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Donnerstag, 31. Juli 2014 von Piper Verlag


Exklusiver Kurzkrimi „Späte Rache“ von Barbara Wendelken

Für ihre begeisterten Krimi-Leser hat die Autorin Barbara Wendelken noch ein besonderes Extra: einen Kurzkrimi, der Lust auf noch mehr Bücher von ihr macht!

Späte Rache

Frieda Ralle saß in ihrer Küche und genoss den ersten Kaffee des Tages. Vor ihr lag die Liste mit den Dingen, die noch bis Sonntag erledigt werden mussten. Sie liebte Listen. Und noch mehr liebte sie es, die einzelnen Posten darauf mit einem roten Stift abzuhaken. Die Farbe Rot verlieh ihren Häkchen etwas Wichtiges, Endgültiges. Vier Tage noch bis zum Tag der offenen Gartenpforte. Bislang lief alles generalstabsmäßig. Frieda hatte vier Bleche Butterkuchen beim Bäcker bestellt, Tee und Kaffee würden zwei ihrer Nichten ausschenken, die Bierzeltgarnituren lieferte ein Zeltverleiher, das Geschirr ein Partyservice. Das Unkraut in den Beeten war sorgfältig gezupft, der Rasen gemäht, die abgeblühten Stauden hatte sie gestern runtergeschnitten. Am Sonntag würde sie in aller Herrgottsfrühe aufstehen und ein letztes Mal das Verblühte aus den Rosenbüschen entfernen. Ihr Blick fiel auf die Uhr, Punkt acht, Zeit um die Kübelpflanzen zu gießen. 

Frieda schlüpfte in die Gartenclogs und griff nach der dunkelgrünen Kanne, die neben der Hintertür bereit stand. Wie immer ließ sie als Erstes ihren Blick durch den Garten schweifen. Rechts und links von dem Hauptweg bildeten akkurat geschnittene Buchsbaumhecken gerade Linien und rechte Winkel. Die englischen Rosen standen in Reih und Glied, sorgfältig aufgebunden an den Obelisken, die sie eigens anfertigen ließ und die alle exakt gleich aussahen. Perfekte Symmetrie. Hier war nichts dem Zufall überlassen.

Es war einer dieser Tage, an denen alles stimmte, das makellose Blau des Himmels, der für Ostfriesland ungewohnt sanfte Wind, tanzende Schmetterlinge über dem Rasen und eine Bachstelze, die über den First des Nachbarhauses stolzierte. Das Entsetzliche bemerkte Frieda erst, als sie direkt davor stand. 

Sie war tot, sie war wirklich und wahrhaftig tot.

Mit einem dumpfen Geräusch polterte die Kanne zu Boden. 

Frieda griff sich an die Kehle, konnte nicht mal schreien. Wie versteinert stand sie inmitten ihres Rosengartens, dem Paradies, wo so unerwartet das Böse Einzug gehalten hatte. Es dauerte bestimmt fünf Minuten, bis sie in der Lage war, zum Haus zu laufen und dort zum Telefon.  

„Das war Frau Ralle. In ihrem Garten liegt eine Tote.“ Renke Nordmann, Leiter des Polizeireviers in Martinsfehn, holte die Dienstwaffe aus dem Tresor. Sein Blick fiel auf Jens Stiller, den jüngsten seiner Kollegen. „Du kommst mit.“ 

Jens hatte noch nie eine Leiche gesehen. Während der kurzen Fahrt wechselte seine Gesichtsfarbe ins Grünliche und vor lauter Nervosität knöpfte er ständig die Uniformjacke auf und wieder zu. „Müssen wir nicht die Kripo benachrichtigen?“

„Erst mal gucken, was da passiert ist.“ Renke, der bis vor drei Jahren selbst bei der Kriminalpolizei gearbeitet hatte, zog es vor, sich selbst ein Bild machen, bevor er den Fall an die Kollegen übergab. „Frau Ralle war mal meine Mathelehrerin. Die hat Haare auf den Zähnen. Wir haben sie heimlich Kralle genannt. Ich glaube, sie war die meistgehasste Lehrkraft an der Schule.“

Die Ralles lebten am Rand des Fehndorfes. Ihr Haus war das größte in der Straße, als wollten sie demonstrieren, wie viel ein Diplomingenieur und eine Studienrätin zusammen verdienten. Ehe Renke klingeln konnte, riss Gerd Ralle bereits die Haustür auf. „Moin. Meine Frau sitzt in der Küche. Sie ist völlig am Ende.“ 

„Verständlich. Ich werde gleich mit ihr reden. Zuerst möchte ich aber die Tote sehen.“

„Ob sie wirklich tot ist, steht noch gar nicht fest. Ich glaub, die erholt sich wieder.“ 

„Ich nehme an, dass Sie bereits einen Notarzt gerufen haben.“

Zu Renkes Überraschung brach Herr Ralle in schallendes Gelächter aus. „Es geht um eine Rose!“

„Eine Rose? Sind Sie sicher? Ihre Frau hat von einer Gertrud gesprochen.“ 

„Gertrude Jekyll“, verbesserte Gerd Ralle. „Ihre Lieblingsrose. Die ist offenbar einem Anschlag zum Opfer gefallen. Am besten schauen Sie sich das selbst an.“ Er führte die beiden Polizisten in den Garten. 

Ein Blick genügte um zu wissen, um welche Rose es sich handelte. Sie bot einen mehr als traurigen Anblick. Den Optimismus bezüglich ihres Überlebens konnte Renke nicht nachvollziehen. Sämtliche Blätter und Blüten waren zusammengeschrumpelt und braun verfärbt. 

„Gestern stand sie noch in voller Blüte“, murmelte Gerd Ralle. „Es ist nicht zu fassen.“ 

Unter der Pflanze lag ein Teppich aus abgefallenen Blättern und Blüten und während Renke die Rose anstarrte, segelten zwei weitere Blätter zu Boden. Er beugte sich vor und schnupperte. Der Geruch nach Essig war unverkennbar. „Da hat jemand was gespritzt. Einen dieser Unkrautvernichter, nehme ich an.“ 

„Das war Margret!“ gellte eine Stimme über den Rasen. Frieda Ralle näherte sich mit großen, wütenden Schritten, eine Hand nach vorn gestreckt, den Finger auf die Rose gerichtet. Ihr dünnes, weißes Haar wehte im Wind. „Das war Margret! Margret Simon!“

Gerd Ralle war das Verhalten seiner Frau sichtlich unangenehm. „Frieda. Das kannst du doch nicht einfach so behaupten.“ 

„Und ob ich das kann. Renke, du fährst da jetzt hin und verhaftest Margret.“

Dass seine ehemalige Lehrerin ihn mit größter Selbstverständlichkeit duzte, obwohl er demnächst seinen vierzigsten Geburtstag feiern würde, ärgerte Renke. Noch mehr ärgerte es ihn, dass sie ihn behandelte, als wäre er immer noch ihr Schüler. Deshalb ließ er sich bewusst Zeit mit einer Antwort. „Wir reden hier von einer Sachbeschädigung, Frau Ralle“, erklärte er schließlich kühl und ein bisschen von oben herab. „Da wird niemand verhaftet. Mir erschließt sich auch nicht, warum Frau Simon so etwas tun sollte.“ 

„Ganz einfach.“ Sie lachte böse. „Am Sonntag ist der Tag der offenen Gartenpforte. Margret macht da seit Jahren mit, als bislang Einzige in Martinsfehn. Und darauf bildet sie sich sonst was ein. Jetzt hat sie wohl in der Zeitung gelesen, dass ich meinen Garten diesmal auch der Öffentlichkeit zugänglich machen werde und das passt ihr nicht. Margret ist neidisch. Das war sie schon immer.“ 

„Frieda“, zischte ihr Ehemann erneut und schaute betreten zur Seite. 

Dunkel erinnerte Renke sich an den Zeitungsartikel vom letzten Wochenende. Traumhafter Rosengarten in Martinsfehn. Die rosarote Idylle auf den Fotos hatte so einladend gewirkt, dass er seiner Tochter Aleena spontan vorgeschlagen hatte, am Sonntag den Garten zu besichtigen. Die Sechzehnjährige hatte nur die Augen verdreht und: „Vergiss es, Papa“, gestöhnt.  

„Margret wusste genau, wie sie mich treffen kann. Die Gertrude Jekyll ist die schönste Rose von allen“, zeterte Frau Ralle. „Die Königin. Alle haben ihr Bild in der Zeitung gesehen. Wie stehe ich jetzt da?“

Beruhigend legte ihr Mann seine Hand auf ihren knochigen Rücken. „Wir sagen unsere Teilnahme einfach ab.“

„Ganz bestimmt nicht. Hol mir die Rosenschere, ich werde sie runterschneiden. Es hilft ja nichts. Immerhin leben die anderen Rosen noch.“ Ihre schmalen grauen Augen verhakten sich in Renkes Gesicht. „Wenn du nichts unternimmst, werde ich selbst für Gerechtigkeit sorgen.“  

„Frieda“, ermahnte ihr Mann, inzwischen zum dritten Mal. 

„Halt den Mund. Ich brauch die große Rosenschere. Und die Lederhandschuhe.“ 

„Wie wäre es mit einem Schild an der Gartenpforte: Wegen Trauerfall geschlossen“, kicherte Jens, nachdem sie das Haus verlassen hatten.  

„Gute Idee. Das Ganze hat natürlich eine Vorgeschichte. Frieda Ralle hat vor langer Zeit ihrer damals besten Freundin Margret den Bräutigam ausgespannt, unmittelbar vor der Hochzeit. Als Frieda getraut wurde, hat Margret ihr Brautkleid vor der Kirche verbrannt.“

„Oh. Klingt dramatisch.“

„War es vermutlich auch. Übrigens ging es um ihn.“ Mit dem Daumen wies Renke über seine Schulter zum Haus. 

Kein Wunder, dass Jens ungläubig lachte. Dass zwei Frauen sich um diesen kleinen, pummeligen Mann gezankt hatten, schien kaum mehr vorstellbar. 

„Es gibt noch mehr Geschichten. Margret hat das Auto ihrer Rivalin zerkratzt. Die hat ihr dafür eine Ladung Schweinemist vor die Tür kippen lassen.“

„Also könnte es tatsächlich diese Margret Simon gewesen sein?“

„Möglich.“ 

Um kurz nach zwölf erschien Ingo Simon im Revier. Sein Haar stand in alle Richtungen vom Kopf ab, als hätte er gerade in eine Steckdose gegriffen.  „Ich möchte Anzeige erstatten gegen Frieda Ralle. Sie hat meine Mutter mit einem Spaten attackiert. In unserem Garten. Vor zwei Stunden.“ Mit der rechten Hand fuhr er sich durch das wirre Haar. „Meine Mutter liegt im Krankenhaus, schwere Gehirnerschütterung und eine Platzwunde am Hinterkopf. Zum Glück besteht keine Lebensgefahr. Der Spaten lehnt noch an unserem Schuppen. Ich hab ihn nicht angerührt.“

Renke holte den Spaten persönlich ab. Das Holz am Griff war spiegelglatt, wie poliert. Er hoffte, dass sich darauf Fingerabdrücke nachweisen ließen. 

Sein nächster Weg führte zur Raiffeisengenossenschaft. Helma, die dort verkaufte, war mit ihm zur Schule gegangen. 

„Sag mal, Helma, gibt es Unkrautvernichter, der nach Essig riecht?“

Sie nickte. „Ja, wir haben da ein ganz neues Präparat. Wird nicht so oft gekauft, weil es so teuer ist, soll aber innerhalb von wenigen Stunden alles vergehen lassen.“ 

„Hat Margret Simon zufällig in letzter Zeit …“

„Margret doch nicht. Die verwendet keine Chemie. Aber weißt du, wer das Zeug letzten Montag gekauft hat, gleich zwei Flaschen? Ich hab mich noch gewundert.“ Sie beugte sich vor und flüsterte Renke den Namen ins Ohr. „Von mir hast du das nicht.“

In den weißen Schleiflackfronten der Küche konnte man sich spiegeln. Frau Ralle saß am Tisch, genauso kerzengerade, wie sie früher hinter dem Lehrerpult gethront hatte. Alt war sie geworden, hatte dabei aber nichts von ihrer Autorität eingebüßt. „Hallo Renke, ich hab schon auf dich gewartet. Ich gestehe alles.“

„Frieda, was redest du denn da?“ Es klang entsetzt. „Meine Frau war den ganzen Tag zu Hause. Das kann ich bezeugen.“ 

Mit einem verächtlichen Schnauben brachte sie ihren Mann zum Schweigen. „Sei still. Wenn ich eins hasse, dann Unehrlichkeit. Ich wollte Margret zur Rede stellen. Sie hat frech gelacht und alles geleugnet. Der Spaten lehnte am Schuppen, als hätte er dort auf mich gewartet.“ Entschlossen streckte sie Renke ihre mageren Handgelenke entgegen. „Du kannst mich verhaften. Ich bereue nichts. Es hat mir sogar Spaß gemacht.“

„Verwenden Sie in Ihrem Garten eigentlich Unkrautvernichter?“ 

Die Frage schien Frau Ralle zu irritieren. „Natürlich nicht. Wir sind Rentner und haben Zeit genug für die Gartenarbeit. Außerdem halte ich nichts von diesem ganzen Giftzeug.“

Wie beiläufig ließ Renke seinen Blick zu Ihrem Ehemann wandern. „Warum haben Sie letzten Montag zwei Flaschen davon gekauft?“ Er nannte den Namen des Präparats. 

Für einen Moment herrschte Stille, dann ballte Gerd Ralle die rechte Hand zur Faust und schlug damit auf den Tisch, ganz zaghaft. „Tag der offenen Gartenpforte, in unserem Alter! Ich bin Rentner und ich will meine Ruhe. Stattdessen muss ich Tische und Bänke schleppen, Rasen mähen, den Buchsbaum scheren und zugucken, wie wildfremde Leute durch meinen Garten trampeln.“ Trotzig schaute er seine Frau an. „Konnte ich ahnen, dass du die arme Margret niederschlägst?“

„Die arme Margret? Fängt das schon wieder an?“ 

Nur mit einem Hechtsprung konnte Renke verhindern, dass Frau Ralle, die plötzlich eine Rosenschere in der Hand hielt, sich auf ihren Ehemann stürzte. 

An diesem Abend beschwerte Aleena sich über eine schlecht benotete Erörterung. „Total ungerecht! Ich hasse meine Deutschlehrerin!“

Ihr Vater lachte. „In deinem Alter habe ich meine Mathelehrerin gehasst, aus tiefster Seele. Heute musste ich ihr Handschellen anlegen. Hat sich super angefühlt.“ 


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