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Ein Land namens „Internet“

„Das Internet ist so schnell und so selbstverständlich Bestandteil unseres Lebens geworden (Sie lesen diesen Text immerhin gerade auf einer Website), dass es uns häufig gar nicht mehr richtig auffällt. Dabei ist es – meiner Meinung nach – eine der bedeutsamsten Erfindungen unsere Zeit: eine, die es zu verteidigen lohnt.“


Dirk von Gehlen

Packliste für eine Reise ins Internet

Ich habe mich beim Verfassen der „Gebrauchsanweisung für das Internet“ intensiver mit diesem ortlosen Ort „Internet“ befasst und festgestellt: Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass das Internet einfach so da ist. Damit es ein demokratischer Raum bleibt, muss man sich engagieren. Das kann auf unterschiedlichen Ebene geschehen. Ein wichtiger Schritt wäre, sich über das eigene Bild vom Internet bewusst zu werden – und darüber zu reden. Auch und gerade mit denen, die sich im Internet vielleicht noch nicht so Zuhause fühlen.

Und wenn man sich dann auf den Weg macht, diesen ortlosen Ort zu besuchen, sollte man sich vorbereiten. Auch davon handelt die „Gebrauchsanweisung für das Internet“, an deren Ende es eine Packliste mit den zehn Dingen gibt, die man mitnehmen sollte, wenn man sich auf den Weg ins Internet macht. Im Buch ist sie ausführlicher beschrieben, hier zur Übersicht:

 

1.      Eine große Tasche, die viel Platz bietet (man muss ständig hinzulernen)

2.      Badezeug (um im digitalen Ozean wirklich schwimmen zu können)

3.      Eine gesunde Portion Skepsis (es ist oft nicht so, wie es scheint)

4.      Einen USB-Stick (weil Back-ups wichtig sind)

5.      Eine Zahnbürste (hilft immer und erinnert an Passwortsicherheit)

6.      Einen Avatar (als Symbol für die digitale Identität)

7.      Ein Ladekabel (der Handy-Akku macht nicht so lange mit)

8.      Einen Bibliotheksausweis (weil digitale Kompetenzen Informationskompetenzen sind)

9.      Einen Programmier-Sprachführer (weil man nicht selbst programmieren können, aber Grundbegriffe verstehen muss)

10.    Gelassenheit (weil zwar alles wahnsinnig schnell wirkt, aber sehr lange dauert).

„Stellen Sie sich vor, es gäbe das Netz der Netze von heute auf morgen nicht mehr. Wie erklären Sie sich dieses Gefühl des Verlusts? Ist es Ihnen der Beweis dafür, dass das Internet viel zu bedeutsam geworden ist und womöglich sogar abhängig macht? Oder folgen Sie mir in der Einschätzung, dass dieses Gefühl der Beweis dafür ist, wie großartig und historisch bedeutsam das Internet als Erfindung ist?“

Wie wir mit Unsicherheit im Internet umgehen sollten

Weshalb der Shruggie ein Mittel gegen die Angstpolitik sein kann

Vielleicht kann man den Zustand der Welt am besten mit diesem kleinen Bild auf meinem Smartphone beschreiben. Ich habe die Einstellungen in meinem Instagram-Profil geändert und erhalte jetzt eine Rückmeldung von dem Programm, die aus der scheinbar einfachen Frage besteht „Bist Du sicher?“ Bin ich sicher? Kann man das in dieser komplexen Welt überhaupt noch sein: sicher?  Ich halte einen Moment inne und betrachte die Antwort-Optionen, die aus diesem Dialogfeld ein Symbol für den Zustand der Welt machen. Denn dort steht nur „Ja, ich bin mir sicher“ und „Abbrechen“. Anders formuliert: Hier geht es nur für diejenigen weiter, die sich sicher sind. Nur die kommen durch, die der Meinung sind, es verstanden und zumindest recht zu haben. Für alle anderen bleibt nur „Abbrechen“.

Schon klar, das Dialogfeld ist als Bestätigung in der App gedacht, aber als Bild ist es eben so viel mehr: Es ist das perfekte Symbol für das Dilemma, in dem sich immer mehr Menschen befinden, die sich nicht mehr sicher sind. Aus unterschiedlichen Gründen fühlen sie sich überfordert – von der gefühlten Beschleunigung, von den Veränderungen oder vom Fremden. Sie sind unsicher – und klicken aus diesem Gefühl auf „Abbrechen“. Was in ihrem Fall bedeutet: Sie wollen zurück. Zurück in eine alte Währung, zurück in den eigenen Nationalstaat aber vor allem zurück in die Zeit, als sie selber jung und sich noch sicher waren.

 

Die Vergangenheit ist in vielen gesellschaftlichen Debatten zum Maßstab des Handelns geworden. Das Neue, das Fremde, das Verstörende hat kein besonders gutes Image; das Bewahren und Abwehren bestimmen die Debatte. Der Grund liegt an dem oben zitierten Dialogfeld. Wenn es für die, die unsicher sind, keine andere Option als „Abbrechen“ gibt, dann führt deren Überforderung fast zwangsläufig zur Rückbesinnung und zum Ausstieg aus einer Debatte des Gestaltens.

Ich glaube, wir müssen uns eine andere Option erlauben. Ein Feld, das heißen könnte: „Ich bin mir nicht sicher, aber das ist kein Problem. Ich probiere es aus und lerne“. Ein solches Feld könnte auch mit dem schulterzuckenden Emoticon des Shruggie illustriert sein. Denn er steht meiner Meinung nach für diese Haltung, die ich Kulturpragmatismus nenne. Eine Sicht auf die Welt, die sich zwischen die sicheren Prognosen der Pessimisten und Optimisten setzt und den Wert der Zukunft nicht als geben versteht, sondern abhängig von unserem Zutun.

Diese Haltung fehlt nicht nur in dem Dialogfeld auf meinem Smartphone. Sie würde auch weltweit helfen – all den Menschen, die sich Angst machen lassen von den Überforderungs- und Untergangsszenarien, die häufig von denen bedient werden, die damit nur den Boden bereiten wollen für ihre eigenen, einfachen Lösungen. Denn in einer Welt der Angst und der Sorge sind Menschen viel empfänglicher für die vereinfachende Weltsicht der Populisten. Der Shruggie stellt sich dieser Angstpolitik in den Weg und plädiert für einen offenen Pluralismus, der immer wieder fragt: „Was, wenn das Gegenteil richtig wäre?“

Auf diese Weise stimuliert der Shruggie die Unsicherheit sogar. Denn sie ist für ihn kein Problem, sondern der Ausgangspunkt für einen Perspektivwechsel, der nötig ist, um Neues zu entdecken. Denn die beste Antwort auf die Frage „Bist Du sicher?“ lautet in Wahrheit: ¯\_(ツ)_/¯

Fünf Fragen an Dirk von Gehlen, Autor des Buchs „Das Pragmatismus-Prinzip“

Ein Schulterzucken als angemessene Haltung zur Welt? Ist das nicht ein wenig resignativ?

Überhaupt nicht. Das Schulterzucken, das das Shruggie genannte Emoticon zeigt, ist eine fröhliche, der Welt zugewandte Haltung. Der Shruggie ist nicht nur eine Vermenschlichung von Schriftzeichen (das bedeutet Emoticon), der Shruggie ist auch ein Menschenfreund. Deshalb ist er auch nicht resigniert oder gar zynisch. Er ist auf der Seite der Menschen und will sie von dem permanenten Druck entlasten, immer alles verstehen und erklären zu müssen. Vielleicht ist die Welt viel zu komplex geworden, um einen Masterplan und einen vollständigen Überblick zu haben.

 

Das ist aber doch ziemlich schade, war die Idee von Philosophie nicht mal, die Welt zu erklären?

Vielleicht können wir uns die Welt viel besser erklären, wenn wir den Aspekt der Ratlosigkeit zulassen, wenn wir akzeptieren, dass wir im Moment keine einfache Antwort auf all die großen Fragen haben. Das ist schwierig, denn es kann Angst machen, diese Überforderung anzuerkennen. Der Shruggie ist aber davon überzeugt, dass diese Ratlosigkeit die Voraussetzung ist, um überhaupt auf neue Ideen zu kommen. Der Autor Christoph Kucklick nennt das „Überforderungsbewältigungskompetenz“, der Shruggie meint das gleiche – braucht aber weniger Zeichen ¯\_(ツ)_/¯

 

Sascha Lobo hat Ihr Buch als die „erste Emoji-Philosophie überhaupt“ bezeichnet. Was meint er damit?

Die Idee hinter dem Buch „Das Pragmatismus-Prinzip“ ist es, mit dem Shruggie eine Lebenshaltung zu entwickeln, die sich den Herausforderungen der digitalen Welt stellt. Irgendwer hat mal geschrieben, der Shruggie stehe für das Standard-Internet-Gefühl. Das fand ich spannend – und habe es ausformuliert. Dabei habe ich den Shruggie in zahlreichen philosophischen Schulen (allen voran im kritischen Rationalismus von Karl Popper und im philosophischen Pragmatismus von Henri James) wiedergefunden, aber auch in modernen Ansätzen der Arbeitsorganisation (New Work, Scrum) und Denkrichtungen wie Design Thinking oder Effectuation. Das habe ich zusammengeführt und herausgekommen ist ein Appell zu mehr Pluralismus und Offenheit – der Shruggie fragt stets: Was wenn das Gegenteil richtig wäre?

 

Sie listen – so der Untertitel – zehn Gründe für einen gelassenen Umgang mit dem Neuen auf. Warum?

Ich habe den Eindruck, dass das Fremde, das Verstörende und Neue derzeit kein besonders gutes Image haben. Wir leben in einer Zeit, in der das Bewahrende und das Verteidigen einen höheren Stellenwert hat als die Gestaltung einer offenen Zukunft. Das kann man an vielen Stellen weltpolitisch aber auch im direkten privaten Umgang beobachten: Das Aufkommen der rechtspopulistischen Parteien in Europa, der Wahlsieg Trumps oder auch der Brexit basieren allesamt auf einer Sehnsucht nach einer vermeintlich besseren Vergangenheit. Es gibt aber auch in liberaleren Kreisen eine vergleichbare Rückbesinnung wenn es z.B. um den Umgang mit Smartphones in der Schule geht. Wir neigen allesamt dazu, das für normal zu halten, was wir erlebt haben als wir jung waren. Wenn es sich ändert, reagieren wir abwehrend. Aber Veränderung ist das Grundprinzip der Menschheit. Ich wünsche mir – gemeinsam mit dem Shruggie – einen hoffnungsvolleren Blick auf die Zukunft.

 

Plädieren Sie für mehr Optimismus?

Ich plädiere für eine Haltung, die ich Kulturpragmatismus nenne und die zwischen den festgefahrenen Positionen von Optimisten und Pessimisten steht. Meiner Einschätzung nach geht es nicht darum, Zukunftsprognosen oder Drohkulissen zu entwerfen. Es geht darum, sich zu engagieren und sich für diejenige Zukunft einzusetzen, die man gerne haben möchte. Zukunft ist kein Schicksal, sondern ein gestaltbarer, offener Raum. Die Schriftstellerin Rebecca Solnit hat diese Haltung mal in die Aufforderung gegossen: „Embrace the Unknown“, Umarme das Unbekannte. Denn das ist das Wesen der Zukunft: sie ist unbekannt. Es kommt auf unser Zutun an, sie im Sinne eines menschlichen Lebens zu gestalten.

 

 

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