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Ein anderes BrooklynEin anderes Brooklyn

Ein anderes Brooklyn - eBook-Ausgabe Ein anderes Brooklyn

Jacqueline Woodson
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Roman

„Es macht den Reiz dieses ungewöhnlichen Romans aus, dass sich der Nebel über Augusts Geschichte nur langsam lichtet. Jacqueline Woodson lässt ihre Protagonistin nicht chronologisch erzählen, sondern in Erinnerungsfetzen: Einzelne Szenen, immer nur wenige Absätze lang, werfen Schlaglichter auf die Vergangenheit (…).“ - Literatur SPIEGEL

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Ein anderes Brooklyn — Inhalt

Zur Beerdigung ihres Vaters kehrt die junge Anthropologin August zurück nach New York, Stadt ihrer Kindheit. Hier, auf den Straßen Brooklyns, ist sie aufgewachsen. Hier hat sie Angela, Gigi und Sylvia getroffen, ihre drei Freundinnen, mit denen sie unzertrennlich über das glühende Pflaster Brooklyns der 70er-Jahre zog. Weiße verließen das Viertel, Drogendealer und traumatisierte Vietnamveteranen waren ihre Nachbarn, doch mit ihren Freundinnen fühlte sich August unverwundbar. Nichts schien unmöglich, wenn sie nur zusammenhielten. Doch haben sie dieser Welt etwas entgegenzusetzen? – „Ein anderes Brooklyn“, Finalist für den National Book Award, stand auf der New-York-Times-Bestsellerliste und wurde hymnisch besprochen. Eindringlich und poetisch erzählt es von Freundschaft, Erinnerung und Aufwachsen in einem Brooklyn, das es so nicht mehr gibt.

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 01.03.2018
Übersetzt von: Brigitte Jakobeit
160 Seiten
EAN 978-3-492-99100-1
Download Cover
€ 10,00 [D], € 10,30 [A]
Erschienen am 05.08.2019
Übersetzt von: Brigitte Jakobeit
160 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-23204-3
Download Cover
„In kurzen, überaus poetischen Schlaglichtern berichtet Woodson von trügerischen Erinnerungen und der Tragik des Erwachsenwerdens.“
Donna
„In den irrlichternden Erinnerungsfragmenten steht auffallend oft das Wort ›schön‹: beharrlicher Versuch, das dennoch Kostbare zu sehen. Woodsons Sätze, abgesplittert von einer geborstenen Geschichte, bohren sich wie Spreißel unter die Haut.“
Badische Zeitung
„Es macht den Reiz dieses ungewöhnlichen Romans aus, dass sich der Nebel über Augusts Geschichte nur langsam lichtet. Jacqueline Woodson lässt ihre Protagonistin nicht chronologisch erzählen, sondern in Erinnerungsfetzen: Einzelne Szenen, immer nur wenige Absätze lang, werfen Schlaglichter auf die Vergangenheit (…).“
Literatur SPIEGEL
„Jacqueline Woodson schildert die Jugend ihrer Protagonistinnen als Seiltanz über Abgründen. Erinnerungen fügen sich wie Puzzlestücke zusammen, jeder Absatz ein kleines Meisterwerk der Präzision.“
NZZ am Sonntag

Leseprobe zu „Ein anderes Brooklyn“

1

Meine Mutter war lange nicht tot. Aber meine Geschichte hätte tragischer sein können. Mein Vater hätte dem Alkohol oder den Drogen oder einer Frau verfallen und meinen Bruder und mich uns selbst überlassen können – oder gar der Obhut des New Yorker Jugendamtes, was, wie er sagte, nur selten gut ausging. Doch so kam es nicht. Heute weiß ich, dass nicht der Augenblick tragisch ist. Es ist die Erinnerung.

***

Wenn wir Jazz gehabt hätten, wäre unser Leben dann anders verlaufen? Wenn wir gewusst hätten, dass unsere Geschichte ein Blues mit einem Refrain ist, [...]

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1

Meine Mutter war lange nicht tot. Aber meine Geschichte hätte tragischer sein können. Mein Vater hätte dem Alkohol oder den Drogen oder einer Frau verfallen und meinen Bruder und mich uns selbst überlassen können – oder gar der Obhut des New Yorker Jugendamtes, was, wie er sagte, nur selten gut ausging. Doch so kam es nicht. Heute weiß ich, dass nicht der Augenblick tragisch ist. Es ist die Erinnerung.

***

Wenn wir Jazz gehabt hätten, wäre unser Leben dann anders verlaufen? Wenn wir gewusst hätten, dass unsere Geschichte ein Blues mit einem Refrain ist, der immer wiederkehrt, hätten wir dann aufgehorcht und gesagt: Das ist Erinnerung, immer wieder, bis das Leben einen Sinn ergab? Wo wären wir heute, wenn wir gewusst hätten, dass unser Wirren einer Melodie folgte? Denn obwohl Sylvia, Angela, Gigi und ich wie eine Jazzimpro zusammenkamen – halbe Noten, die sich zögernd aufeinander zubewegten, bis die Band ihren Sound fand und die Musik klang, als wäre sie schon immer da gewesen –, hatten wir keinen Jazz, der uns zeigte, wer wir waren. Wir hatten die Hits der 1970er, die unsere Geschichte erzählen wollten. Aber sie schafften es nie so ganz.

***

Im Sommer, als ich fünfzehn wurde, schickte mein Vater mich zu einer Frau, die er durch seine Brüder in der Nation of Islam gefunden hatte. Eine gebildete Schwester, sagte er, mit der ich reden könne. Damals sprach ich kaum noch. Während früher die Worte aus mir hervorgesprudelt waren, herrschte plötzlich nur noch Schweigen, und mein Atem glich einer stummen Melancholie, die meine Familie nicht verstand.

Schwester Sonja war dünn, ihr braunes kantiges Gesicht umrahmte ein schwarzer Hidschab. So sah ich meine Therapeutin – die Frau mit dem Hidschab, den langen knochigen Fingern und den dunklen fragenden Augen. Damals war es vielleicht schon zu spät.

Erleben wir nicht alle immer wieder kleine Tragödien?, fragte mich Schwester Sonja oft, als müsste ich nur das Ausmaß menschlichen Leids begreifen, um mich aus meinem eigenen zu retten.

***

Mein Bruder und ich wuchsen zwar ohne Mutter, aber dennoch wohlbehütet auf. Mein Bruder hatte den Glauben, an den mein Vater ihn herangeführt hatte, und ich hatte lange Zeit Sylvia, Angela und Gigi, mit denen gemeinsam ich das Aufwachsen als Mädchen in Brooklyn schulterte wie einen Sack voller Steine, den wir uns weiterreichten: Da. Hilf mir mal tragen.

***

Zwanzig Jahre sind seit meiner Kindheit vergangen. Heute Morgen haben wir meinen Vater beerdigt. Mein Bruder und ich standen auf dem verschneiten Friedhof nebeneinander am Grab, unter kahlen Weiden, die trauernd ihre Zweige hängen ließen. Bei uns waren die Brüder und Schwestern aus der Moschee. Im silbrigen Morgenlicht griff mein Bruder nach meiner beschuhten Hand und hielt sie fest.

Hinterher, in einem Diner in Linden, New Jersey, zog mein Bruder seinen schwarzen Mantel aus. Darunter trug er einen schwarzen Rollkragenpullover und schwarze Wollhosen. Der schwarze Kufi, den seine Frau ihm gestrickt hatte, reichte ihm knapp in die Stirn.

Im Diner roch es nach Kaffee und Brot und Bleiche. Auf einem Neonschild flackerte in knalligem Grün EAT HERE NOW, darunter hing staubiges Silberlametta. Den ersten Weihnachtsfeiertag hatte ich bei meinem Vater im Krankenhaus verbracht. Stöhnend hatte er um Schmerzmittel gebeten, das die Schwestern ihm nur zögernd verabreichten.

Eine Bedienung brachte meinem Bruder noch mehr heißes Wasser für seinen Pfefferminztee. Ich stocherte in meinen Eiern und lauwarmen Bratkartoffeln herum, den Speck hatte ich langsam aufgegessen, um meinen Bruder zu ärgern.

Alles okay, große Schwester?, fragte er, und seine tiefe Stimme klang leicht brüchig. 

Ich komm zurecht.

Immer noch unberührt? 

Immer noch unberührt.

Wie ich sehe, isst du immer noch Schwein und das ganze Teufelszeug.

 Alles bis auf das Grunzen.

Wir lachten über den alten Witz, der aus der Zeit stammte, als ich mich nachmittags mit den Mädchen davongestohlen hatte, um in der Bodega um die Ecke das zu essen, was zu Hause verboten war, und über die Speckstücke, die noch auf meinem Teller lagen.

Du kannst auch bei mir und Alafia wohnen. Bettruhe ist nicht ansteckend. 

Ich bin gern in der Wohnung, sagte ich. Es gibt so viel zu erledigen. Seine Sachen müssen alle durchgesehen werden … Geht es Alafia gut? 

Sie hält sich tapfer. Die Ärzte reden, als könnte das Baby jeden Moment aus ihr herausflutschen, wenn sie aufsteht. Alles ist gut. Dem Baby fehlt nichts. 

Mein Weg ins Leben begann am 29. Juli, aber ich kam erst im August. Als meine Mutter, halb wahnsinnig von den Wehen, nach dem Datum fragte, sagte mein Vater: Es ist August. Inzwischen ist es August. Scht, Honey Baby, flüsterte er. August ist da.

Hast du Angst?, fragte ich meinen Bruder und griff über den Tisch nach seiner Hand, weil ich plötzlich an ein Foto dachte, das früher in SweetGrove hing. Es zeigte ihn als Neugeborenen auf meinem Schoß und mich als kleines Mädchen, das stolz in die Kamera lächelte.

Ein bisschen. Aber ich weiß, bei Allah ist alles möglich.

***

Wir schwiegen. Um uns herum saßen alte weiße Paare, die Kaffee tranken und ins Leere starrten. Irgendwo im Hintergrund hörte ich Spanisch sprechende Männer und Gelächter.

Ich bin zu jung, um Tante zu sein.

Wenn du dich nicht ranhältst, bist du bald zu alt, um Mama zu sein. Mein Bruder grinste. Kein Vorwurf.

Von wegen kein Vorwurf.

Ich mein ja nur, du solltest langsam aufhören, die Toten zu studieren, und dir einen lebendigen Bruder suchen. Ich kenn da jemanden.

Untersteh dich.

Ich wollte nicht daran denken, wie ich allein in die Wohnung meines Vaters zurückkehrte, an die tiefe Erleichterung und Angst, die mit dem Tod einhergingen. Kleidung musste gespendet, alte Lebensmittel weggeworfen, Bilder verstaut werden. Wozu? Für wen?

In Indien verbrennen die Hindu ihre Toten und streuen die Asche in den Ganges. Die philippinischen Caviteños bestatten ihre Toten in Baumstümpfen. Unser Vater hatte sich eine Beerdigung gewünscht. Neben seinem abgesenkten Sarg lag ein Hügel aus dunkel- und hellbrauner Erde. Wir waren nicht geblieben, um zuzusehen, wie sie auf ihn geschaufelt wurde. Mir drängte sich unwillkürlich die Vorstellung auf, wie er plötzlich aufwachte in dem weichen, unsichtbaren Satin, ähnlich den vielen anderen Menschen, die im tiefen Koma beerdigt wurden und dann entsetzt unter der Erde erwachten.

***

Wie lange bleibst du in den Staaten?

Nicht lange, sagte ich. Aber zur Geburt komme ich wieder. Du weißt, die will ich nicht verpassen.

Als Kind kannte ich das Wort Anthropologie nicht und auch keine Eliteuniversitäten. Ich wusste nicht, dass man seine Tage in Flugzeugen verbringen, durch die Welt reisen und den Tod studieren konnte, mein ganzes früheres Leben vor dem jetzigen eine offene Frage … endlich beantwortet. Ich hatte Todesrituale in Indonesien und Korea gesehen. In Mauretanien und in der Mongolei. Ich hatte beobachtet, wie Menschen in Madagaskar die in Musselin gehüllten Knochen ihrer Vorfahren ausgruben, sie mit Parfüm beträufelten und die bereits Verschiedenen um ihre Geschichten, ihre Gebete und ihren Segen baten. Ich war einen Monat zu Hause gewesen, um meinen Vater beim Sterben zu begleiten. Der Tod machte mir keine Angst. Nicht jetzt. Nicht mehr. Aber Brooklyn lag mir wie ein Stein im Bauch.

Komm doch mal zu uns zum Essen nach Astoria, einem reinen Essen. Alafia kann am Tisch sitzen, sie darf nur nicht am Herd stehen und kochen. Ich kümmere mich um alles. Wir würden uns freuen.

Eine Minute verstrich. Er fehlt mir, sagte er. Du fehlst mir.

In den langen, bitteren letzten Tagen, als mein Vater an Leberkrebs litt, hatten wir uns an seinem Bett abgewechselt. Mein Bruder kam ins Krankenhaus und löste mich ab, und ich weckte ihn, damit er zu einer kurzen Dusche und einem Gebet vor der Arbeit nach Hause gehen konnte.

Mein Bruder sah jetzt aus, als wäre er wieder sieben und nicht einunddreißig, mit seiner breiten tiefen Stirn und der für einen Mann zu reinen und glatten Haut.

Ich wollte ihn trösten. Es ist gut, dass er … aber ich brachte es nicht über die Lippen.

Allah ist gut, sagte mein Bruder. Allah sei gepriesen, dass er ihn heimgeholt hat.

Allah sei gepriesen, sagte ich.

***

Mein Bruder fuhr mich zur U-Bahn, küsste mich auf die Stirn und umarmte mich fest. Wann war er ein Mann geworden? So lange war er mein kleiner Bruder gewesen, lieb und ernst, die großen Augen offen für die Welt. Jetzt, hinter seiner kleinen Nickelbrille, erinnerte er an eine Persönlichkeit aus der Geschichte. Malcolm vielleicht. Oder Stokely.

Übermorgen komm ich vorbei und helfe dir, okay?

Ist nicht nötig!

Was denn – ist da etwa ein Mann, den ich nicht treffen soll?

Ich lachte.

Schläfst du immer noch mit dem Teufel?

Ich schlug ihn scherzhaft und stieg aus dem Auto. Hab dich lieb.

Ich dich auch, August.

***

Auf der Rückfahrt in der U-Bahn zur alten Wohnung blickte ich auf und sah erschrocken Sylvia, die auf der anderen Gangseite die New York Times las. Sie war schön gealtert in den zwanzig Jahren, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Ihr rotbraunes lockiges Haar war jetzt kurz geschnitten und von Grau durchsetzt. Ihre Haut, noch immer ein unheimliches Bronze im Kontrast zu den hellen Augen, war jetzt von feinen Fältchen durchzogen. Vielleicht spürte sie meinen Blick, denn plötzlich schaute sie hoch, erkannte mich und lächelte. Für ein paar langsame Sekunden verflüchtigten sich die Jahre, und sie war wieder Sylvia, noch nicht ganz fünfzehn, in ihrer Schuluniform der St. Thomas Aquinas – grün-blau karierter Rock, weiße Bluse und karierte Fliege, ihr Bauch wurde langsam rund. Plötzlich befiel mich wieder das alte Schweigen, und ich musste an Schwester Sonja denken, wie sie den Kopf mit dem Hidschab über das Notizbuch neigte und ihre Hand erstarrte, als ich das erste Mal in ihrem Büro weinte.

Sylvia.

Meine Güte! August!, sagte sie. Seit wann bist du wieder in Brooklyn?

Ihre Tochter war inzwischen vermutlich eine junge Frau. Ich erinnerte mich, gehört zu haben, sie habe rötliches Haar wie Sylvia und dass ihre Augen nach der Geburt grau waren.

Ich wusste, dass der Zug in die Atlantic Avenue einfuhr. Doch der Bahnhof und alles um mich herum war weit entfernt. Irgendwie erhob ich mich von meinem Platz. Die Stimme wieder weg. Der Körper wurde Asche.

Vielleicht dachte Sylvia, ich würde zu ihr gehen, sie über die Jahre hinweg umarmen und alles vergessen. Vielleicht hatte sie schon alles vergessen, wie es uns die Zeit erlaubt.

Du siehst gut aus, Mädchen, sagte sie.

Die Zugtüren öffneten sich. Es war noch nicht meine Station.

Aber ich stieg trotzdem aus.

***

Die Jahre löschen uns aus. Sylvia sank wieder in den Staub der Zeit zurück, bevor ich sie kannte, ihr Baby verschwand, dann ihr Bauch, dann Brüste, und schließlich war da nur noch die große Lücke in meinem Leben, die sie früher gefüllt hatte.

Angela verblasste als Nächste im Lauf der Jahre, wurde eine schwache Stimme auf dem Anrufbeantworter, wenn ich in den Collegeferien zu Hause war. Das mit Gigi hab ich erst jetzt erfahren. Wie schrecklich. Warst du da? Versprechen, wieder Kontakt aufzunehmen, wenn wir beide das nächste Mal in New York wären. Versprechen, sie würde sich wieder bei mir melden. Die Entfernung erlaubte es uns, so viel heiße Luft zu erzählen, während sie wieder in die Welt verschwand, zu der sie mittlerweile gehörte, eine Welt von Tänzern und Schauspielern – aufgenommen in einen edlen Kreis, ohne eine Vergangenheit.

Gigi.

Schwester Sonja sagte jede Woche: Fang von vorne an. Ihre dunklen Finger hielten ein kleines schwarzes Notizbuch, den Stift zum Schreiben bereit. Es dauerte eine Weile, bis ich den Mund aufmachte und etwas sagte. Jede Woche fing ich mit denselben Worten an: Ich habe auf meine Mutter gewartet …

Das Büro war klein, auf einem Fensterbrett stand ein einsamer Blumentopf, aus dem Efeuranken herabfielen. Vielleicht lag es am Efeu, dass ich immer wieder zurückkehrte. Jede Woche wanderten meine Augen vierzig Minuten lang vom Efeu zu Schwester Sonjas Hidschab und ihren Fingern, die das Notizbuch und den Stift umklammerten. Vielleicht redete ich nur, weil ich jede Woche das braune, kantige Gesicht einer Frau sehen und wieder glauben durfte, dass meine Mutter bald zurückkam.

 I know when I get there, sangen mein Bruder und ich früher oft. The first thing I’ll see is the sun shining golden. Shining right down on me …

 Wie war es so weit gekommen, dass man mich bitten musste, die Geschichte von Anfang an zu erzählen? Wer war ich geworden?

 Sie kommt bestimmt, sagte ich. Morgen und morgen und morgen.

 Was ist mit deinen Freundinnen?, fragte Schwester Sonja. Wo sind sie jetzt?

 Wir warten auf Gigi, sagte ich. Alle warten auf Gigi.

 Sylvia, Angela, Gigi, August. Wir waren vier Mädchen, unglaublich schön und schrecklich allein.

 Das ist Erinnerung.

***

In Ostindonesien bewahren Familien ihre Toten in besonderen Räumen in ihren Häusern auf. Ihre Toten sind erst wirklich tot, wenn genug Geld für die Bestattung vorhanden ist. Bis dahin bleiben die Toten bei der Familie, werden jeden Morgen angezogen und versorgt, auf Ausflüge mitgenommen, täglich umarmt, tief geliebt.

Jacqueline Woodson

Über Jacqueline Woodson

Biografie

Jacqueline Woodson, geboren 1963, zählt zu den bedeutendsten Jugendbuchautorinnen der USA. Sie hat mehr als zwanzig Jugendbücher geschrieben. Für „Brown Girl Dreaming“ wurde ihr 2014 der renommierte National Book Award zugesprochen, 2018 erhielt sie mit dem...

Pressestimmen
Donna

„In kurzen, überaus poetischen Schlaglichtern berichtet Woodson von trügerischen Erinnerungen und der Tragik des Erwachsenwerdens.“

Badische Zeitung

„In den irrlichternden Erinnerungsfragmenten steht auffallend oft das Wort ›schön‹: beharrlicher Versuch, das dennoch Kostbare zu sehen. Woodsons Sätze, abgesplittert von einer geborstenen Geschichte, bohren sich wie Spreißel unter die Haut.“

Literatur SPIEGEL

„Es macht den Reiz dieses ungewöhnlichen Romans aus, dass sich der Nebel über Augusts Geschichte nur langsam lichtet. Jacqueline Woodson lässt ihre Protagonistin nicht chronologisch erzählen, sondern in Erinnerungsfetzen: Einzelne Szenen, immer nur wenige Absätze lang, werfen Schlaglichter auf die Vergangenheit (…).“

NZZ am Sonntag

„Jacqueline Woodson schildert die Jugend ihrer Protagonistinnen als Seiltanz über Abgründen. Erinnerungen fügen sich wie Puzzlestücke zusammen, jeder Absatz ein kleines Meisterwerk der Präzision.“

Die Presse am Sonntag (A)

„Ein schmales Büchlein mir kurzen Absätzen, fragmentarisch erzählt, das einen dennoch in kurzer Zeit in seinen Bann zieht.“

Galore

„Die preisgekrönte Autorin Jaqueline Woodson schafft eine zutiefst berührende, fast poetische Geschichte über das Erwachsenwerden, Freundschaft , New York (…).“

Ruhr Nachrichten

„Gerade durch die Knappheit der Sätze und Kapitel gelingt es Jacqueline Woodson, eine große Dichte und literarische Kraft zu erzeugen, der man sich als Leser kaum entziehen kann.“

literaturreich.wordpress.com

„Die Sorgfalt bei der Komposition und Sprache merkt man dem Buch auf wunderbare Weise an. Impressionistisch, kraftvoll, intensiv und poetisch reiht Woodson Erlebnisse und Gedanken zu einer bewegenden Collage einer Kindheit, des Aufwachsens eines farbigen Mädchens in einer nicht einfachen Zeit und Umgebung.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Nur das Nötigste wird mitgeteilt, so wirkt das Ganze wunderbar vertraut: Jacqueline Woodson erzählt aus einer Kindheit in Brooklyn vor über vierzig Jahren.“

Cosmopolitan

„Lyrisch und berührend.“

Buch aktuell

„Äußerst authentisch.“

nordbreze.de

„Armut, Rassismus, Sexualität, Politik – ›Ein anderes Brooklyn‹ schafft ein Bewusstsein, wie es sich in den Siebzigerjahren angefühlt haben muss, als Heranwachsende in Brooklyn zu leben. Eine literarische Geschichtsstunde verbunden mit einer höchst poetischen Sprache.“

renies-lesetagebuch.blogspot.de

„Der Sprachstil ist dabei sehr poetisch, fast schon magisch. Jacqueline Woodson versteht es, den Leser mit ihrer eindringlichen Sprache zu fesseln.“

rbb radio3

„Jacqueline Woodson schafft es in ihrem Roman ein unglaublich dichtes Gesellschaftsporträt zu entwerfen. (…) Es hat etwas Wahrhaftiges, wie sie schreibt (…) man will das unbedingt lesen, man saugt es förmlich ein (…).“

buchundwort.de

„Woodson schreibt auf eine poetische Art und Weise, die unter die Haut geht, aufwühlt, bewegt, (…). Es ist eine intensive Lektüre. Eine Lektüre, die einen trifft und zum Nachdenken bewegt.“

Stadtblatt Osnabrück

„Ein schmaler, wunderbar verdichteter Roman, wie ein langes Gedicht. Unvergessene und entscheidende Momente in einer warmen und präzisen Sprache. Auch ein Zeitdokument. Großartig.“

africanet.info

„Das tonangebende Stilmittel bleibt im Verborgenen. Zwischen den Zeilen singt Nina Simone. Sie werden sie hören, wenn sie dieses Buch lesen.“

buecherwurmloch.at

„Es geht um Freundschaft in diesem Buch, um Entwurzelung und Verlust. Es geht um Einsamkeit und Neuanfänge, um das Zurückblicken auf eine Zeit im eigenen Leben, die prägend war. Ein merkwürdiges, verwirrendes und tatsächlich unglaublich intensives Buch.“

Redaktion Das literarische Quartett

„Jacqueline Woodson schildert die Kindheit und Jugend in glasklarer Sprache. In verknappten Sätzen bricht sie deren Alltag auf ihre schonungslose Realität herunter. Die Sprache von Woodson ist direkt, nie verschnörkelt. In ihrem poetisch-dunklen Timbre erinnert sie an die Autorin Toni Morrison.“

Goslarsche Zeitung

„Woodson gelingt es, mit ihrer klaren und starken Sprache, geschickten Zeitsprüngen und Andeutungen die Handlung auf 158 Seiten kunstvoll zu verdichten und schafft ein beeindruckendes Porträt jener Zeit.“

buch-haltung.com

„Ein unglaublich präsentes, klares und unsentimentales Buch über die Kindheit.“

novellieren.com

„Fast schade, dass dieses dünne Buch so schnell gelesen ist. Und umso bemerkenswerter, dass Jacqueline Woodson nur weniger Sätze benötigt, um ein ganzes Lebensgefühl entstehen zu lassen.“

Freie Presse

„Jacqueline Woodson erzählt in ihrem poetischen Roman über vier Mädchen im New York der 1970er-Jahre.“

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