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Das Zeiträtsel (Reise durch die Zeit 1)

Das Zeiträtsel (Reise durch die Zeit 1)

Madeleine L’Engle
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Roman

„Der gelungene erste Band einer mehrteiligen Reihe.“ - Münchner Merkur

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Das Zeiträtsel (Reise durch die Zeit 1) — Inhalt

Die Nacht, als alles begann, war dunkel und stürmisch ... Die dreizehnjährige Meg ist zwar ein Mathegenie, aber sie hält nicht viel davon, in der Schule auf die Lehrer zu hören. Also hat sie nichts als Ärger. Auch mit ihrem kleinen Bruder Charles, der über merkwürdige Begabungen verfügt und manchmal ihre Gedanken lesen kann. Als die beiden dann noch mitten in der Nacht Besuch von einer merkwürdigen alten Dame bekommen, wird ihr Leben gehörig auf den Kopf gestellt: Denn Meg und Charles erfahren, dass ihr Vater, ein berühmter Wissenschaftler, der seit Jahren verschwunden ist, auf dem weit entfernten Planeten Camazotz gefangen gehalten wird. Dort herrscht ES, das Böse schlechthin, das die Menschen zu willenlosem Gehorsam zwingt. Niemand kann sich seiner Macht entziehen. Doch es gibt einen Weg, ES zu besiegen und ihren Vater zu befreien. Und Meg und Charlie sind die Einzigen, die diese Aufgabe übernehmen können. Das Abenteuer durch Raum und Zeit kann beginnen ...

€ 4,99 [D], € 4,99 [A]
Erschienen am 01.03.2018
Übersetzt von: Wolf Harranth
208 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99082-0
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Leseprobe zu „Das Zeiträtsel (Reise durch die Zeit 1)“

Die Nacht war dunkel und stürmisch.

Margaret Murry saß in ihrem Zimmer unter dem Dach, in eine Decke gewickelt, am Fußende des Bettes, und sah zum Fenster hinaus. Die Bäume schwankten, wenn der wilde Wind gegen sie peitschte. Die Wolken jagten nur so über den Himmel. Hin und wieder riss die Wolkendecke auf; dann schaute ein bleicher Mond durch und warf lange Schatten, die gespenstisch über den Boden tanzten.

Das ganze Haus zitterte.

Meg, in ihre Decke gehüllt, zitterte ebenfalls.

Das war ungewöhnlich, denn meist fürchtete sie sich nicht vor einem Sturm. Es [...]

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Die Nacht war dunkel und stürmisch.

Margaret Murry saß in ihrem Zimmer unter dem Dach, in eine Decke gewickelt, am Fußende des Bettes, und sah zum Fenster hinaus. Die Bäume schwankten, wenn der wilde Wind gegen sie peitschte. Die Wolken jagten nur so über den Himmel. Hin und wieder riss die Wolkendecke auf; dann schaute ein bleicher Mond durch und warf lange Schatten, die gespenstisch über den Boden tanzten.

Das ganze Haus zitterte.

Meg, in ihre Decke gehüllt, zitterte ebenfalls.

Das war ungewöhnlich, denn meist fürchtete sie sich nicht vor einem Sturm. Es liegt ja nicht allein am Wetter, dachte sie. Das kommt heute bloß zu allem anderen noch dazu. Das eigentliche Problem bin ich selbst. Ich, die dumme Margaret Murry, die dumme Meg, die immer alles falsch macht.

Vor allem in der Schule lief alles schief. Meg war eine der Schlechtesten ihrer Klasse. Erst heute Morgen hatte ein Lehrer verärgert zu ihr gesagt: „Also wirklich, Meg, ich verstehe das einfach nicht! Wie kann nur jemand, der so intelligente Eltern hat, eine so schlechte Schülerin sein? Wenn du dich nicht bald mehr anstrengst, wirst du die Klasse womöglich wiederholen müssen.“

In der Pause hatte sie dann ein wenig herumgeblödelt, um ihre Wut loszuwerden. Prompt meinte eine Mitschülerin verächtlich: „Wir sind doch hier nicht im Kindergarten, Meg! Warum benimmst du dich immer wie ein Baby?“

Und als sie endlich ihre Bücher packen konnte und sich auf den Heimweg machte, begann einer der Jungs, sie zu nerven, und fragte sie, wie es denn ihrem „blöden kleinen Bruder“ ginge. Da hatte sie sich mit ihrer ganzen Kraft auf den Jungen gestürzt. Und so war sie heute mit zerrissener Bluse und einer Schramme unter dem Auge nach Hause gekommen.

Sandy und Dennys, ihre zehnjährigen Zwillingsbrüder, waren schon seit einer Stunde von der Schule zurück und wiesen sie empört zurecht: „Wenn schon mit jemandem geboxt werden muss, dann überlass das gefälligst uns!“

Sie haben ja recht, dachte Meg grimmig. Ich bin zu nichts zu gebrauchen! Über kurz oder lang werden mir das alle ins Gesicht sagen. Also gut, alle außer Mom. Aber die anderen. Alle anderen. Ach, wenn doch Dad …

Wenn sie an ihn dachte, kamen ihr immer noch die Tränen. Nur Mom konnte ganz beiläufig von ihm reden. Etwa so:

„Wenn euer Dad zurückkommt …“

Zurückkommt – von wo? Und wann? Mom musste doch auch wissen, worüber die Leute tuschelten; sie musste das bösartige Geschwätz doch auch gehört haben. Und bestimmt litt sie darunter nicht weniger als Meg, auch wenn sie sich nichts anmerken ließ. Immer gab sie sich gut gelaunt und zuversichtlich.

Warum kann ich meine Gefühle nicht auch so gut verbergen? überlegte Meg. Warum muss ich mir immer alles anmerken lassen?

Das Fenster klapperte wild im Wind; Meg wickelte sich fester in die Decke. Das graue, flauschige Kätzchen, das sich auf dem Kissen zusammengerollt hatte, gähnte und zeigte seine rosa Zunge. Dann steckte es den Kopf wieder ins Fell und schlief weiter.

Alle schliefen, alle außer Meg. Sogar Charles Wallace, ihr „blöder kleiner Bruder“, der doch seltsamerweise sonst immer wusste, dass sie noch wach lag und unglücklich war. Dann kam er, Nacht für Nacht, auf Zehenspitzen die Treppe heraufgeschlichen … Aber sogar Charles Wallace schlief heute.

Wie konnten sie nur schlafen? Im Radio waren den ganzen Tag Sturmwarnungen gebracht worden. Wie konnte man Meg da nur in ihrem Zimmer und in dem wackeligen Messingbett allein lassen? Wussten sie denn nicht, dass der Wind jeden Augenblick das Dach abdecken konnte? Und dann würde sie in die dunkle Nacht geschleudert werden und sich jeden Knochen brechen …

Jetzt schlotterte sie am ganzen Körper.

Du hast das Zimmer unter dem Dach ja unbedingt haben wollen!, schalt sie sich selbst. Mom hat es dir überlassen, weil du die Älteste bist. Das war eine Belohnung, keine Strafe.

„Aber nicht, wenn es draußen stürmt; dann ist es keine Belohnung!“, rief sie laut, ließ die Decke zu Boden fallen und stand auf.

Das Kätzchen rekelte sich genüsslich und blickte Meg aus großen, unschuldigen Augen an.

„Schlaf nur weiter!“, sagte Meg. „Sei froh, dass du ein Kätzchen bist und nicht so ein Monster wie ich.“

Als sie sich im Spiegel sah, zog sie eine Grimasse. Ihre schreckliche Zahnspange blitzte auf. Automatisch schob sich Meg die Brille zurecht, strubbelte mit den Fingern durch ihr mausbraunes Haar, bis es in wilden Strähnen vom Kopf abstand, und seufzte so laut, dass sie sogar den Wind übertönte.

Der Holzboden unter ihren nackten Füßen war kalt. Durch die Fensterritzen blies der Wind, obwohl ihn das Sturmfenster doch eigentlich abhalten sollte. Im Schornstein heulte es.

Bis unters Dach herauf hörte Meg jetzt Fortinbras, den großen schwarzen Hund, bellen. Er schien sich ebenfalls zu fürchten. Was er wohl entdeckt hatte? Fortinbras bellte nie ohne Grund. Plötzlich fiel ihr wieder ein, was sie heute bei der Post aufgeschnappt hatte. Da war von einem Landstreicher die Rede gewesen; der hatte angeblich Frau Buncombe zwölf Betttücher von der Wäscheleine gestohlen. Man hatte ihn noch nicht geschnappt und womöglich war er jetzt auf dem Weg zu Megs Haus, das ziemlich abgelegen außerhalb der Stadt lag, und diesmal hatte er es bestimmt nicht nur auf Betttücher abgesehen …

Meg hatte kaum hingehört, als von dem Landstreicher gesprochen wurde, denn die Postbotin hatte sie da gerade mit zuckersüßem Lächeln gefragt, ob sie denn nichts Neues von ihrem Vater wisse.

Meg verließ das Zimmer und tastete sich durch den dunklen Flur. Dabei knallte sie gegen die Tischtennisplatte. Ein blauer Fleck mehr; das hat mir gerade noch gefehlt!, ärgerte sie sich.

Dann stieß sie sich an ihrem alten Puppenhaus, stolperte über das Schaukelpferd von Charles Wallace und trat auf die Spielzeugeisenbahn der Zwillinge. „Bleibt mir denn nichts erspart?“, herrschte sie den großen Teddybären an.

An der Treppe blieb sie stehen und lauschte. Nicht ein Laut kam aus dem Zimmer von Charles Wallace, das auf der rechten Seite lag. Auch gegenüber, im Schlafzimmer der Eltern, in dem Mom jetzt allein in dem großen Doppelbett schlief, war alles still.

Auf Zehenspitzen ging Meg durch den Flur und schlich in das Zimmer der Zwillinge. Dabei rückte sie erneut ihre Brille zurecht, als könne sie dadurch in der Dunkelheit besser sehen.

Dennys schnarchte. Sandy murmelte etwas im Schlaf. Die Zwillinge hatten ein sorgloses Leben. Lernen fiel ihnen nicht immer leicht, sie waren aber auch nicht gerade schlecht in der Schule. Meist brachten sie eine Zwei nach Hause und waren damit durchaus zufrieden; gelegentlich schrieben sie sogar eine Eins, und dann eben wieder eine Drei. Beide Jungen waren kräftig gebaut und ausdauernde Läufer, überhaupt gute Sportler. Als Einzige in der Familie blieben Sandy und Dennys auch von den spöttischen Bemerkungen der Leute verschont.

Meg verließ das Zimmer der Zwillinge wieder und huschte die Treppe hinunter. Dabei achtete sie darauf, nicht auf die siebte Stufe zu treten, denn die knarzte.

Fortinbras hatte aufgehört zu bellen. Der Landstreicher war also nicht draußen. Fort schlug immer an, wenn sich jemand dem Haus näherte.

Aber wenn der Landstreicher doch auftauchte? Wenn er ein Messer hatte? Die Nachbarn wohnten weit weg. Keiner würde Meg schreien hören. Ach was, es kümmerte sich ohnehin keiner um die Murrys.

Ich mache mir eine Tasse Kakao!, beschloss sie. Das hilft gegen dumme Gedanken – und wenn der Wind tatsächlich das Dach abdeckt, kann mir hier unten nichts passieren.

In der Küche brannte Licht. Charles Wallace saß am Tisch, trank ein Glas Milch und aß ein Marmeladebrot. Ganz klein und verloren hockte er allein in der großen, altmodischen Küche, ein kleiner blonder Junge in einem ausgewaschenen Pyjama, und ließ die Füße baumeln.

„Hallo!“, sagte er fröhlich. „Ich habe auf dich gewartet.“ Fortinbras lag unter dem Tisch und wartete vergeblich darauf, dass Charles Wallace ihm ein paar Bissen abgab. Er hob zur Begrüßung den schmalen schwarzen Kopf und klopfte mit dem Schwanz auf den Boden.

Eines Nachts hatte Fortinbras plötzlich vor der Tür gestanden, mitten im Winter, ein ausgesetzter, bis auf die Knochen abgemagerter junger Hund. Dad sagte, er sei eine Mischung aus einem Setter und einem Windhund und ein ungewöhnlich schönes Tier.

„Warum bist du nicht zu mir raufgekommen?“, fragte Meg ihren Bruder. Sie sprach mit ihm stets wie mit einem zumindest Gleichaltrigen. „Ich habe mich schrecklich gefürchtet.“

„Dort oben ist es mir zu windig“, sagte er. „Außerdem wusste ich doch, dass du hier auftauchen würdest. Ich habe für dich etwas Milch auf den Herd gestellt. Sie ist bestimmt schon heiß.“

Wieso wusste Charles Wallace immer alles über sie? Wieso wusste er immer, was sie dachte und brauchte? Um Dennys und Sandy schien er sich nie besonders zu kümmern; aber es war geradezu unheimlich, wie er erspüren konnte, was Mom und Meg fühlten oder dachten.

War das Gerede der Leute über Charles Wallace Murry etwa darauf zurückzuführen, dass sie sich insgeheim ein wenig vor ihm fürchteten? Verbreiteten sie deshalb das Gerücht, er sei nicht ganz richtig im Kopf? „Gescheite Eltern haben oft dumme Kinder!“, hatte Meg einmal aufgeschnappt. „Die beiden Jungen sind ja ganz nett und normal – aber dieses langweilige Mädchen und der kleine Junge! Nein, mit denen dürfte etwas nicht stimmen!“

Gut, es ließ sich nicht bestreiten, dass Charles Wallace in Gegenwart Fremder kaum den Mund aufbrachte. Daraus zogen manche Leute offenbar gleich den Schluss, er sei völlig stumm. Es war auch richtig, dass er erst vor einem Jahr zu sprechen begonnen hatte, als er schon beinahe vier war. Na und? Meg wurde immer ganz heiß vor Wut, wenn die Leute Charles Wallace mit schiefem Blicken anstarrten, die Köpfe zusammensteckten und Mitleid heuchelten.

„Mach dir bloß keine Sorgen um Charles Wallace, Meg!“, hatte Dad einmal zu ihr gesagt. Sie erinnerte sich ganz deutlich daran, denn es war kurz vor seiner Abreise gewesen. „Er ist schon richtig im Kopf. Er macht eben alles auf seine Weise und zu seiner Zeit.“

„Ich will aber nicht, dass er eines Tages so dumm wird wie ich“, hatte Meg damals gesagt.

„Aber, mein Schatz!“, hatte ihr Dad erwidert. „Du bist doch auch nicht dumm! Du und Charles Wallace, ihr entwickelt euch nur zufälligerweise anders als die anderen, in eurer eigenen und ganz besonderen Art.“

„Woher willst du das wissen?“, hatte Meg ungläubig gefragt.

„Wer sagt dir, dass ich nicht doch dumm bin? Dass du es bloß nicht wahrhaben willst, weil du mich eben lieb hast?“

„Natürlich habe ich dich lieb; aber davon allein lasse ich mich nicht beeinflussen. Ist dir denn nicht aufgefallen, dass Mom und ich dich oft getestet haben?“

Doch, das stimmte. Meg hatte bemerkt, dass viele dieser angeblichen „Spiele“ ihr Wissen und Können auf die Probe stellten – und dass die Eltern sich dabei für Charles Wallace und sie weitaus mehr Zeit nahmen als für die Zwillinge.

„Meinst du diese Sachen mit dem – mit dem Intell… telli…?“

„Ja, wir haben auch euern Intelligenzquotienten getestet.“

„Ist das der ›IQ‹, von dem du immer mit Mom redest?“

„Erraten, Meg.“

„Und ist mein IQ gut?“

„Mehr als das.“

„Wie gut ist er denn?“

„Das möchte ich dir nicht verraten. Aber er beweist mir eines: dass ihr beide, du und Charles Wallace, wenn ihr einmal erwachsen sein werdet und eure Persönlichkeit gefunden habt … nun, dass ihr dann in der Lage sein werdet, alles zu erreichen, was ihr wollt. Warte nur, bis Charles Wallace reden kann. Du wirst dich noch wundern!“

Wie recht er gehabt hatte! Allerdings war Dad bereits fort, als Charles Wallace plötzlich zu sprechen begann, und zwar von Anfang an in ganzen Sätzen, ohne das übliche Kleinkindergefasel.

„Wie wäre es, wenn du nach der Milch sehen würdest?“, sagte Charles Wallace jetzt. Seine Art zu sprechen war wirklich nicht typisch für einen Fünfjährigen. „Du magst es doch nicht, wenn sie eine Haut bekommt.“

Meg guckte in den Topf. „Das reicht für zwei!“

Charles Wallace nickte ernst. „Klar. Mom wird sich doch auch bedienen wollen.“

„Womit will ich mich bedienen?“

Sie wandten sich um. Mom stand im Türrahmen.

„Kakao“, sagte Charles Wallace. „Du willst doch eine Tasse, oder? Wie wär’s dazu mit einem Sandwich? Leberwurst und Rahmkäse?“

„Das klingt gut!“, sagte Frau Murry. „Aber mach dir keine Mühe, ich kümmere mich schon selbst darum.“

„Aber das macht doch fast keine Arbeit!“ Charles Wallace glitt vom Stuhl und stapfte in seinen Pyjamafüßlingen zum Kühlschrank – wie ein Kätzchen auf Samtpfoten. „Und du, Meg?“, fragte er. „Möchtest du auch ein Brot?“

„Ja, gern!“, sagte sie. „Aber ohne Wurst. Haben wir noch Tomaten?“

Charles Wallace spähte ins Gemüsefach. „Eine ist noch da“, sagte er. „Kann Meg sie haben, Mom?“

„Natürlich.“ Frau Murry lächelte. „Aber sei bitte nicht so laut, Charles. Außer du möchtest auch die Zwillinge hier unten haben.“

„Bleiben wir lieber ›entre nous‹!“, erklärte Charles. „Das ist heute mein neues Wort. Klingt doch besser als ›unter uns‹ – oder?“

„Viel besser!“, sagte Frau Murry. „Meg, lass mich noch einmal diese Schramme ansehen!“

Meg hielt ihr den Kopf hin. In der Küche war es hell und warm; das beruhigte sie. Alle Dachbodenängste waren verflogen. Im Topf brodelte duftend der Kakao, die Geranien am Fensterbrett blühten, mitten auf dem Tisch stand eine Vase mit kleinen gelben Chrysanthemen. Die roten Gardinen waren zugezogen; ihr blaues und grünes Muster blinzelte fröhlich in die Küche. Der alte Holzofen schnurrte wie ein großes, schläfriges Tier und strahlte sanft Licht und Wärme aus. Draußen war es stockdunkel, und noch immer peitschte der Wind gegen das Haus – aber seine wütende Kraft hatte Meg nur schrecken können, solange sie ganz allein oben in ihrem Zimmer hockte. Hier, in der vertrauten Behaglichkeit der Küche, war alles nur noch halb so schlimm. Sogar Fortinbras, der unter Moms Stuhl lag, stieß einen zufriedenen Seufzer aus.

Vorsichtig tupfte Frau Murry gegen die Schwellung auf Megs Wange. Meg blickte zu ihrer Mom auf – halb bewundernd, halb in trotziger Ablehnung. Es war nicht leicht, wenn man eine Mom hatte, die nicht nur eine angesehene Wissenschaftlerin war, sondern eine Schönheit obendrein. Ihr leuchtend rotes Haar, ihr heller Teint und ihre veilchenblauen Augen mit den langen dunklen Wimpern wirkten im Vergleich zu Megs Allerweltsgesicht nur umso hübscher. Megs Haar hatte sich noch bändigen lassen, solange sie Zöpfe getragen hatte. Aber als Meg in die Schule kam, ließ Mom ihr die Haare schneiden, und seitdem mühten sie sich zu zweit damit ab, es hochzustecken. Dabei fiel aber immer eine Seite lockig aus und die andere glatt. Das Ergebnis: Meg sah mit ihrer neuen Frisur noch bescheuerter aus als zuvor.

„Du lernst es wohl nie, mein Schatz, dass man sich manchmal weise zurückhalten muss“, seufzte Frau Murry. „Wann wirst du endlich begreifen, dass es so etwas wie einen goldenen Mittelweg gibt? – Die Schramme, die dir der junge Henderson da verpasst hat, sieht wirklich böse aus! Übrigens hat – da warst du schon im Bett – seine Mutter angerufen und sich darüber beschwert, wie schlimm du ihren Sohn zugerichtet hast. Ich habe ihr gesagt: ›Er ist ein Jahr älter und mindestens 12 Kilo schwerer als Meg; also müsste eigentlich ich mich beschweren!‹ Aber sie schien überzeugt, dass es ganz allein deine Schuld war.“

„Es kommt immer darauf an, von welcher Seite man es betrachtet“, sagte Meg. „Meist geben die Leute mir die Schuld, auch wenn ich mit der Sache gar nichts zu tun hatte. Aber diesmal habe leider tatsächlich ich angefangen. Ich wollte dem Kerl wehtun. Ich habe eben eine schreckliche Woche hinter mir; da hat sich eine Menge Wut aufgestaut.“

Frau Murry strich Meg über die Zotteln. „Wut? Weißt du auch, worauf du wütend bist?“

„Darauf, so ein Außenseiter zu sein!“, rief Meg. „Und leider bin ich auch auf Sandy und Dennys wütend. Ich weiß nicht, ob sie wirklich wie alle anderen sind oder ob es ihnen bloß gelingt, so zu tun. Mir jedenfalls gelingt das nicht, sosehr ich mich auch anstrenge.“

„Du bist viel zu ehrlich, um irgendwem etwas vorzumachen“, sagte Frau Murry. „Das ist manchmal recht schlimm, mein Schatz. Ach ja, wenn dein Dad da wäre! Der könnte dir wahrscheinlich helfen. Ich kann dir nur raten, dich durchzuboxen, bis du es eines Tages geschafft hast. Dann wird dir alles viel leichter fallen. Aber das hilft dir im Augenblick wohl kaum weiter, was?“

„Ich weiß nicht … Wenn ich doch nur nicht so hässlich wäre, sondern so hübsch wie du …“

„Mom ist nicht bloß hübsch“, wandte Charles Wallace ein und schnitt noch ein wenig Leberwurst ab, „sie ist geradezu eine Schönheit. Wetten, dass sie in deinem Alter auch so ein hässliches Entchen war?“

„Du hast es erraten!“, sagte Frau Murry und lachte. „Du musst nur abwarten und etwas Geduld haben, Meg.“

„Willst du Schnittlauch aufs Brot, Mom?“, fragte Charles Wallace.

„Nein, danke.“

Er teilte das Brot, legte es auf einen Teller und stellte ihn seiner Mom auf den Tisch. „Dein Brot kommt sofort, Meg. – Ich glaube, ich werde mich mit Frau Wasdenn über dich unterhalten müssen.“

„Wer ist denn das wieder?“

„Das will ich fürs Erste lieber ›entre nous‹ behalten“, sagte Charles Wallace. „Möchtest du Salz?“

„Ja, bitte.“

„Wer ist denn deine Frau Wasdenn?“, fragte Mom.

„Sie heißt wirklich so“, sagte Charles Wallace. „Zumindest behauptet sie es. Du kennst doch das alte Haus im Wald, das mit dem Schindeldach? Die Kinder trauen sich nicht an die Hütte heran, weil sie glauben, dass es dort spukt. Dort wohnen sie.“

„Sie?“

„Frau Wasdenn und ihre beiden Freundinnen. Ich war vor ein paar Tagen zufällig mit Fortinbras dort. Du und die Zwillinge, ihr seid gerade in der Schule gewesen. Fort und ich, wir streifen oft durch den Wald; das gefällt uns. Plötzlich jagt er einem Eichhörnchen nach, ich laufe hinter ihm her – und schon landen wir bei dem Spukhaus. Es war wirklich der reinste Zufall.“

„Aber die Hütte hat doch immer leer gestanden!“, wandte Meg ein.

„Mag sein. Jedenfalls wohnt dort jetzt Frau Wasdenn mit ihren Freundinnen. Die sind auch recht nett.“

„Warum hast du mir nicht schon früher davon erzählt?“, schalt Frau Murry. „Du weißt doch, dass du nicht so weit fortgehen sollst, ohne mich vorher zu fragen.“

„Weiß ich“, gab Charles zu. „Ebendeshalb habe ich dir ja nichts gesagt. Ich bin einfach hinter Fortinbras hergelaufen, ohne mir groß was dabei zu denken. Und hinterher habe ich mir gedacht: Davon redest du erst, wenn sich die Notwendigkeit ergibt.“

Ein heftiger Windstoß packte das Haus und ließ es beben; jetzt peitschte auch Regen gegen die Scheiben.

„Der Sturm gefällt mir gar nicht!“, sagte Meg beunruhigt.

„Bestimmt fallen wieder ein paar Ziegel vom Dach“, räumte Frau Murry ein. „Aber das Haus steht seit zweihundert Jahren, Meg, und hat schon schlimmere Stürme überlebt.“

„Aber so einen Orkan?“, jammerte Meg. „Im Radio haben sie gesagt, dass es ein richtiger Orkan ist.“

„Es ist Oktober“, sagte Frau Murry. „Da stürmt es eben.“

Als Charles Wallace Meg ihr Sandwich gab, kam Fortinbras plötzlich unter dem Tisch hervor und ließ ein lang gezogenes, drohendes Knurren hören. Das dunkle Fell auf seinem Rücken sträubte sich.

Meg spürte, wie ihre Haut zu prickeln begann. „Was hat er denn?“, flüsterte sie ängstlich. Fortinbras starrte zur Tür, die aus der Küche in Moms Labor führte. Dort war einmal die Abstellkammer gewesen und durch die angrenzende Speisekammer konnte man ebenfalls ins Freie kommen. Mom mochte es allerdings nicht, dass die Familie durch das Labor ins Haus ging, statt die Garage oder den Vordereingang zu benützen.

Fortinbras knurrte immer noch die Labortür an.

„Du hast nicht zufällig eine deiner stinkenden chemischen Verbindungen über dem Bunsenbrenner brodeln lassen, Mom?“, fragte Charles Wallace.

„Bestimmt nicht.“ Frau Murry stand auf. „Aber ich werde doch lieber nachsehen, was Fortinbras so aus der Fassung bringt.“

„Es ist der Landstreicher!“, rief Meg nervös. „Bestimmt ist es der Landstreicher!“

„Welcher Landstreicher?“, wollte Charles Wallace wissen.

„Ich habe heute Nachmittag auf der Post gehört, dass sich ein Landstreicher in der Gegend herumtreibt. Er hat Frau Buncombe alle Betttücher gestohlen.“

„Dann sollten wir aber auf unsere Kissenbezüge achten!“, scherzte Frau Murry. „Die fehlen ihm noch. – Meg, in einer solchen Nacht wagt sich nicht einmal ein Landstreicher auf die Straße.“

„Siehst du!“, jammerte Meg. „Gerade deshalb wird er es ja sein! Er sucht einen Unterschlupf, damit er nicht auf der Straße bleiben muss.“

„Wenn das so ist, kann er in der Scheune übernachten!“ Frau Murry wandte sich zur Tür.

„Ich komme mit!“ Megs Stimme klang schrill.

„Nein, Meg. Du bleibst bei Charles und isst dein Sandwich.“

„Essen!“, empörte sich Meg, als Frau Murry im Labor verschwunden war. „Wie sollte ich jetzt ans Essen denken!“

„Mom kann ganz gut auf sich selbst aufpassen!“, beruhigte sie Charles. „Sie ist sehr stark!“ Und doch stieß auch er immer wieder nervös mit den Füßen gegen die Stuhlbeine – und im Gegensatz zu den meisten anderen Kindern konnte Charles Wallace im Allgemeinen sehr wohl still sitzen. Nach wenigen Augenblicken, die Meg wie eine Ewigkeit schienen, kam Frau Murry zurück. Sie hielt jemandem die Tür auf. Wem – dem Landstreicher? Die Gestalt, die da hereinkam, schien Meg eher klein geraten. Wie alt der Besucher war und ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, ließ sich nicht erkennen, denn er – oder sie – war von Kopf bis Fuß in seltsame Gewänder gehüllt. Das Gesicht verbarg sich hinter mehreren Tüchern in den unterschiedlichsten Farben und obenauf thronte ein unförmiger Filzhut. Über dem Mantel trug die Gestalt eine Stola in leuchtendem Rosa; sie reichte bis zu den hohen schwarzen Gummistiefeln.

„Frau Wasdenn!?“, rief Charles argwöhnisch. „Was machen denn Sie hier? Noch dazu mitten in der Nacht?“

„Aber mein Schätzchen!“, kam eine dumpfe Stimme hinter dem hochgeschlagenen Mantelkragen und den zahllosen Tuchwindungen hervor. „Kein Grund zur Sorge!“ Die Stimme klang wie eine quietschende Türangel, aber nicht unangenehm.

„Frau – hm, Frau Wasdenn sagt, sie – hm, sie hat sich verlaufen“, erklärte Mom. „Möchten Sie vielleicht eine Tasse Kakao, Frau Wasdenn?“

„Das wäre reizend!“, erwiderte Frau Wasdenn, nahm den Hut ab und wand sich aus der Stola. „Ich habe mich nicht so sehr verlaufen als vielmehr verflogen. Was ich damit sagen will: Ich bin ein wenig vom Kurs abgekommen. Und als ich sah, dass ich beim Haus von Charles Wallace gelandet war, dachte ich mir, ich könnte kurz hereinkommen und mich erholen, ehe ich mich wieder auf die Sprünge mache.“

„Woher wissen Sie, dass Charles Wallace hier wohnt?“, fragte Meg.

„Das habe ich gerochen“, erklärte Frau Wasdenn. Sie wickelte sich aus einem blau und grün gemusterten Tuch, dann aus einem rot und gelb geblümten, dann aus einem golddurchwirkten und zuletzt aus einem schwarzen Umhang mit roten Tupfen. Darunter kam ein spärlicher grauer Haarschopf zum Vorschein, der auf dem Kopf zu einem sauberen Knoten gebunden war. Frau Wasdenn hatte wasserhelle Augen, eine kugelrunde Stupsnase und einen Mund, der runzelig war wie ein überreifer Apfel. „Hübsch habt ihr es hier!“, stellte sie wohlig fest. „Und so schön warm!“

„Wollen Sie nicht Platz nehmen?“ Frau Murry bot ihr einen Stuhl an. „Und hätten Sie gern ein Sandwich? Meins war mit Leberwurst und Rahmkäse, Charles wollte lieber ein Marmeladebrot und Meg hat leider schon die letzte Tomate gegessen.“

„Lassen Sie mich überlegen!“ Frau Wasdenn dachte angestrengt nach. „Also, ich habe eine Schwäche für russischen Kaviar!“

„Sie haben spioniert!“, rief Charles entrüstet. „Der Kaviar ist für Moms Geburtstag; den können Sie nicht haben!“

Frau Wasdenn stieß einen tiefen Seufzer des Bedauerns aus.

„Nein!“, beschwor Charles seine Mom. „Du willst schon wieder nachgeben. Tu’s nicht, sonst machst du mich böse. – Wie wäre es stattdessen mit Thunfischsalat?“

„Hm, auch gut“, sagte Frau Wasdenn ergeben.

„Ich mache ihn!“, rief Meg und ging in die Speisekammer, um die Büchse zu holen.

Es ist zum Schreien!, dachte sie. Da kommt dieses Frau bei Nacht und Nebel hereingeschneit, und Mom tut ganz so, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. Dabei könnte ich wetten, dass diese alte Frau der Landstreicher ist, von dem alle geredet haben. Keine Frage, sie hat die Betttücher gestohlen! Und sie ist jedenfalls kein Umgang für Charles Wallace, noch dazu, wenn man bedenkt, dass er sich sonst von fremden Leuten fernhält.

Als Meg das Licht in der Speisekammer ausknipste und mit der Thunfischbüchse in die Küche zurückkam, sagte Frau Wasdenn eben: „Ich wohne noch nicht lange hier, und ich fürchtete schon, lauter unmögliche Nachbarn zu haben – da kam plötzlich dieser reizende Junge mit seinem Hund vorbei!“

„Frau Wasdenn!“, unterbrach Charles Wallace sie ungehalten.

„Warum ließen Sie Frau Buncombes Betttücher mitgehen?“

„Tja, mein Schätzchen, weil ich sie gebraucht habe.“

„Sie müssen sie sofort zurückgeben!“

„Unmöglich, Charles! Ich habe sie bereits benutzt.“

„Das gehört sich einfach nicht!“, schalt Charles Wallace.

„Wenn Sie schon Betttücher benötigen, hätten Sie zu mir kommen sollen.“

Frau Wasdenn schüttelte den Kopf und kicherte. „Ihr habt keine übrig. Frau Buncombe schon.“

Meg schnitt etwas Sellerie und mischte ihn unter den Thunfisch. Sie zögerte, ging aber dann doch zum Kühlschrank und nahm den Topf mit den eingemachten Früchten heraus. Ich weiß gar nicht, warum ich mir für diese Frau so viel Mühe gebe, sagte sie sich dabei. Ich traue ihr überhaupt nicht über den Weg.

„Sag deiner Schwester, dass sie mir ruhig vertrauen kann!“, bat Frau Wasdenn Charles. „Sag ihr, dass ich mich immer nur von guten Vorsätzen leiten lasse.“

„Auch der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert!“, erklärte Charles unbestimmt.

„Ist dieser Junge nicht gerissen?“ Frau Wasdenn strahlte ihn freudig an. „Wie gut, dass er jemanden hat, der seine dunklen Andeutungen versteht.“

„Ich fürchte, da überschätzen Sie uns“, sagte Frau Murry.

„Keiner von uns ist ihm wirklich gewachsen.“

„Immerhin versuchen Sie nicht, ihn zu unterdrücken.“ Frau Wasdenn nickte nachdrücklich. „Sie akzeptieren ihn so, wie er ist.“

„Hier ist Ihr Sandwich“, sagte Meg und reichte ihr den Teller.

„Würde es Sie stören, wenn ich zuvor meine Stiefel ausziehe?“, erkundigte sich Frau Wasdenn, biss aber trotzdem zuerst vom Brot ab. „Hören Sie sich das an!“ Sie bewegte die Füße in den Schuhen, bis alle es schmatzen hören konnten. „Meine Zehen dampfen schon. – Das Dumme ist nur, dass diese Stiefel eine Spur zu eng sind. Allein komme ich da nicht raus.“

„Ich helfe Ihnen!“, bot Charles sich an.

„Du nicht. Du bist nicht stark genug.“

„Lassen Sie mich das machen!“ Frau Murry kniete sich vor ihr hin und begann, an einem Stiefel zu zerren. Erst glitt sie daran ab, aber dann ging alles mit einem Ruck: Frau Murry setzte sich aufs Hinterteil, und Frau Wasdenn kippte mit dem Stuhl um, wobei sie das Thunfischbrot umklammerte, als wolle sie sich daran festhalten. Aus dem Stiefel klatschte ein Wasserschwall und ergoss sich auf den Fußboden und auf den Teppich.

„Ach, du liebe Güte!“, rief Frau Wasdenn. Sie lag in dem umgekippten Stuhl, ihre Beine strampelten in der Luft, der eine Fuß steckte noch im Stiefel, vom anderen schlenkerten rot-weiße Ringelsocken.

Frau Murry rappelte sich auf. „Es ist Ihnen doch nichts zugestoßen?“, fragte sie besorgt.

„Wenn Sie vielleicht eine Salbe für meinen Po hätten …“, bat Frau Wasdenn, ohne ihre Lage zu verändern. „Ich fürchte, ich habe mir das Steißbein verstaucht. Eine paar Tropfen Gewürznelkenöl, gut mit Knoblauch verrührt, das wirkt Wunder.“ Und sie biss herzhaft von ihrem Sandwich ab.

„Bitte stehen Sie jetzt endlich auf!“, rief Charles unwillig.

„Ich mag es nicht, dass Sie so daliegen. Sie treiben die Sache zu weit.“

„Hast du schon einmal versucht, mit einem verstauchten Po auf die Beine zu kommen?“, jammerte Frau Wasdenn, richtete sich aber trotzdem mit einiger Mühe auf. Sie stellte den Stuhl richtig hin, setzte sich dann aber lieber neben ihn auf den Boden, streckte das Bein mit dem Stiefel aus und biss vom Brot ab. Für eine Frau in ihrem Alter wirkte sie bemerkenswert gelenkig, fand Meg. Sie kam ihr wirklich schon ziemlich alt vor, sehr alt sogar.

Mit vollem Mund sprechend, kommandierte Frau Wasdenn:

„Jetzt das andere Bein! Ziehen Sie nur recht fest an! Diesmal kann ich ja nicht mehr auf den Boden plumpsen.“

In aller Ruhe, als sei es etwas ganz Alltägliches, einer schrulligen Frau aus dem Stiefel zu helfen, machte sich Frau Murry ans Werk, bis auch der zweite Fuß befreit war. Er steckte in einem grauen Strumpf. Frau Wasdenn blieb sitzen, bewegte genüsslich die Zehen und machte erst dem Sandwich den Garaus, ehe sie endlich aufstand.

„Ah!“, schnaufte sie, „tut das gut!“ Sie nahm beide Stiefel und kippte das Wasser in den Ausguss. „Ich bin satt; ich habe mich innen und außen aufgewärmt; also wird es Zeit, dass ich mich wieder auf den Weg mache.“

„Wollen Sie nicht lieber bis morgen früh bei uns bleiben?“, schlug Frau Murry vor.

„Oh, besten Dank, meine Liebe, aber das geht nicht. Ich habe noch so viel zu tun; da darf ich meine Zeit nicht damit vergeuden, herumzusitzen und dumme Späße zu machen.“

„Ich kann Sie doch unmöglich bei diesem Unwetter aus dem Haus lassen!“

„Aber ich schwärme doch geradezu für Unwetter!“, widersprach Frau Wasdenn. „Ich bin nur in einen lästigen Abwind geraten und vom Kurs geblasen worden.“

„So warten Sie doch wenigstens, bis ihre Socken wieder trocken sind …“

„Nasse Socken machen mir nichts aus. Ich mag es bloß nicht, wenn das Wasser in meinen Stiefeln schwappt. Machen Sie sich bitte keine Sorgen um mich, mein Lämmchen!“

(Dass jemand auf den Gedanken kommen konnte, Frau Murry ausgerechnet als „Lämmchen“ zu bezeichnen, war bemerkenswert.)

„Also dann!“, seufzte sie. „Hinein in die Stiefel, und weiter geht es! – Ach, übrigens, meine Liebe, da wir schon einmal vom Weiterkommen sprechen: Es gibt tatsächlich so etwas wie eine Tesserung.“

Frau Murry wurde kreidebleich und klammerte sich Hilfe suchend an die Stuhllehne. „Was sagen Sie da?“

Frau Wasdenn schlüpfte mittlerweile bereits in den zweiten Stiefel. „Ich habe gesagt …“, grummelte sie, bückte sich grunzend und stampfte den Fuß in den Stiefel, „… dass es …“, sie trat noch einmal auf, „… dass es tatsächlich eine Tesserung gibt.“

Jetzt hatte sie es geschafft. Sie raffte ihre Tücher und die Stola zusammen, setzte sich den Hut auf – und war im nächsten Augenblick, ohne ein weiteres Wort, verschwunden.

Frau Murry saß völlig reglos da. Sie unternahm nicht die geringste Anstrengung, Frau Wasdenn nachzueilen.

Fortinbras kam durch die offene Tür hereingeschossen. Er keuchte, sein Fell war klitschnass und glänzte; er sah aus wie ein Seehund. Winselnd blickte er zu Frau Murry auf.

Die Tür fiel zu.

„Mom!“, rief Meg erschrocken. „Was ist los? Was hat sie denn gesagt?“

„Die Tesserung …“, flüsterte Frau Murry tonlos. „Was wollte sie damit sagen? Woher weiß sie eigentlich, dass … dass …? Woher mag sie es bloß wissen?“

Über Madeleine L’Engle

Biografie

Madeleine L’Engle, geboren 1918 in New York, zählt zu den berühmtesten und erfolgreichsten Kinderbuchautorinnen der Welt. Ihr magischer Abenteuerroman „Das Zeiträtsel“ erschien erstmals 1962 unter dem Titel „Die Zeitfalte“, wurde weltweit millionenfach verkauft und ist ein Klassiker, der bis heute...

Medien zu „Das Zeiträtsel (Reise durch die Zeit 1)“
Pressestimmen
Münchner Merkur

„Der gelungene erste Band einer mehrteiligen Reihe.“

Kommentare zum Buch
Märchenhafte Erzählung mit kreativen Ideen, aber einer konsequent schwachen Umsetzung
Medienblogger am 23.03.2020

Der vorliegende Auftakt zur mehrteiligen Fantasy-Abenteuerreihe der US-amerikanischen Schriftstellerin Madeleine L'Engle erschien bereits 1962 unter dem Titel "Die Zeitfalte" und erwies sich als als großer Erfolg. Aufgrund deutlich christlich bezogener Aspekte gab es kurzzeitig den gescheiterten Versuch religiöser Rechte, das Buch verbieten zu lassen. Durch die 2018 erschienene Disney-Neuverfilmung unter dem Namen "Das Zeiträtsel" erscheinen die Bände im Piper-Verlag nun in Neuauflage.     Bereits auf den ersten Seiten beweist die Autorin ihr Händchen, fantastische und kreative Elemente zu einer märchenhaften Erzählung zusammenzuführen. Dabei weiß sie durch einige knuffige, individuelle Ideen durchaus zu unterhalten und beweist ihren Einfallsreichtum und Spaß am Erschaffen eigener Welten. Die drei feenartigen Wesen agieren als liebenswerte Verkörperungen des Guten und bringen neben einer Portion Witz moralische Instanzen mit, auf die sich das sehr junge Zielpublikum verlassen kann.   Leider fallen, trotz der an sich kurzweiligen Handlung, zahlreiche erzähltechnische Mängel an, die dem Buch einen Großteil seiner Magie nehmen und hier nicht unerwähnt bleiben können. Die Figurengestaltung beispielsweise gerät in dem Roman völlig unzureichend. Meg erweist sich zunehmend als farblose, austauschbare Figur ohne jegliches Alleinstellungsmerkmal. Sie bekommt, obwohl ihr klar die Funktion der Protagonistin zugewiesen wird, kaum Beachtung, da sie ständig im Schatten ihres fünfjährigen Bruders Charles Wallace steht. Dieser beweist nicht nur aus unerklärten Gründen bereits in seinem jungen Alter mehr Intelligenz und Reife als die übrigen Figuren, sondern treibt als einziger die Geschichte tatsächlich effizient voran.   Alle auftauchenden Hauptcharaktere sind völlig lieb- und leblos dargestellt; ihnen fehlt es an Herz und Seele, ihnen wurde kein Leben eingehaucht. Die innere Handlung wird häufig außen vor gelassen, die Motive sind oftmals nicht nachvollziehbar und ihr Gedankenhorizont unklar erläutert. Es wirkt so, als hätte die Autorin selbst nicht mehr den Ausweg von einem ihrer zweidimensionalen Planeten gefunden. Megs Vater beispielsweise, ein berühmter und erfolgreicher Wissenschaftler, ist figurtechnisch ein totaler Reinfall, der nicht nur für die Leser*in gänzlich unnahbar, sondern auch gegenüber der eigenen Familie fremdartig, unvertraut und in Anbetracht der erreichten Forschungserfolge (und einem daher vorauszusetzenden gewissen Maß an Intelligenz und Kompetenz) gesamtheitlich dämlich und unfähig zum Treffen eigener Entscheidungen auftritt.   Eindeutig zu viele Informationen, die für den Roman eigentlich erforderlich gewesen wären, werden dem Lesepublikum entweder vorenthalten oder fehlen vollständig. Woher stammt Charles' übertrumpfende Intelligenz, seine geistige Reife und das Wissen über den fremden Planeten? Wieso greifen die Feen nicht früher ein, geben eindeutigere Tipps und woher stammen diese Wesen überhaupt? Je länger ich an diesem Text schreibe, desto mehr Ungereimtheiten kommen mir noch in den Sinn.   Ebenfalls leidet die gesamte Handlungskomposition unter immenser Unausgewogenheit. Zu lange ist der zu lösende Konflikt nicht eindeutig definiert, die Hindernisse und Gefahren, denen sich zum Sieg des Guten ausgesetzt werden muss, viel zu einfach überwindbar. Der Showdown, auf den die gesamte Geschichte hinarbeitet, wird auf wenige Seiten zusammengerafft und lieblos den Leser*innen zum Fraß vorgeworfen - ihm fehlt es an jeglicher Spannung, sodass mir der Ausgang des Buchs fast gleichgültig war. Der schwache Antagonist fügt sich in die Menge der blassgrauen restlichen Figuren ein und enttäuscht durch die fehlende Darstellung einer eigenen Ideologie und büßt somit stark an der Böshaftigkeit ein, die den Schluss interessant hätte gestalten könnten.   Die Zeitreisen als zentraler Aspekt des Romans sind ein immer wiederkehrendes Motiv, über deren Funktionsweise ich persönlich mir gerne mehr Hintergrundwissen angeeignet hätte, das hier aber nicht geboten wird. Somit ist das vorliegende Werk trotz seiner Fähigkeit, unterhalten zu können, eine in vielen Gesichtspunkten schwach ausgearbeitete Lektüre, das leider durchgehend hinter seinem Potenzial zurückbleibt.     "Das Zeiträtsel" ist eine märchenhafte Erzählung mit kreativen Ideen, aber einer konsequent schwachen Umsetzung.   Ich vergebe daher nur zwei von fünf möglichen Sternen.

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