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Wiederkehr (Eifel-Krimis  6)Wiederkehr (Eifel-Krimis  6)

Wiederkehr (Eifel-Krimis 6)

Martina Kempff
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Ein Eifel-Krimi

„Wortwitz, skurrile Typen und absonderliche Situationen sorgen für großen Lesespaß.“ - Ruhr Nachrichten

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Wiederkehr (Eifel-Krimis 6) — Inhalt

Auf einer Begräbnisfeier in Katja Kleins „Einkehr“ will ein Fremder unbedingt mit der Hinterbliebenen Petronella Schröder sprechen. Sofort, denn schon morgen könnte es zu spät sein. Nach der Unterredung ist Petronella verstört und eine Stunde später wird der Unbekannte in ihrem Gartenhaus tot aufgefunden. Er wurde vergiftet. Vieles spricht dafür, dass Petronella den unliebsamen Besucher auf dem Gewissen hat – mehr jedoch dafür, dass der Verstorbene noch aus dem Grab heraus die Strippen zieht …

€ 9,99 [D], € 10,30 [A]
Erschienen am 11.05.2015
272 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-30601-0
Download Cover
€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 11.05.2015
272 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-96968-0
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Leseprobe zu „Wiederkehr (Eifel-Krimis 6)“

1

„Nein! Naa… hein!“

Schreie in äußerster Verzweiflung. Vor Schreck fällt mir die Dose Holzlasur, mit der ich unsere Restauranttür streichen wollte, aus der Hand. Ich achte nicht auf die dickflüssige Masse, die sich über die Stufen der Einkehr ergießt, sondern eile mit dem tropfenden Pinsel in der Hand hinters Haus.

„Was ist los?“

Gudrun ist vor unserem Kräuterbeet hinter dem Lokal auf die Knie gefallen und jammert leise vor sich hin. Sie sieht unverletzt aus. Jedenfalls von hinten. Beunruhigt lasse ich meinen Blick schweifen. Ich sehe nicht den Hauch einer [...]

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1

„Nein! Naa… hein!“

Schreie in äußerster Verzweiflung. Vor Schreck fällt mir die Dose Holzlasur, mit der ich unsere Restauranttür streichen wollte, aus der Hand. Ich achte nicht auf die dickflüssige Masse, die sich über die Stufen der Einkehr ergießt, sondern eile mit dem tropfenden Pinsel in der Hand hinters Haus.

„Was ist los?“

Gudrun ist vor unserem Kräuterbeet hinter dem Lokal auf die Knie gefallen und jammert leise vor sich hin. Sie sieht unverletzt aus. Jedenfalls von hinten. Beunruhigt lasse ich meinen Blick schweifen. Ich sehe nicht den Hauch einer Bedrohung, weder durch einen Menschen noch durch ein Tier, auch nicht durch einen herabstürzenden Windradflügel oder ein aufziehendes Unwetter.

„Was ist los, Gudrun?“

Langsam wendet sie ihren Kopf. Noch nie habe ich in ihrem Blick so viel Abscheu und Trauer gesehen.

„Unsere Trolle sind weg!“

„Unsere was?“

„Die Trolle. Die bisher unsere Pflanzen geschützt haben. Irgendwas hat sie vertrieben. Sieh selbst.“ Wütend beginnt sie, kahle Stängel aus der Erde zu rupfen. An dieser Stelle haben vor dem gestrigen Wolkenbruch büschelweise Basilikum, Petersilie, Mangold, Sellerie und andere Würzkräuter gestanden. „Oder hast du eine bessere Erklärung dafür, dass die Nacktschnecken jetzt auch bei uns sind? Sieh mal, hier ist so ein ekliges Ding!“

Sie lässt ihre Kräuterschere niedersausen und hält mir dann das an einer Klinge aufgespießte Schleimtier unter die Nase. Ich weiche einen Schritt zurück.

„Ist wirklich fies.“

„Hunderte lauern da jetzt, Tausende. Wir werden unsere Kräuter in Zukunft kaufen müssen. Womit nur haben wir die Trolle vergrault? Was haben wir ihnen angetan?“

„Ich glaube nicht an Trolle, Gudrun, sondern an Schneckenwanderung.“

„Was soll das denn sein?“

„Vor ein paar Jahren wurden die ersten Schnecken in Hallschlag gesichtet, und dann sind sie die Straße zur Kehr heraufgekrochen. Es ist doch nur logisch, dass sie irgendwann bei uns ankommen. In ein paar Tagen haben sie Belgien erreicht.“

Dafür müssen sie schließlich nicht sehr weit kriechen, nur die paar Meter bis zur Grenze. Die besteht aus der Bundesstraße 265 und ist hier in der Schneifel viel zu schwach befahren, um den Vormarsch der obdachlosen Schnecken ins Königreich Belgien aufhalten zu können.

„Wie kannst du das nur so locker sehen, Katja?“

„Tue ich ja gar nicht. Ich finde diese Viecher auch widerlich. Wir müssen sie bekämpfen.“

„Etwa so?“ Sie schließt die Schere, schüttelt sie kurz und lässt zur Rechten und zur Linken ein halbes Schleimtier heruntersinken. Sollen mit diesem befleckten Werkzeug danach etwa Kräuter geschnitten werden? Die harten Mediterranen wie Rosmarin, Thymian und Salbei sind schließlich noch unangeknabbert.

„Nicht mit der Schere!“, bestimme ich. Mein Blick fällt auf den Hackblock. „Schnecken sind doch nachtaktiv, oder etwa nicht?“

„Ja, schon, aber was nützt uns das?“

„Dass man sie dann wegmachen kann.“



Die Stunde null

Im Licht der Stirnlampe von Heins Fahrradhelm verschaffe ich mir einen Überblick über meine Feinde. Die Nacht hat den gepflasterten Weg zu unserem Kräuterbeet in eine temporeduzierte Straße für rotbraune Weichtiere verwandelt. Plopp, plopp, plopp singt mein Hackebeil auf dem Stein. Angeekelt, aber mit grimmiger Freude lösche ich ein Leben nach dem anderen aus. Nacktschnecken sind anders als Regenwürmer – die beiden Teile kriechen jetzt nicht einfach weiter.

Als die einseitige Schlacht geschlagen ist, haue ich das Beil wieder in den Hackblock. Und sehe dann, wie sich zwei entkommene Nacktschnecken über die gekrümmte Leichenhälfte einer Artgenossin hermachen. Ohne Kannibalen ist die Welt ein besserer Ort, denke ich, lasse aber die beiden Schneckenfresser vorerst noch am Leben. Morgen ist auch noch eine Nacht. Wer sich den Magen an seinesgleichen vollschlägt, erspart mir die Entsorgung der schleimigen Reste.

Ich kehre zu meinen Freunden ins erleuchtete Restaurant zurück.

„So, jetzt habe ich aus einer ganzen Kolonie von Nacktschnecken Hackfleisch gemacht!“

„Was du demnächst deinen Gästen servieren wirst?“, erkundigt sich Hein.

Jupp sieht ihn strafend an. „Würde Katja doch nie tun.“

„Hättest du ihr denn zugetraut, mit dem Hackebeilchen ein Nacktschneckenmassaker anzurichten?“

„Manchmal muss man zu brutalen Methoden greifen, um sich, die Seinen und die Petersilie zu schützen“, erwidere ich. „Außerdem habe ich zwei Schnecken begnadigt.“

„Katja Klein, die Herrin über Leben und Tod auf der Kehr“, spottet Hein.

Gudrun schüttelt unablässig den Kopf. „Die Trolle haben uns verlassen. Ich sage euch, das ist jetzt der Anfang von was ganz Schlimmem.“



Donnerstagnachmittag

„Hier kommt Jakob hin.“ Petronella Schröder stellt die graue Urne mitten auf den Platzteller am Kopfende der gedeckten langen Tafel. Liebevoll streichelt sie die goldene Mäanderbordüre unterhalb des Deckels. „Ein Symbol für die Ewigkeit. Findest du nicht auch, Katja, dass diese ordentliche eckige Welle besser zu Jakob passt als die betenden Hände?“

Ich finde, ein Schälchen Schwarzwurzel-Ingwersuppe passt besser auf den Platzteller als das, was von Jakob Perings nach der Feuerbestattung übrig geblieben ist. Wie aber bringe ich das der Hinterbliebenen zartfühlend bei? Und zwar möglichst flott, denn die Trauergemeinde, die am Eingang noch stehend den edlen Eifel-Aquavit aus Rockeskyll kippt, wird gleich Platz nehmen.

„Mach was!“, faucht mir Gudrun ins Ohr und stößt mir einen Ellenbogen in die Rippen. Sie zetert schon seit Tagen über „die unchristliche Verbrennerei“. Als ich – etwas zu spät – in der Kapelle nebenan auftauchte, hat sie mir eben noch ihre Sorgen um Jakobs Zukunft vor dem Jüngsten Gericht zugeraunt: „Wie soll das Fleisch denn auferstehen, wenn es sich an keinem Knochen mehr festhalten kann?“

Ich schlage vor, die Urne auf das Buffet an der Wand zu stellen. „Von da aus kann Jakob alle besser sehen, die ihm die letzte Ehre erweisen.“

„Asche hat keine Augen.“ Gudrun greift entschlossen nach der Urne. Wenn sie die Kremation schon nicht ungeschehen machen kann, dann wenigstens die Umdekorierung des von ihr gedeckten Tisches. „Außerdem machen wir uns damit strafbar. Eine Urne auf der Begräbniskaffeetafel ist in Deutschland verboten.“ Sie drückt Marcel den grauen Behälter in die Hand. „Sicherstellen!“

„Dafür bin ich nicht zuständig“, erwidert der belgische Polizeiinspektor sanft und deponiert das grau glänzende Behältnis wieder auf dem Platzteller. „Wenn die Asche eines Belgiers zur Trauerfeier in eine Kapelle auf der deutschen Seite der Kehr ausreisen darf, dann darf sie auch beim Totenkaffee in einem deutschen Restaurant auf dem Tisch stehen.“

„Danke“, flüstert Petronella unter Tränen und lässt sich auf den Stuhl fallen, den ihr Jupp fürsorglich hingeschoben hat.

„Das wird Gott dir übelholen!“, zischt Gudrun.

Ich schaue ihr tief in die Augen. „Gott ist ein Eifeler. Der hat für alles Verständnis und holt den Menschen schließlich sogar das Leben.“

Allerdings nur in der Eifel. Der Rest der Republik muss sich das Leben „nehmen“ lassen, ein Wort, das dem hiesigen Dialekt fremd bleibt und auch in vielen eigentümlichen Zusammensetzungen durch „holen“ ersetzt wird. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, dass bei uns der Arzt das Blut abholt, unser Freund Hein ständig Kredite aufholt, die Fernsehserie aufgeholt, eine Firma überholt und auf dem Land zu Marcels Bedauern kein Kaffee zum Mitholen angeboten wird.

Jakob Perings ist eines natürlichen Todes gestorben. Das Herz, das drei Jahre zuvor nach einer tragischen Angelegenheit in meinem Restaurant Einkehr schon einmal ausgesetzt hat, ist vor wenigen Tagen endgültig stehen geblieben. Vielleicht ist es vor Freude zersprungen – weil er endlich von der Frau geliebt wurde, die er schon als junger Mann angebetet, aber erst über ein halbes Jahrhundert später wiedergefunden und erobert hatte. Im hohen Alter an großem Glück zu sterben, ist schon ein tröstlicher Gedanke.

Offenbar teilen die vierzehn Gäste diese Vorstellung. Niemand stört sich an der Urne auf dem Tisch, ganz im Gegenteil, es scheint den Trauergästen sogar Freude zu bereiten, Jakob noch einmal kräftig zuprosten zu können.

Doch ganz plötzlich dämpft leichtes Unbehagen die schon recht beschwingte Stimmung. Ausgerechnet ein Spruch von Jupp ist daran schuld, ansonsten der sensibelste meiner Freunde:

„Wie schön, dass Jakob Perings nach so vielen Jahren in der Brüsseler Fremde jetzt in Eifeler Heimaterde begraben werden kann.“

Ein langer, komplizierter und gut gebauter Satz für den normalerweise eher einsilbigen vierschrötigen Mann.

„Nein!“ Petronellas Stimme ist sehr laut. „Jakob kommt nicht unter die Erde!“

„Nicht?“

Jupp läuft knallrot an und verstummt.

Das Tablett, auf dem Gudrun die Suppenschüsseln balanciert, vibriert. Ich nehme es ihr rasch ab und stelle es auf einen Nebentisch. Im Gastraum ist es mucksmäuschenstill geworden. Alle starren auf Petronella.

„Wenn doch der Schnee kommt …“, beginnt sie, bricht ab und blickt in lauter verständnislose, von Eifel-Aquavit und Sommerhitze gerötete Gesichter.

„Nach meiner Hüft-OP …“

„Jetzt ist sie total durchgeknallt“, flüstert mir Hein zu.

„Und dann noch ohne Auto …“

„Tut mir so leid“, murmelt Jupp, eilt zu ihr hin, schenkt ihr ein Glas Wasser ein und reicht es ihr mit zitternden Pranken.

„Mir auch!“, klagt die große Liebe des alten Perings. „Ich kann doch nicht auf den Friedhof, für mit ihm zu sprechen! Viel zu weit. Wie soll ich da hinkommen?“ Sie stellt das Glas Wasser ab, umfasst die Urne mit beiden Händen und zieht sie sich ans Herz. „Also bleibt Jakob bei mir zu Hause in Krewinkel. Neben seinem Lieblingsbuch auf dem Regal in der Schrankwand. Überm Fernseher.“

„Das ist gut“, sagt Jupp. „Da wird er immer frische Blumen haben.“

„Gruselig“, entfährt es Gudrun.

Hein packt sie am Arm. „Ein Skelett im Grab ist viel gruseliger“, raunt er ihr zu. „Wenn du da keine dicke Marmorplatte drauflegst, könnte es bei Vollmond rausklettern. Aber vielleicht ersetzt es dir die Trolle und vertreibt die ekligen Nacktschnecken.“

Gudrun reißt sich los und flüchtet in die Küche.

Marcel räuspert sich. „Wie gut, dass uns der Gesetzgeber in Belgien selbst wählen lässt, ob man nach dem Tod seine Asche auf einer Wiese, in einem Gewässer oder unter seinem Lieblingsbaum verstreut haben will.“ Er schenkt Petronella einen liebevollen Blick. „Oder dass die Hinterbliebenen die Urne zu Hause behalten können. In der Bundesrepublik ist das verboten.“

Ich zucke zusammen. Der Mann aus der DG, also der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, spricht das letzte Wort so aus wie die synchronisierten Nazis in amerikanischen Kriegsfilmen. Mit sanfter Stimme fährt er fort: „Wieder mal ein gutes Beispiel dafür, dass ihr Deutschen nicht einmal über den Tod hinaus über euch selbst bestimmen könnt.“

Allgemeiner Beifall von den belgischen Gästen, zustimmendes Gemurmel von einigen Deutschen, und die gute Stimmung ist wiederhergestellt.

Nachdem ich die Suppe verteilt habe, winkt mich Petronella zu sich.

„Bitte setz dich endlich hin, Katja.“ Sie deutet auf den Stuhl vor der Urne. „Ihr habt das hier alles so schön gemacht. Genau, wie Jakob es wollte.“

Ja, der alte Herr hatte seinen Tod wohl vorhergesehen. Jedenfalls hat er mir vor gar nicht langer Zeit ganz genaue Anweisungen gegeben, was ich im Fall seines Ablebens zu tun hätte. Versteht sich von selbst, dass ich alles, wie von ihm aufgetragen, erledigt habe.

Aus den Augenwinkeln sehe ich einen Fremden hereinkommen.

Ich entschuldige mich bei Petronella, eile zur Tür, reiße sie wieder auf und deute auf das Schild.

„Bedauere. Geschlossene Gesellschaft.“

„Dat weet ik.“ Der hagere kleine Mann streicht sich ein paar graue Strähnen aus der Stirn. „Begrafenismaal voor Jakob Perings.“

Meines Wissens hat Petronella keinen Flamen oder Niederländer auf die Gästeliste gesetzt, aber ein alter Bekannter könnte ja die Anzeige im Grenz-Echo gelesen haben oder ist spontan herbeigeeilt, weil ihm die traurige Nachricht gerade erst mitgeteilt wurde. Das würde seine wenig feierliche Gewandung zwar nicht entschuldigen, aber immerhin erklären. Mir würde das besser gefallen als die Vorstellung, dieser Mann könnte mit Jakob auf ungute Weise verbunden gewesen sein – einen Gedanken, den ich lieber schnell verabschiede. Ich bemühe mich um Höflichkeit.

„Oh, Verzeihung, Sie sind ein Bekannter von ihm?“

„Das kann man so sagen“, erwidert der etwa Sechzigjährige, diesmal auf Deutsch, aber in einem Tonfall, der mir gar nicht behagt. „Keine Angst, ich trinke Ihnen schon keinen Kaffee weg, ich muss nur dringend mit Frau Schröder sprechen.“

„Muss das jetzt sein?“

„Morgen ist vielleicht schon zu spät.“

„Was soll das heißen?“

Er antwortet nicht, sondern ruft laut in den Gastraum hinein: „Frau Schröder? Auf ein Wort, bitte.“

Petronella wendet sich um, mustert den Mann in der hellen Safarihose mit dem karierten Kurzärmelhemd und sieht mich fragend an. Ich hebe die Schultern.

Marcel steht so schnell auf, dass sein Stuhl polternd umfällt. In der Küche fängt Linus an, laut zu bellen. Die Runde an der langen Tafel ist wieder verstummt. Neugierige Blicke richten sich auf den Fremden.

„Feiert weiter!“, ruft der Mann. „Ich will nur Frau Schröder sprechen.“ Er lässt sich auf einen Stuhl am runden Tisch fallen. „Allein!“, blafft er, als Marcel herantritt und ich mich nicht von der Stelle rühre.

„Ich bin der gesetzliche Beistand von Frau Schröder“, lügt Marcel würdevoll.

„Den braucht sie nicht.“

„Was wollen Sie?“, fragt Petronella verzagt.

„Ich bin ein alter Freund von Jakob“, sagt der Mann, ohne sich vorzustellen. „Ich soll Ihnen was von ihm sagen.“

„Sind Sie etwa ein Medium?“, frage ich pikiert. „Mit einer Botschaft aus dem Jenseits?“

„Bitte“, sagt Petronella und gibt uns mit einem Blick zu verstehen, dass wir uns zurückziehen sollen. Widerwillig leisten wir Folge.

„Gefällt mir nicht“, brummt Marcel.

„Ein unangenehmer Typ“, stimme ich zu.

„Kein Freund von Jakob.“

„Ganz bestimmt nicht. Jakob war ein Herr, und das ist ein …“

„… ein Filou.“

„Genau.“ Es ist sehr wohltuend, mit dem Hüter meines Herzens endlich mal wieder einer Meinung zu sein. „Aber was soll ihr hier schon passieren?“

„Hauptsache, sie unterschreibt nichts. Dann schreite ich ein.“

Das erübrigt sich, da Petronella nach einer sehr kurzen Unterredung aufsteht und kopfschüttelnd an den Tisch zurückkehrt. Der Fremde verlässt grußlos das Lokal. Kurz darauf heult draußen ein Motor auf.

„Was war das denn?“, fragt Hein.

„Nichts“, erwidert Petronella tonlos. „Unwichtig.“ Ihre glasigen Augen sprechen eine andere Sprache.

Aber wenn ich in meinen sechs Jahren in diesem winzigen Grenzörtchen Kehr etwas gelernt habe, ist es, nicht weiter nachzuhaken, wenn eine Eifelerin nicht reden will. Manchen Geheimnissen ist hier ewiges Leben beschieden. Meinen hoffentlich auch. Vielleicht erfahre ich später, mit welcher Botschaft dieser Mann Petronella verstört hat, wahrscheinlicher aber ist, dass sie die Sache mit sich selbst ausmachen wird.

„Sollen wir Euch nicht lieber sofort heimbringen?“, spreche ich sie leise in der Eifeler Höflichkeitsform an, mit der hier älteren Menschen Respekt gezollt wird.

„Später, Katja. Ich will doch Davids Brownies nicht verpassen. Wo er sie schon extra mit Diabetikerzucker gemacht hat!“

„War das etwa noch so ein Abzocker?“, fragt Hein.

Ich werfe ihm einen strafenden Blick zu. Petronella braucht nicht zu wissen, dass ich meinen Mitarbeitern von den Mahnungen berichtet habe, die ihr vor wenigen Tagen ins Haus geflattert sind. Jakob Perings sei mit der Zahlung für ein Pornozeitschriften-Abo in Verzug geraten, habe eine gebuchte Reise in die Karibik nicht angezahlt und den Dauerauftrag für einen wöchentlichen Rosenstrauß nicht gekündigt. Empört hatte die alte Dame aus dem belgischen Krewinkel Marcel die Schreiben ausgehändigt und sich von ihm den liebevollen Vorwurf eingehandelt, die monströse Venusstatue, die ihr von einem Online-Versand zugestellt worden war, überhaupt ausgepackt zu haben.

„Totenanzeigen werden auch von Kriminellen gelesen“, doziert jetzt der belgische Polizeiinspektor und sieht Petronella forschend an.

„Genau“, bestätigt Hein. „Und dann räumen sie während der Beerdigung das Haus aus.“

Jupp schaut verzweifelt zu seinem Lebenspartner, dem ich am liebsten die grüne Strähne aus dem frisch violett gefärbten Haar ausreißen würde.

„Wollt Ihr nicht lieber doch heimfahren?“, fragt jetzt auch Marcel.

Petronella Schröder neigt das Haupt.

„Bitte einen Schnaps“, sagt sie. „Das ist auch das Einzige von Wert, das man bei mir klauen kann.“

Womit sich das Gespräch auf Einbrüche verlagert und Hein noch einmal die Gelegenheit bekommt, sich von seiner einfühlsamen Seite zu zeigen. „Habt ihr von dem Einbruch in Belgien gehört, wo die Asche aus der Urne gekippt und der Ehering draus geklaut wurde?“

Alles starrt auf Jakobs Urne.

Petronella reagiert großartig.

„Kein Ring drin“, sagt sie gelassen. „Wir waren ja nicht verheiratet.“ Sie wirft David einen Blick zu. „Aber wie ich gehört habe, hast du Gudrun einen Antrag gemacht?“

„Einen?“ Der Texaner stößt einen tiefen Seufzer aus. „So many. Sie will mich nicht.“

„Ich habe meine Gründe“, trällert Gudrun.

Was zum Glück nicht einmal Hein kommentiert. Gudrun, die immer an die falschen Kerle geraten ist, vor vier Jahren mit David endlich den Mann fürs Leben gefunden zu haben glaubte und dann in einer schlimmen Phase von ihm im Stich gelassen wurde, hat sich vorzüglich in ihrer neuen Rolle als zu zähmende Widerspenstige eingerichtet. In – wie ich vermute – sorgsam orchestrierten Abständen besucht sie ihn in seinem ererbten Haus und teilt das Bett mit ihm, führt aber ansonsten ein jungfräuliches Leben im Hinterzimmer meines Restaurants.

Derselbe Raum hat übrigens eine Zeit lang auch Jakob Perings beherbergt. Der hat ihn damals dermaßen klinisch rein gehalten, dass ihm selbst eine Putzteufelin wie Gudrun nicht das bakterienfreie Wasser hätte reichen können. Jedes Scheuertuch war akkurat gefaltet, die Batterie der Reinigungsmittel auf der Fensterbank nach Größe ausgerichtet, und keine Socke blieb ungebügelt. Für ihn hätten Tapeten zum Abknöpfen erfunden werden müssen, damit er auch noch dahinter hätte wischen können. Penibler als Jakob Perings kann kein Mensch sein. Petronella aber ließ er alles durchgehen. Sie versicherte mir einmal, dass es in den fast drei Jahren ihres Zusammenlebens nie zum Streit über herumliegende Zeitungen, Schneematsch in der Diele oder ein Haar im Waschbecken gekommen sei. Das lässt erahnen, wie groß seine Liebe gewesen sein muss.

Dankend greift Petronella zu einem Brownie, als ihr David den Teller hinhält.

„Wie ich gehört habe, kommt Daniel bald mit seiner Freundin nach hier“, sagt sie zu ihm. „Schade, dass es die beiden heute nicht geschafft haben. Jakob hat deinem Sohn übrigens was hinterlassen, David. Er war ja wie ein Großvater für den Jungen. Was ist das überhaupt für ein Mädchen?“

„Ich weiß nicht“, antwortet David verlegen.

„Daniel hat gesagt, dass wir sie nicht mögen werden“, platzt Gudrun heraus.

„So ein Blödsinn!“, tadelt Petronella. „Wie kann man jemanden nicht mögen, den man nicht kennt?“

„Vielleicht ist sie ja mit Tattoos übersät und überall gepierct?“, schlägt Hein vor. „Oder sie hat sich die Zunge spalten lassen wie so manche Mädchen heute.“

„Wieso sollte uns das stören, wenn wir deine violetten Haare mit grüner Strähne ertragen?“, werfe ich ein.

„Oder sie ist fünfzehn Jahre älter“, überlegt Gudrun.

„Eine Amerikanerin?“, fragt Petronella.

„Wir wissen rein gar nichts über sie“, sage ich.

„Seine Oma hat auch nichts gesagt?“

„Nein“, antworte ich, „nur, dass wir ziemlich überrascht sein werden. Großmutter Mathilde hat uns allen einzeln das Versprechen abgenommen, dass wir nett zu dem Mädchen sein sollen.“

„Das werden wir“, versichert Gudrun, „auch, wenn sie eine Negerin ist.“

„Gudrun!“

„Ich weiß immer noch nicht, was an dem Wort falsch ist.“

„Alte Jungfer ist auch kein falsches Wort“, bemerkt Hein. „Landpomeranze, Provinzei, Hinterwäldlerin, Frust-Tusse.“

„Das gibt es auch?“, fragt David interessiert.

Gudrun ist den Tränen nah. „Ich wollte doch nur sagen, dass wir das Mädchen lieben werden, weil Daniel sie liebt, ganz gleich, wie sie aussieht!“

„Vielleicht geht es ja gar nicht um ihr Aussehen“, bemerkt Petronella. Sie schiebt ihren Stuhl zurück und bittet Marcel, sie nach Hause zu fahren.

Als sie sich auf dem Vordersitz des belgischen Polizeijeeps angeschnallt hat, reiche ich ihr die Urne und steige dann mit einem Suppentopf und dem Karton übrig gebliebener Brownies auf den Rücksitz.

Damit alle Inhaltsstoffe auch in den entsprechenden Behältern bleiben, fährt Marcel sehr viel langsamer als sonst die einen Kilometer lange Strecke über die schadhafte Straße nach Krewinkel.

„Komisch“, sagt Petronella, als Marcel ihr vor dem Haus aus dem Wagen hilft, und deutet auf den früheren Gänsestall. Den hat Jupp vor zwei Jahren zu einem Gartenhaus umgebaut, das Jakob als Büro und – wie ich vermute – klinisch reines Refugium gedient hat. „Wieso sind die Fensterläden in Jakobs Hütte auf? Die sind seit seinem Tod immer zu gewesen.“

„Bleibt hier“, sagt Marcel grimmig. „Ich sehe nach.“

Petronella schert sich nicht um seine Aufforderung und folgt dem Polizeiinspektor mit der Urne in beiden Händen. Ich lasse die Lebensmittel im Wagen und schließe mich ihr an.

Marcel wirkt angespannt. Er atmet vor dem Haus einmal tief durch und dreht dann entschlossen den Knauf.

„Es war ganz bestimmt abgeschlossen“, flüstert Petronella, als die Tür aufschwingt.

„Mon dieu!“, hören wir, eilen herbei und erschrecken zutiefst.

Die Urne in Petronellas Händen zittert. Wie in Trance nehme ich sie der alten Dame ab und stelle das Gefäß auf den Schreibtisch, der mit Papieren übersät ist. Dabei stoße ich gegen eine leere Pralinenschachtel, die zu Boden fällt. Ein Schwung Blätter ist bereits hinuntergerutscht und saugt sich mit der braunen Flüssigkeit aus der Schnapsflasche voll, die gerade erst umgekippt sein muss. Ein Sonnenstrahl fängt sich im Glas und blendet mich.

Ich höre Marcel per Handy einen Krankenwagen rufen.

Petronella ist wie angewurzelt stehen geblieben. Sie starrt mit offenem Mund in die ebenso offenen Augen des Mannes, der ihr vor einer Stunde in der Einkehr angeblich etwas „Unwichtiges“ mitgeteilt hat und der jetzt zwischen all den Papieren reglos auf dem Boden liegt.

Der Krankenwagen kann sich Zeit lassen.

Martina Kempff

Über Martina Kempff

Biografie

Martina Kempff ist Autorin, Übersetzerin und freie Journalistin. Sie war Redakteurin bei der Berliner Morgenpost, Reporterin bei Welt und Bunte, bis sie beschloss, Bücher zu schreiben. Besonders bekannt ist sie für ihre historischen Romane wie „Die Königsmacherin“, „Die Beutefrau“ und »Die...

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„Die Erfolgsautorin setzt mit dem Kriminalroman ›Wiederkehr‹ einmal mehr echte Maßstäbe in Sachen spannender Unterhaltung. Gleichwohl verzichtet sie dabei nicht auf eine willkommene Portion Humor und Ironie, die beim Leser nicht nur gut ankommen, sondern ihn auch den Krimi nur ungern aus den Händen legen lassen.“

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