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Der kleine Baumarkt-Physiker

Der kleine Baumarkt-Physiker

Sven Sommer
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Experimente für alle, die es zu Hause richtig krachen lassen wollen

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Der kleine Baumarkt-Physiker — Inhalt

Chemie ist, wenn es knallt und stinkt – Physik, wenn etwas nicht gelingt!?

Sven Sommer lässt es bei seinen physikalischen Versuchen garantiert krachen, zischen und rauchen – und gibt einfache Anleitungen für das perfekte Wochenendexperiment zu Hause. Alle Materialien dafür finden sich im Baumarkt, Supermarkt oder liegen bereits im Küchenschrank zu Hause. So wird komplexe Naturwissenschaft durch zündende Ideen zum Selbermachen endlich verständlich und zeigt dabei auch noch, wie sich mit Feuer, Wasser, Luft und Licht der Grill anzünden lässt oder der perfekte Drink gelingt. 

€ 10,99 [D], € 10,99 [A]
Erschienen am 11.01.2019
352 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99200-8
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Leseprobe zu „Der kleine Baumarkt-Physiker“

Vorwort

„Ein Wunder solcher Art erlebte ich als Kind von vier oder fünf Jahren, als mir mein Vater einen Kompass zeigte. Dass diese Nadel in so bestimmter Weise sich benahm, passt so gar nicht in die Art des Geschehens hinein, die in der unbewussten Begriffswelt Platz finden konnte. (…) Ich erinnere mich noch jetzt – oder glaube mich zu erinnern –, dass dies Erlebnis tiefen und bleibenden Eindruck auf mich gemacht hat. Da musste etwas hinter den Dingen sein, das tief verborgen war.“
Albert Einstein
Chemie ist, wenn es knallt und stinkt, Physik, wenn etwas [...]

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Vorwort

„Ein Wunder solcher Art erlebte ich als Kind von vier oder fünf Jahren, als mir mein Vater einen Kompass zeigte. Dass diese Nadel in so bestimmter Weise sich benahm, passt so gar nicht in die Art des Geschehens hinein, die in der unbewussten Begriffswelt Platz finden konnte. (…) Ich erinnere mich noch jetzt – oder glaube mich zu erinnern –, dass dies Erlebnis tiefen und bleibenden Eindruck auf mich gemacht hat. Da musste etwas hinter den Dingen sein, das tief verborgen war.“
Albert Einstein
Chemie ist, wenn es knallt und stinkt, Physik, wenn etwas nicht gelingt. Wie viele Generationen von Schülerinnen und Schülern mussten dies in Lehrsälen und Physikräumen oder Chemielaboren erleben? Vielleicht hat der ein oder andere Leser eine sehr gute Erinnerung an die Naturwissenschaften. Warum sollte man sich auch sonst ein Buch wie dieses hier kaufen? Für viele Schülerinnen und Schüler aber bleiben die Naturwissenschaften, vor allem die Chemie und die Physik, ein schwarzes Loch mit Ereignishorizont oder ein naphtholrotes Tuch. Die PISA-Studien haben dies zutage gefördert. Ein wesentlicher Teil gerade der hochkompetenten Jugendlichen hat kein Interesse am Fach Physik. Wozu dann Physikunterricht, wozu Formeln und Diagramme, wenn es viele gar nicht interessiert? Auf der anderen Seite gibt es zwar weiterhin viele Ingenieure und Wissenschaftler an den Universitäten, und im Fernsehen naturwissenschaftliche Gameshows und Reportagen, die durchaus Zuschauer finden. Was also macht die beiden Schulfächer spannend, und was schreckt ab?
Ob Sie es glauben oder nicht: Ich selbst gehörte in meiner Schulzeit nicht zu den großen Fans von Chemie- und Physikunterricht. In der 10. Klasse gab ich das Fach Physik mit einer 5 als Endnote ab. In Chemie rettete ich mich mit einer mündlichen Prüfung in die Oberstufe. Am Ende von Jahrgang 11 war ich dann mit meiner Chemie am Ende und gab das Fach mit viel Zureden an die Lehrerin und einer 4 ab, die sicher auch auf meine Redefertigkeiten zurückzuführen war und weniger auf meine Leistungen im Fach Chemie. Doch so richtig Schluss war noch gar nicht, es folgte nur eine Pause, bis ich mich wieder mit beiden Disziplinen beschäftigte – an der Uni. Mein Studium in Chemie und Physik schloss ich mit einer 1,1 ab und legte eine Promotion in Physikdidaktik nach. Und das (vorläufige) Ende vom Lied halten Sie nun in Ihren Händen. Was war da passiert?
Nun, es kommt darauf an, die richtigen Fragen zu stellen – und auch, die Fragen richtig zu stellen. Denn eigentlich sind Chemie und Physik doch unglaublich spannend, oder? Interessiert Sie etwa nicht, wo wir herkommen, wo wir hingehen und wie die Dinge dazwischen funktionieren? Ab und an habe ich darüber auch in meinem Schulunterricht etwas erfahren. Die meiste Zeit ging es aber um Arbeitsblätter, Fachsprache, Rechenwege und das richtige Anfertigen eines Protokolls. Eigene Ideen mussten mit denen der Wissenschaft übereinstimmen, und ich hatte im Gegensatz zu Galilei, Einstein und Co. meist nur 45 Minuten, um auf die richtige Erkenntnis zu kommen.
Privat lief es besser. MacGyver, der Geheimagent, der aus einem Schnorchel und einer Melone einen Zeitzünder für eine Bombe bauen konnte, und das Jugendheft Yps mit seinen Gimmicks versorgten meine Neugier für die Naturwissenschaften. Im Studium wählte ich aus taktischen Gründen das Fach Chemie – Biologie war schon voll – und lernte meinen späteren Doktorvater kennen. Wie ich später erfuhr, hatte auch er gerne Yps gelesen, vor allem aber hatte er Science Center in Deutschland gegründet, in denen Physik und Chemie anhand von Mitmach- und Erlebnis-Experimenten erklärt wird: die Phänomentas.
Ich bin natürlich nicht der Erste, der durch die direkte Erfahrung von Phänomenen der Natur zum Denken und Handeln angeregt wurde. Der berühmte englische Naturforscher Michael Faraday ist wahrscheinlich eines der bekanntesten Beispiele dafür. Mit der Einsicht, wie die Dinge funktionieren, kam (endlich) auch das Verständnis der abstrakten Formeln und Begriffe, die in der Schule keinen Wert für mich hatten. Oft zitiert wird dabei die bildhafte Vorstellung des „Begreifens“. Zeit und Raum für Ausprobieren, Anschauen, Beobachten, Verknüpfen, Selbstbenennen, Mitdenken, Darüber-Reden, Liegenlassen, Darauf-Zurückkommen und so weiter hatte ich erst im Studium, und die Pädagogik dahinter hat mich überzeugt. Am Ende dessen steht nun also dieses Buch, das Ihnen als naturwissenschaftlich interessierte Leserin oder, noch besser, als unbedarfter, ahnungsloser Leser eine Chance bietet, selbst einzusehen, wie die Dinge funktionieren, vielleicht auch selbst zu erleben, dass die Dinge dahinter kein Mysterium sind. Auch der Experte wird sich an den alltäglichen Phänomenen erfreuen, die ihm vielleicht noch nicht genau bekannt gewesen sind.
Wer einfach statt kompliziert erklärt, muss sich schnell als populärwissenschaftlich und ungenau rechtfertigen. Ein Physikdidaktik-Professor mahnte mir das unter epistemologischen Gesichtspunkten sogar einmal an. Ohne Yps-Hefte, MacGyver, die Knoff-Hoff-Show und andere populäre Vertreter wäre ich heute aber sicher kein begeisterter Naturwissenschaftler und Wissensvermittler. Sie schafften, was der Unterricht nicht vermochte: mich für diese unglaublich spannende Welt da draußen zu begeistern!
Ich halte heute also ganz bewusst gegen solche Zweifler des vordringlich Einfachen und des Erstaunenden den Reformpädagogen Martin Wagenschein entgegen, dessen Credo in einem Satz lautete: „Verstehen ist ein Menschenrecht.“ Und verstehende Menschen waren ihm allemal wichtiger als wissende. Verstehen beginnt damit, dass man die Chance bekommt, die Dinge selbst einzusehen, selbst die Freiheit zum Entdecken hat, sich selbst dabei erlebt, etwas zu entdecken und bestenfalls mit anderen zusammen zu neuen Erkenntnissen kommt. Mit diesen drei Zutaten: Autonomie, Kompetenzerleben und sozialer Eingebundenheit ist dann zugleich alles erfüllt, was aus Sicht von Psychologen Motivation und Interesse entwickeln lässt. Nicht ohne Grund steht das Wort Interesse im Lateinischen für das „Dazwischen-Sein“ oder „Dabei-Sein“.
Auch viele Naturwissenschaftler waren „dabei“ und erfüllten mit ihrer Arbeit nicht nur wissenschaftliche Kriterien, sondern „basic needs“ der Interessenförderung. Sie verschrieben sich der Populärwissenschaft. So zum Beispiel der Schwede Anders Celsius, der ja unter anderem unsere heutige Temperaturskala erfand, oder der bereits erwähnte englische Naturforscher Michael Faraday, der zu seiner Zeit nicht nur für den heute nach ihm benannten Faraday’schen Käfig bekannt war und der gleich einen wichtigen Beitrag im ersten Kapitel des Buches spielen wird. Faraday war ein besonders starker Verfechter, wenn es darum ging, die Naturwissenschaften unters Volk zu bringen. Er selbst hatte über Nebenstrecken seine Wissenschaftskarriere eingeschlagen und auf seinem Weg oft mit Ablehnung zu kämpfen. Er hielt regelmäßig Vorlesungen, bei denen er zum Beispiel die Naturwissenschaft der Kerze für das offene Publikum enträtselte.
Faraday bat, bei seinen Vorlesungen stets „bei aller Bedeutung unseres Gegenstandes und allem Ernst der wissenschaftlichen Behandlung desselben doch von den Älteren unter uns absehen zu dürfen und das Vorrecht zu beanspruchen, als junger Mann zu jungen Leuten zu sprechen“. Er kam an, indem er die Leute sprachlich da abholte, wo sie standen, und ging mit ihnen dennoch anspruchsvolle Wege durch die wissenschaftliche Fachsprache. Machen wir doch auch mal eine kurze Exkursion in die Vermittlung von Fachsprache in den Naturwissenschaften. Sprache ist nämlich nicht gleich Sprache und Sprache lernen nicht gleich Sprache erwerben. Schon Mark Twain schimpfte über die deutsche Sprache. Er hatte nicht die Möglichkeit, sie als Kind zu erwerben, sondern lernte sie als Erwachsener. Mit Fachsprache ist es ähnlich. Kommunikation mit der Alltagssprache verzeiht Ungenauigkeiten, in der Wissenschaft aber fallen Sprachfehler auf und entstellen den Sinn, weil die Sprache so genau definiert und wenig fehlertolerant ist. Die Fachsprache wie eine neue Fremdsprache zu erlernen ist erst einmal anstrengend und mühsam. Der Weg dahin kann so wie eine Treppe zu hohe Stufen enthalten: dann ist fachlich zwar alles korrekt, aber auch Meilen von der Alltagssprache entfernt. Er kann aber auch einer flachen Treppe entsprechen, deren Stufen leicht zu nehmen sind, die dafür aber nie das Niveau der anderen Treppe erreicht. Sie ahnen es wahrscheinlich schon: Der Mittelweg ergibt Sinn! Ich entscheide mich daher wie Michael Faraday für eine sehr alltägliche Sprache mit Versatzstücken aus dem Fach, eine Sprache des Verstehens anstatt des Verstandenen.
Vor der Fachsprache steht bei allem Respekt vor den wissenschaftlichen Erkenntnissen also nicht nur in diesem Buch die vereinfachende Alltagssprache, der alltägliche Vergleich steht vor dem fachlich exakter definierten Hintergrund, und vor der Formel steht der Versuch. Auch wenn es zum guten Ton in der Wissenschaft gehört, sich möglichst fachlich auszudrücken, darf dies erst am Ende des langen Studiums erwartet werden. Selbst Wissenschaftlern gelingt es nicht, neue Dinge innerhalb kurzer Zeit fachlich korrekt zu beschreiben.
Ein Beispiel: Wir werden im Buch den wahrscheinlich ältesten Freihandversuch der Welt behandeln. Dazu müssen wir nur ein Teelicht in einer Wasserschale entzünden und ein Glas darüber halten. Das Teelicht wird verlöschen und das Wasser aufsteigen. Die Lösung dahinter ist trivial, oder? So trivial, dass der Versuch in der Primarstufe oft Verwendung findet. Am Ende einer einzigen Unterrichtsstunde soll dann das Ergebnis stehen.
Der griechische Naturforscher Philon von Byzanz schrieb in seiner „Pneumatica“ etwa im 3. Jahrhundert v. Chr. über das Phänomen. Heron von Alexandria, Galileo Galilei oder der Chemiker Antoine Laurent de Lavoisier griffen die Beobachtung des steigenden Wassers im Gefäß wieder auf. Erst im Jahre 2011 gelang es einem Forscherteam aus Chile, die Hintergründe des Experiments endgültig zu klären. Im Luft-Kapitel werden wir die Hintergründe genauer betrachten. Die Erkenntnis hinter diesem einfachen Aufbau beschäftigte also Forscher und Wissenschaftler über mehrere Tausend Jahre, und von Schülerinnen und Schülern wurde über Jahre hinweg verlangt, dieselbe Erkenntnis in einer Dreiviertelstunde zu erlangen. Ohne die richtigen Hilfestellungen ist das schwer möglich, wenn nicht von vornherein eine vollkommen überzogene Vorstellung. Trotzdem lässt sich das Phänomen mit einfachen Mitteln und etwas Hilfe entschlüsseln. Diese Steighilfen versuche ich im Buch mitzugeben, um die Treppe nicht zu steil werden zu lassen, eine kalkulierte sprachliche Herausforderung zu bieten und bei alledem nicht nur das Fachliche zu erklären, sondern auch dem Mysteriösen, Erstaunlichen Raum zu lassen. Kurzum: Die Begeisterung der Phänomene soll durch sie selbst in Erscheinung treten und bei Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, Interesse wecken, was mir genau so wichtig ist wie die Hoffnung, dass Sie etwas aus diesem Buch lernen.
Der Bildungsforscher Schiefele hat das mal wie folgt ausgedrückt: „Wer kein Interesse hat, ist nicht gebildet!“ Damit es zum Selbst-Verstehen und Gefesselt-Sein kommt und nicht nur bei Worthülsen wie „irgendwas mit gekoppelten Schwingungen“ oder Zusammenspiel von „Entropie und Potenzial“ bleibt, muss Ihre Alltagssprache unter Anleitung zur Bildungssprache werden, am wirksamsten in praktischem Gebrauch und unter Kopplung beider Sprachen mit Ihren Freunden, Ehepartnern, Kindern, Schülern oder Studenten. Da ist also aktive Mitarbeit gefragt. Machen Sie mit, am besten zu zweit, zu dritt, und schlagen Sie Ihr Labor im Strandkorb, in der Küche, in der Kneipe, im Schwimmbad oder auf dem Dachboden auf. Da oben unterm Dach steht übrigens mein eigenes Labor.
Wer sich im Lesefluss nicht stören lassen möchte, organisiert sämtliche Materialien für die Experimente eines Kapitels einfach vorab und experimentiert dann am Stück durch. Die Materialien dazu finden Sie in jedem Baumarkt, Supermarkt und Einkaufscenter. Die einfachen Versuche, Freihandversuche genannt, sind pädagogisch eigentlich ein alter Hut. Aber: „Hoher Sinn liegt oft in kind’schem Spiel“, wusste schon Schiller zu sagen, und um 1905 schrieb Herrmann Hahn in seinem großen Standardwerk „Physikalische Freihandversuche“ über diese kleinen Freihandaufbauten für Alltagsforscher: „Ein Hauptzweck dieser Sammlung von Freihandversuchen ist, den Lehrer auch an der kleinsten Dorfschule in den Stand zu setzen, den Unterricht in der Naturlehre auf Versuche zu gründen. Diese sind unter Beseitigung der spielerischen Schale und Heraushebung des naturkundlichen Kerns so anzuwenden, dass sie die Schüler zum Nachdenken und zur Selbstständigkeit anregen und ihnen Kenntnis und Verständnis der gewöhnlichsten Naturerscheinungen vermitteln. […] Wer einige von ihnen gemacht hat, merkt bald, dass er nach ähnlichen Verfahren noch viele andere Versuche ausführen kann. Er gewöhnt sich beim Experimentieren ein frisches Zugreifen und eine allseitige Ausnutzung der Gegenstände an, die ihm gerade zur Hand sind.“
Mehr als hundert Jahre danach verschreibt sich dieses Buch denselben Werten und Zielen und gibt alten wie neuen Freihandversuchen von klassischer Fachliteratur über Yps, MacGyver, Knoff-Hoff-Show bis zu modernen YouTube-Experimenten die Ehre.
Das reine Lesen des Buches im Strandkorb oder auf dem Sofa ist erlaubt. Ich empfehle aber unbedingt, immer wieder Pausen einzulegen und selbst auszuprobieren, was die Theorie erhellt. Mit den Versuchsanleitungen können die beschriebenen Phänomene schnell in Erscheinung treten. Zum Mitdenken sind Beobachtungsaufgaben für jeden Versuch vorhanden. Profis stellen ihre eigenen Fragen an die Natur. Für sie sind Seitenblicke im Buch vorhanden und viele weitere Versionen und Versuche angerissen. Wie die persönliche Zugfahrt durch die Naturwissenschaften letztlich aussieht, liegt in der Hand jedes Lesers. Wer mag, steigt zwischendurch aus und erkundet das Terrain auf eigenen Wegen weiter, bevor er die Reise fortsetzt. Alle Versuche sind vielfach getestet, dennoch sei hier gesagt, dass bei allem Experimentieren und Versuchen immer Demut und Vorsicht das Handeln bestimmen sollten!
Wo fangen wir die Reise nun an? Was sollte man über Physik und Chemie wissen? Klar zu trennen, wo die Chemie endet und die Physik beginnt, ist nicht immer einfach. Die alten Griechen kannten diese Unterschiede noch gar nicht und nannten gleich alles Philosophie. Das Buch sortiert die Naturwissenschaften daher nach den antiken Elementen. In dieser Tradition bewegt sich dieses Buch durch Feuer, Wasser und Luft. Statt auf die Erde schauen wir am Ende des Buches sinnbildlich ins Licht der Erkenntnis und lernen dabei, wie wir mit diesem Wissen Autoscheiben enteisen, Drinks mixen oder den Grill anzünden. Ob Sie nun eine Rundreise machen oder im Zickzack fahren: Viel Spaß dabei!



Kapitel 1:
Feuer und Flamme für den Grill


Elementares aus dem Feuer und der Chemie
Ob Winter oder Sommer, immer wieder zieht es uns ans Feuer. Wenn die Tage länger werden, werden auch in der modernen Welt nicht nur die LED-Lampen angeknipst oder die Lagerfeuer-App am HD-Fernseher gestartet, sondern auch die traditionelle Kerze oder gleich ein paar Holzscheite im Kamin angezündet. Im Sommer wird trotz Induktionsherd und Mikrowelle die Kohle ausgepackt und der Grill angeheizt. Die Feuerstätte ist seit jeher der zentrale Ort im Privatleben von Höhlenmenschen, Nomaden, römischen Civis, Rittervolk bis zum Homo graticula assare, dem modernen Menschen am Grill!
Ein paar überzeugende Zahlen dazu: 72,7 Prozent der Deutschen geben in einer aktuellen Umfrage an, dass der Sommer ohne Grillen für sie kein richtiger Sommer ist. Erstaunlicherweise liegen die Damen sogar leicht vor den Herren, wenn es um die Frage geht, wie oft gegrillt wird. 30,7 Prozent von ihnen würden sogar jeden Tag im Sommer am Grill verbringen. So geben auch nur 8,5 Prozent der Befragten an, dass sie Grillen zu aufwendig finden, wobei Männer das Grillen mit 11,6 zu 5,6 Prozent etwas aufwendiger wahrnehmen als die Damen. Liegt das an klassischen Rollenverteilungen oder der besseren Technik der Damen am Grill? Schließlich verfügt die Republik nach Angaben der Bevölkerung nur über 5,7 Prozent Profigriller. Wie dem auch sei: Die Liebe zum Grillen hängt direkt mit der Liebe zum Feuer zusammen, denn ist der Ofen aus, bleibt die Küche kalt.
Über Generationen hinweg haben sich ausgeprägte Kulturtechniken entwickelt, um den Grill anzuheizen und am Laufen zu halten. Da gibt es den Puristen, der die Grillkohle nur mit Zeitungspapier zündet und mit Bierträgerpappe und gleichförmigen Wedelbewegungen das Feuer in Gang bringt. Der Fortschritt elektronischer Haushaltsgeräte bringt dann den Grilltechniker hervor, der mit Heißluftföhn oder Gasbrenner den Anteil menschlicher Arbeitskraft wegrationalisiert. Auf die Extremform der Elektronikgrillnutzer gehen wir an dieser Stelle nicht weiter ein, es soll in diesem Kapitel ja um das Feuer gehen. Ob es sich beim Elektrogrill überhaupt noch um Grillen handelt, ist außerdem gesellschaftlich durchaus umstritten. Auch Gasgrill oder Subformen wie den Dutch Oven, den BBQ-Smoker, den Tatarenhut oder den Solarkocher lassen wir erst einmal beiseite und bleiben beim klassischen Kohlegrill.
Ebenso nicht unumstritten ist der Pyro-Griller, der mithilfe von Alkohol, flüssigen Kohlenwasserstoffen oder sogar Benzin die Kohlen zündet. Dass es hier immer wieder zu sehr gefährlichen Verpuffungen und Verletzungen kommt, hat sich so weit herumgesprochen, dass heute viele kreative Ideen existieren, die gefahrloses Grillen ermöglichen. Letztlich bedarf es bei alledem nur etwas Wissen über das Phänomen des Feuers und ein bisschen Experimentierfreude. Dann ergeben sich Ideen wie der peruanische Grillkohlevulkan oder Taco-Chips als Grillanzünder quasi von selbst. Doch dazu später mehr. Befassen wir uns zunächst einmal genauer mit dem Feuer selbst, bevor wir das Wissen in der Praxis, also am Grill, anwenden.
Feuer ist eine der ältesten und nützlichsten Erfindungen der Menschheit. Genau genommen hat der Mensch das Feuer natürlich nicht erfunden, es war schon lange vor ihm da. In der griechischen Sage stiehlt Prometheus das Feuer von Helios’ Sonnenwagen, nachdem die Götter ihm die Nutzung des Feuers versagten. Die Menschen mussten nun nicht mehr frieren, und Prometheus wurde zur Strafe an einen Felsen gekettet, wo ihm täglich die Leber von einem Adler zerhackt wurde. Keine schöne Strafe. Der Mythos zeigt aber, wie zivilisationsfreundlich und zugleich frevlerisch die Tat des Prometheus dargestellt wurde.
In der Tat: Das Feuer hat zivilisatorisch zwei Seiten. Die bisher ältesten Überreste einer Feuerstelle haben Forscher in der Wonderwerk-Höhle in Südafrika entdeckt. Die verbrannten Knochen und Pflanzenteile sind rund eine Million Jahre alt. Der junge Homo erectus zündelte nicht mit Holz, sondern mit Gras, Zweigen und Blättern als Brennstoff.
Feuer ermöglichte dem jungen Urzeitmenschen wohl schon vor etwa 1,5 Millionen Jahren einen gewaltigen Sprung nach vorne. Feuer erhellt das Dunkel, Feuer hält warm, Feuer vertreibt Feinde, ermöglicht Abfallverwertung, vertreibt Ungeziefer, härtet Holz und Lehm und macht Speisen haltbar und genießbar. Das erinnert schon stark an die Qualitäten von Smartphones heute, nicht wahr? Vor allem der letztgenannte Punkt war für die Entwicklung der Menschheit wesentlich. Mit dicken Reihen von mahlenden Backenzähnen ist das Kauen und Verwerten von Fleisch nicht einfach. Vegan war also durchaus schon bei den ersten Menschenaffen sehr angesagt, wenn auch eher zwangsweise. Mit den richtigen Garmethoden auf dem Grill der Urzeit konnte das zähe Fleisch verwertbar gemacht werden. Der Energieschub durch die enzymatische Aufspaltung ließ den Homo habilis nicht nur physisch stärker werden, es wurde auch mehr über Kulturtechniken nachgedacht. Kochen und Jagen als soziale Strukturgeber führten in der Folge zu besseren Waffen, bereicherten die gemeinsame Sprache und brachten Gemeinschaftsverbände hervor. Im Prinzip läuft es heute noch nicht anders, sowohl am Grill wie auch in der Politik.
Feuer ist also nicht nur zum Kochen und Heizen sinnvoll, es ist auch in Kultur und Biologie fest verankert. Der heimische schwarze Kiefernprachtkäfer kann das Feuer sehr gut leiden. Seine Larven ernähren sich besonders gerne von frisch verbranntem Holz. Mit einem mechanischen Infrarotsensor spürt der Käfer Brände auf, indem er die Druckveränderungen wahrnimmt. Ein kleiner Behälter in seinem Infrarotorgan, ähnlich dem Grubenorgan von Klapperschlangen, enthält einige Hundertmilliardstel Milliliter Wasser, das sich bei plötzlicher Erwärmung schlagartig ausdehnt. Diese Druckänderung alarmiert den Käfer, sich fürs Mittagessen bereitzuhalten. Nicht nur in der Biologie, auch in unserer Kultur ist das Feuer durchaus positiv belegt. Das höchste Lagerfeuer der Welt loderte 2016 bei der Mittsommerfeier im norwegischen Ålesund in den Himmel: Allein der Holzstapel war gigantische 47,4 Meter hoch, und dennoch war das Feuer kontrolliert und lockte Tausende von Schaulustigen zur Feier an.
Anders sieht es aus, wenn das Feuer unkontrolliert lodert. Der Weltenbrand in der nordischen Ragnarök oder das Fegefeuer der christlichen Hölle sind Vorstellungen, die schreckliche Erfahrungen mit Feuersbrünsten aufgreifen. Kaiser Nero brannte Rom angeblich aus bauplanerischen Gründen ab, Städte wie London oder Hamburg brannten aufgrund ihrer schmalen Gassen und Holzbauten ab, andere durch Kriege, Naturkatastrophen, Unfälle. Zu den größten dokumentierten Bränden zählen die Buschfeuer in Australien. Am 7. Februar 2009 traten im australischen Bundesstaat Victoria mehrere Großfeuer auf, die rund 430000 Hektar Land verbrannten. Das ist in etwa die Größe des Schwarzwalds.
Am 1. September 1923 wurde die japanische Kantō-Ebene von einem Erdbeben der Stufe 7,9 zerstört. Teile der Städte Yokohama und Tokio litten aber darüber hinaus unter dem sich daraus entwickelnden Feuersturm. Die dicht beieinanderstehenden Holzhäuser der Bewohner gingen zu Tausenden in Flammen auf, und viele der 142800 Todesopfer sind auf die Feuer nach dem Beben zurückzuführen. Es muss nicht gleich ein gewaltiges Erdbeben sein, ein unachtsamer Moment, ein Funke reicht oft schon aus, die Dinge außer Kontrolle zu bringen.
Der sprichwörtliche Funke und noch einige andere feurige Begriffe haben bis heute einen festen Platz in der Begriffswelt unserer Sprache gefunden. Feuer wird zumeist mit positiven Dingen assoziiert, soweit wir die Kontrolle darüber haben. Unkontrolliert steht es für große Gefahr und große Macht, für Zorn und Wut. Vor allem aber die Liebe und das Feuer scheinen sehr ähnlich: Uns wird „warm ums Herz“, wenn wir auf unsere Flamme treffen, etwas plump ist manch einer „richtig heiß“ auf seinen Schwarm, und ein anderer muss „die Kohlen aus dem Feuer holen“, wenn „der Funke nicht übergesprungen ist“ und man sich nicht „füreinander erwärmen kann“ (weil er sich die Finger an einer anderen verbrannt hat). Ist „das Feuer aus“, ist die Liebe erloschen, und man sucht sich einen anderen Reaktionspartner, um eine neue Verbindung einzugehen. Man strahlt und leuchtet ebenso, wie es Atome im Feuer tun.
Der Weg zu dieser Erkenntnis war lang. Im antiken Griechenland war das Feuer Teil der Vier-Elemente-Lehre, zu deren Entwicklung Thales von Milet, Anaximenes oder Platon beitrugen. Das Element Feuer wird von Platon als Tetraeder dargestellt, Aristoteles ordnet ihm die Eigenschaften warm und trocken zu, Paracelsus den Salamander als Elementarwesen. Seine Himmelsrichtung ist der Süden, sein Körpersaft die gelbe, cholerische Galle und sein Erzengel Michael. Leider helfen uns diese Betrachtungen des Elements Feuer am Grill bislang nicht weiter. Erst der Chemiker Robert Boyle machte aus dem Elementbegriff im 17. Jahrhundert das, was wir heute darunter verstehen.
Vorweg ein kurzer Abstecher in die Chemie, um Verständigungsproblemen vorzubeugen. Chemiker sind die Modellbauer unter den Wissenschaftlern. Sie verwenden nicht nur zahlreiche Modelle, sie befassen sich ausgiebig mit Bausteinen und was man aus diesen bauen kann. Die kleinsten Bausteine, mit denen der Chemiker umgeht, sind die Atome. „Atomos“ ist das griechische Wort für „unteilbar“. Ein Papier ist immer wieder in der Mitte teilbar, bis wir zu einem Punkt kommen, wo wir auf etwas stoßen, das wir nicht weiter teilen können, das Atomos oder kurz Atom.
Teilchenphysiker können heute das Atom zwar weiter teilen, für den Chemiker reichen die Atome als „Legosteine“ des Universums erst einmal aus. Aus ihnen bauen sich alle Dinge (der Chemiker sagt „Stoffe“) auf. Versammelt im Periodensystem der Elemente, finden wir alle 118 bislang bekannten Atome. All diese einzelnen Bausteine zu entdecken und richtig einzusortieren war eine gewaltige Leistung. Die ehrfurchtsvoll auch als „Farbpalette Gottes“ bezeichnete Tafel zeigt uns anschaulich, dass die komplexe Welt da draußen, bestehend aus Milliarden von Stoffen und Verbindungen, auf einige wenige Grundbausteine zurückgeführt werden kann. Je nach Anordnung und Menge der einzelnen Bausteine wird daraus ein Stuhl, eine Pizza, ein Parkscheinautomat, ich und du und Müllers Kuh.
So weit, so gut. Mit zwei, drei Handvoll echten Bausteinen aus Kindertagen: Lego, Duplo oder Holzbauklötzen verdeutlichen wir uns schnell noch ein paar weitere elementare chemische Begriffe, bevor wir uns wieder ans Feuer begeben. Mit den kleinen Plastikbausteinen aus Dänemark funktioniert unsere Analogie am besten, weil die Bausteine so gut aufeinandergesteckt werden können und auf diese Weise feste, größere Gebilde möglich sind; ebenso wie es das Universum bei den Atomen macht. Schauen wir uns das mal an.


Atome verbinden sich im Bausteinmodell

Wir benötigen dazu:
zehn grüne Bausteine,
zehn gelbe Bausteine,
zehn rote Bausteine,
weitere Bausteine.

Durchführung:
1. Wir legen die Bausteine zu einem großen Bausteinhaufen zusammen und sortieren je fünf Steine von einer Farbe auf einzelne Haufen.
2. Aus den übrigen Steinen bauen wir verschiedene größere Gebilde.
Beobachtungsaufgabe:
a) Wie viele mögliche Kombinationen ergeben sich, wenn wir 20 Bausteine miteinander kombinieren?

Das Spiel mit Bausteinen liefert viele Ansichten über die Chemie. Kommen die Atome in der Natur einzeln und sortenrein wie in einem Haufen einer Sorte von Bausteinen vor, sprechen wir von Elementen. Wir haben in unserem Versuch also ein rotes Element mit roten Atomen, ein gelbes Element mit gelben Atomen und ein grünes Element mit grünen Atomen entdeckt.
Mischen wir die Steine mit einer anderen Sorte, würde der Chemiker das Ergebnis Gemisch oder Mischung nennen. Wir können die Steine einfach wieder auseinandersortieren, um zurück zu den Elementen zu kommen. Der Chemiker hat es in der Regel schwerer, er muss verschiedene Verfahren und Eigenschaften der Atome nutzen, um sie wieder zu trennen.
Nun gibt es aber nicht nur einzelne Bausteine, sondern auch fest miteinander verbundene. Wir haben mehrere Verbindungen gebaut. Der Chemiker spricht bei solch größeren Gebilden mit mindestens zwei Steinen von einer Verbindung und von Molekülen. Da gibt es ganz einfache Verbindungen aus zwei Steinen der gleichen Sorte, wie zum Beispiel den Wasserstoff, der in der Natur meist im Zweierteam, als Wasserstoffmolekül vorkommt, oder der Sauerstoff, der ebenfalls meist im Doppelpack von zwei Atomen vorkommt.
Der Vergleich mit der realen makroskopischen Welt liegt auf der Hand. Auch hier wird ja oft den Damen nachgesagt, dass sie lieber mit der besten Freundin anstatt alleine unterwegs sind. Manchmal kommt der Sauerstoff auch im Dreierteam vor, ist dann aber weniger stabil. (Wir nennen diese drei Damen im Verbund übrigens Ozonmolekül.)
Viele Atome verbinden sich mit nur einem weiteren Atom. Es gibt aber umso mehr Atome, die sich mit mehreren Atomen verbinden, je nach Situation mal mit mehr oder weniger Partnern.
Die Partnersuche zwischen den Atomen nennt sich „chemische Reaktion“. Bei diesen Gelegenheiten trennen sich verbundene Atome, finden sich zu neuen Verbindungen oder ordnen sich anders an. So kann es sein, dass aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom ein Molekül namens Diwasserstoffmonoxid entstehen kann. Im Bausteinmodell setzen wir zwei rote Steine auf einen gelben Stein und haben damit Wasser hergestellt!
Da Chemiker grundsätzlich faul sind, fassen sie die Liebesgeschichten der Atome mit wenigen Buchstaben zusammen, und da Chemiker natürlich Latein beherrschen (zumindest die früheren), werden die „Protagonisten“ mit ihren lateinischen Initialen abgekürzt. Bei der Wasser-Romanze liest sich die Lovestory dann folgendermaßen:

6 H2 + 3 O2 → 6 H2O

Wasserstoff und Sauerstoff reagieren zu Wasser.
(Hydrogenium) + (Oxygenium) → (Diwasserstoffmonoxid)

Warum und wieso ein so reger Partnertausch zwischen den Atomen besteht, werden wir später noch genauer erfahren. Da Formeln auch im weiteren Verlauf des Buches noch vorkommen, sei noch erwähnt, dass diese Formel nicht einfach nur kurz, sondern in erster Linie auch äußerst stichhaltig ist. Der Chemiker kann mit ihr wie in einem Rezept genau ablesen, wie viele Bausteine verwendet wurden. Es sind hier sechs Wasserstoffmoleküle, also insgesamt zwölf Wasserstoffatome (weil in jedem Molekül ja zwei Atome stecken), die sich mit drei Sauerstoffmolekülen, also sechs Sauerstoffatomen (hier ebenfalls zwei Atome pro Molekül), zu sechs Wassermolekülen verbinden. Was links vor dem Reaktionspfeil steht, muss auch rechts wiederauftauchen, nur eben neu kombiniert. Halbe Atome sind nicht möglich, und falls rechts mehr oder weniger Atome landen, als ursprünglich links standen, ist die Geschichte falsch erzählt und muss korrigiert werden.
Wem das in drei Zeilen zu kurz war, dem empfehle ich den Nachbau des Wassermoleküls mit Legosteinen nach dem oben genannten Zahlenverhältnis. Wer mit einzelnen Sauerstoffatomen statt Sauerstoffmolekülen arbeitet, kommt sogar auf ein kleineres Zahlenverhältnis, aber in natura geht der Sauerstoff eben meist nur zu zweit durchs Leben und beschert uns besagtes Zahlenspiel. Nun aber genug zum Wasser und zur Chemie. Mit den bislang gelernten Vokabeln schauen wir nun ein bisschen tiefer ins Feuer.



Disco, Partnerwahl und heiße Stimmung
Nichts eignet sich mehr, um mit dem Experimentieren zu beginnen, als das Feuer einer Kerzenflamme. Diese Ansicht vertrat schon Michael Faraday, der im 19. Jahrhundert nicht nur die elektromagnetische Induktion entdeckte, auf die der Faraday’sche Käfig zurückgeht. Faraday gilt bis heute als einer der bedeutendsten Experimentalphysiker. In regelmäßigen Weihnachtsvorlesungen verzauberte er seine Zuhörer mit der Magie der Naturphänomene.
Über seine erste weihnachtliche Experimentalvorlesung zu Phänomenen des Feuers und der Kerze schreibt er 1861 in seinem Buch „Die Naturgeschichte der Kerze“: „Die […]Kerze wählte ich schon bei einer früheren Gelegenheit zum Thema meines Vortrags, und stände die Wahl nur in meinem Belieben, so möchte ich dieses Thema wohl jedes Jahr zum Ausgang meiner Vorlesung nehmen, so viel Interessantes, so mannigfache Wege zur Naturbetrachtung im Allgemeinen bietet dasselbe dar. Alle im Weltall wirkenden Gesetze treten darin zutage oder kommen dabei wenigstens in Betracht, und schwerlich möchte sich ein bequemeres Tor zum Eingang in das Studium der Natur finden lassen.“
Nutzen wir dieses Tor und schreiten damit ein gutes Stück durch Chemie und Physik. Naturwissenschaftlich besehen, ist Feuer ein Phänomen, das bei vielen chemischen Reaktionen auftritt. Zur optimalen Nutzung dieses Buches empfehle ich daher, den folgenden Versuch erst einmal durchzuführen und dabei die Beobachtungsaufgaben in Ruhe durchzugehen und, wenn möglich, zusammen mit anderen zu besprechen, bevor es mit den Erläuterungen weiter im Text geht (das gilt für alle vorgestellten Versuche, nicht nur beim Kerzenanzünden).


Eine Kerze wird angezündet

Wir benötigen dazu:
eine Kerze,
eine Packung Streichhölzer,
eine Untertasse,
eine feuerfeste Unterlage (z. B. ein Küchenbrett).

Durchführung:
1. Wir stellen eine Untertasse auf eine feuerfeste Unterlage.
2. Wir stellen die Kerze auf die Untertasse und zünden sie mit dem Streichholz an.
Beobachtungsaufgaben:
a) Welche äußeren Merkmale hat ein Feuer? Was zeichnet es aus?
b) Wie brennt ein Streichholz schneller? Wenn die Flamme nach oben oder nach unten gehalten wird?
c) Warum brennt ein benutzter Kerzendocht schneller als ein noch unbenutzter?

Die Kerze brennt! Wir erkennen die typischen Merkmale eines Feuers: Wir sehen das helle Licht der Kerzenflamme, spüren seine Wärme, sehen und riechen den Rauch. Schon bei diesem unheimlich einfachen Versuch haben wir viel beobachten können.
Zuallererst mussten wir das Streichholz entzünden. Das funktioniert mit der Reibefläche der Streichholzschachtel. Im Streichholzkopf befinden sich im Wesentlichen drei Stoffe: Schwefel, Antimon(V)-sulfid und Kaliumchlorat. Die Reibefläche besteht aus feinem Glaspulver und rotem Phosphor. Der Chemiker teilt diese Stoffe in Oxidationsmittel und Reduktionsmittel ein. Für den Anfang reicht es aber aus zu wissen, dass diese Stoffe miteinander Verbindungen eingehen können, wie wir es im Versuch mit den Bausteinen durchgespielt haben. Offen blieb dort die Frage, warum Atome sich zu Verbindungen zusammenfinden.
Wie in der Liebe muss man ihnen erst einmal einen kleinen Schubs geben, damit sie sich mit einem anderen Atom einlassen. In vielen Jahren wird sich zwischen Reibefläche und Streichholzkopf nichts abspielen, wenn nicht bestimmte Bedingungen eintreten, die sie zu einer Verbindung bewegen. Stellen wir uns eine große Disco vor. Hier die Liebe des Lebens für eine feste Verbindung zu finden ist nur dann möglich, wenn auch entsprechende Kandidaten die Disco besuchen. Discothekenbesitzer haben das schon lange verstanden und die „Ladys’ Night“ eingeführt, um nicht nur traurige Single-Männerherzen an der Bar sitzen zu haben. Es bedarf aber noch mehr: Die Stimmung muss stimmen! In einer vollen Disco mit viel Tanz, heißen Rhythmen und kalten Getränken ist die Chance, als Paar nach Hause zu gehen, ungleich größer. In der Chemie ist es im Grunde genommen ebenso. Mit der Reibefläche geben wir Aktivierungsenergie ins System, die die Reaktion zwischen den Partnern startet. Die ersten Pärchen haben solch eine Wirkung auf die anderen, dass sie gleich mehrere weitere Paare folgen. Es wird Energie frei, die den Fortlauf der Reaktion ermöglicht. Die Verbindung von Stoffen setzt nämlich (bei exothermen Reaktionen) in der Regel Energie frei, die wir uns hier im Streichholz für die nächste Reaktion zunutze machen wollen.
Die Menge der frei werdenden Energie können wir sogar bedingt steuern. Dem Start der Reaktion über den Streichholzkopf folgt nämlich umgehend die Reaktion des eigentlichen Holzes. Je nach Neigung wird die Flamme größer oder kleiner. Neigt sich das Streichholz mit Flamme nach unten, wird mehr Holz von der Flamme erreicht, und das Streichholz brennt schneller ab. Wird die Flamme auf der Spitze gehalten, kann das Streichholz sogar ausgehen, weil die Energie der Flamme für das Holz nicht (mehr) erreichbar ist.
Nähern wir die Flamme des Streichholzes an den Kerzendocht an, starten wir mit ihrer Energie eine weitere Reaktion. Das Anzünden einer frischen Kerze dauert immer ein wenig länger als bei einem Docht, der schon verwendet wurde. Das Streichholz, vielmehr die Energie der Reaktionspartner in Streichholzkopf und Streichholzholz, schmilzt zunächst die Wachsschicht, die sich am Docht befindet. Das flüssige Wachs im Docht ist nun ein Bestandteil der nächsten Reaktion, an deren Ende die Kerzenflamme leuchtet. Wieso? Dazu gibt es noch viel zu entdecken. Beginnen wir erst einmal mit den Partnern, die sich hier treffen.


Nachweis der Bestandteile einer Kerzenflamme

Wir benötigen dazu:
eine dicke Kerze,
eine Packung Streichhölzer,
ein kleines und ein großes Glas,
zwei Esslöffel,
einen Eiswürfel,
eine Untertasse,
eine feuerfeste Unterlage (z. B. ein Küchenbrett).

Durchführung:
1. Wir stellen eine Untertasse auf eine feuerfeste Unterlage.
2. Wir stellen die dicke Kerze auf die Untertasse und entzünden sie.
3. Wir halten einen Löffel dicht über die Spitze der Kerzenflamme.
4. Wir nehmen einen weiteren Löffel und legen einen Eiswürfel darauf.
5. Wir halten den kalten Löffel mit Eiswürfel dicht über die Spitze der Kerzenflamme.
6. Wir stellen das Glas über die Kerze.
Beobachtungsaufträge:
a) Welche Veränderungen zeigen sich an der Unterseite der Löffel?
b) Auf welche Stoffe oder Elemente weisen die Veränderungen hin?
c) Warum geht die Kerze nach einiger Zeit aus, wenn sie unter dem Glas steht?
d) Wie verändert sich die Zeit zum Erlöschen der Flamme, wenn wir ein größeres oder kleineres Glas nehmen?

Mit den verwendeten Materialien haben wir viel über das Feuer lernen können. Die Kerze ist unter dem Glas ausgegangen. Ein kleines Glas lässt die Kerze schneller erlöschen als ein großes Glas. Es muss etwas in dem Glas vorhanden sein, das Teil der Reaktion ist. Carl Wilhelm Scheele und Joseph Priestley (nicht zu verwechseln mit Jason Priestley aus der berühmten Fernsehserie Beverly Hills 902010) machten um das Jahr 1771 herum ähnliche Experimente, zum Teil auch ein wenig makabre unter Beihilfe von Tieren, die unter Glasglocken gestellt wurden. Scheele erhitzte Braunstein und Kaliumpermanganat und erhielt dadurch ein farbloses Gas, das die Verbrennung förderte. Er nannte dieses Gas „Feuerluft“, erkannte es als Bestandteil der Luft und beschrieb, welche Bedeutung diese Feuerluft für Mensch und Tier hat. Der heutige Name Sauerstoff für die Feuerluft geht auf Joseph Priestley zurück. Priestley und Scheele konkurrierten – nach guter alter Wissenschaftstradition – mit der Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse.
Es ist der Sauerstoff, den wir hiermit als einen Reaktionspartner entdeckt haben. Ist reichlich von ihm vorhanden, läuft die Reaktion stärker ab. Wenn wir an die Flirtparty in der Disco zurückdenken, wird klar, dass ein Angebot an vielen netten Damen die Chancen auf eine Verbindung erhöht. Sind alle „Ladys“ vergeben, ist die Party zu Ende, das Feuer geht aus.
Die passenden Kerle für die Damen, um im Bild zu bleiben, haben wir mit den anderen Hilfsmitteln zu entdecken versucht. Der Löffel, den wir in die Kerzenflamme gehalten haben, hat sich schwarz verfärbt. Die Kerzenflamme rußt. Chemisch gesehen, besteht dieser Ruß überwiegend aus Kohlenstoff.
Als wir den eiswürfelgekühlten Löffel an die Flamme gehalten haben, haben sich kleine, feine Tröpfchen an der Unterseite des Löffels gezeigt. Diese Tröpfchen waren zuweilen auch am Glasrand zu entdecken, als wir das Glas über die Kerze stülpten. Es ist also Wasser bei der Reaktion entstanden.
Wenn wir weiter kombinieren, muss das Wasser, also die Verbindung von Sauerstoff mit Wasserstoff, unter Beisein von Wasserstoff entstanden sein. Etwas muss die Luft aufgebraucht haben. Es sind Kohlenstoff und Wasserstoff aus dem Kerzenwachs, das chemisch betrachtet nichts anderes als eine Mischung langkettiger Kohlenwasserstoffe (Alkane, Lipide, Ester) ist, also überwiegend aus Verbindungen dieser zwei Elemente besteht, die wiederum beide mit dem Sauerstoff reagieren können.
Wir haben uns ja nun schon mehrfach gedanklich in die Disco begeben: Wenn Sauerstoff die zwei Mädels auf dem Weg zur Toilette sind, dann sind Kohlenwasserstoffe die schunkelnden Männerreihen auf der Bank. In ihrem Zentrum liegen meist lange Ketten von Kohlenstoffatomen, an deren Außenseiten sich Wasserstoffatome halten. Die Ketten sind unterschiedlich lang, mal verzweigt, mal nicht, und manchmal mit weiteren Elementen als Gäste.
Die Farbe der Flamme zeigt uns indirekt, dass wir es hier mit einem langkettigen Kohlenwasserstoff zu tun haben. Angeregte Kohlenstoffatome geben der Flamme ihre typisch orangene Farbe. Zwei Dinge spielen hierbei eine Rolle. Im Lagerfeuer kann man auch andere Flammenfarben erkennen, wenn zum Beispiel Plastik oder mit chemischen Lacken behandeltes Papier verbrannt wird. Im Handel gibt es inzwischen besondere Geburtstagskerzen, die mit blauer, roter oder grüner Flamme brennen. Kaliumsalze lassen die Flamme bläulich leuchten, Kupfersalze grün, Strontiumsalze rötlich und Kohlenstoff eben gelblich-orange. Besitzer eines Gasherdes kennen das Phänomen, wenn Salzwasser auf die Gasflamme tropft und die Flamme kurz gelb aufleuchtet. Natriumchlorid zeigt sich also mit ähnlicher Flammenfarbe, wie auch der Kohlenstoff.
Welche Vorgänge genau die Atome unterschiedlich farbiges Licht abgeben lassen, ist ein Kapitel für sich. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass auch die Temperatur eine wichtige Rolle dabei spielt. So erscheint die Kerzenflamme bei genauem Blick nicht überall gleich orange, sondern unterschiedlich hell und an ihrer unteren Seite bläulich. Ein Infrarotthermometer zeigt uns die Temperaturunterschiede in der Flamme. Wir schieben hier mal einen Versuch ein.

Sven Sommer

Über Sven Sommer

Biografie

Sven Sommer ist promovierter Physikdidaktiker und Lehrer für Physik und Chemie in Barsbüttel bei Hamburg. Seine zündenden Ideen rund um Knallgas, Orangenfeuerwerk oder Cola-Dosen-Boot verarbeitete er außerdem als Stammautor des zwischenzeitlich wieder neu aufgelegten YPS-Heftes.

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