Wie entstehen Ihre Romane, Herr Knapp?
»Eine Geschichte ist wie eine Stadt. Sie braucht ein Zentrum. Stehen einmal die Kirche und das Rathaus, kommt nach und nach der Rest hinzu, Häuser, Geschäfte und dann das Wirtshaus. Die erste Straße entsteht und führt aus dem Zentrum hinaus.
Das Zentrum des ›Gipfeldiebs‹ war mein Zivildienst in einem Altersheim namens ›Weiße Tulpe‹. Ich habe es in der Geschichte ›Titus der Krankenpfleger‹ zusammengefasst, ohne zu wissen, dass es mir einmal gute Dienste leisten würde. Um sie herum wuchsen die übrigen Abenteuer wie zum Beispiel die unerwartete Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, die meine Mutter hinter meinem Rücken beantragt hatte. Dann die skurrile Vorstellung bei der Militärkommission. Schließlich der Job als Heizungsableser, bei dem ich merkwürdige Menschen traf und eine Menge exotischer Tiere. Und mitten unter ihnen ein echter Gipfeldieb. Jemand, der Berggipfel stahl und sie nach Hause brachte. Er behauptete, wichtiger als Geld und sogar die Liebe sei die Vogelperspektive. Er schenkte mir einen Gipfel, und von da an lief ich mit einer Vogelperspektive im Taschenformat herum. Mit ihr war die Arbeit an der kleinen Stadt, die ich auf den Namen ›Gipfeldieb‹ taufte, beendet. Sie brauchte einige Jahre. Man trennt sich schwer von einem Ort, der nach der Veröffentlichung nicht mehr in Privatbesitz ist.«
Radek Knapp
Radek Knapp – der verschmitzte Melancholiker
Seit seinem Debut „Herrn Kukas Empfehlungen“ liebe ich diesen polnischen, in Wien lebenden Autor, der jetzt auch schon 50 Jahre alt ist und noch immer auf die Welt sieht mit diesem fassungslosen Blick eines Heranwachsenden: das soll schon alles gewesen sein? Mehr Überraschungen kommen nicht?
Aber er verzagt nicht an Tristesse, sondern stellt sich ihr mit gelassener Heiterkeit – einer selten gewordenen Haltung. Sein neues Buch „Der Gipfeldieb“ ist ein Buch, das in diese Zeit der Ratlosigkeit angesichts neuer Völkerwanderungen passt: wo wollen die alle hin, wie wollen und sollen die alle glücklich werden, wo es schon einem einzelnen kleinen Polen derart schwer fällt, sich ohne Heimweh irgendwo zurecht zu finden?
Der Pole Ludek im neuen Buch wird endlich als Österreicher anerkannt, soll aber dafür sofort zum Militär. Nein, dazu ist er zu friedfertig, er verweigert und wird Pfleger im Altenheim „Weiße Tulpe“. Und siehe da, der Umgang mit den lieben und bösen, den klugen und den verrückten Alten lehrt ihn wieder, Fuß zu fassen. Er zerreißt seinen Rückfahrschein nach Polen, wäscht seiner dominanten Mutter ordentlich den Kopf und isst noch eine Portion Palatschinken. Geht doch, das Leben.
Die Sprache von Radek Knapp ist so wenig geschliffen wie seine Gedanken: da tastet sich einer vorwärts, aber immer mit einem Lächeln, mit einer grundsätzlichen Menschenliebe, mit Neugier und Respekt, und den Tieren im Zoo erzählt er auf Polnisch sein Leben - fasziniert hören sie zu, so wie wir fasziniert und berührt ein Buch lesen, das uns einer schenkt, der eine Mischung aus Grimmelshausen, Don Quijote und Parsifal ist: ein suchender, liebender, fragender Mensch ohne jede Eitelkeit.
Was für ein seltenes Juwel.
Elke Heidenreich, Okt. 2015
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