Als meine Söhne ungefähr zwei Jahre alt waren, versuchte ich manchmal, sie durch Ablenkung zu beruhigen, wenn sie sich geärgert hatten: „Schau mal, der Vogel da!“, oder die Allzweckwaffe, das begeisterte „Was ist denn das?“, wobei ich ihre Aufmerksamkeit mit meinem Blick oder einem Zeigefinger auf etwas anderes lenkte.
Aufmerksamkeit steuert Gefühle. Mein kleiner Trick diente dazu, mit selektiver Aufmerksamkeit die erregte Amygdala (den Mandelkern) zu beruhigen. Solange sich ein Kleinkind auf einen interessanten Gegenstand konzentriert, beruhigt sich der Kummer; lässt die Faszination nach, kommt er mit voller Wucht zurück – vorausgesetzt, die Nervenschaltkreise der Amygdala haben ihn festgehalten.
Wenn Kinder lernen, diese Aufmerksamkeitssteuerung selbst zu nutzen, erwerben sie eine der ersten Fähigkeiten zur Selbstbeherrschung – und die ist für den weiteren Verlauf ihres Lebens von ungeheurer Bedeutung: Wie geht man mit der aufmüpfigen Amygdala um? Der Kunstgriff bedient sich der exekutiven Aufmerksamkeit, einer Fähigkeit, die vom dritten Lebensjahr an aufblüht, wenn das Kleinkind sich willentlich konzentrieren, Ablenkungen ausblenden und Impulse unterdrücken kann.
Den Eltern fällt dieser Meilenstein der Entwicklung möglicherweise erstmals auf, wenn ein Kleinkind angesichts einer Versuchung absichtlich „nein“ sagt und beispielsweise auf den Nachtisch wartet, bis es noch ein paar Bissen vom Teller genommen hat. Auch das hängt von der exekutiven Aufmerksamkeit ab, die später zu Willenskraft und Selbstdisziplin heranwächst – womit wir dann beunruhigende Gefühle handhaben, Launen ausblenden und uns längere Zeit auf ein Ziel konzentrieren können.
Mit acht Jahren sind die meisten Kinder schon in größerem Umfang zu exekutiver Aufmerksamkeit fähig. Dieses mentale Hilfsmittel steuert dann andere Netzwerke im Gehirn, nämlich die für kognitive Fähigkeiten wie lesen und rechnen lernen oder schulische Anforderungen im Allgemeinen.
Mithilfe der Selbstwahrnehmung hält unser Geist alles, was wir tun, in der richtigen Spur: Durch die Metakognition – das Nachdenken über das Denken – wissen wir, wohin die Tätigkeit unseres Geistes steuert, und können sie bei Bedarf anpassen; die Meta-Emotion steuert entsprechend den Strom der Gefühle und Impulse. In der Konstruktion unseres Geistes dient Selbstwahrnehmung sowohl zur Steuerung unserer eigenen Gefühle als auch zu dem Zweck, die Emotionen anderer zu spüren.
Eines wissen alle Eltern, die mehr als ein Kind haben: Jedes Baby ist vom ersten Tag an anders. Das eine ist aufgeweckter, aktiver oder stiller als das andere. In solchen Temperamentsunterschieden spiegeln sich die Reifung und die genetischen Hintergründe der verschiedenen Nervenzellnetzwerke wider.
Welchen Teil unserer Konzentrationsfähigkeit kann man auf die Gene zurückführen? Das kommt darauf an. Wie sich herausgestellt hat, sind die verschiedenen Aufmerksamkeitssysteme in unterschiedlichem Maße erblich. Den stärksten Einfluss haben die Gene auf die exekutive Kontrolle.
Dennoch hängt der Aufbau dieser unentbehrlichen Fähigkeit auch in hohem Maße davon ab, was wir im Laufe des Lebens lernen. Wie wir aus der Epigenetik – der Wissenschaft vom Einfluss der Umwelt auf unsere Gene – wissen, ist eine Gengruppe nicht schon allein deshalb von Bedeutung, weil wir sie geerbt haben. Gene haben gewissermaßen einen biochemischen Ein-Aus-Schalter; wenn sie nie eingeschaltet werden, ist es so, als besäßen wir sie nicht. Und den „Einschalter“ können die verschiedensten Einflüsse betätigen: die Ernährung, der Tanz der chemischen Reaktionen im Organismus, aber auch das, was wir lernen.
Der Artikel erschien ursprünglich auf Huffington Post.
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