Ich finde nicht, dass es hier stinkt“, sagte Berta und warf Hjördis einen fragenden Blick zu.
„Ich habe doch gar nicht behauptet, dass es stinkt“, korrigierte Hjördis. „Aber es riecht ziemlich stark nach Reinigungsmitteln. Hat Inga diese Woche Putzdienst?“
„Ich glaube schon. Aber es ist doch gut, wenn sie ordentlich putzt, oder?“
„Man sollte nicht vergessen, dass die Reinigungsmittel aus der Vereinskasse bezahlt werden.“
„Ach, lass Inga doch so viel putzen, wie sie will. Mich stört es nicht. Ich finde, es riecht sauber und frisch.“
Hjördis schwieg und warf ihrer Freundin einen verunsicherten Blick zu, als befürchtete sie, etwas Falsches gesagt zu haben.
Der Kleingartenverein verfügte über hundertfünfzig Parzellen. Die Aufgaben wurden unter den Mitgliedern nach einem sorgfältig ausgearbeiteten Plan verteilt. Das neu gebaute Gemeinschaftshaus enthielt die Sanitärräume mit zwei Toiletten und einer Dusche und außerdem einen kleinen Vereinsraum, in dem der Vorstand tagen konnte.
Berta und Gunnar Andersson hatten ihren Schrebergarten neben dem von Hjördis und Konrad Kron. Beide Parzellen verfügten über eine kleine Laube, und die Grundstücke befanden sich in der Nähe des Meers im Norden der Kleingartenanlage, wo die Bodenqualität besonders gut war – darin stimmten sie überein.
Berta zog die dünne, blaugeblümte Gardine zur Seite und sah hinaus auf die vorbildlich geharkten Kieswege, die sich um die kleinen Lauben schlängelten.
„Ich würde mich in Grund und Boden schämen, wenn ich so rumlaufen müsste wie Camilla.“
Hjördis stellte sich neben Berta und blickte ebenfalls aus dem Fenster.
„Also, echt sind die nicht, ihre Brüste, das sieht man“, sagte sie und rümpfte verächtlich die Nase. „Das sind eindeutig Silikonkürbisse.“ Hjördis kratzte sich an der Nase.
„Glaubst du wirklich, dass das Silikon ist?“ Berta reckte sich, um besser sehen zu können.
„Glauben? Das sieht man doch. Ihre Brüste bewegen sich ja nicht beim Gehen. Anders als ihr Hintern zum Beispiel, der wabbelt so richtig. Ja, Gott bewahre. Und dann noch im Bikini, bei den Temperaturen. Camilla will sich mal wieder produzieren. Dass ihr das nicht peinlich ist!“
Plötzlich öffnete sich die Tür, und Assar Pålsson betrat das Gemeinschaftshaus.
„Also wirklich, was du da eben gesagt hast“, meinte Berta kichernd. „Kürbisse!“
„Aha, die Damen unterhalten sich also über Kürbisse?“
Hjördis und Berta wechselten erschrockene Blicke.
„Je größer die Kürbisse, desto besser. Das sagt dein Mann auch immer, Berta.“
Auf einmal fühlte Berta sich genauso ertappt wie damals, als ihre Mutter sie dabei erwischt hatte, wie sie auf dem Plumpsklo saß und eine filterlose John Silver rauchte. Das Gefühl war kaum zu beschreiben. Dabei wurde ihr auf merkwürdige Weise die Luft aus den Lungen gepresst, bis ihr Kopf vollkommen leer war.
„Wir haben uns gerade darüber unterhalten, wie …“ Berta wusste nicht weiter.
„Meine Güte, das ist doch kein Grund, so erschrocken auszusehen. Ulla und ich wollen auch Kürbisse säen. Jetzt ist die richtige Jahreszeit dafür, und ich wüsste nicht, dass die Aussaat von Kürbissen verboten wäre.“
Die beiden Frauen entspannten sich.
»Steht ihr an den Toiletten an, oder wollt ihr erst ­fertig diskutieren?«, fuhr Assar fort, und ohne auf eine Antwort zu warten, ging er weiter zu den Toiletten.
Letztes Mal hatten Berta und Gunnar den jährlichen Kürbiswettbewerb der Laubenkolonie haushoch ge­­won­­nen, und immer mehr Gärtner bauten die großen runden Früchte an.
„Pfui Deibel!“, rief Hjördis plötzlich. „Da schleicht eine schwarze Katze über den Kiesweg!“
„Du bist doch nicht etwa abergläubisch, Hjördis?“
„Ich glaube an alles. Sogar an die Wettervorhersage.“
„Einen schönen Tag noch“, sagte Assar freundlich, als er die Sanitärräume verlassen hatte und hinaus in die Frühsommersonne ging.
Die beiden Damen verschwanden hinter den Türen mit dem roten Herzchen. Hjördis war zuerst fertig und sah sich im Vereinsraum um, während sie auf Berta wartete. Es war gemütlich und heimelig. Hjördis be­­trachtete sich im Spiegel. Sie war klein und musste sich strecken, um etwas zu sehen. Im Mai und im Oktober ließ sie sich immer eine Dauerwelle legen, und weil sie für ihr Geld so viele Locken wie möglich haben wollte, war ihr blondes Haar im Moment ziemlich stark ge­­wellt. Sie war ganz zufrieden mit dem, was sie im Spiegel sah. Die Sonne hatte ihren Teint leicht goldbraun werden lassen, ihr Gesicht war rund und ihre man­delförmigen Augen waren grünmeliert. Trotz ihrer siebzig Jahre trug sie jeden Tag Lippenstift auf, allerdings in einem diskreten hellen Ton, der eher an Lipgloss er­­innerte.
Auch Berta warf im Vorübergehen einen Blick in den Spiegel. Ein Schmuckstück bin ich nicht gerade, dachte sie, aber es könnte schlimmer sein. Die Falten waren natürlich tiefer geworden und die Haare grauer, aber wenn man zweiundsiebzig war, musste man dankbar sein, wenn man ohne Rollator gehen konnte. Einige ihrer Freundinnen waren auf solche Transportmittel an­­gewiesen, wie Gunnar sie zu nennen pflegte.
Gemeinsam gingen die Freundinnen nach draußen.
„Ich finde trotzdem, dass Inga ein bisschen an den Putzmitteln sparen könnte“, brummte Hjördis, während sie die Tür des Gemeinschaftshauses absperrte.
Als sie wieder bei ihren Parzellen angekommen waren, saßen ihre Männer am Gartentisch von Hjördis und Konrad und tranken Himbeersaft.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte Konrad, ohne eine Antwort zu bekommen.
Hjördis hängte den Schlüssel an einen kleinen Haken auf der Innenseite der Tür.
„Willst du ein bisschen Saft, Berta?“, erkundigte sich Hjördis.
„Da sage ich nicht Nein“, meinte Berta und setzte sich auf einen Gartenstuhl.
„Bald ist die richtige Zeit, um Kürbisse zu säen“, sagte Gunnar. Die beiden Frauen wechselten vielsagende Blicke und kicherten.
„In diesem Jahr werde ich ordentlich düngen, damit sie größer werden als eure“, erklärte Konrad lachend und trank noch einen Schluck Saft.
„Die Hortensie blüht so üppig wie lange nicht“, stellte Hjördis zufrieden fest.
„Blumen sind wirklich etwas Schönes“, sagte Berta. Plötzlich wurde sie ernst und sah Gunnar an. „Mir ist etwas eingefallen“, fuhr sie fort. „Wenn ich gestorben bin, will ich auf meiner Beerdigung Blumen haben.“
„Sterben!“, sagte Hjördis erschrocken. „Wer redet denn hier vom Sterben? Davon mal abgesehen, kriegt man doch immer Blumen, wenn man tot ist.“
»Weißt du, manchmal steht in den Todesanzeigen: ›Statt Blumen bitten wir um eine Spende fürs Rote Kreuz‹ oder so. Ich will aber nicht, dass in meiner An­­zeige so was steht. Ich will Blumen.« Berta errötete ein wenig und fügte schnell hinzu: »Fürs Rote Kreuz kann ich doch selber spenden, aber auf meiner Beerdigung soll es ganz viele Blumen geben. Sonst sieht es so arm­selig aus.«
„Du machst dir vielleicht Gedanken“, meinte Gunnar und lachte.
„Ich habe am Schwarzen Brett gesehen, dass am 28. Mai das diesjährige Frühlingsfest des Kleingartenvereins stattfindet“, erzählte Berta. „Der Festausschuss hat sich schon getroffen. Bald ist Mitgliederversammlung, da wird entschieden, was es zu essen gibt und wie viel es kosten wird.“
Hätte Inga ein bisschen am Putzmittel gespart, könnten wir dafür mehr ausgeben, dachte Hjördis.
In einer Sache waren sich Berta und Gunnar einig: Sie hatten wirklich Glück, dass sie den Schrebergarten ne­­ben dem von Hjördis und Konrad bekommen hatten. Sie alle hatten früher in Smedstorp gewohnt. Als die Kinder ausgezogen waren, hatten sie es zu mühsam gefunden, ihre großen Häuser instand zu halten. Ohne voneinander zu wissen, hatten sie sich Eigentumswohnungen in der Landstingsgatan in Simrishamn gekauft. Und zwar im selben Haus.
„Aha, du bist also heute in der Stadt“, hatte Konrad zu Gunnar gesagt, als sie sich eines Tages auf dem Parkplatz vor dem Haus begegnet waren. „Und du auch, sehe ich“, hatte Gunnar erstaunt geantwortet und von ihrem Umzug nach Simrishamn erzählt. Sie waren vorher nicht direkt befreundet gewesen, aber in dem kleinen Ort Smedstorp hatte man sich einfach gekannt.
Die neuen Wohnungen waren hübsch und hatten große Balkone, dennoch vermissten sie ihre Häuser und die Gärten. Eines Vormittags hatten sie bei einer Tasse Kaffee beschlossen, sich Kleingärten zuzulegen. Dass ihnen beinahe gleichzeitig eine Parzelle zugeteilt wurde, hatte sie gleichermaßen verblüfft und erfreut. Es war einer der Momente gewesen, in denen Gunnar normalerweise ein Sprichwort anbrachte. Er hatte hochkonzentriert die Augen verdreht, um sich etwas Passendes einfallen zu lassen. „Ungleich verteilt ist des Schicksals Ernte“, hatte er schließlich gesagt. Er konnte sich nämlich nicht immer an den ganz genauen Wortlaut er­­innern.
Der Frühling war eine hektische Zeit im Kleingarten­gelände. Die beiden Männer schnitten die Sträucher zurück und düngten die Rasenflächen, während ihre Frauen Unkraut jäteten. Dabei waren sie alle sorgfältig und genau. Jeden Abend trugen die Frauen die Stuhlpolster in die Laube, und die Männer schlossen die ­Gartengeräte weg. Konrad brachte sie in einen kleinen Schuppen auf seiner Parzelle, während Gunnar seine Gerätschaften auf einer Plastikplane deponierte, die er jeden Abend in der Laube ausbreitete. Auch er plante, in der nächsten Zeit einen Schuppen zu bauen, aber bis dahin musste er sich eben so behelfen. Im Freien wollte er die Geräte auf keinen Fall liegen lassen, denn auf dem Gelände hatten schon Diebe und Randalierer ihr Un­­wesen getrieben. Es hatte sogar Fälle von Brandstiftung gegeben.
Immer wenn sie die Türen und die Vorhängeschlösser an den Gartenpforten zugesperrt hatten, standen die beiden Paare eine Weile an ihren Fahrrädern und unterhielten sich. Berta legte ihre Handtasche in den Fahr­radkorb und schob dann die Pedalen in die optimale Startposition. Sie winkten anderen Kleingärtnern zu, während sie an deren Lauben vorbeiradelten, und fuhren dann leicht schwankend über den Parkplatz in Richtung Brücke, die zum Strandpavillon führte.
Es herrschte Ostwind, und die Wellen schlugen rauschend an den Strand. Die Möwen kreischten und flatterten mit ruckartigen Bewegungen durch die Luft. Die beiden Paare fuhren am Hafen vorbei und dann die Järnvägsgatan entlang. Es war abends noch kühl, und Berta war froh, dass sie ihre dicke Strickjacke angezogen hatte.
Vor allem aber freute sie sich über die intensive Freundschaft mit Hjördis und Konrad. Das Leben war auf einmal so reich geworden. Berta hatte durchaus auch andere Freundinnen, die sie teilweise schon seit Jahren kannte, doch Hjördis stand ihr am nächsten. Fast kam es ihr so vor, als könnte ihre Freundin Gedanken lesen, denn in diesem Moment drehte Hjördis sich um und winkte ihr zu.


2. Kapitel


Berta schlüpfte in den alten Volvo und bemühte sich, mit der Tür nicht das Nachbarauto zu berühren. Gunnar konnte es nicht leiden, wenn er in schmale Parklücken einparken musste. In Smedstorp hatte er beinah einen halben Hektar Fläche zum Parken gehabt. Und wenn sie bei Leif Handlare einkauften, konnte er sein Auto direkt vor dem nostalgischen Laden abstellen. Dort gab es keine markierten Parkplätze, sondern man stellte den Wagen irgendwohin, wo Platz war.
Bertas Miene war ernst, als Gunnar das Auto startete. Aber ich muss den Mund halten, dachte sie. Gunnar braucht seine Ruhe, wenn er ausparkt. Das Auto machte einen kleinen Hüpfer, und Gunnar kurbelte fluchend am Steuer, als lenkte er einen Sattelschlepper mit Zusatzanhänger.
„Was für ein Theater, nur um auszuparken“, brumm­­te er.
„Das hast du gut gemacht, Gunnar“, sagte Berta aufmunternd.
„Was heißt gut? Eigentlich muss man nur rückwärtsfahren, aber das ist gar nicht einfach, wenn die Autos so dicht stehen.“
Schweigend verließen sie den Parkplatz und fuhren zum Bau- und Gartencenter in Tommarp, fünf Kilometer von Simrishamn entfernt. Gunnar brauchte Bauholz für den geplanten Geräteschuppen, und Berta wollte sich die vielen Blumen und Sommerpflanzen ansehen.
Gunnar freute sich, dass es vor dem Gartencenter keine markierten Parkplätze gab, und parkte seinen Wagen weitab von den anderen.
„Findest du nicht, dass es ein bisschen albern aussieht, so weit weg zu parken, wenn auf dem Parkplatz kaum andere Autos stehen?“
„Musst ausgerechnet du sagen, wo du nicht mal den Führerschein hast. Wenn wir aus dem Laden kommen, ist der Parkplatz vielleicht voll.“
Gunnar ging schon mit raschen Schritten in Richtung Eingang, während Berta sich bückte, um ihre Kniestrümpfe hochzuziehen. Es war immer ein besonderes Gefühl, im Frühling endlich wieder welche zu tragen. Das hatte sie schon immer gefunden. In ihrer Kindheit war der 1. Mai der Stichtag gewesen. Selbst wenn die Temperaturen noch unter dem Gefrierpunkt lagen, hatte sie an diesem Tag die kratzigen Winterstrumpfhosen durch Kniestrümpfe ersetzt. Außerdem hatten Berta und ihre kleine Schwester Iris am 1. Mai das erste Eis des Jahres bekommen. Berta seufzte. Inzwischen aß man das ganze Jahr über Eis, und es war nichts Besonderes mehr.
Als sie zum Eingang kam, war Gunnar schon im Gebäude verschwunden. Er war immer einen Schritt voraus. Nur selten gingen sie nebeneinander. Vor ihrer Trauung hatte Berta ihn ermahnt, in der Kirche langsam zu gehen. Sie hatte sich schon ausgemalt, wie er den Mittelgang entlang zum Altar stürmte, während sie nicht einmal den Mantel ausgezogen hatte.
Berta wurde von freundlichen Verkäufern begrüßt, und sie sah, wie Gunnar mit einem Berater in die Holzabteilung ging. Sie genoss es, zwischen den Blumen herum­zuschlendern. Die Pflanzen sahen gesund und kräftig aus, aber sie musste mit dem Kauf noch warten, bis sie ihre Blumenkübel und Pflanzkästen herausgeräumt hatte. Aber genießen konnte sie allemal und sich dabei überlegen, was sie kaufen würde.
„Ich leihe mir in den nächsten Tagen mal Konrads Anhänger, um Bauholz zu kaufen, damit ich den Schuppen noch vor dem Herbst fertighabe“, sagte Gunnar auf dem Rückweg zum Auto. „Hast du ein paar hübsche Blumen für deine Beerdigung gefunden?“
„Ach, hör doch auf. Aber vergiss trotzdem nicht, was ich gesagt habe“, meinte sie leise.
Gunnar bog aus alter Gewohnheit nach rechts in Richtung Smedstorp ab statt nach Simrishamn. Sie hatten mitverfolgt, was nach dem Verkauf ihres Hauses geschehen war. Ihr Sohn Mikael und seine Frau Mona hatten kein Interesse daran gehabt, das Haus zu übernehmen, weil sie sich gerade erst ein modernes Einfamilienhaus in Simrishamn gebaut hatten. Thomas hingegen, der Sohn von Hjördis und Konrad, war mit seiner Familie ins Haus seiner Eltern gezogen, weil sie vorher ziemlich beengt in einer Wohnung gelebt hatten.
„Da sitzt Anton Nilssons zurückgebliebene Tochter Hulda auf der Milchrampe und baumelt mit den Beinen wie immer“, sagte Gunnar.
„Ich mag es nicht, wenn du ›zurückgeblieben‹ sagst. Ist doch schlimm genug für Anton und Agda mit Huldas Problem. Und was meinst du eigentlich mit zurückgeblieben?“ Berta klang irritiert.
„Na ja, zurückgeblieben heißt doch wohl, dass der Kopf nicht richtig entwickelt ist.“
„Ich finde, sie hat ein hübsches Köpfchen.“
„Man meint doch mehr im Kopf drin, oder?“ Plötzlich war Gunnar selbst unsicher, was er eigentlich sagen wollte.
„Dann hast du ja noch mal Glück gehabt, dass dein Kopf so gut entwickelt ist, von außen und von innen“, sagte Berta spöttisch.
Als sie an ihrem ehemaligen Haus vorbeikamen, wurde Berta wieder ernst. So viele Erinnerungen strömten auf sie ein. Mikaels gebräunter Körper, wie er da in der Plastikbadewanne im Garten spielte. Ihre Enkelin Louise, die so oft zu Besuch gekommen war. Eine Wohnung in der Stadt war wirklich nicht dasselbe. Aber jede Zeit hat ihr Gutes, dachte Berta seufzend.
„Hast du was gesagt?“, fragte Gunnar.
„Ich habe an früher gedacht.“
„Vorbei ist vorbei. Sieh mal dort!“ Gunnar zeigte auf ein großes Schild mit der Aufschrift Galerie, das die neuen Hausbesitzer aufgehängt hatten. »Ganz Österlen ist bald eine einzige Galerie. Blumentöpfe und verdrehte Köpfe aus Ton. Wie zum Teufel können die davon le­­ben?«
„Keine Ahnung. Schade, dass sie das Schild direkt vor den Flieder gehängt haben.“ In Bertas Stimme schwang eine leichte Trauer mit.
„So was wie die Natur sehen solche Leute natürlich nicht, sie haben ja auch genug zu tun mit ihren Tonklumpen und Pinseln.“
„Jetzt bist du aber ungerecht. Viele Künstler stellen doch ganz hübsche Sachen her“, meinte Berta. „Unsere Marmeladendose zum Beispiel. Die hat Mona in einer Galerie gekauft.“
„Gekaufte Marmelade ist doch sowieso schon in Gläsern. Ich verstehe nicht, warum man sie da noch umfüllen muss. Aber heutzutage soll ja alles so besonders und exklusiv sein.“
„Manchmal kokettierst du mit Dingen herum, von denen du nichts verstehst.“
„Soll der Schuppen braun oder rot gestrichen werden?“, fragte Gunnar betont freundlich.
„Das kannst du entscheiden. Du weißt ja ohnehin alles besser.“
So war es jedes Mal, wenn sie an ihrem alten Haus vorbeifuhren. Plötzlich wurde der Ton zwischen ihnen gereizt. Dabei hatte es in ihrer fünfzigjährigen Ehe nur wenige Scharmützel gegeben. Höchstens dann, wenn sie Gäste erwarteten und Berta nervös wurde, was schnell der Fall war. Aber Gunnar hatte gelernt, ihr in solchen Fällen aus dem Weg zu gehen.
„Wir melden uns doch zum Frühlingsfest an, oder?“, fragte Gunnar, als sie sich Simrishamn näherten.
»Natürlich! Hjördis und Konrad wollen auch hin­gehen, das weiß ich. Aber wir warten mit der Anmeldung bis nach der Mitgliederversammlung. Dann wissen wir auch, was es kostet.«
»Wenn wir hinwollen, ist es doch egal, was es kostet. Letztes Jahr hat es zweihundert Kronen pro Person ge­­kostet, und das war es auch wert, finde ich. Wenn man dann noch die Inflation einrechnet, können wir uns das auf jeden Fall leisten.«
»Was weißt denn du von der Inflation, Gunnar An­­dersson?« Berta sah ihren Mann erstaunt an.
„Ach, das sagt man doch so“, antwortete er verlegen. Er befürchtete, dass seine Frau in eine tiefere Diskussion einsteigen wollte. Sie verfolgte aufmerksam die Nachrichten und informierte sich über die Ereignisse in der Welt, dachte er stolz und tätschelte ihr das Knie.
„Was willst du denn jetzt? Es gibt kein Marzipantörtchen zum Kaffee, falls du darauf aus sein solltest“, meinte Berta lachend und strich ihm über die Hand.
Zu Hause legten sie sich eine Weile hin, um sich in ihrem neuen Doppelbett auszuruhen. Sie hoben die Tagesdecke mit dem Gobelinmuster an und holten die Kissen darunter hervor. Berta streckte sich aus und breitete die Wolldecke über ihrer beider Füße aus.
„Wenn am Wochenende schönes Wetter ist, können wir im Garten grillen. Vielleicht kommen Hjördis und Konrad dazu“, schlug Gunnar vor.
„Mal sehen, wie das Wetter wird“, antwortete Berta verschlafen.
Ein dumpfer Knall war zu hören, als die Haustür unten zuschlug. Wenig später erklang das klappernde Geräusch von Holzpantinen auf den Stufen.
»Es ist ja nicht zu fassen, was für einen Lärm die ma­­chen. Das klingt ja schlimmer als …«
»Zumindest sind das nicht solche Crocs oder wie die Dinger heißen. Aber wir müssen uns wohl daran ge­­wöhnen.«
„Es klingt so, als würden sie mir direkt durch den Schädel laufen“, murrte Gunnar.
„Holzschuhe gehen ja noch, solange sie tagsüber im Treppenhaus herumtrampeln. Da finde ich die Sache mit dem Waschkeller viel schlimmer“, sagte Berta.
„Mit dem Waschkeller?“ Gunnar stützte sich auf seinen Ellbogen und sah Berta an. „Wo ist denn da das Problem, wenn ich fragen darf?“
„Ach, ich bin es einfach nicht gewohnt, so weit im Voraus zu planen. Man muss sich ewig vorher in die Liste für die Waschmaschinennutzung eintragen. Außerdem sind die Maschinen so groß, dass unser ganzer Kleiderschrank darin Platz hätte. Und es war früher so schön, die Wäsche ins Freie zu hängen und in der Sonne trocknen zu lassen.“
Gunnar antwortete nicht, sondern schloss die Augen. Es war ihnen beiden schwergefallen, sich an das Leben in der Wohnung zu gewöhnen. Das Einparken, der Lärm im Treppenhaus, die Liste im Waschkeller. Gunnar öffnete die Augen wieder.
„Aber bei uns hier drinnen ist es warm und gemütlich. Es zieht nicht durch die Fenster wie in unserem Haus früher. Wenn was kaputtgeht, kommt jemand und repariert es. Das finde ich gut“, sagte er optimistisch.
„Schade, dass wir keine Katzen mehr haben“, sagte Berta. „Aber sie würden mir leidtun, wenn sie immer in der Wohnung leben müssten.“ Plötzlich begann sie zu kichern.
„Was ist denn daran so witzig?“
„Ich musste gerade daran denken, wie wir damals unseren Kater Pupsi haben kastrieren lassen.“
„Was ist denn daran so witzig? Schließlich haben wir ihm den ganzen Spaß im Leben verdorben.“
„Weißt du noch, wie Mikael gesagt hat: ›Warum habt ihr Pupsi den Sack abgeschneidet, Papa?‹“
„Na ja, so was ist für ein Kind in dem Alter nicht so leicht zu durchschauen. Wollen wir uns nun ausruhen oder nicht?“ Gunnar kuschelte seine Beine in die Wolldecke.
„Aber die Sache mit Pupsi war schon verrückt“, sagte Berta und lachte noch immer. „Kann ich auch was von der Decke abhaben?“, fragte sie dann und zog die Decke zu sich herüber, bevor sie sie unter dem Knie einrollte.
Die dünnen Tüllgardinen ließen die hellen Strahlen der Mittagssonne ins Schlafzimmer. Auf Bertas Nachttischchen tickte ein Wecker beharrlich vor sich hin, da­­neben lag ein Buch über Gartenpflege.


3. Kapitel


„Ich gehe eben hoch zu Konrad und frage, ob ich mir seinen Anhänger leihen kann, um die Bretter zu transportieren“, sagte Gunnar, als sie aufgewacht waren.
»Gut. Schließlich soll aus dem einzigen Raum in un­­serer Laube kein Geräteschuppen werden.«
Gunnar schlüpfte rasch hinaus, ehe die ganze Tirade von vorn losging. Natürlich konnte er Berta verstehen, aber sie war immer so ungeduldig. Alles sollte möglichst schon vorgestern fertig sein.
Sorgfältig faltete Berta die Wolldecke zusammen und ging in die Küche. Sie holte eine Tüte mit selbstgebackenen Zimtschnecken aus der Gefriertruhe und legte sie auf die Spüle. Dann setzte sie sich an den Küchentisch, schlug die Werbung vom ICA-Supermarkt auf und be­­gann einen Einkaufszettel zu schreiben. Sie freute sich da­­rauf, in ihrem Schrebergarten Gemüse und Kräuter ernten zu können. Beinahe zwanzig Kronen für ein Bund Schnittlauch ist doch eine Unverschämtheit!, dachte sie. Dabei war an so einem Bund wirklich nicht viel dran.
Sie schaltete das Küchenradio an, legte den Stift aus der Hand und lächelte. „Die alte Nordsee“ war zu hören, gesungen von Harry Brandelius. Endlich mal nicht dieses Geschrei, das die meisten Sänger heute von sich gaben.
„Die alte Nordsee, sie rauscht und braust, bei wechselnden Winden verzaubert sie uns, und das seit ewigen Zeiten“, sang sie laut mit.
Es klingelte an der Wohnungstür, und Berta drehte rasch die Lautstärke herunter.
„Hjördis“, sagte sie erfreut. „Haben die Männer dich rausgeschmissen?“
„Ach, sie haben nur noch über Lasuren und Bretter geredet. Offenbar hat Gunnar gemerkt, dass mich das nicht weiter interessiert. Jedenfalls hat er gemeint, ich könnte ja mal runtergehen und eine Runde mit dir quatschen. Natürlich nur, wenn ich nicht störe?“
„Das ist aber nett, Hjördis. Du störst doch nie.“
Berta legte die Supermarktwerbung weg und setzte einen Kaffee auf.
„Ist die Kaffeedose bei euch auch immer leer, wenn du Kaffee kochen willst? Natürlich macht es keinen Spaß, eine neue Packung zu öffnen. Die Kaffeebohnen fliegen immer seitlich raus. Das findet Gunnar auch. Er treibt mich noch in den Wahnsinn.“
„Warum denn das?“, erkundigte sich Hjördis neugierig.
„›Willst du vielleicht einen Abendkaffee aufsetzen?‹, frage ich ihn manchmal. ›Ach, ich glaube, ich verzichte heute Abend auf den Kaffee‹, antwortet er dann, obwohl ich weiß, dass er Lust darauf hat. Und das nur, weil ihm klar ist, dass die Dose leer ist und er eine neue Packung öffnen müsste. ›Ich hätte aber schon gern eine Tasse‹, sage ich dann. ›Ach, wenn du ohnehin einen Kaffee kochst, kann ich auch einen mittrinken‹, antwortet er fast immer. Aber ich durchschaue ihn“, sagte Berta und rammte das Messer in die Kaffeepackung, dass die Luft zischend entwich.
Hjördis lachte wiedererkennend.„Ich habe gehört, dass Frau Doktor Siv Rydholm in unser Haus ziehen wird. Sie ist ja seit Neuestem Witwe“, erzählte sie.
„Sag doch nicht so was.“ Berta kniff die Augen zu­­sammen.
„Ach, ich dachte eigentlich, sie wäre ganz nett“, sagte Hjördis erstaunt.
„Ich meine nicht Siv, ich ärgere mich nur, wenn man sie Frau Doktor nennt. Soweit ich weiß, ist sie Grundschullehrerin und hat gar keinen Doktortitel. Warum sollte sie sich mit dem Titel ihres Mannes schmücken? Da könnte ich mich ja Frau Fernfahrer nennen.“
„Na ja, so wird sie sich ja nicht selbst nennen. Das sagen doch bloß die anderen“, versuchte Hjördis zu vermitteln. „Aber es ist schon ein bisschen komisch, das stimmt.“
Berta seufzte und stellte Kaffeetassen auf den Tisch. Dann erzählte sie ihrer Freundin, was Mikael seinerzeit gesagt hatte, als Pupsi kastriert worden war. Hjördis lachte herzlich und musste sich die Tränen mit der ge­­blümten Kaffeeserviette abwischen, die Berta gerade hingelegt hatte.
„Ach ja, diese Kinder“, sagte Hjördis. „Ich muss gerade daran denken, wie unser Enkel Nicklas dem Hund ein Stöckchen hingeworfen hat, das er apportieren sollte. Als er den Stock warf, rief er: ›Abort, Abort!‹ Weißt du was, Berta? Wir können wirklich froh sein, dass unsere Enkelkinder in der Nähe wohnen. Bekannte von uns haben ihre Enkelchen in Amerika.“
Berta schnappte nach Luft und musste zugeben, dass sie es wirklich gut getroffen hatten.
„Was machst du eigentlich mit den ganzen Nägeln? Schluckst du sie?“, witzelte Berta, als Gunnar ankündigte, er müsse losfahren, um noch mehr Nägel zu kaufen.
„Ich bin doch kein Fakir. Manchmal frage ich mich auch, wo die Dinger bleiben. Teuer sind sie obendrein. Aber wenn ich einen Schuppen bauen soll, dann brauche ich nun mal welche“, erklärte Gunnar, bevor er die Wohnungstür schloss.
Er konnte wirklich stolz auf seine Berta sein, dachte er, als er sich ins Auto setzte. Ein bisschen schlechtes Gewissen hatte er schon, weil er sie in den letzten Tagen einige Male angeraunzt hatte. Er würde ihr Blumen mitbringen, beschloss er und grinste. Ja, verflixt, das würde er tun. Darüber würde sie sich freuen. Plötzlich war er richtig zufrieden mit sich.
Vor dem Blumenladen standen nur zwei Autos. Gunnar schloss seinen Wagen ab und betrat das Geschäft. Ein bisschen unangenehm war es ihm schon. Bestimmt ging es Berta so ähnlich, wenn er sie wegen irgendwas zum staatlichen Spirituosenladen schickte. Vielleicht lag es daran, dass er sich mit Blumen nicht auskannte. Un­­sicher fühlte er sich jedenfalls.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte eine freundliche Verkäuferin.
„Ich hätte gern Blumen für meine Frau.“
„Ein paar rote Rosen vielleicht?“, meinte die Verkäuferin lächelnd.
„Nein, ich dachte eher an drei rote Nelken“, erklärte er, denn er hatte Berta mal sagen hören, dass Rosen so schnell die Köpfe hängen ließen.
„Möchten Sie eine kleine Karte beilegen?“
„Gern“, meinte Gunnar höflich.
„Darf es eine Glückwunschkarte sein?“
„Nein, einfach eine ganz normale.“
Die Verkäuferin legte ihm einen Stift hin und suchte im Kartenständer.
„Wenn Sie so freundlich wären, die Karte zu beschriften?“, sagte Gunnar verlegen.
„Was soll denn draufstehen?“ Die Verkäuferin legte eine neutrale Karte auf den Tresen.
„Von Gunnar Andersson?“
Die Dame sah ein wenig ratlos drein.
„Ach, du wandelst wohl auf Freiersfüßen?“
Gunnar drehte sich um und starrte in Holgers spöttisches Gesicht. Obwohl Holger und seine Frau eine Parzelle im selben Kleingartengelände hatten, konnte Gunnar ihn nicht leiden. Er war ironisch und unfreundlich, das war schon immer Gunnars Eindruck gewesen.
„Pst, nicht so laut. Und erzähl Berta nichts davon, ja?“, sagte Gunnar geheimnisvoll.
Holgers mageres Gesicht sah noch kümmerlicher aus, als ihm die Kinnlade herunterfiel. Wortlos verschwand er im hinteren Bereich der Verkaufsfläche, wo Töpfe mit Petunien standen. Trotzdem konnte er sich nicht verkneifen, aus einer gewissen Entfernung erstaunt zu Gunnar hinüberzuschauen.
Ob der wirklich eine Affäre hatte? Wenn Berta das wüsste! Plötzlich ärgerte er sich. Das hätte er von Gunnar wirklich nicht gedacht. Und er schien sich nicht ­einmal besonders zu schämen. Nein, er hatte eher stolz ausgesehen. Die Wärme im Treibhaus brachte Holger zum Schwitzen, und er befürchtete, gleich von seiner Allergie befallen zu werden.
Gunnar legte die Nelken auf die Rückbank, gerade als Holger auf den Parkplatz kam.
„Verdammter Casanova!“, rief Holger ihm zu, ehe er in seinen Wagen stieg.
„Man hat mir schon immer nachgesagt, ich sei ein Weiberheld. Trotzdem danke fürs Kompliment, das tut gut“, konterte Gunnar, auch wenn Holger das vermutlich nicht mehr hörte, da er im selben Moment seine Autotür zuschlug.
„Keine Antwort ist auch eine Antwort“, murmelte Gunnar und fuhr davon. Er schlug ein paarmal mit der Hand aufs Armaturenbrett, als wollte er unterstreichen, wie er Holger verblüfft hatte. Dann drehte er das Autoradio an.
Nachdem er Nägel gekauft hatte, fuhr er nicht di­­rekt nach Hause, sondern drehte noch ein paar Runden um die Häuser, wie er zu sagen pflegte, wenn Berta fand, dass er zu lange für irgendwelche Besorgungen gebraucht hatte. Er setzte seine Schirmmütze verkehrt herum auf und behauptete lässig, er sei noch etwas um die Häuser gezogen. Die ersten Male hatte Berta ge­­lacht, aber in der letzten Zeit verdrehte sie nur noch die Augen.
Er beschloss, sich einen Spaß zu erlauben, und klingelte an seiner eigenen Wohnungstür.
„Hier ist der Blumenbote mit einem Strauß von Gunnar Andersson“, sagte er, als sie öffnete.
„Blumen? Von wem?“
„Von mir. Hast du nicht zugehört? Von Gunnar Andersson.“ Er überreichte die noch eingewickelten Blumen.
Berta begutachtete den Strauß und las die Karte: Von Gunnar Andersson.
„Du Spinner. Warum hast du Blumen für mich gekauft?“
„Einfach so.“ Gunnar warf den Kopf in den Nacken.
„Danke, Gunnar, das ist wirklich lieb von dir …“ Berta verkniff sich zu sagen, wie unnötig es sei, Blumen zu kaufen, wo sie eigene im Schrebergarten hatten.


4. Kapitel


Gunnar begann herumzuhämmern, sobald Konrad ihm geholfen hatte, die Bretter zum Kleingarten zu transportieren.
„Pass bloß auf! Halt dich ordentlich an der Leiter fest, damit du nicht abstürzt“, schrie Berta.
Gunnar warf ihr einen dunklen Blick zu.
„Und sieh zu, dass die Leiter nicht gegen das Fenster fällt“, flehte sie.
„Meine Güte, ich stehe auf der zweiten Stufe von unten. Ich habe nicht vor, den Eiffelturm zu besteigen. Reich mir mal den Hammer.“
Berta hielt krampfhaft die Leiter fest und wagte kaum, sie loszulassen, um den Hammer zu holen.
„Und denk an die Sonne. Du hast keine Schirmmütze auf, Gunnar. Wenn du einen Sonnenstich kriegst, kannst du von der Leiter fallen. Wir sollten das Abschleppseil holen und es dir um die Taille binden.“
„Wenn du noch ein bisschen so weitermachst, bleiben die Gartengeräte den ganzen Sommer in der Laube. Dann wird das nichts mit dem Schuppen. Guten Abend“, sagte er plötzlich und sah verlegen zum Weg hinüber, wo Holger und seine Frau Erna vorbeispazierten. »Ak­­robatik auf hohem Niveau«, witzelte Gunnar, als ihm bewusst wurde, dass die beiden ihr Gespräch mitgehört haben mussten.
„Wir haben zwar kein Abschleppseil, aber ihr könntet unser Fahnenseil nehmen“, sagte Holger ironisch.
Berta schlich in die Laube zurück. Typisch, dass ausgerechnet Holger und Erna vorbeigekommen waren. Sie spähte an der rotgeblümten Gardine vorbei nach draußen. Jetzt war Gunnar wütend, das sah sie. In solchen Situationen wurden seine Bewegungen immer so ruckhaft. Entsetzt stellte sie fest, dass die Leiter wackelte, während er auf die vierte Stufe stieg. Am liebsten wäre sie hinausgestürmt, überlegte es sich aber anders.
Gunnar nagelte ein Querholz auf eine der Latten. Die Nägel hatte er sich zwischen die Lippen geklemmt, was an die Zinken einer Heugabel erinnerte. Die Irritation über Bertas Verhalten ließ ihn nicht los. Manchmal war sie ihm einfach zu viel, das stand mal fest. Im Lauf der Jahre war es wegen ihrer Ängstlichkeit zu vielen peinlichen Situationen gekommen. Wie damals bei der Einladung zum Essen, als Gunnar sich vorsichtig geräuspert hatte, woraufhin Berta aufgesprungen war und ihm auf den Rücken geklopft hatte, als wäre er kurz vor dem Ersticken. Sie hatte immer weiter ge­­klopft, und am Ende hatte sie ihn zum Entsetzen der übrigen Gäste an den Schultern gepackt und geschüttelt.
Manchmal kam es Gunnar wie ein Wunder vor, dass sie Mikael in seiner Kindheit nicht erschlagen hatte. Sobald er hustete, hatte sie auf seinen Rücken gehauen, weil sie sicher war, dass er sich verschluckt hatte. Nicht einmal Kater Pupsi war ihrer unsanften Behandlung entkommen, aber er hatte sich das nicht gefallen lassen. Eines Tages hatte das Tier ein Geräusch von sich gegeben, das Berta irgendwie seltsam vorkam. Sie war sofort hingerannt und hatte an dem armen Vieh gezogen und gezerrt. Daraufhin hatte Pupsi gefaucht und sie am Arm gekratzt.
Gunnar sah, wie die Gardine sich bewegte. Bestimmt stand Berta dort drinnen und beobachtete ihn. Er machte eine ruckhafte Bewegung, bei der er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.
„Fahnenseil“, schnaubte er verächtlich. Das war mal wieder typisch Holger: Sobald sich eine Gelegenheit bot, machte er boshafte Bemerkungen. Allerdings hatte Holger, als ihm letztens die Tüte vom ICA-Supermarkt ins Vorderrad geraten und er mitsamt den Einkäufen auf die Straße gepurzelt war, gar nicht mehr so großspurig gewirkt. Gunnar hatte das Elend mit angesehen. Am liebsten hätte er auf die Bemerkung mit dem Fahnenseil gekontert: „Dann kannst du dir ja vor dem nächsten Einkauf unseren Fahrradkorb ausleihen.“
Gunnar sah, wie sich die Gardine erneut bewegte, und auf einmal musste er grinsen, und eine Woge der Zuneigung durchflutete seinen mageren Körper. Meine liebe Berta, dachte er. Im Grunde meinst du es ja gut, wenn du dir Sorgen um mich machst, auch wenn es mir manchmal zu viel ist. Er winkte in Richtung Fenster. Im nächsten Moment war Bertas Schatten verschwunden. Ein bisschen nervös ist sie schon, stellte er wieder mal fest. Da war sich ganz Simrishamn einig. Oder zumindest waren es alle, die sie kannten.
Die Gartenpforte quietschte, als Hjördis und Konrad den Garten betraten.
„Sieh an, du hast mit dem Schuppen angefangen“, konstatierte Konrad und nickte in Richtung Baustelle. „Wenn du Hilfe brauchst, gib einfach Bescheid.“
„Vielen Dank. Du hast mir ja schon mit dem Transport des Baumaterials geholfen“, sagte Gunnar und stieg von der Leiter.
„Ist Berta heute gar nicht mitgekommen?“, fragte Hjördis enttäuscht.
Die Tür wurde langsam geöffnet, und Berta steckte den Kopf heraus.
„Ich habe mich gerade gefragt, ob ihr noch kommt. Ihr seid doch sonst immer so früh dran“, sagte sie freundlich. Sie drehte sich um, holte die Polster für die Gartenmöbel und warf sie auf die Stühle.
„Willst du ein Bier, Konrad?“, fragte Gunnar. „Ich habe hart gearbeitet und muss mich ein bisschen erfrischen.“
„Ich gehe mal kurz rüber“, sagte Hjördis und zeigte auf den Korb, in dem sie immer Proviant für die Kaf­feepause im Garten transportierte. In den Lauben gab es keinen Stromanschluss, daher brachten die beiden Frauen Kaffee in Thermoskannen mit.
Konrad setzte sich auf einen der Gartenstühle.
„Ich habe die Kühltasche genommen, das Bier hat also die richtige Temperatur“, sagte Gunnar stolz und verschwand in der Laube.
Bald war Hjördis wieder da und schloss sich den anderen an. Berta und sie zogen sich zurück zu den Blumenbeeten, wo sie stehen blieben und schwatzten.
„Wo hast du das Bier versteckt, Berta?“, rief Gunnar und steckte den Kopf aus der Türöffnung. Normalerweise rührte Berta sein Bier nicht an.
„Ich habe es den Schnecken gegeben“, entgegnete sie schuldbewusst.
„Den Schnecken? Was sagst du da?“ Gunnar starrte sie verständnislos an.
„Ich habe in einer Gartenzeitschrift gelesen, dass man Nacktschnecken mit Bier anlocken kann, und dann ertrinken sie darin“, versuchte Berta zu erklären.
Gunnar schien etwas sagen zu wollen, aber es kam kein Wort über seine Lippen.
Berta zeigte auf eine Schüssel, die unter dem Sonnenschirm stand.
»Hast du den Nacktschnecken etwa zwei ge­­kühlte Bier gegeben?«, knurrte Gunnar und ließ den Blick an der lavendelbewachsenen Kante des Beets entlang schweifen, wo eine ganze Reihe von Schüsseln stand. „Bist du von allen guten Geistern verlassen? Wir haben doch gar keine Nacktschnecken, oder?“
„Noch nicht, aber man muss doch vorbeugen.“
„Vorbeugen“, seufzte Gunnar. „Wir haben keine Schnecken, und du willst sie mit meinem Bier herlocken. Mit meinem Bier.“
Konrad und Hjördis waren etwas unangenehm be­­rührt.
„Wir gehen mal rüber in unseren Garten und packen das Unkraut in den Blumenbeeten an“, meinte Konrad und erhob sich.
„Ich hätte noch etwas Stachelbeersaft anzubieten“, schlug Berta vorsichtig vor.
„Stachelbeersaft“, schnaubte Gunnar. „Soll das ein Ersatz für Bier sein?“ Doch als er Bertas unglückliche Gestalt unter der Fassadenflagge sah, die im Frühlingswind flatterte, tat sie ihm doch leid. Sie hatte ein ein­maliges Talent, Dinge durcheinanderzubringen, dabei meinte sie es ja nur gut.
„Wir trinken unser Bier ein andermal, Konrad. Es sei denn, du willst es direkt aus den Schüsseln schlürfen“, witzelte Gunnar.
Er kehrte zu seiner Arbeit am Schuppen zurück, während sich Berta mit einem Glas Stachelbeersaft in den Schatten unters Rosenspalier setzte.
Der Ostwind hatte aufgefrischt, und in den Pausen zwischen Gunnars Hammerschlägen waren die Ostseewellen zu hören, die an den Strand schlugen. Berta schloss die Augen.
Wo die Worte enden, müssen die Fäuste übernehmen, dachte Gunnar und hämmerte auf einen Nagel ein, schlug jedoch daneben und erwischte den Daumen.
„Scheiße!“, brüllte er.
Berta schloss die Augen noch fester und verstand nicht, dass man wegen ein paar Bier so wütend werden konnte. Ganz kurz nickte sie ein, wachte aber davon auf, dass ihr Kopf nach vorn fiel. Sie streckte die Hand aus und guckte nach oben. Es hatte angefangen zu nieseln. Schnell brachte sie die Stuhlkissen in die Laube und legte sie aufs Sofa. Dann ging sie wieder nach draußen und sah zum Himmel. Der Wind trieb die Wolken wie Polster vor sich her Richtung Westen. Plötzlich blitzte es, und wenig später folgte ein Donnerschlag. Berta zuckte vor Schreck zusammen.
„Gunnar, spring von der Leiter! Es gewittert!“, schrie sie hysterisch.
„Ich bin doch nicht taub.“
„Los, beeil dich! Die Leiter ist aus Alu. Sie leitet den Strom, falls der Blitz einschlägt!“
„Was du nicht sagst, Berta. Ich wusste gar nicht, dass du so viel Materialkenntnis hast.“ Die Sache mit dem Bier saß noch immer wie ein Stachel in ihm. Er stieg von der Leiter, aber nicht, weil Berta ihn darum gebeten hatte, sondern weil der Regen stärker wurde.
Rasch wickelte er die Plane um die Bretter und ging in die Laube, wo Berta reglos auf dem weißen Holzsofa saß. Gunnar setzte sich auf einen der Sessel, die Berta mit einem hübschen karierten Stoff neu bezogen hatte. Das Gewitter kam immer näher, und Gunnar hörte, wie Berta die Sekunden zwischen Blitz und Donner zählte, um zu wissen, wie weit es noch entfernt war.
„Stell dir vor, der Blitz schlägt ein“, sagte sie ängstlich.
„Doch nicht so nahe am Meer. Die Blitze werden vom Wasser angezogen“, tröstete Gunnar.
„Ist es nicht ziemlich früh im Jahr für ein Gewitter?“
„Wenn es kommt, dann kommt es“, antwortete ­Gun­­nar.
Dann blitzte es, während fast gleichzeitig ein Donnerschlag ertönte. Ein Regenguss prasselte auf das ge­­teerte Dach nieder.
„Rutsch mal mit dem Sessel ein bisschen weiter ins Zimmer rein, Gunnar. Du sitzt zu nah am Fenster.“
In all den Jahren in Smedstorp war Berta bei Gewitter immer hinausgelaufen und hatte sich ins Auto ge­­setzt, weil die Forscher behaupteten, dort sei es am sichersten. Dabei hatte sie immer eine große Tasche mit den Fotoalben und ein paar anderen Gegenständen von Erinnerungswert mitgeschleppt. Die Tasche stand in den Sommermonaten fertig gepackt an der Tür. Den kleinen Mikael hatte sie natürlich auch mitgenommen, selbst wenn es mitten in der Nacht war. Gunnar hatte sich geweigert mitzukommen, und Berta hatte sich jedes Mal wie eine Idiotin gefühlt, wenn sie mit dem Jungen im Auto saß, während Gunnar sie vom Wohnzimmerfenster aus beobachtete. Seit sie nach Simrishamn gezogen waren, hatte sie sich zu sehr geschämt und war bei Gewitter im Haus geblieben. Irgendwie kam ihr das Gewitter in der Stadt auch nicht so gefährlich vor wie auf dem Land. Doch hier in der Laubenkolonie fand sie es richtig bedrohlich – und sie hatten ja auch nur die Fahrräder dabei.
Gunnar stand auf und stellte sich ans Fenster.
„Das war’s dann mit dem Bier“, sagte er müde und beobachtete die Schüsseln, in denen das Bier nun mit Regenwasser verdünnt war.
Berta kniff bei jedem Blitz die Augen zusammen. Gunnar setzte sich wieder in den Sessel. Schweigend verfolgten sie das Schauspiel dort draußen. Es goss wie aus Kübeln, und das Prasseln auf dem Dach übertönte beinahe das Donnergrollen.
Der einzige Raum der Laube war klein. Außer dem Sofa und den beiden Sesseln gab es noch einen kleinen Tisch und einen Zeitungsständer. An einer Wand stand ein alter Nachttisch mit einem ovalen Spiegel darüber. Direkt an der Tür gab es eine winzige Abstellnische, die Gunnar mit Regalen ausgestattet hatte. Hier bewahrten sie Kaffeetassen, Zucker, Saft und einige Gläser auf und außerdem ein paar Packungen Kekse.
An der Wand über dem Sofa war ein kleines Holz­regal angebracht, auf dem Nippes stand, etwa eine Windmühle aus blau-weißem Porzellan, die sie auf einer Seniorenreise nach Holland gekauft hatten, und ein Sparschwein, auf dessen Flanke ein grünes Glückskleeblatt gemalt war. Neben dem Regal hingen ein paar Gemälde oder besser gesagt gerahmte Abbildungen, die Berta aus einer Illustrierten ausgeschnitten hatte, sowie ein Holzteller mit einem roten Haus, das von anmutigen Birken umgeben war. Am unteren Rand stand in Schreibschrift: Markt in Kivik 1956.
Inzwischen waren die kleinen Fenster so beschlagen, dass man kaum hinaussehen konnte. Das Gefühl des Eingeschlossenseins in Kombination mit der stickigen Luft löste bei Berta beinahe Panik aus. Sie fragte sich, ob Konrad und Hjördis wohl rechtzeitig nach Hause gefahren waren. Der Regen war ja so plötzlich gekommen, und sie war sich fast sicher, dass die beiden auch in ihrer Laube hockten.
Jetzt im Frühjahr, wo alles so grün war, konnten sie nicht mehr zu ihren Nachbarn hinübersehen. Früher hatte Konrad jeden Tag die Flagge gehisst und sie abends wieder eingeholt. Dann wussten ihre Nachbarn immer, ob sie da waren oder nicht. Doch Konrad fand das ewige Hissen und Einholen zu mühsam und hatte sich schließlich für einen Wimpel entschieden, den er immer hängen lassen konnte. Konrad Kron legte Wert auf Etikette und ärgerte sich über Leute, die ihre Flaggen den ganzen Sommer über an der Fahnenstange flattern ließen. „Man muss doch ein bisschen Respekt vor seinem Vaterland haben“, pflegte er zu sagen.
„Wann ist wohl der Schuppen fertig, was meinst du?“, fragte Berta vorsichtig und rubbelte an einem Fleck auf der Armlehne des Sofas.
„Wenn ich nicht von der Leiter falle und mir den Hals breche oder vom Blitz erschlagen werde, dürfte er zu Mittsommer stehen“, witzelte Gunnar.
Berta schien an seiner Aussage nichts Lustiges zu finden. Gunnar sah sie freundlich an und fuhr fort:
„Es ist nie zu spät, um nicht noch fertig zu werden.“
Berta starrte ihn mit großen Augen an. Dann begann sie zu lachen.
„Spinner“, sagte sie und fuhr dann fort: »Warum sitzen wir eigentlich hier drinnen? Es hat aufgehört zu ­regnen, und das Gewitter ist weitergezogen.« Unsicher stand sie auf und sah aus dem Fenster, als wäre sie sich nicht sicher, ob das, was sie eben gesagt hatte, auch stimmte.
In dieser Sekunde brach die Sonne durch. Berta öffnete die Tür.
„Weißt du was, Gunnar? Heute Abend müssen wir nicht gießen.“
Im Garten roch es herrlich frisch. Es tropfte vom Dach, und die Spatzen badeten in der Pfütze vor den Stachelbeersträuchern. Berta sammelte ein paar Zweige und Blätter auf, die durch den heftigen Regenguss auf den Rasen gefallen waren, und Gunnar schüttete das Wasser von der Plane.
Ihre Nachbarn waren ebenfalls herausgekommen. Hjördis lehnte sich über den Zaun.
„Wollen wir einen kleinen Spaziergang machen, Berta? Es ist so angenehm frisch nach dem Regen.“
„Gern. Ich hole nur schnell meine Strickjacke. Es ist noch ein bisschen kühl, obwohl die Sonne scheint.“
„Ich frage mich, was das für eine Kletterrose ist, die Oscarsson an seiner Hauswand hat. Sie wächst so schön dicht“, meinte Hjördis, während sie mit Berta durchs Gelände schlenderte. Sie hatten sich untergehakt und sprachen leise miteinander.
„Ich glaube, das ist ein Schlingknöterich. Die sind hübsch und wachsen wie Unkraut. Genau das Richtige, um dahinter hässliche Wände und Holzzäune zu verstecken.“
Berta stupste ihre Freundin an. „Jetzt hat sie sich immerhin was angezogen.“
Camilla kam ihnen entgegen. Sie trug eine knielange Hose und ein Oberteil, das der Fantasie nur wenig überließ. Es strammte über dem üppigen Busen, und Camilla reckte sich, um ihren Ausschnitt, sofern möglich, noch ausladender zu machen.
„Das war ja ein furchtbares Gewitter“, sagte sie, als sie sich begegneten.
„Ein Glück, dass es so schnell vorbeigezogen ist“, erwiderte Berta freundlich.
„Ihr kommt doch auch zum Frühlingsfest, oder?“, fragte Camilla.
„Wir haben noch nicht darüber gesprochen, aber wahrscheinlich schon“, meinte Hjördis. „Morgen ist ja die Mitgliederversammlung.“
Zwei Männer in ihren Gärten fielen beinahe über den Zaun, um einen Blick auf Camilla zu erhaschen, während sie an ihnen vorbeistolzierte.
„Diese Kerle. Ich verstehe nicht, was an künstlichem Zubehör so attraktiv sein kann.“ Berta rümpfte die Nase.
„Bist du etwa neidisch?“, fragte Hjördis und hob eine Augenbraue.
„Neidisch?“ Berta kicherte. „Weißt du, ich kann gut darauf verzichten, solche Teile mit mir herumzuschleppen. Ich habe so schon genug Rückenprobleme.“
„Sieh mal, wie hübsch!“, sagte Hjördis und zeigte auf einen Schrebergarten mit besonders üppigen Blumen, in dem die Wege von bemalten Steinen gesäumt wurden.
»Es ist doch bemerkenswert, wie gepflegt die Kleingärten hier sind. Wenn man durch eine Einfamilien­haussiedlung geht, sind die Häuser zwar meist ganz schön, aber die Gärten wirken eher ungepflegt.«
„Das finde ich nicht weiter erstaunlich“, meinte Hjördis. „Die Leute kaufen sich schicke Häuser. Die Gärten sind sozusagen im Preis inbegriffen – ob sich die Besitzer nun dafür interessieren oder nicht. Einen Schrebergarten schafft man sich aber nur an, wenn man Spaß an Blumen und Gartenbau hat.“
„Da hast du natürlich recht. So habe ich das noch gar nicht gesehen.“
Kann das Leben besser sein?, dachte Berta. Sie genoss es, die Wärme von Hjördis zu spüren und sich die vielen schönen Gärten anzusehen. Der Wind war abgeflaut, und die Wimpel und Flaggen hingen schlaff an den Fahnenstangen. Die Kleingärtner packten zusammen und machten sich auf den Heimweg zu ihren Fernsehern und Stereoanlagen – ein denkbar starker Kontrast zur Stille des Schrebergartengeländes.
„Sieh mal!“ Berta schnappte nach Luft und zog Hjör­­dis an der Strickjacke.
„Was ist denn? Du hast mich vielleicht erschreckt!“
„Eine Nacktschnecke!“ Berta blieb stehen und sah das Tier voller Verachtung an.
„Sie ist bestimmt auf dem Weg in euren Garten, um Bier zu trinken“, meinte Hjördis und kicherte.
„Tja, das lässt sich nicht mehr ändern. Aber ich werde morgen neues Bier kaufen.“
„Ich wusste, dass es heute Gewitter gibt“, behauptete Hjördis nach einer kurzen Schweigepause und seufzte.
„Das wusstest du?“ Berta blieb erneut stehen.
„Das liegt an meinem linken Knie. Kurz vor einem Gewitter tut es mir immer weh.“
„Ist das ein Elend mit den ganzen Wehwehchen im Alter“, meinte Berta mitleidig.
„Manchmal bin ich beinahe wütend auf Konrad, weil er so gesund ist und nie irgendwelche Schmerzen hat. Natürlich freue ich mich für ihn“, fügte Hjördis eilig hinzu, als sie den erstaunten Blick ihrer Freundin bemerkte. „Aber ich muss eine Menge Tabletten schlucken – gegen den hohen Blutdruck, gegen Schmerzen und lauter anderes Zeug. Konrad nimmt eine Paracetamol im Halbjahr, wenn er ausnahmsweise mal Kopfweh hat. Das ist doch ungerecht.“
„Klar, aber weißt du, dass Leute, die so gesund sind, dafür meistens Knall auf Fall sterben?“
Jetzt war es Hjördis, die stehen blieb und sie verständnislos ansah.
Berta tätschelte ihr verlegen die Hand. „Natürlich habe ich nicht gemeint, dass Konrad Knall auf Fall sterben wird“, entschuldigte sie sich. „Aber bei manchen Leuten ist das so, obwohl sie vorher kerngesund waren.“
Heute habe ich wirklich jede Menge Unfug gesagt und getan, dachte Berta betrübt.
„Mir ist doch klar, dass du das nicht so gemeint hast, Berta“, sagte Hjördis.
Berta ging schweigend weiter. Typisch Hjördis. Im­­mer wollte sie alles runterspielen und entschuldigte sich auch dann noch, wenn sie gar nichts Falsches gesagt oder getan hatte.
Als sie an der Brücke angekommen waren, die über die Tommarpsån führte, beschlossen sie, zum Meer hinunterzugehen und auszuprobieren, wie kalt das Wasser war. Sie hielten sich am Geländer fest, während sie Schuhe und Strümpfe auszogen. Dann spazierten sie im groben Sand zum Ufer.
„Hui, ist das kalt!“, sagte Berta, die als Erste den Fuß ins Wasser tauchte.
„Das können nicht mehr als zwölf Grad sein“, meinte Hjördis kichernd, nachdem auch sie die Wassertemperatur geprüft hatte.
„Sieh mal, was für ein hübscher Stein!“ Berta hielt einen schwarz glänzenden Stein in die Höhe.
Hjördis bückte sich und hob einen ähnlichen hoch, den sie sich an die Brust hielt.
„Wie eine Brosche“, sagte sie.
Eifrig sammelten sie Steine und steckten sie sich in die Taschen.
„Der Sand ist noch zu feucht. Sollen wir uns auf diesen Kahn setzen?“, schlug Berta vor.
Hjördis stellte die Schuhe in den Sand und steckte die Socken in die Taschen ihrer Strickjacke. Dann saßen die beiden Freundinnen auf dem umgedrehten Kahn, während die Sonne in Richtung Westen wanderte. Obwohl der Wind schwächer geworden war, zeigte sich das Meer noch immer unruhig. Die Wogen schlugen heftig an den Strand, und draußen waren nur wenige Segelboote zu sehen. Berta griff nach Hjördis’ Hand und hielt sie ganz fest.
Sie saßen lange schweigend beieinander. Berta bohrte ihre Zehen in den feuchten Sand und hatte plötzlich das Gefühl, als stünde die Zeit still.
„Du hast doch nicht etwa Knieschmerzen, Hjördis?“
„Ach, ist nicht so wild.“
„Wo sind sie bloß abgeblieben?“ Gunnar drehte sich auf seinem Stuhl und hielt Ausschau.
„Die inspizieren bestimmt die anderen Gärten“, antwortete Konrad.
Die Männer hatten ihr Tagwerk beendet. Gunnar hatte die Geräte in die Laube getragen, und nun saßen sie träge am Gartentisch und warteten auf ihre Frauen.
„In unserem alten Haus in Smedstorp hat so eine Galerie eröffnet“, meinte Gunnar, während er sich die Fingernägel reinigte.
„Solange man nicht auf diese Vernissagen gehen muss, können die von mir aus so viele Galerien eröffnen, wie sie wollen.“
„Da sprichst du ein wahres Wort! Berta hat mich vor einigen Jahren zu Ostern auf die ›Kunstrunde‹ mitgeschleppt, und wir haben ein paar von diesen Galerien besucht. Überall waren die Parkplätze gesteckt voll, und ich hatte den Eindruck, die Leute sind vor allem herumgefahren, um gesehen zu werden und sich zur Schau zu stellen – mit komischen Hüten, Tüchern und anderem Flitterkram.“
„Das sind schon verrückte Zeiten. Früher sind die Leute noch einer ehrlichen Arbeit nachgegangen. Und heute sitzen sie nur am Computer oder stellen Tonpötte und andere seltsame Sachen her.“
Gunnar reckte den Hals und sah über die Kieswege.
„Jetzt könnten sie aber mal kommen. Mein Magen knurrt.“
Vom Äußeren her hatten die beiden Männer kaum etwas gemeinsam. Gunnar war groß und schlank, und sein welliges Haar war noch immer dunkel und voll, obwohl er fast fünfundsiebzig war. Konrad hingegen war klein und untersetzt. Er hatte eine Glatze und nur noch einen schmalen Haarkranz, der ein bisschen rötlich war, genau wie seine Haut.
„Jetzt kommen sie“, sagte Gunnar erleichtert und stand auf. Zufrieden stellte er fest, dass die beiden Frauen fröhlich wirkten, wie sie Arm in Arm anspaziert kamen.
Rasch packten Hjördis und Berta die Kaffeekörbe zusammen, während die Männer sorgfältig absperrten.
Die Knospen von Bertas Super-Star-Rose würden bald aufbrechen und ihre Kronblätter entfalten. Man hatte den Eindruck, als nähme die Vegetation Anlauf, um den bevorstehenden Sommer zu empfangen.

Über Karin B. Holmqvist

Biografie

Karin B. Holmqvist, geboren 1944 im südschwedischen Simrishamn, machte eine kurze Karriere in der Kommunalpolitik und entschied sich schließlich für eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin. In ihrer Freizeit ist sie Zauberkünstlerin und Kabarettistint. Ihrem Überraschungserfolg »Manneskraft per...

Kommentare zum Buch
[Rezension] „Krieg im Schrebergarten“ von Karin B. Holmqvist
Lesefeuer am 07.01.2017

„Krieg im Schrebergarten“ ist ein Roman von Karin B. Holmqvist und erschien 2016 im Piper Verlag.   Berta und ihr Mann, Gunnar, erhalten die Zusage für ihren Schrebergarten und können nun der Hektik des Stadtlebens entfliehen. Doch mit der Idylle ist es schnell vorbei. Denn der Gartennachbar Holger beobachtet Gunnar beim Blumenkaufen und verbreitet das Gerücht, dass er eine Affäre hätte. Also herrscht schon bald Krieg im Schrebergarten!   Meine Meinung: Berta und Gunnar haben ihr Haus auf dem Land aufgegeben und eine Wohnung in der Stadt gekauft. Als sie den Zuschlag für einen Schrebergarten erhalten sind sie sehr glücklich, denn das Gärtnern vermissen sie. Auch Hjördis und Konrad ziehen in eine Wohnung des Stadthauses und werden zudem noch die Gartennachbarn von Berta und Gunnar. Die beiden Paare freunden sich an und verbringen viel gemeinsame Zeit in ihren Gärten. Als Holger, ein Gartennachbar, Gunnar beim Blumenkaufen „erwischt“ geht ein fieses Gerücht durch die Gartenanlage. Und das bedeutet Krieg im Schrebergarten. Da ich Schweden und das Gärtnern mag, wollte ich dieses Buch unbedingt lesen. Die beiden Paare im Buch muss man einfach mögen. Anfangs ist die Geschichte ein klein wenig langatmig. Das hätte man sicher auch in einigen Seiten weniger unterbringen können, und die Geschichte um den gefällten Apfelbaum hätte man vermutlich auch ein weniger spannender machen können oder gar noch besser ausbauen können, aber dennoch hat mir dieses Buch gut gefallen. Hier gibt es eine Leseempfehlung von mir.   Das Cover gefällt mir gut. Ich erkenne direkt Schweden auf diesem Cover und auch Gartengeräte sind passend zum Buchtitel und zur Story abgebildet.   Karin B. Holmqvist, wurde 1944 in Schweden geboren, machte eine Karriere in der Kommunalpolitik und entschied sich dann für eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin. Sie ist Zauberkünstlerin und Kabarettistin und hat bisher mehrere Romane und Gedichtsammlungen veröffentlicht. Ihr erster Roman war direkt ein großer Erfolg. Krieg im Schrebergarten ist ihr siebtes Buch auf Deutsch.   Fazit: 4 Sterne.   Ich möchte mich ganz recht herzlich beim Piper Verlag bedanken, die mir dieses Buch als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben.

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