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Alicia und die Unwahrscheinlichkeit der Liebe

Alicia und die Unwahrscheinlichkeit der Liebe - eBook-Ausgabe

Mayte Uceda
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Roman

„Der Roman liest sich flüssig und gut. Eine Prise Humor macht das Lesen zu einer kurzweiligen Sache. Genau die richtige Lektüre für den Sommer.“ - PTA Magazin

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Alicia und die Unwahrscheinlichkeit der Liebe — Inhalt

Wie wahrscheinlich ist es, dass man zweimal im Leben der großen Liebe begegnet? 

„Eine zweite Chance – eine, die wirklich funktioniert – gibt es nur im Film oder in Büchern.“

Nach dem frühen Tod ihres Mannes erbt die vierzigjährige Alicia ein mallorquinisches Weingut und einen Hund. Das Problem ist nur: Alicia hat keine Ahnung vom Weinanbau. Und erst recht nicht von Hunden. Sechs Jahre später ist das Weingut bankrott, und der Hund zeigt Alicia immer noch die kalte Schulter. Alicia fühlt sich unendlich einsam. Da tritt Marco in ihr Leben: jung, attraktiv und Agraringenieur. Und er interessiert sich ebenso für Alicia wie sie für ihn. Doch Alicia ist misstrauisch. Zwar versteht sie nicht viel von Wahrscheinlichkeitsrechnung, aber dass Marco zu gut ist, um wahr zu sein, wird ihr schnell klar. Und tatsächlich verheimlicht er ihr etwas …

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 19.03.2019
Übersetzt von: Karin Will
448 Seiten
EAN 978-3-492-99321-0
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Leseprobe zu „Alicia und die Unwahrscheinlichkeit der Liebe“

Prolog
Das Theorem der endlos tippenden Affen
Angenommen, eine Horde Affen sitzt vor einem Haufen Schreibmaschinen. Oder noch besser, eine Million Affen tippt jeden Tag zehn Stunden lang ununterbrochen. Was glauben Sie, was würde dabei herauskommen?
Genau. Die Antwort lautet: gar nichts oder im besten Fall eine gewaltige Verschwendung von Papier und dazu eine Million ruinierte Schreibmaschinen.
Aber angenommen, statt einer Million Affen würden unendlich viele Affen unendlich lange nach dem Zufallsprinzip auf ihren Schreibmaschinen herumhacken. Bekämen sie [...]

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Prolog
Das Theorem der endlos tippenden Affen
Angenommen, eine Horde Affen sitzt vor einem Haufen Schreibmaschinen. Oder noch besser, eine Million Affen tippt jeden Tag zehn Stunden lang ununterbrochen. Was glauben Sie, was würde dabei herauskommen?
Genau. Die Antwort lautet: gar nichts oder im besten Fall eine gewaltige Verschwendung von Papier und dazu eine Million ruinierte Schreibmaschinen.
Aber angenommen, statt einer Million Affen würden unendlich viele Affen unendlich lange nach dem Zufallsprinzip auf ihren Schreibmaschinen herumhacken. Bekämen sie wohl einen lesbaren Text zustande?
Die Antwort lautet: ja. Auch wenn ich persönlich erhebliche Zweifel daran habe – auf der anderen Seite der Ewigkeit wird schließlich niemand darauf warten, sich das Werk der Affen anzusehen. Aber wenn sich die Väter der Statistik da sicher sind, wer bin ich, es zu bestreiten?
Nun denn, übertragen auf mein Thema bedeutet das Theorem in etwa: Wenn die Wahrscheinlichkeit, einen Single-Mann kennenzulernen, an einem beliebigen Tag bei 0,6 und die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Mann mir gefällt, bei 0,4 liegt, dann beträgt die Chance, dass beides gleichzeitig eintritt: 0,6 x 0,4 = 0,24.
Ziemlich bescheidene Aussichten.

Es ist also eindeutig und mathematisch erwiesen, dass eher ein paar Affen den Don Quijote tippen, als dass ich einen Partner finden werde. Es sei denn, man potenzierte meine Zeit auf dieser Erde mit einem Exponenten, der gegen unendlich geht. Was ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Deprimierend, oder?
Übrigens: In Mathe war ich noch nie gut, also sparen Sie sich bitte jeden Kommentar.


Wenn man von der Liebe angesprungen wird, sollte man ihr nicht ausweichen
Da wir uns nun so langsam kennenlernen: Ich heiße Alicia Andrade und bin neununddreißig Jahre alt, mittelgroß, schlank, und ich habe die störrischsten Haare im ganzen Universum. Würde mir ein Eichhörnchen aus einer Pinie auf den Kopf springen, würde es sich so rettungslos verheddern wie ein Krebs in einem Treibnetz. Für unsere Geschichte ist das natürlich ohne Belang.
Besonders bemerkenswert ist, dass ich, in meinem Alter, bereits zu einem Fazit gekommen bin, was das Leben angeht: Das Glück ist ein Verräter. Allerdings nicht im Sinne von „Ich zeige dir die kalte Schulter und lass dich im Regen stehen“, sondern von „Ich nehme dich an die Hand, führe dich bis zum Gipfel, und wenn du dann vollkommen glücklich, dankbar und ahnungslos bist – vor allem Letzteres –, dann stürze ich dich in den Abgrund“. Freier Fall.
Tut mir leid, dass ich die Sache nicht lockerer nehme, und vielleicht finden Sie, jemand in meinem Alter sollte nicht mehr glauben, dass vollkommenes Glück im menschlichen Leben von Dauer sein kann, aber ich habe tatsächlich meine Gründe. Und außerdem bin ich völlig durcheinander, was mir nur sehr selten passiert.
Ich bin ziemlich pragmatisch. Wenn ich etwas will, dann hole ich es mir, ohne lange über die Folgen nachzugrübeln. Das mag ein Fehler sein oder eine Tugend – keine Ahnung, das kommt vermutlich ganz auf die Perspektive an, doch mich verfolgen schon lange seltsame Gedanken über die Einsamkeit und die Leere des Daseins, eine Leere, die sich in meinem Inneren ausbreitete wie ein Hausbesetzer, der sein Eigentum nicht kampflos aufgeben will.
Mir ist klar geworden, dass ich etwas dagegen unternehmen muss. Ich bin noch jung, und meine Lebenserwartung liegt – rein statistisch gesehen und wenn nichts dazwischenkommt – bei ungefähr achtzig Jahren. Wie soll ich nur all die Zeit ausfüllen, die mir noch bleibt? Etwa mit Patchwork? Wo ich doch nicht mal weiß, wie man das ausspricht!
Ich bin allein, oder besser gesagt, ich bin allein zurückgeblieben. Und obwohl ich tapfer gewesen bin und weitergemacht habe, ohne allzu großen emotionalen Schaden zu nehmen, habe ich doch wirklich oft Lust, das Handtuch zu werfen. Und darauf herumzutrampeln. Und es hinterher in Brand zu stecken. Oder besser noch, es meinem Hund zu überlassen, damit der seinen Hintern daran scheuert, wie er es mit meinem Teppich macht. Blöder Köter.
Mein Leben ist aus und vorbei, genauso fühle ich mich, ohne dass irgendetwas die Niedergeschlagenheit mildern könnte, die mich erfüllt. Was habe ich schon noch zu erwarten? Eine zweite Chance – eine, die wirklich funktioniert – gibt es nur im Film oder in Büchern.
Und das sieht dann so aus:

1.Dein Ehemann verlässt dich, aber dafür verliebt sich dein Nachbar in dich, ein gut aussehender und obendrein charmanter Gynäkologe. Außerdem steht er auf Hunde, genau wie du.
2.Dein Ehemann verlässt dich, aber nach drei Tagen des Alleinseins begegnet dir die große Liebe an der Supermarktkasse.
3.Dein Ehemann verlässt dich nicht, aber dafür du ihn, weil er ein Vollidiot ist, der dich sowieso nie glücklich machen konnte. Einen Monat später geht der Geschäftsführer deiner Firma in den Ruhestand, und du verliebst dich in seinen Nachfolger. Und er sich in dich.
4.Dein Ehemann verlässt dich ebenso wenig wie du ihn. Stattdessen stirbt er, und du bleibst allein und obendrein traumatisiert zurück. Beim Begräbnis triffst du einen seiner engsten Freunde, der extra deswegen von Indien hergeflogen ist, wo er als Arzt für eine NGO arbeitet. Sechs Monate später lebst du mit ihm in Aurangabad.

Gefallen Ihnen diese Plots?
Vergessen Sie es! Nichts davon wird jemals passieren!
Wer lernt schon seine große Liebe im Supermarkt kennen? Bitte mal die Hand heben. Sollten Sie unglaublich hübsch und unwiderstehlich sein, dann gehören Sie nicht zum Durchschnitt, also runter mit der Hand.
Die Wirklichkeit ist, wie jeder weiß, sehr viel langweiliger, und wenn Sie nicht ähnlich anspruchslos sind wie die Dschungelcamp-Gastgeber, werden Sie sich für eine zweite Chance ziemlich ins Zeug legen müssen. Wobei die Möglichkeiten im gleichen Maße schwinden, wie Sie an Jahren zunehmen. Das ist unfair, stimmt, aber es gibt keine Reklamationsstelle.
Tauschen Sie die Variable „Ehemann“ gerne gegen Kumpel, Freund, Verlobter, Freund mit gewissen Vorzügen, Bettverhältnis oder sonst einen Begriff, der für Ihren Gefährten passt – die Prämisse „Einsamkeit“ bleibt Ihnen dennoch erhalten, mit schauerlicher Unveränderlichkeit.
Andererseits ernten junge Witwen in der Literatur stets am meisten Mitleid, denn der Ehemann – der Verblichene – ist ausnahmslos immer ein wunderbarer Mann, der sich nur schwer ersetzen lässt. Auch wenn das nicht völlig unmöglich ist. Irgendwann erscheint immer jemand auf der Bildfläche, der die Erinnerung an den Verflossenen verblassen und irgendwann vergessen lässt.
Außer in Ghost.
War das verständlich?
In der Realität ist alles … komplizierter (in einem seeehr weiten Sinne des Wortes). Nicht nur die zweiten Chancen in der Liebe, sondern auch die ersten (oder eben so viele Versuche, wie man auf sich nehmen will).
Es sei denn – wenn Sie mich fragen –, man gehört zu den Witwen, deren wunderbarer Mann viel zu früh gestorben ist.
Und zwar vor sechs Jahren.
SECHS!
Wo ist meine zweite Chance? Irgendwo abgehakt unter „hoffnungslose Fälle“?
Viele vergleichen die Ehe mit einem Aufzug; wer draußen ist, will hinein, und die, die drinnen sind, wollen hinaus. Ich war drinnen, wohlauf und in bester Gesellschaft, doch irgendwann waren die Türen meiner Kabine aufgegangen und hatten mich mit einem Ruck hinausgeschleudert. Einfach so. Erst ist man irgendwo und dann auf einmal nicht mehr.
Es wäre okay, hätte ich mich an die Einsamkeit gewöhnen können, damit sie mich nicht mehr so sehr quält. Wieso ist das nur so schwer? Wieso kann ich mich nicht damit abfinden? Manchmal kommt mir der Gedanke, dass das Leben einem die Dinge vorsätzlich gibt oder nimmt – vielleicht, um einen zu seinem Schicksal hinzulenken. Aber es fällt mir furchtbar schwer, mich an mein neues Dasein zu gewöhnen. Ich habe alles gehabt, den Himmel berührt …
Um dann alles zu verlieren.
Das Schlimmste waren allerdings nicht die ersten Jahre der Einsamkeit. Vor Kurzem ist mir klar geworden, dass ich, wenn sich etwas ändern soll, mein Leben selbst in die Hand nehmen muss. Meine Zukunft hängt unmittelbar von mir ab, nicht vom Schicksal oder von der Vorsehung oder den romantischen Filmhelden, an die ich ohnehin nicht glaube. Doch ich bin dickköpfig genug, um einen Salto zu machen, wenn die Einsamkeit ihre tödliche Waffe auf mich richtet. Allerdings gelingt es mir dennoch nicht, ihr zu entkommen.
Deshalb habe ich beschlossen, eine Kontaktseite in Anspruch zu nehmen, deren Betreiberin, Nina Popova, nicht nur Russin ist, sondern auch die verrückteste und rätselhafteste Frau, der ich je begegnet bin. Ich lernte sie vor zwei Jahren kennen, und sie nahm die Suche nach einem Partner für mich sehr ernst. Ich habe keine Ahnung, warum sie sich so ins Zeug legte – vielleicht tat ich ihr leid oder sie hielt mich für verzweifelt. Wie auch immer, als ich ihr Angebot annahm, ahnte ich bereits, dass sich mein Leben verändern würde, auch wenn die einzige Veränderung unmittelbar danach mein Männerbild sein sollte.
Der Erste auf der Liste war Santi, ein Gymnasiallehrer aus Valencia.

Alter: 42
Familienstand: getrennt
Kinder: 2
Pro: verantwortungsvoll, kultiviert und körperlich einigermaßen im Rahmen.
Kontra: erbitterter Groll auf seine Ex; irgendwann war sogar ich so weit, dass ich sie hasste. Außerdem hatte er die merkwürdige Angewohnheit, in seinem linken Ohr herumzustochern, und zwar mit dem abstoßend langen, gekrümmten Nagel seines kleinen Fingers derselben Körperseite.

Zu Intimitäten kam es nicht.
Danach traf ich mich mit David, Restaurantbesitzer aus Menorca.

Alter: 46
Familienstand: geschieden
Kinder: 1
Pro: äußerst witzig und unterhaltsam, und noch dazu pflegte er den Wein aus meiner Bodega zu kaufen.
Kontra: Körperlich war er … hmmmmm … belassen wir es dabei, dass er einen Körper hatte, Punkt. Bei unserem zweiten Date lieferte er mir einen detaillierten Bericht über seine erotischen Gepflogenheiten. Ein drittes Date gab es nicht.

Es kam zwar nicht zu Intimitäten, doch erhielt ich eine Nachricht von seinem Sohn, der mir eine Ménage-à-trois vorschlug. Ich antwortete ihm sehr höflich – meine Eltern und die Dienerinnen des Heiligen Herzens Jesu hatten mir keine verbalen Entgleisungen beigebracht –, er möge sich freundlicherweise verpissen.
Als Letztes ging ich mit Jaume aus, einem mallorquinischen Geschäftsmann, der viel unterwegs war.

Alter: 40
Familienstand: ledig
Kinder: keine, von denen er wusste.
Pro: fröhlich, lebenslustig und gescheit.
Kontra: zu fröhlich, zu lebenslustig und zu gescheit.

Wir wurden zwar intim miteinander, aber irgendwann ging er auf eine seiner Reisen, und ich sah ihn nie mehr wieder. Es brach mir nicht das Herz; eigentlich fühlte ich gar nichts. Mir war von Anfang an klar gewesen, dass er nicht der Mann meiner Träume war. Ich vergaß ihn so schnell, dass ich zu der Ansicht gelangte, ich sei wohl selbst schuld, wenn ich niemanden zum Lieben fand.
Ich war … wählerisch geworden! Ein unangenehmes Wort.
Niemals würde ich einen Partner finden.
Zu meiner Verteidigung: Die Auswahl riss mich nicht gerade vom Hocker. In meinem Alter, mit knapp vierzig Jahren, waren die wenigen Singlemänner entweder getrennt, geschieden oder eher zweifelhafte Junggesellen. Sortierte man noch jene aus, die so hässlich waren wie Blobfische (ich bin ja wirklich nicht überempfindlich, was das angeht … aber wenn schon der erste Eindruck verheerend ist?), schrumpften die Möglichkeiten stark.
Die Situation war bedrückend, aber ich wollte mich trotzdem nicht mit dem Alleinsein abfinden.
„Wenn du fünf Kilo zunimmst, dann finde ich sicherrr etwas Besseres für dich“, versprach mir Nina einmal mit ihrem russischen Akzent, der eine Zeit lang reizend war, bis er einem irgendwann furchtbar auf die Nerven ging. „Männer mögen Frauen mit ein bisschen Speck am …“
„Ich weiß ganz gut, wo den Männern der Speck gefällt“, erwiderte ich. „Aber leider kann ich mir beim Zunehmen nicht aussuchen, wo er landet.“
„Ich meine ja nur, dass du besserrr aussehen würdest, wenn du hier herum etwas mehr hättest.“ Sie berührte ihre Brüste.
„Auf Männer, die ich mit meinen Titten herumkriegen muss, kann ich verzichten, das ist mir zu demütigend. Soll ich sie etwa bitten, mir ihren … Penis zu zeigen?“
Schwanz zu sagen, schaffte ich einfach nicht. Titten gingen, aber Schwanz brachte ich nicht über die Lippen. Irgendwie fühlte sich Penis wie ein harmloses, fast unschuldiges Wort an, während das Wort Schwanz in meiner Vorstellung bei meinem jeweiligen Gesprächspartner plastische Bilder heraufbeschwor, als hätte es die Fähigkeit, sich vor seinen Augen zu materialisieren.
Außerdem war es ein vulgäres Wort, und ich bin nicht vulgär. Jedenfalls nicht immer.
„Glaub mir, es gibt mehr als einen, der ein Foto davon geschickt hat“, sagte Nina.
„Im Ernst?“
„Liebes, in dieser Branche gibt es nichts mehr, was mich überrraschen würde.“
Nina war ein Paradebeispiel für die Redensart „Der Schuster trägt die schlechtesten Schuhe“, denn mit ihren zweiundvierzig hatte sie bereits drei gescheiterte Ehen hinter sich – erstaunlich bei jemandem, der seine Brötchen damit verdient, anderen Leuten einen Partner zu suchen –, und bei keinem hatte sie es bis zum zweiten Hochzeitstag geschafft.
Auch bei mir hatte sie keinen Erfolg. Jeder einzelne Versuch war eine niederschmetternde Erfahrung. Dennoch war sie, allen Beweisen zum Trotz, überzeugt, dass sie unter den männlichen Profilen ihrer Kontaktbörse den Richtigen für mich aufspüren würde. Manchmal fand ich es rührend, wie viel Mühe sie sich gab.
Außerdem hatte ich mir selbst versprochen, die Suche aufzugeben, sobald ich vierzig wurde – egal, ob ich bis dahin jemanden gefunden hatte oder nicht. Nun gut, ich war gerade neununddreißig geworden, und an meinem rührseligen und einsamen Geburtstag hatte ich, ein wenig beschwipst von meinem eigenen Wein, zum Hörer gegriffen, Nina angerufen und sie gebeten, mich aus ihrer Datenbank zu löschen. Zuerst wollte sie mich überreden, noch nicht aufzugeben; irgendwann werde der Richtige schon kommen, versicherte sie mir. Doch ich hatte es satt und war nicht zu weiteren Versuchen bereit.
Das Prozedere war einfach immer gleich: Man schrieb sich E-Mails, chattete über Skype und ging irgendwann zusammen essen. Hinterher tat mir vom vielen Lächeln der Kiefer weh, und ich fand es ermüdend, mehr als zwei Stunden lang etwas vorzutäuschen, viel ermüdender als einen Arbeitstag beim Rebschnitt im Weinberg; das war ein Witz, verglichen mit dem Versuch, pausenlos – und sei es auch nur halbherzig – einen Typen anzulächeln, den ich belanglos fand.
Vielleicht fragen Sie sich, wieso zum Teufel ich so viel lächelte, doch ich hatte meine Gründe. Meine Schwester Virginia, das Biest, hatte in unserer Kindheit zu mir gesagt, mit mürrischem Gesicht sähe ich aus wie eine Bulldogge. Fünfzehn Jahre später gestand sie mir, dass sie mich nur hatte ärgern wollen, doch es war zu spät; das Bild der Bulldogge hatte sich bereits tief eingegraben, und ich hatte mir angewöhnt, lächelnd durchs Leben zu gehen.
Das Beste bei Virginia und mir ist unser unterschiedlicher Männergeschmack. Ihr gefallen die attraktiven Männer, mir die netten. Sie heiratete Raúl, einen übermäßig ernsten Schönling, dessen Mähne sich nach seinem fünfunddreißigsten Geburtstag verabschiedete, und ich Alfredo, der zwar nicht attraktiv war, dem in puncto Nettigkeit jedoch niemand das Wasser reichen konnte. Meine Cousine Ruth behauptete immer, Alfredo sei so hässlich, dass sie lieber seine Füße ansah, wenn sie mit ihm redete. Dabei war mein Mann ganz bestimmt nicht hässlich, er hatte nur ein etwas ungewöhnliches Gesicht.
Zu Alfredo komme ich später noch.
Bevor wir das Thema wechseln, will ich Ihnen, auch wenn das vielleicht ein wenig niederträchtig wirkt, noch erzählen, dass Cousine Ruth zwar einen schönen Mann heiratete, er sich aber als Filou entpuppte. Und was für einer! Sechs Monate nach der Hochzeit war er bereits mit drei ihrer Brautjungfern im Bett gewesen.
Aus diesem Grund hatte ich schöne Männer immer gemieden wie der Teufel das Weihwasser, wobei ich mit Weihwasser nichts Positives meine. Ganz im Gegenteil.
Wie auch immer. Was ich eigentlich sagen wollte: Das, womit ich an jenem Morgen am wenigsten gerechnet hatte, war ein erneuter Anruf von Nina. Ich wäre ihrer Einladung nicht gefolgt, wenn sie bei ihrem Anliegen nicht so begeistert geklungen hätte, und beinahe hätte ich gesagt, dass sie den Mann doch behalten solle, wenn er so toll war. Am Ende sagte ich jedoch nichts, sondern machte mich auf den Weg zu ihr, mit dem festen Vorsatz, es nicht noch mal zu tun.
„Das ist das allerletzte Mal“, sagte ich mir, während ich nach Palma fuhr.
Es wurmte mich, dass ich mal wieder auf sie reingefallen war, aber vielleicht wollte ich im Grunde auf sie hereinfallen, vielleicht machte mich die Einsamkeit langsam wahnsinnig, oder vielleicht stellte ich mir auch gerne selbst ein Bein.
Nina öffnete mir die Tür. Ihr stark geschminktes Gesicht strahlte Euphorie aus. Ihre Brüste quollen beinahe aus dem engen rosa Oberteil heraus, und der kurze Jeansrock betonte ihren vorstehenden Hintern. Sie fühlte sich wohl in dieser Kleidung und trug nie etwas, das nicht wie eine Wurstpelle an ihrem Körper klebte.
„Ich habe ihn!“, sagte sie, legte mir den Arm um die Schultern und führte mich ins Wohnzimmer.
„Das sagst du jedes Mal“, erwiderte ich, als sie mich weiterzerrte.
„Diesmal stimmt es wirklich.“
Neben einem Stuhl ließ sie mich los und nahm an einem winzigen Tisch Platz, auf dem ein Computer thronte. Was jetzt kam, kannte ich bereits, denn ich hatte es schon ein paarmal erlebt, weshalb ich mich gelangweilt auf den Stuhl fallen ließ. „Na, dann schieß los, ich hab’s eilig.“
„Warte, nicht so ungeduldig, erst lese ich dir seine Daten vor. Du wirst ausflippen.“
„Okay, aber mach’s kurz. Ich hab auf dem Weingut zu tun und schon zwei verpasste Anrufe von Tomás.“
„Hör zu und staune. Hinterher wirrrst du mir die Füße küssen.“ Sie war derart aus dem Häuschen, dass ich die Augenbrauen hochzog und zuhörte. Ein paar Mausklicks, dann las sie vom Bildschirm ab: „Agraringenieur mit Master-Abschluss und Spezialisierung im Weinbau. Sehr gute Kenntnisse in Mikrobiologie, Bodenbearbeitung, Aussaattechniken und Sicherheitsbestimmungen. Erfahrung in Molekularbiologie und Biotechnologie …“
„Moment mal …“, unterbrach ich sie. „Soll das ein Witz sein?“
„Nyet“, sagte sie und spähte über ihren Brillenrand zu mir hinüber.
„Und wo ist der Haken? Nein, sag’s mir nicht. Oder doch, sag es mir – alt oder hässlich?“
Ein nervöses Kichern entfuhr ihr. „Sein Alter ist das Allerbeste.“ Kunstpause. „Er ist dreiunddreißig.“
„Dreiunddreißig? Aber …“
„Und was die Frage angeht, ob er hässlich ist …“ Nina drückte ein paar Tasten und drehte den Bildschirm so, dass ich ihn sehen konnte.
Beinahe hätte ich laut geflucht. „Etwa … der da?“
„Da“, bestätigte sie auf Russisch.
Ich glotzte auf den Monitor und analysierte das Bild wie ein Wissenschaftler, der gerade ein neues Bakterium entdeckt hatte. „Heilige Muttergottes, der ist …“, begann ich verblüfft.
„Äußerst attraktiv, ja.“
„Mir gefallen aber keine attraktiven Männer!“
Ihre blauen Augen musterten mich amüsiert. „Allen Frauen gefallen attraktive Männer“, sagte sie, wobei sie kaum die Lippen bewegte.
Ich betrachtete das Bild weiter und zog eine Augenbraue hoch. „Mir nicht, die machen nur Probleme.“
„Das ist doch Blödsinn.“ Das Wort „Blödsinn“ zog sie dabei zwecks Betonung extra in die Länge.
„So hat eben jeder seine Eigenheiten. Und was hat einer wie der denn auf einer Kontaktbörse verloren?“
„Das Gleiche könnte man dich fragen. Du bist zwar dürr, aber hübsch.“
„Bei mir ist das was anderes.“
„Ach ja? Und wieso?“
„Ich habe keine Zeit, um mir einen Partner zu suchen.“
„Liebes, niemand hat Zeit. Deswegen nehmen doch alle solche Dienstleister in Anspruch. Und nicht, weil sie zwei Köpfe und drei Augen auf der Stirn haben.“
Ich schnaubte heftig, ein wenig abgeschreckt vom Alter und dem Aussehen dieses Mannes. „Woher kommt er?“, fragte ich mit einem Blick auf seinen gebräunten Teint. „Offenbar aus dem Süden?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Aus dem Norden?“
„Nyet.“
„Doch nicht etwa von der Insel?“
„Nicht von unserer.“
„Jetzt sag schon!“
„Gern, wenn du mal still bist.“
Ungeduldig biss ich mir auf die Unterlippe. Nina holte tief Luft, als wäre ihr klar, dass die Antwort mir nicht gefallen würde. „Er ist Korse.“
Unwillkürlich zuckte ich zusammen. „Korse? Und was zum Teufel soll das heißen?“
„Er ist aus Korsika.“
„Er ist Italiener?“
„Du fährst wohl nicht oft weg, Süße, stimmt’s? Korsika liegt zwar neben Italien, gehört aber zu Frankreich. Allerdings haben die Korsen wenig von den Franzosen und sind sehr eigenwillig.“
„Ich habe dir doch gesagt: nur Spanier und keine Männer unter fünfunddreißig.“
Sie schnaubte geringschätzig. „Ich weiß. Aber er passt so perfekt zu dir, dass ich nicht anders konnte. Sein Profil ist gerade mal drei Tage alt!“
„Nina …“
„Ich weiß, Alicia. Hör zu, du musst dich ja nicht sofort entscheiden. Nimm sein Profil mit nach Hause und lies es dir durch. Allerdings warne ich dich, so ein Mann wird keine Woche zu haben sein. Also überleg es dir schnell.“
Sie schaltete den Drucker ein und druckte alles aus; es waren mehrere Blätter, die sie anschließend in die Mappe auf ihrem Tisch steckte.
Immer noch stirnrunzelnd nahm ich ihr das Profil ab und stand auf. Sie brachte mich zur Tür.
„Ich melde mich“, sagte ich ein wenig mutlos.
„Aber bald, bitte.“
„In Ordnung.“
„Do swidanja, Süße.“
„Dosw … Doswnidiw … Bis dann, Nina.“


Ein Weingut, eine Witwe und ein Hund
Mit der Mappe unter dem Arm kam ich nach Hause. Leise Erregung erfüllte mich, die mich selbst ärgerte. Was wusste ich denn schon über die Korsen? Das war doch bescheuert! Vor der Haustür wartete Tomás in Begleitung von Milo, dem kleinen rater mallorquí, einem waschechten mallorquinischen Rattenfängerhund mit aufmerksamem Blick, hoher Intelligenz und der lästigen Angewohnheit, sich überall breitzumachen, wo man ihn nicht haben wollte. Eigentlich hieß er Camilo, nach Camilo Sesto, doch er hasste diesen Namen, weshalb ich ihn einfach Milo nannte.
Tomás machte ein verdrießliches Gesicht. Er habe keine guten Neuigkeiten, verkündete er. „Ein paar der Pflanzen haben Mehltau“, brummte er, heiser wie immer.
Niedergeschlagen ließ ich die Schultern sinken. Was hatte dieser Pilz auf meinem Weingut verloren?
Milo forderte mit ausgiebigem Gebell seine Begrüßung ein. Er konnte mich zwar nicht leiden, verlangte aber dennoch, dass ich ihn begrüßte. Vermutlich tat er es nur, um mich zu ärgern, wie bei fast allem. Ich bückte mich und strich ihm mit den Fingerspitzen über den Kopf, wobei ich Abstand hielt, als wäre er ein Piranha oder ein anderes Raubtier. Milo wedelte nicht mal mit dem Schwanz – obwohl er seinen kurzen Stummel bei Bedarf ziemlich wirkungsvoll hin und her wackeln lassen konnte. Ein Transformer-Hund.
„Wir hätten letzten Monat mit der Präventivbehandlung anfangen sollen“, fuhr Tomás fort. „Sonst machen wir das immer im April. Aber in diesem Jahr …“
„In diesem Jahr war der Austrieb zu spät“, meinte ich seufzend. Ich gab mich zwar fachkundig, aber in Wahrheit hatte ich keinen blassen Schimmer, wieso dieser Pilz sich an meinen Reben gütlich tat.
Tomás nahm die abgewetzte Schirmmütze ab und kratzte sich den Kopf. „Enrique und ich fangen schon mal mit dem Schwefel an. Die anderen sollen mit dem Auslichten weitermachen.“
Ich nickte, und wie so oft beschlich mich das Gefühl, dass Tomás der Chef und ich seine Angestellte war. Im Grunde sagte er mir, wo es langging.
Mit Milo im Schlepptau ging ich ins Haus, ein wenig niedergeschlagen angesichts der Nachricht. In den letzten Jahren hatten wir weder Mehltau noch sonst eine Krankheit gehabt. Unsere Reben waren besonders resistent, und die von uns verwendeten Pflanzenschutzmittel taten das ihre dazu. Was war nur schiefgegangen? Andererseits waren die letzten Ernten tatsächlich nicht gut ausgefallen; wir hatten kaum fünftausend Kilo Trauben pro Hektar geerntet anstatt wie sonst sechstausendfünfhundert. Noch ein Problem, womit ich mich herumschlagen musste.
Ich hängte meine Jacke an der Garderobe im Flur auf und fühlte mich plötzlich so erschöpft, als wären meine Beine aus Watte, unfähig, mich noch weiter zu tragen. Über dem kleinen Möbel im Eingangsbereich hing das gerahmte Foto, das Alfredo und mich an unserem Hochzeitstag zeigte. Früher hatte ich dem Bild bei jedem Hereinkommen ein Küsschen gegeben, aber das kalte Glas war unangenehm auf den Lippen, weshalb ich mich schon lange damit begnügte, mit meinem Zeigefinger zuerst meine Lippen und dann seine kalte Wange zu berühren und ihm zum Abschluss zuzuzwinkern.
Nach dem Duschen machte ich mir zum Abendessen einen Salat und füllte Milos Futternapf. Nur weil wir uns nicht gut verstanden, würde ich ihn noch lange nicht Hunger leiden lassen. Er war Alfredos Hund gewesen, und ich hatte ihn geerbt. Ich besorgte immer das beste Futter für ihn, und irgendetwas machte ich wohl richtig, denn er wurde nie krank. Zumindest körperlich. Über seinen Geisteszustand konnte ich nur rätseln, auch wenn ich manchmal den Verdacht hatte, dass Milo mir heimlich grollte, weil er dachte, ich hätte etwas mit dem Verschwinden seines Herrchens zu tun. Ein gewaltiger Irrtum natürlich, aber erklären Sie das mal einem Hund. Ich sah es ihm an der Nasenspitze an.
In den Tagen nach Alfredos Tod hatte er immer meine Wade mit seiner Pfote angestupst. Ich beachtete ihn kaum, schließlich hatte ich reichlich mit mir selbst zu tun. Aber nach einer Woche änderte er seine Taktik und fing an, mich anzustarren, bis ich die Geduld verlor. Mit seinem leeren und seelenlosen Blick wirkte er, als wäre er von einem der Kinder des Zorns besessen. Er konnte stundenlang so dasitzen und schien darauf zu warten, dass ich ihm sein Herrchen zurückbrachte.
Irgendwann war ich es leid und brüllte ihn an: „Ich kann ihn dir nicht zurückholen!“
Mein Geschrei führte zu einer Kettenreaktion. Zum ersten und einzigen Mal zog Milo die Lefzen zurück und knurrte mich an; dann bellte er, was natürlich nichts Neues war.
Wieder schrie ich ihn an: „Er ist fort! Verstehst du? Fort!“
Und er bellte noch lauter: „Wau! Wau! Wau!“
Ich kann nicht leugnen, dass das Dampfablassen uns beiden guttat, auch wenn Milo sich danach zu einem egozentrischen Eigenbrötler entwickelte. Manchmal fixierte er mich auf diese düstere, rachsüchtige Weise, die seine innersten Gedanken zu spiegeln schien: „Gib ihn mir zurück, du Hexe, ich weiß, dass du ihn hast!“
Zugegeben, in den ersten Wochen fand ich es tröstlich, mit Milo zu reden – wenigstens sperrte es die verdammte Stille aus.
„Begreif doch endlich, Milo, wir zwei sind jetzt allein, wir könnten also ebenso gut versuchen, miteinander auszukommen.“
Ich glaube, irgendwann sah er es ein. Was allerdings das Miteinander-Auskommen betraf … So weit waren wir noch lange nicht.
Milo lief zu seinem Napf, schnupperte und rümpfte die Nase. Dann musterte er mich einen Moment, als würde er erwarten, dass ich etwas dazu sagte, doch als ich das nicht tat, machte er kehrt und verschwand in Richtung Wohnzimmer.
Mit noch feuchten Haaren nahm ich auf einem der Küchenhocker Platz, verspeiste langsam meinen Salat und betrachtete dabei die Mappe mit der Vita des Korsen, die neben mir auf dem Tisch lag. „Zu gut, um wahr zu sein“, dachte ich. „Wahrscheinlich lebt er getrennt und hat vier Kinder, oder er hat eine schizoide Persönlichkeitsstörung, über die natürlich nichts in seinem Profil steht.“
Ich schnappte mir einen Apfel und biss hinein, dann schlug ich die Mappe auf. Das Foto des Mannes mit dem dunklen Blick bescherte mir eine Gänsehaut. Ich schüttelte mich, um das Gefühl loszuwerden, und betrachtete das Bild kritisch.
Und fasziniert.
Eher fasziniert als kritisch, was mein objektives Denkvermögen erheblich einschränkte.
Na schön, ich gebe es zu: Er war attraktiv, und er gefiel mir.
Mögen die Götter sich meiner erbarmen!
Er wirkte ernst, aber nicht distanziert. Das unordentliche dunkelbraune Haar reichte ihm bis in den Nacken. Er war glatt rasiert, und seine Gesichtszüge ließen sich als harmonisch und maskulin bezeichnen.
„Ein äußerst verführerischer Mund“, sagte ich laut.
Bei genauerem Hinschauen war er vielleicht keine Schönheit im klassischen Sinne – wenn man ein wenig anspruchsvoll war –, aber das merkte man erst nach einer Weile, da sein Gesicht auf den ersten Blick insgesamt ziemlich anziehend wirkte. Wie auch immer, da war er nun mit seinem Onlinedating-Profil. Genau wie ich.
Wie das Leben so spielt.
Bei mir lagen die Dinge natürlich anders. Ich war fünf Jahre lang verheiratet, und Alfredo war mir ein guter Ehemann gewesen: aufmerksam, liebevoll und über alle Maßen ergeben. Bis zu seinem Tod. Karma? Schicksal? Verhängnis? Keine Ahnung, aber wenn es einen Preis für die dümmste Todesart gäbe, Alfredo hätte ihn mit Sicherheit gewonnen.
In der Freizeit, die ihm sein Weingut ließ, arbeitete Alfredo ehrenamtlich in dem Safari-Zoo, der im Osten der Insel nahe Porto Cristo lag. Als Kind hatte er davon geträumt, Tierarzt zu werden, gestand er mir, und schon der kleine Alfredo hatte die Neigung gehabt, jedes herrenlose oder verletzte Tier aufzunehmen, das ihm über den Weg lief. Als Erwachsener hatte er sich zwischen dem elterlichen Weingut und dem Studium der Tiermedizin entscheiden müssen. Er wählte Ersteres; in seinen Adern floss der Rebensaft, aber irgendwie schaffte er es dennoch, seine Sehnsucht nach den Tieren zu stillen.
Eines Tages erzählte er mir freudig, er werde an einer Simulation zum Ausbruch von Wildtieren teilnehmen und man habe ihn gebeten, ein Gorillakostüm anzulegen, damit es echter wirkte. Ich hielt das Ganze für einen Spaß, weshalb ich rein gar nichts begriff, als der Zoodirektor mich anrief und mir mitteilte, Alfredo liege im Krankenhaus und sein Zustand sei kritisch. Bei der Untersuchung kam später heraus, dass ein Wärter, der von der Übung nichts wusste, Alfredo in seinem Gorillakostüm im Zoo herumlaufen sah und, ohne zu zögern, einen Betäubungspfeil auf ihn abschoss, mit einer Dosis für einen zweihundert Kilo schweren Affen. Es folgte eine allergische Reaktion auf das Sedativ, und aus war es mit Alfredo.
Die Meldung schaffte es bis in die überregionalen Medien, und ich bin mir sicher, dass so einige lachen mussten bei der Vorstellung, wie Alfredo einen riesigen Gorilla imitierte, bis ihm ein Wärter einen Pfeil in den Hintern schoss. Bei meinen Besuchen an seinem Grab, deren Abstände immer länger wurden, konnte ich mir einmal nicht verkneifen, ihm zu sagen: „Du bist so gestorben, wie du gelebt hast, Schatz – indem du die Leute zum Lachen brachtest.“
Niemand sollte jedoch glauben, Alfredo wäre der Einzige gewesen, der auf eine so… ungewöhnliche Weise zu Tode kam. Die Zeitungen sind voll von ähnlichen Meldungen. In einer schlaflosen Nacht hatte ich einmal dazu recherchiert und war auf alle möglichen Fälle gestoßen, manche mehr, manche weniger seltsam, doch der Ausgang war bei allen der gleiche. Wie etwa bei dem Russen Sergej Tuganow, der 2009 wettete, er werde zwölf Stunden lang mit zwei Frauen gleichzeitig Sex haben, sich mit Viagra vollpumpte und den Sieg davontrug, den allerdings sein Herz nicht verkraftete. Oder der Anwalt, der beweisen wollte, dass das vermeintliche Opfer seines Mandanten sich die tödliche Verletzung ungewollt selbst zugefügt hatte, und der sich, während er mit der Waffe hantierte, versehentlich im Gerichtssaal erschoss. Dann war da noch der Mann, der unter seinen Zeitungsbergen begraben wurde. Ganz zu schweigen von Isadora Duncan, die sich bei einer Fahrt im offenen Cabrio mit ihrem Schal strangulierte, der sich in den Speichen eines Rades verheddert hatte.
Es gab noch viel mehr solcher Fälle, und angesichts der verblüfften Gesichter der Leute, die sich für die absurden Umstände von Alfredos Tod interessierten, zählte ich sie jedes Mal nacheinander auf. Dann fügte ich, als Trost für mich selbst sozusagen, hinzu: „Solche Dinge passieren.“
Doch die Wahrheit war: Ich war allein, ohne mich wenigstens mit einem Kind trösten zu können. Alfredo und ich hatten noch ein wenig warten wollen, doch dann …
Das einzig Lebendige, das er mir hinterlassen hatte, war Milo. Wir behandelten uns gegenseitig mit einer gewissen Gleichgültigkeit, im Bewusstsein, einander zu brauchen, wobei wir uns insgeheim einig waren, dass ich ebenso wenig sein Frauchen war wie er mein Hund.
Ein Jahr nach Alfredos Tod begann mir meine Schwester, die nach ihrer Scheidung zu mir gezogen war, immer mehr zuzusetzen. Mit nervtötender Regelmäßigkeit drängte sie mich, auszugehen und Leute kennenzulernen. Ich sei erst vierunddreißig, noch jung, und könne einen halbwegs erträglichen Mann finden, sagte sie, und mit „erträglich“ meinte sie dabei niemanden, dem die Rechtschaffenheit im Gesicht geschrieben stand, sondern einen attraktiven Junggesellen. Doch ich hatte wenig Lust, ich wollte niemanden kennenlernen, und schon gar nicht wollte ich mich ins Getümmel stürzen, um mir einen Mann zu angeln. Das war nicht mein Stil. Falls das Schicksal jemanden für mich bereithielt, würde er von selbst zu mir finden. So sah ich das jedenfalls.
Doch die Jahre vergingen, und irgendwann begriff ich, dass das Schicksal meine Adresse verlegt haben musste oder dass das Miststück mich links liegen ließ. Wenn ich mich nicht aufmachte, mein Schicksal zu suchen, würde es keinen Finger rühren, um mich zu finden, sagte ich mir.
Dem Rat meiner Schwester folgend, beschloss ich, auszugehen. Doch ich hatte mich so sehr in meinem Leben mit Alfredo und dem Weingut vergraben, dass ich keine Freundinnen hatte. Gezwungenermaßen tat ich mich deshalb oft mit Frauen zusammen, mit denen ich wenig bis gar nichts gemeinsam hatte – abgesehen davon, dass wir alle allein waren. Ich lernte ein paar Männer kennen, die auf nichts anderes aus waren, als mit mir ins Bett zu gehen oder sich mein Weingut unter den Nagel zu reißen, und ich hätte auch durchaus nichts dagegen gehabt, mit dem einen oder anderen zu schlafen, ich bin schließlich nicht aus Eis, aber irgendwie gefiel mir keiner so richtig. Die Dates machten mir immer weniger Spaß, und jede Ausrede war mir recht, um zu Hause zu bleiben, in einer ungesunden Melancholie gefangen, die mich auf niedriger Stufe weich kochte.
Dann traf ich Nina, und nach gerade mal einer halben Woche nahm sie mich in ihre Partnerbörse auf. Ich sagte mir, dass ich nichts zu verlieren hatte; alles war besser, als mich bei Events herumzutreiben, die nicht die meinen waren.
Während der nächsten zwei Jahre lernte ich durch Nina eine Menge Männer kennen, doch ich muss zugeben, dass ich vor jedem Date die Sache von allen Seiten betrachtete – von oben, von unten, von der einen wie auch der anderen Seite … bis ich schließlich begriff, dass ich die Latte meiner Ansprüche ein wenig tiefer legen musste.
Wünsche zu Anfang:

Alter: zwischen 35 und 40
Familienstand: ledig
Eigenschaften: verantwortungsbewusst, selbstsicher, charismatisch, aufmerksam, liebevoll, ehrlich, humorvoll, guter Zuhörer …
Wünsche zum Ende hin:
Alter: zwischen 40 und 50
Familienstand: egal
Eigenschaften: bitte halbwegs normal.

Ich weiß schon, damit hatte ich die Latte nicht nur tiefer gelegt, sondern auf den Boden, und zudem eine Grube ausgehoben und sie eingebuddelt. Aber was blieb mir anderes übrig?
Ich musterte den Ausdruck, der vor mir lag. Die Attraktivität des Korsen stach einem direkt ins Auge. Er hatte zwei Fotos in seinem Profil – ein Porträt und ein Ganzkörperbild. „Er ist sechs Jahre jünger als ich“, sagte ich mir. Das war zu viel; an einer fast Vierzigjährigen war er vermutlich nicht interessiert. Bestimmt würde er Kinder haben wollen, und meine biologische Uhr lief langsam ab.
Wieso verschwendete Nina überhaupt meine Zeit mit ihm?
Sein Profil war zum Niederknien, das musste ich zugeben. Ein Agraringenieur war für jemanden wie mich so etwas wie ein plastischer Chirurg für eine Skalpell-Süchtige. Gäbe es Geschäfte für die Liebe und ein Verkäufer würde mich fragen: „Was darf es sein, Gnädigste?“, so würde ich antworten: „Ein Agraringenieur wäre wunderbar. Und wenn er sich außerdem noch mit Weinbau auskennt, umso besser, mir gehört nämlich ein Weingut, müssen Sie wissen.“ Und der äußerst tüchtige Verkäufer würde dann sagen: „So ein Glück, erst heute Morgen haben wir ein Modell mit diesen Eigenschaften hereinbekommen, das als Bonus zudem hervorragend aussieht. Wäre Ihnen damit gedient?“
Und ob mir damit gedient wäre!
„Soll ich ihn als Geschenk einpacken?“, würde der Verkäufer mich zum Schluss fragen.
„Ach nein, ich nehme ihn gleich so mit.“
Ob sich mein Blatt gerade wendete?
Wo war eigentlich mein Problem?
Er ist Korse, sagte mir mein Unterbewusstsein. In seinem Land war das vermutlich kein Problem, auch wenn er mir wie ein Geschöpf von einem anderen Planeten erschien. Ich hatte nicht gerne mit Fremden zu tun, und für mich, die ich nicht einmal wusste, ob die Korsen die Ureinwohner von Korsika waren, war das ein unüberwindliches Hindernis. Wie sollten wir uns verständigen?
Die Antwort war ein paar Zeilen weiter unten auf dem Lebenslauf zu finden. Er sprach vier Sprachen, vier! Französisch, Englisch, Spanisch und natürlich Korsisch. Wie zum Teufel hörte sich Korsisch an? Ich hatte nicht den leisesten Schimmer. Am allerbesten und dabei unglaublichsten war seine Berufserfahrung im Weinbau. Er hatte vier Jahre lang auf dem Vignoble de Corse gearbeitet, einem Weinbaugebiet auf Korsika, wie eine Recherche auf meinem Notebook ergab. In seinem Profil stand außerdem, dass er saisonweise in Marbella lebte.
Ein Lachanfall stieg in mir auf, und ich konnte nicht anders, ich musste den Hörer abnehmen und Nina anrufen.
„Privyeeet!“, begrüßte sie mich fröhlich, kaum dass sie den Hörer abgenommen hatte, als hätte sie meinen Anruf erwartet.
„Das ist doch nicht etwa einer deiner Scherze, oder?“
Sie kicherte. „Du glaubst, ich wäre imstande, so mit deinen Gefühlen zu spielen?“
„Er ist einfach zu gut, um wahr zu sein.“
„Dann darf ich ihm also deine Kontaktdaten schicken?“
„Er ist jünger als ich, ich glaube kaum, dass er mit mir ausgehen will. Für den hypothetischen Fall, dass ich ihm gefalle – das alles hier aufzugeben, ist in meinen Plänen nicht vorgesehen.“
„Erstens ist der Altersunterschied gar nicht so groß. Zweitens: Du musst gar nichts aufgeben. Falls du es noch nicht gelesen hast, in seinem Profil steht, dass er auch woanders hinziehen würde. Und drittens: Ich glaube, du gefällst ihm.“
„Wie kannst du dir da so sicher sein?“
Auf der anderen Seite herrschte Schweigen.
„Nina?“
„Marco hat dein Profil gesehen und ist interessiert.“
„Wie kann er denn mein Profil gesehen haben?“
„Ich habe es ihm geschickt.“
„Du hast ihm ohne meine Erlaubnis meine Daten geschickt?“
„Das ist doch jetzt egal! Er ist interessiert!“ Sie lachte.
„O Gott, was soll ich denn jetzt machen? Marco, hast du gesagt?“
„Hast du seinen Namen denn nicht gelesen?“
Das hatte ich tatsächlich nicht getan. Wie dumm von mir! Ich hielt den Hörer mit der einen Hand fest und blätterte mit der anderen bis zur ersten Seite der Mappe. Ganz oben stand der Name: Marco Bossi.
„Okay, jetzt habe ich ihn gelesen.“
„Schau, du musst nichts tun. Deine Daten hat er ja jetzt. Warte einfach, bis er sich bei dir meldet.“
„Ja, das wird wohl am besten sein. Ich bin wirklich kein Angsthase, aber das alles bringt mich ein bisschen aus dem Tritt …“
„Bitte entspann dich, ja? Und halte vor allem Dimitri im Zaum, das ist jetzt wichtiger denn je.“
„Wer ist Dimitri?“
„Hast du denn das Buch nicht gelesen, das ich dir geschenkt habe?“
„Ähm, nein.“
„Nun, das solltest du aber, es ist ein sehr interessanter Ratgeber. Zu Beginn geht es um die beiden Gehirnhälften, die linke und die rechte, und ihre Funktionen.“
„Nina …“
„Wenn du es gelesen hättest, dann wüsstest du, dass Dimitri die linke Gehirnhälfte ist, die für das analytische Denken zuständig ist, und Natascha die rechte Hälfte, in der unsere Emotionen sitzen.“
„Nina …“
„An deiner Stelle würde ich mich an Nataschas Ratschläge halten und Dimitri links liegen lassen. Verstehst du?“ Ich schwieg, was Nina offenbar missverstand, denn sie begann zu leiern, als wäre ich begriffsstutzig: „Natascha gut, Dimitri schlecht …“
„Nina!“ Endlich herrschte Schweigen am anderen Ende. „Du willst, dass ich meinen Kopf in zwei Hälften aufteile und ihnen Namen gebe?“
„Da.“
„Und wieso russische Namen?“
„Die Autorin ist eine Landsmännin von mir.“ Pause. „Aus Nowosibirsk.“
„Ach so. Na ja. Ich finde das bescheuert.“
„Siehst du? Das ist Dimitri, der da aus dir spricht. Er ist ein gefühlloser Mistkerl.“
„Du spinnst.“
„Okay, nenn ihn von mir aus, wie du willst, aber schließ die Tür hinter ihm ab und verfüttere den Schlüssel an deinen Hund.“

Mayte Uceda

Über Mayte Uceda

Biografie

Mayte Uceda wurde 1967 in Asturien, Nordspanien geboren. Sie veröffentlichte bereits mehrere Romane. Nachdem sie einige Jahre in Madrid lebte, wohnt sie heute mit Mann und Sohn wieder in Asturien, in einem malerischen kleinen Fischerdorf. Neben der Schriftstellerei malt und musiziert sie...

Pressestimmen
PTA Magazin

„Der Roman liest sich flüssig und gut. Eine Prise Humor macht das Lesen zu einer kurzweiligen Sache. Genau die richtige Lektüre für den Sommer.“

Luzerner Rundschau

„Ein unterhaltsamer Roman mit viel südlichem Flair und großen Gefühlen, die von dubiosen Mafia-Verstrickungen bedroht werden.“

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