Aufmerksamkeit und Emphatie orientieren sich an Machtbeziehungen. Führungskräfte laufen Gefahr eine Empathiestörung zu entwickeln, meint Daniel Goleman, Autor des Buches „Konzentriert Euch!“
Stellen Sie sich zwei Personen vor, die in derselben Firma arbeiten wie Sie: Die eine ist eine oder zwei Hierarchieebenen unter, die andere eine Ebene über Ihnen. Angenommen, Sie würden von jedem der beiden eine E-Mail erhalten. Wie lange dauert es, bis Sie die Mails beantworten?
Auf die Mail von dem mit der höheren Position reagieren Sie wahrscheinlich sofort. Und auf die von der Person der niedrigeren Hierarchiestufe antworten Sie erst, wenn es sich gar nicht mehr rausschieben lässt. Anhand solcher unterschiedlichen Reaktionszeiten konnte man in einem Unternehmen die Hierarchiestruktur nachzeichnen.
Gleichzeitig spiegelt sich darin aber auch ein allgemeineres Prinzip wider: Denen, die größere Macht haben als wir selbst, widmen wir mehr Aufmerksamkeit – und jene, die weniger Macht haben, nehmen wir auch weniger zu Kenntnis. Sehr krass zeigt sich der Zusammenhang zwischen Macht und Aufmerksamkeit schon bei ganz einfachen Interaktionen, beispielsweise wenn zwei Menschen sich zum ersten Mal begegnen. Schon nach einem fünfminütigen Gespräch sendet die Person mit der höheren gesellschaftlichen Stellung in der Regel weniger Aufmerksamkeitssignale wie Blickkontakt oder Nicken aus als diejenige, die gesellschaftlich niedriger steht.
Eine solche unterschiedliche Aufmerksamkeit beobachtet man sogar bei Collegestudenten aus wohlhabenden und ärmeren Familien. Die Reaktionszeiten auf E-Mails wurden anhand der gesamten E-Mail-Datenbank des Enron-Konzerns analysiert, die den Wissenschaftlern nach dem Zusammenbruch des Unternehmens zugänglich war. Das Programm zum Nachweis der sozialen Verflechtungen in Unternehmen mittels der E-Mail-Analyse wurde an der Columbia University entwickelt und erwies sich als bemerkenswert zuverlässig.
Wenn Aufmerksamkeit sich an Machtbeziehungen orientiert, ist auch die Empathie davon betroffen. Bei Fremden, die sich gegenseitig etwas über Scheidungen oder andere schmerzliche Erlebnisse erzählten, brachte die weniger mächtige Person mehr Empathie zum Ausdruck. Unterschiede findet man auch bei einem anderen Maßstab für Empathie, nämlich der Fähigkeit, die Gefühle eines Menschen aus dem Gesichtsausdruck und anderen Signalen abzuleiten: Personen mit niedrigerer Stellung sind darin geschickter als solche in höheren Positionen. Diese Tatsachen aus dem zwischenmenschlichen Bereich stellen für Führungskräfte ein Risiko dar, denn am leistungsfähigsten sind diejenigen unter ihnen, die über herausragende, auf Empathie basierende Fähigkeiten verfügen: Überzeugungskraft und Einfluss, Motivation und die Fähigkeit zum Zuhören, zu Teamwork und Zusammenarbeit.
Es gibt drei Formen der Empathie. Die erste ist kognitiver Natur: Wir spüren, was ein anderer über die Welt denkt, und können dann unsere Aussagen in Worte fassen, die gut verstanden werden. Zweitens gibt es die emotionale Empathie: in uns hallen die Gefühle des anderen wider. Und drittens besitzen wir empathische Fürsorge: Wir bringen zum Ausdruck, dass uns am anderen etwas liegt, indem wir da helfen, wo wir Hilfe für nötig halten. Anzeichen dafür, dass eine Führungskraft in einem dieser Bereiche oder auch mehreren ein Empathiedefizit hat, erkennt man am besten daran, wie das Handeln dieser Person sich auf die Untergebenen auswirkt. Zu den häufigsten Anzeichen gehören die folgenden:
- Anweisungen oder Vermerke, die dem Empfänger sinnlos erscheinen, sind ein Zeichen dafür, dass der Chef nicht begreift, wie die Mitarbeiter die Welt sehen, und er sich nicht auf ihre Sprache einstellen kann. Ein weiteres Anzeichen für mangelnde kognitive Empathie: Strategien, Ziele oder Planungen scheinen denen, die sie umsetzen sollen, wenig sinnvoll zu sein oder an der Sache vorbeizugehen.
- Verlautbarungen oder – noch schlimmer – Anweisungen, über die sich die Empfänger ärgern, kennzeichnen einen Chef, der die emotionale Befindlichkeit der Mitarbeiter nicht genau erfasst, und der den Empfängern daher ahnungslos erscheint.
- Wer eine Haltung an den Tag legt, die kaltschnäuzig wirkt oder gegenüber den Problemen, mit denen die Mitarbeiter zu kämpfen haben, realitätsfern zu sein scheint, zeigt damit einen Mangel an empathischer Fürsorge. Wenn Mitarbeiter den Eindruck haben, dass dem Chef nichts an ihnen liegt, gehen sie in die Defensive und haben Angst, neue Ideen zu äußern oder andere Risiken einzugehen.
Am größten ist die Gefahr, dass sich eine Empathiedefizitstörung entwickelt, wohl für Führungskräfte auf höheren Hierarchieebenen. Das hat einen einfachen Grund: Je weiter man aufsteigt, desto weniger Menschen gibt es, die aufrichtig sind und einem freimütig Rückmeldung geben, wie man auf andere wirkt. Eine Möglichkeit, ein solches Empathiedefizit zu vermeiden, ist, einer Gruppe beizutreten, die Bill George von der Harvard Business School „Kompassgruppen“ nennt: hier erhalten die Teilnehmer ehrliche Rückmeldungen von Personen, die sie gut kennen.
Eine andere ist der Aufbau eines informellen Netzwerks von Kollegen, die (vielleicht weil sie nicht zum gleichen Unternehmen gehören) ehrlich sind und mit denen man regelmäßig Kontakt pflegt – oder auch mit vertrauenswürdigen Freundinnen und Freunden aus allen Ebenen der eigenen Firma. Kontaktfreudige Führungskräfte, die auf ihre Mitarbeiter zugehen und sich bemühen, sie ungezwungen kennenzulernen, immunisieren sich gegen das Empathiedefizit. Das Gleiche gilt für jene, die ein Betriebsklima schaffen, in dem die Mitarbeiter angstfrei aufrichtig sein können – und zwar auch gegenüber dem Chef.
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