Interview mit François Roux zu seinem Roman „Die Summe unseres Glücks“
Um was geht es in Ihrem Roman?
François Roux: Mein Roman beschreibt über einen Zeitraum von etwa dreißig Jahren den Werdegang von vier Männern, die seit ihrer Kindheit befreundet sind. Zu Beginn der Geschichte sind sie gerade 18 Jahre alt, es ist der 10. Mai 1981, der Tag, an dem François Mitterrand zum Präsidenten gewählt wird. Die Leben meiner vier Figuren begegnen dem Lauf der Welt – die große Geschichte beeinflusst die kleinen Geschichten der Leute.
Was hat Sie an dieser Zeit und diesem Thema besonders fasziniert?
FR: In „Die Summe unseres Glücks“ wollte ich Zeugnis für meine Epoche ablegen, und das auf die einzige Weise, die mir möglich ist – in Form eines Romans. Die verschiedenen Berufe, die ich meinen Figuren gegeben habe, haben es mir möglich gemacht, als Schriftsteller die in meinen Augen essentiellen sozialen Probleme zu thematisieren.
An diesem Ansatz, der eine bestimmte Art der Literatur mit investigativem Journalismus verbindet, interessiert mich besonders, das Leben der Leute aus allen sozialen Bereichen zu zeigen und dann zu schauen, wie sie in einem bestimmten ökonomischen Kontext, in einer bestimmten Epoche zurechtkommen, wie sie es schaffen, mehr oder weniger glücklich zu sein.
Sind Sie nicht auch über die große Anzahl der Bücher überrascht, die das Wort „Glück“ beinhalten? Ist das ein paradoxes Symptom der Verdrossenheit der Epoche?
FR: Es ist eigentlich eine Banalität zu sagen, wir befinden uns in einer schweren Zeit der Krise, und das schon seit einigen Jahren. In einer Krise der Politik, der Ökonomie, einer Krise der Institutionen, aber auch der Moral. In unserer Gesellschaft, die relativ reich ist, verkaufen uns bestimmte Medien und die Werbung im Speziellen das Konzept des Glücks. Und, was viel gefährlicher ist, sie machen uns glauben, dass wir ein Recht auf Glück hätten, das inzwischen eine Art legitime Forderung für jeden von uns geworden ist. Das Glück macht von sich reden. In diesem Zusammenhang ist es nur logisch, dass es auch in den zahlreichen Titeln in den Buchhandlungen enthalten ist. In dem Wort Glück schlägt sich die Hoffnung nieder wie nirgendwo sonst.
Wie nehmen Sie das wahr, was heute in der Politik passiert im Vergleich zu den Geschehnissen vor 30 Jahren?
FR: Der 10. Mai und die Wahl von Mitterand waren Momente von unglaublicher Euphorie – und der Ablehnung, natürlich – aber es war gleichzeitig der Beginn einer Ära, die meines Erachtens bis heute andauert. Natürlich verändern sich die Dinge. Aber ich habe den Eindruck, dass es seit 1981 eine Art andauerndes Debakel gibt. Ein sehr fundamentaler Unterschied zwischen der damaligen und unserer heutigen Zeit besteht jedoch meines Erachtens darin, dass das Bild der Leute von der Politik sich stark verschlechtert hat. In den 80ern glaubte man noch, dass politisches Handeln die Welt verändern, vielleicht sogar retten könnte. Heute wissen wir, dass es nicht allein in den Händen eines Staates liegt, dass sich die Dinge bewegen. Schlimmstenfalls sind wir heute Defätisten und glauben an nichts mehr, am wenigsten an die Kraft der Politik. Im besten Fall glauben wir, dass es andere Mittel gibt, wie zum Beispiel unabhängige Bürgeraktionen.
Was hat sich in der Kultur der 2000er-Jahre verändert?
FR: Was die Kultur anbelangt, sind die 2000er Jahre für immer durch ein Attentat mit symbolkräftiger Wirkung geprägt, den Anschlägen vom 11. September. Dieses Ereignis bündelt nach wie vor alle Ängste, alle Zweifel, alle Unsicherheiten, mit denen wir seitdem leben. Seither sind wir Zeuge eines Versuchs des Rückzugs, der Abschottung. Das spiegelt sich sowohl in der Politik wider, als auch in der Kultur. Was die Literatur angeht, zumindest die französische, sind die 2000er-Jahre stark geprägt von der Repräsentation des Egos. Man schreibt von Sex, vom Selbst; es ist eine Zeit der Autofiktion. Ich denke dabei an Catherine Millet, Christine Angot, Frédéric Beigbeder, Michel Houllebecq. Und zugleich werden viele sehr intime Geschichten geschrieben, was ein wenig in die gleiche Richtung läuft. Jetzt erst ist es soweit, glaube ich, dass französische Autorinnen und Autoren bereit sind, mit dem auf Tuchfühlung zu gehen, was einige „Weltliteratur“ nennen.
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