Für immer
Eine kleine Liebesgeschichte von Rowan Coleman
Für immer
Es war immer noch da, eingeritzt in die Rinde des Baumes. Vor zwanzig Jahren hatte hier ein Junge einem Mädchen gesagt, er werde sie für immer lieben, und zum Beweis ein Herz mit seinen und ihren Initialen in den Baum geschnitzt.
„Das war eine schöne Zeit. Ich vermisse sie“, gestand Sarah ihrem Hund Hal, der seine Schnauze zwischen die Wurzeln der großen alten Eiche steckte. „Ich vermisse das Gefühl der Vorfreude, der Erwartung. Damals hatte ich noch alles vor mir. Und dann ist man auf einmal vierunddreißig und steckt mittendrin im Leben. Job, Haus, Schulden, tägliches Pendeln. Weißt du noch? Früher habe ich immer davon geträumt, eigene Hühner zu haben und einen Roman zu schreiben. Natürlich weißt du das nicht. Du bist ja erst sieben, und außerdem bist du ein Hund.“
Plötzlich spitzte Hal die Ohren und sah sich aufmerksam um. Jenseits des Feldes war noch ein Hund mit Herrchen. Sarah war extra in aller Frühe mit Hal rausgegangen, um möglichst niemandem zu begegnen. Hal war nämlich ein Stadthund, und jedes Mal, wenn sie Sarahs Eltern besuchten, wurde er ein bisschen wild, als wittere er Abenteuerluft. Er schoss auf den anderen Hund zu, um zu spielen. Sarah hoffte, dass der andere Hund einigermaßen robust war. Von dem Yorkshire Terrier neulich hatte man das nicht behaupten können.
Sie folgte Hal, um ihn bei Fuß zu halten, und überlegte, ob sie sich von ihm vielleicht eine Scheibe abschneiden sollte. Vor zehn Jahren hatte sie kaum abwarten können, endlich hier weg zu kommen, in die Großstadt, um dort ihr Leben richtig anzufangen. Ihre Kindheitsträume davon, ein Buch zu schreiben und Hühner zu halten, waren ihr in dem Moment tatsächlich nur kindisch erschienen. Wie sie jetzt allerdings so den stahlgrauen Himmel betrachtete, der sich unendlich über ihr ausstreckte und weiteren Regen versprach, empfand sie sogar die durch die Nähte in ihre Schuhe eindringende Nässe als angenehm belebend.
„Tu’s doch einfach“, flüsterte Sarah, während sie sich dem anderen Spaziergänger und seinem Hund näherte. „Trau dich. Mach dich selbstständig, verkauf die Wohnung. Leiste eine Anzahlung auf den alten Millard-Hof, der kostet nur einen Apfel und ein Ei. Okay, hat auch kein Dach mehr. Aber der Garten ist riesig, da ist genug Platz für Hühner. Und für den Hund. Na, los. Komm schon. Trau dich.“
Sarah hielt die Luft an und blieb kurz stehen, als ihr klar wurde, dass das kein Luftschloss bleiben musste. Ganz kurz hatte sie das Gefühl, zu fallen, und sie empfand etwas, was sie schon seit Jahren nicht mehr empfunden hatte: freudige Erwartung.
„Entschuldigung!“ Der andere Spaziergänger winkte, als Hal an ihren Beinen vorbei peste, dicht gefolgt von einem Setter.
„Tut mir Leid, sie ist ein bisschen ungestüm“, sagte er.
„Findet er toll.“ Sarah lächelte den Mann an und sah dann noch mal genauer hin. Er kam ihr bekannt vor.
„Sarah?“ Er kam einen Schritt auf sie zu. „Sarah Taylor! Du hast dich ja überhaupt nicht verändert!“
„David Hurst. Das ist aber lange her.“ Sarah lachte und lief rot an. „Ich bin nur ...“
Hal und der Setter rasten wieder an ihnen vorbei.
„Zu Besuch?“, fragte David.
„Wieder zu Hause.“ Sarah lächelte.
Schweigend sahen sie einander an, und Sarah musste an einen ersten Kuss denken, in einem Sommer vor vielen Jahren, unter einer alten Eiche.
„Es ist immer noch da“, sagte David.
„Ich weiß.“ Sarah lachte.
„Gehen wir ein Stück?“ Er zeigte auf den Pfad durch das hohe Gras. „Unsere Hunde scheinen sich ja prächtig zu verstehen.“
„Ja, gerne“, sagte Sarah.
Als sie an der Eiche vorbeikamen, konnte sie es nicht lassen. Sie musste noch einen Blick auf das in die Rinde geritzte Herz und die Botschaft darin werfen.
DH & ST FÜR IMMER
Vielleicht war für immer jetzt.
Übersetzung: Marieke Heimburger
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