Interview mit Klaus Scherer zu seiner Arktisreise
Während wir noch über den Klimawandel diskutieren, scheinen die Menschen im hohen Norden bereits weiter zu denken. Was haben uns die Bewohner der Arktis voraus?
Zunächst sind sie härter betroffen, denn die Arktis erwärmt sich schneller als andere Breiten. Damit schmelzen faktisch nicht nur Eisbären die Jagdgebiete weg, sondern auch jenen Inuit-Gemeinden in Grönland oder Alaska, die sich bisher weitgehend selbst versorgten. Zugleich schwärmen ihnen Ölkonzerne etwas von neuen Jobs vor. Gerade die Inuit entscheiden aber lieber selbst – und setzen beispielsweise auf mehr Fischfang und mehr Besucher. Sie sind unideologisch und deshalb nicht gefangen im Endlosstreit zwischen Propheten und Leugnern des Klimawandels. Und sie sind pragmatisch, denn das mussten sie immer schon sein.
Jüngst haben uns die Bilder von einem verhungerten Eisbären in Norwegen in Schrecken versetzt. Welche Momentaufnahmen von Ihrer Reise haben Sie am stärksten beeindruckt?
Für mich war der Bären-Kadaver ein trauriges Symbolbild, denn das hohle Fell lag da wie ein abgelegtes Theaterkostüm. Man hätte "Ende der Vorstellung" darüber schreiben können, auch weil die Klimakatastrophe damit keine bloße Vorstellung mehr ist, sondern harte Wirklichkeit. Da ist nichts zu beschönigen. Dennoch traf ich auf Inuit, jetzt und vor Jahren schon, die sagen, warum sollen wir warten, dass uns die Welt rettet? Unsere Heimat ist schön und einzigartig, das bleibt so. Wenn wir nicht mehr übers Eis gehen können, fahren wir Kajak. Wenn der Schnee nicht für Skier reicht, gehen wir wandern. Und wenn Grönland für Gäste zugänglicher wird, umso besser. Ich bin mit ihnen im Hundeschlitten nachts über Gletscher gefahren, und wir kletterten in Buchten auf Eisberge. Das werde ich nicht mehr vergessen.
Mit ihrer aktuellen Reise haben Sie nun einmal den Polarkreis umrundet und kennen die Region und ihre Entwicklung. Glauben Sie daran, dass es den Arktis-Bewohnern wirklich gelingen kann, sich neu zu erfinden?
Das geschieht längst. Die Arktis ist uns ja schon durch Globalisierung und Internet näher gerückt. Wir haben in Ostgrönland einen reisenden Friseur aus Island begleitet, der Dörflern die Haare schneidet. Die kamen mit Smartphones an, hielten ihm Fotos von Halfcut-Frisuren hin und sagten, die hätten sie auch gerne. In Finnland zeigte uns eine junge Sami-Studentin, wie sie mit ihrer Band Rockmusik in Ureinwohnersprache macht. Nebenbei züchtet sie Rentiere. Und auf Islands Nordinseln fangen Seeleute mittlerweile Fische, die es bisher nur im Süden gab, und exportieren sie nach Spanien. Wir wurden seekrank, als wir mit denen rausfuhren. Da lachten sie und erzählten uns, das sei normal, ihre Väter seien ihr Leben lang seekrank gewesen. Man klagt da nicht lange, wenn man sich auf die Umwelt einstellt.
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