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Westfälische Affären (Westfalen-Krimis 2)

Westfälische Affären (Westfalen-Krimis 2)

Katharina Gerwens
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Kriminalroman

„Ein kurzweiliger Krimispaß, der besonders durch die lustigen Charaktere unterhält.“ - Freundin

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Westfälische Affären (Westfalen-Krimis 2) — Inhalt

In der Gründerzeitvilla des Kalveroder Bankdirektors herrscht Totenstille. Denn dort, auf den Fliesen der Diele, liegt dessen Leiche. Kriminalhauptmeister Markus Wissing gibt den Fall an seine Kollegin Annalena ab. Schließlich will er die Zeugin, seine frisch von ihm getrennte Ehefrau, nicht selbst vernehmen. Bald stellt sich heraus, dass der Bankdirektor nicht nur in der Finanzwelt, sondern auch in der Verführung seiner Kundinnen ein Meister seines Fachs war. Die Zahl der möglichen Täterinnen ist groß ...

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 14.04.2014
336 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-96689-4
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Leseprobe zu „Westfälische Affären (Westfalen-Krimis 2)“

Immer wenn ihr Mann im Freundeskreis behauptet hatte, sie habe ein Faible für Putzmittel, hatte Thekla Wissing aufs Heftigste widersprochen. Ganz so stimmte das nämlich nicht, auch wenn sie zugeben musste, dass es durchaus Sprays, Scheuerpulver und polierende Öle gab, die ihr die Arbeit erheblich erleichterten. Warum sollte sie die dann nicht auch benutzen? Ihr Mann verstand vom Saubermachen ja ohnehin nichts, jedenfalls hatte sie ihn noch nie putzen sehen.

Seufzend wienerte Thekla die Spiegel und die großen Fenster im Gästebad des Sparkassendirektors, [...]

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Immer wenn ihr Mann im Freundeskreis behauptet hatte, sie habe ein Faible für Putzmittel, hatte Thekla Wissing aufs Heftigste widersprochen. Ganz so stimmte das nämlich nicht, auch wenn sie zugeben musste, dass es durchaus Sprays, Scheuerpulver und polierende Öle gab, die ihr die Arbeit erheblich erleichterten. Warum sollte sie die dann nicht auch benutzen? Ihr Mann verstand vom Saubermachen ja ohnehin nichts, jedenfalls hatte sie ihn noch nie putzen sehen.

Seufzend wienerte Thekla die Spiegel und die großen Fenster im Gästebad des Sparkassendirektors, wie sie es jeden Montag zu tun pflegte. Außerdem ging sie ihm samstags zur Hand, wenn er Besuch von einem Freund hatte, mit dem er Schach spielte. Thekla durfte dann Schnittchen vorbereiten und Rotweinflaschen entkorken, manchmal stellte sie auch salzige Nüsschen und ein Silbertablett mit knusprigen Chips auf den kleinen Beistelltisch. Einmal hatte sie sogar ein Blümchen in einer Glasschale mit Wasser auf den Treppenabsatz gestellt – zur Dekoration. Aber der Sparkassendirektor hatte sie gebeten, derartige Eigenmächtigkeiten in Zukunft zu unterlassen. Blumen, so sagte er, erinnerten ihn zu sehr an seine Frau. Dabei hatte er sie traurig angesehen. Thekla schluckte. Was für ein sensibler Mann! Davon müsste es mehr auf dieser Welt geben.

Leider musste Herr Kalupka immer so viel arbeiten. Sparkassendirektor war in diesen Zeiten wahrlich kein einfacher Job. Ob das mit der Finanzkrise zu tun hatte, von der sie nichts verstand?

Resolut zog sie die malvenfarbenen Chintzvorhänge am Küchenfenster zur Seite. Dabei fielen ihr acht tote Marienkäferchen entgegen, die sie nachdenklich auf ihr Kehrblech fegte. Womöglich hing ihr plötzlicher Tod mit dem keimtötenden Mittel zusammen, das sie vor genau einer Woche hier versprüht hatte. Das hatte so streng gerochen, dass sogar sie die Nase kraus gezogen hatte, wo sie doch sonst überhaupt keine Gerüche wahrnahm. Angeblich lag das an ihren wuchernden Nasenpolypen, die ihr der Arzt mit einer Nebenhöhlensanierung wegoperieren wollte. Sanierung – was für ein Wort! Ihre Nase war doch kein altes Haus. Und wozu brauchte man einen Geruchssinn? Sie kam gut ohne aus. Vielleicht hätte sie ja die Dosierung des Putzmittels etwas genauer studieren müssen, aber sie hatte, wie so oft, ihre Lesebrille vergessen.

An diesem Montag waren auch ungewöhnlich viele Fliegen im Haus – ganz anders als sonst. Sie schob es auf den enorm heißen Sommer und zog im ersten Stock der Gründerzeitvilla konsequent ihren Putzplan durch.

Thekla Wissing putzte gern. Und besonders gern für diesen weltgewandten Mann, der vor etwa vier Monaten nach Kalverode gezogen war und seitdem ganz allein in diesem großen zweigeschossigen Haus lebte. Anderen gegenüber bezeichnete sie sich hochtrabend als Felix Kalupkas „Hausdame“. Die Leute in Kalverode sollten ruhig glauben, dass sie über edle Teppiche durch große Räume schritt, dabei mit leichter Hand die – leider nicht erwünschten – Blumen ordnete oder allabendlich das Küchenpersonal bei der Dekoration von kalten Platten beaufsichtigte und mit gepflegten Händen edle Tischtücher aus feinstem Leinen glatt strich.

So zumindest malte sich Thekla ihre Zukunft aus, aber noch kam sie nur ins Haus, um zu putzen. Sie war die Einzige, die einen Schlüssel zu dieser Villa hatte, in der der Sparkassenleiter vermutlich nur schlief – bis auf die Abende von Samstag auf Sonntag natürlich, wenn er mit seinem Freund beim Schachspiel eine Flasche Wein leerte. Nie mehr. Das wusste Thekla ganz genau, sie hatte es sich nämlich angewöhnt, auch seine Vorräte zu überprüfen.

Weil Herr Kalupka sich um die Weltfinanzkrise kümmern musste, hatte er noch keine Zeit gefunden, alle Umzugskisten auszupacken. Dabei waren alle Räume, Schränke und sogar –bis auf die Schlafzimmer – sämtliche Nischen hinter den Tape­ten­türen dank Theklas Einsatz gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit blitzblank geputzt worden und harrten der Dinge, die da kommen würden. Doch wenn er erst einmal richtig eingezogen war, würde der Sparkassen­direktor sie sicher für immer engagieren – und sie zöge zu ihm in dieses herrliche Haus.

Theklas Mann, Kriminalhauptmeister Markus Wissing, war vor knapp zwei Monaten aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen, angeblich, um zu sich selbst zu finden. „Was willste denn da finden?“, hatte sie kopfschüttelnd gefragt und missbilligend auf seine gepackten Koffer gestarrt, woraufhin er ungewöhnlich leise gemurmelt hatte: „Mein Leben – meinen Sinn, vielleicht.“

„Dein Leben, das ist doch hier!“, hatte sie dagegengehalten.

„Nee“, hatte er gesagt. „Das glaub ich nicht mehr. Das wär doch irgendwie zu wenig.“ Dann hatte er sich einfach so zum Schuhschrank gebückt und die von Thekla blank geputzten Frühjahrs-, Sommer-, Herbst- und Winterschuhe in seine Sporttasche gepackt. Ohne Baumwolltücher dazwischenzu­legen, wie sie es ihm beigebracht hatte.

„Und was soll ich den Leuten sagen?“, hatte sie von ihm wissen wollen.

„Die Wahrheit“, schlug er vor. „Einfach die Wahrheit. So was kann eben passieren, dass die Liebe geht – oder was immer es auch war.“

Ihm vielleicht, dachte sie. Ihm war das passiert. Ihr wäre das nie passiert. Er hatte sie doch geheiratet. Er hätte bei ihr bleiben müssen. Nur der Tod konnte sie scheiden.

Tatsächlich hatte sie es sich angewöhnt, bei ihren Gängen durch den Ort den Weg zur Polizeiwache im alten Amtshaus auszusparen. Dort arbeitete ihr Mann, und sie war nicht scharf darauf, ihm zu begegnen oder gar jemandem, der wissen wollte, wie es ihr und Markus gehe. Wie mochte es ihm schon gehen? Bestimmt grottenschlecht. Und das geschah ihm recht.

Von einem Tag auf den anderen war er damals in dieses Mehrfamilienhaus am Stadtrand von Kalverode gezogen und hatte sich eine Mietwohnung genommen. Thekla schüttelte sich. Das war doch nur was für ganz arme oder ganz junge Leute. Um ihn herum lauter kindliche Paare mit frischem Nachwuchs. Nicht umsonst trug das Haus mit seinen zwölf Dreizimmerwohnungen den Namen „Schneller Brüter“. Da wohnte er nun. Und wenn er in „seine“ Dusche stieg oder sich auf „sein“ Klo setzte, war das alles ja nicht einmal seins, sondern gehörte in Wirklichkeit einem anderen, dem er dafür Miete zahlen musste.

Thekla wusste: An einem solchen Ort konnte man nicht glücklich sein. Was aber wäre, wenn er reumütig zu ihr zurückkäme? Würde sie ihn dann noch haben wollen? Würde sie für ihn diesen wunderbaren Status als Hausdame und eventuell sogar als weltgewandte Gesellschafterin eines Sparkassendirektors wieder aufgeben? Sie las sogar schon Leute-Magazine, um mitreden zu können, und sah sich im Fernsehen Klatsch- und Tratschgeschichten an. So war sie immer auf der Höhe der Zeit, falls es zu einem gesellschaftlichen Event bei Herrn Kalupka käme.

Thekla seufzte. In achtzehn Jahren Ehe war Markus ihr vertraut geworden. Der konnte doch gar nicht mehr alleine leben! Hatte er ja noch nie gemacht! Sie würde streng zu ihm sein, wenn er zu ihr zurückkommen wollte. Nein, einfach so würde sie ihn nicht wieder bei sich aufnehmen. Ein paar Wochen müsste er auf jeden Fall zappeln. Winseln sollte er und betteln und endlich das würdigen, was er an ihr hatte. Sie war viel zu gutmütig gewesen in all den Jahren. Das würde sich ändern!

Am liebsten putzte sie Fenster: je größer die Scheiben, desto besser. Dabei hatte sie das Gefühl, als könne sie zugleich ein bisschen Licht in ihre eigene Seele bringen, denn dort sah es, wenn sie ganz ehrlich war, nicht besonders hell aus, seit Markus sie verlassen hatte.

Sind Marienkäfer nicht Glückskäfer?, hatte sie gedacht, als sie die Tiere in den Mülleimer kippte und darin einen zerrissenen dunkelroten Damenslip entdeckte. Den hatte garantiert der schachspielende Freund von Herrn Kalupka dort deponiert, um sie zu verwirren. Diese Scherzkekse. Als sei sie keine Frau von Welt. Männer! Sie lächelte.

Später, sehr viel später, würde sie behaupten, dass tote Marienkäfer nichts als Unglück brächten und dass sie das angesichts der acht toten Insekten eigentlich schon geahnt habe. Aber wem hätte sie es sagen sollen? Sie war ja allein im Haus gewesen.

Thekla Wissing war an diesem Montag wie immer durch die Hintertür, den sogenannten Personaleingang, ins Haus gekommen und hatte im ersten Stock mit ihrer Arbeit begonnen. Dort befanden sich Schlaf- und Gästezimmer sowie zwei Bäder. Profis putzten nun mal von oben nach unten. Darüber war sie sich mit der Frau vom Drogeriemarkt einig, mit der sie über Qualität und Wirkung von Reinigungsessenzen zu diskutieren pflegte. Nur Amateure begannen wahllos irgendwo, womöglich ausgerechnet dort, wo es zufällig am schmutzigsten war. Nein, man brauchte einen Plan und die Disziplin, den dann auch einzuhalten. Nur so konnte man ein Haus vom Format dieser Gründerzeitvilla systematisch sauber halten.

Nach den Zimmern und Bädern im ersten Stock wischte sie das Fischgrätparkett der oberen Diele und fragte sich, während sie sich langsam über die große geschwungene Holztreppe zum ebenerdigen Eingangsbereich hinunterarbeitete, woher die ungewöhnlich großen metallisch blauen Fliegen kommen mochten. Es war sehr still auf der Treppe. Thekla verzichtete bewusst auf Radio und CD-Player, denn ihre eleganten Feg- und Wischgeräusche sowie das selbstbewusste Zischen ihrer Sprühflaschen mit Spezialmitteln für Glas, Holz, Messing, Plastik, leichten Schmutz, Staubbeläge und hartnäckigen Dreck untermalten ihre Träume viel eindrucksvoller.

Wie gerne hätte sie in einem solchen Haus gewohnt! Aber ihr Markus war für so etwas nicht großzügig genug gewesen. Er hätte sich niemals getraut, in eine Villa zu ziehen, sondern hatte für sie und sich ein Einfamilienhäuschen gebaut, das den Rahmen seines Bausparvertrages bei Weitem nicht ausschöpfte. Alles funktional, keine Fußbodenheizung, kein gläserner Wintergarten, keine Freitreppe, die man herrschaftlich hätte hinabsteigen können. Und jetzt hockte Thekla allein
in dem Nullachtfünfzehn-Haus mit Bad, separater Toilette, vier Zimmern und einem Blumengarten nebst Terrasse. Über seinen leeren Handtuchhaken im gemeinsamen Badezimmer hatte sie ihren Ehering gehängt. Den brauchte sie ja nun nicht mehr.

Die Treppe der Kalupka-Villa hatte genau sechzehn Stufen. Thekla Wissing blickte weder nach links noch nach rechts, sondern wischte hingebungsvoll nicht nur Stufe um Stufe, sondern auch die gedrechselten Sprossen und Pfosten des Treppengeländers. Dieser Vormittag kam ihr außergewöhnlich heiß und still vor, und genau das würde sie später dem Kriminaloberrat Ewald Schmeing zu Protokoll geben. „Totenstill war es an dem Tag, glauben Sie mir.“

Als sie die zweitletzte Stufe und damit das Ende der Biegung erreicht hatte, spürte sie an ihrem linken Fuß einen Widerstand. Langsam und besonders wachsam drehte sie sich um. Gab es neben den toten Marienkäfern und den hässlichen Schmeißfliegen womöglich noch andere tote Tiere? Hoffentlich keinen toten Hund, denn sie hatte Angst vor Hunden.

Ihr furchtsamer Blick wanderte an ihren stämmigen Beinen hinunter bis zu den kastanienfarbenen Baumwollsocken. Und dann erblickte sie neben ihrem eigenen Fuß eine geöffnete Hand, die Manschette eines schwarzen Seidenhemdes, das verrutschte und zerknitterte Hemd und eine neonfarbene Krawatte. Darüber den eigenartig verdrehten Kopf des Sparkassendirektors, ihres Arbeitgebers. Die Augen waren weit aufgerissen, auf seinem Gesicht krabbelten fette Fliegen. Der Tote hatte beide Hände geöffnet, als erwarte er einen Geldsegen oder als plane er, gottgleich einen fragwürdigen Kredit abzusegnen.

Es war nicht der erste Tote, den sie in ihrem Leben sah, aber er war anders tot als ihre Eltern und Großeltern, die immer weniger geworden und dann sanft und erschöpft entschlafen waren und über deren Gesichter sich ein Lächeln gelegt hatte.

Dieser Mann war mitten aus dem Leben gerissen worden, und die unfassbare Erschütterung darüber spiegelte sich noch im Tod in den Gesichtszügen. Wie versteinert starrte sie ihn an.

Später warf sie sich vor, dass sie schneller hätte reagieren müssen oder gar schneller putzen, um ihn früher zu finden – aber dadurch wäre Felix Kalupka auch nicht wieder lebendig geworden.

Als sie wieder zu sich kam, sah sie auf die Uhr. Es war genau elf Uhr und siebenundzwanzig, höchstens zwei Minuten waren vergangen. Ihr fiel nur einer ein, der sie aus dieser Situation retten konnte: Kriminalhauptmeister Markus Wissing, ihr Mann.

Nur widerwillig unterschrieb Kriminaloberrat Ewald Schmeing, der Chef der Kalveroder Polizei, den Fortbildungsantrag seiner Mitarbeiterin Hedwig Hagenkötter. Es war bereits der vierte in diesem Jahr. Musste sie wirklich ausgerechnet jetzt ein Kompaktseminar zum Thema Öffentliche Sicherheit und Ordnung besuchen? Andererseits hatte er ihr noch nie eine Fortbildung abgeschlagen. Warum also gerade jetzt? Die Tinte aus seinem Füllfederhalter mit der goldenen Feder war noch nicht trocken, als das Telefon klingelte.

Er griff zum Hörer. „Ja?“

„Ist Markus da?“

„Ach, Thekla, du bist es. Lange nichts von dir gehört. Wie geht es dir? Soll ich ihn holen?“

Etwas an der Art, wie sie ihr „Ja, bitte“ in den Hörer hauchte, ließ ihn aufhorchen. „Ist was passiert?“

„Ja.“

„Hattest du einen Unfall?“

„Ich nicht, aber …“

„Wer dann? Nun sag’s schon.“

Er hörte sie weinen. „Ich glaub, mein Chef ist tot.“

„Dein Chef?“ Ewald Schmeing kniff ungläubig die Augen zusammen. „Du arbeitest doch gar nicht.“

„Doch. Ich halt dem Kalupka sein Haus sauber. Seit einigen Monaten schon.“

„Hat Markus mir aber nix von erzählt“, sagte Ewald Schmeing und stockte plötzlich. „Kalupka?“

So hieß doch der neue Direktor der Stadtsparkasse Kalverode. Mit dem hatte er heute früh einen Termin gehabt, und der Typ war nicht erschienen. Seine gouvernantenhaft wirkende Assistentin im grauen Businesskostüm hatte vergebens versucht, ihn per Handy zu erreichen, und ihm, Ewald Schmeing, währenddessen so vorwurfsvolle Blicke zugeworfen, als trage er die Schuld an der Unerreichbarkeit ihres Chefs.

„Es geht nur um einen Kreditantrag“, hatte Ewald Schmeing sie besänftigen wollen und vorgeschlagen: „Ich kann auch mit seinem Stellvertreter reden, jetzt, da ich schon mal hier bin.“

Aber die Dame mit dem hochgesteckten Haar und der Designerbrille war konsequent geblieben. „Sie stehen in seinem Terminkalender, und deswegen wird nur er mit Ihnen sprechen. Kredite sind Chefsache. Ich ruf Sie an, sobald er da ist.“

Bis jetzt hatte sie noch nicht angerufen.

Auf dem Weg zu seiner Dienststelle im alten Amtshaus hatte Kriminaloberrat Schmeing sich gefragt, ob der junge und überaus smarte Sparkassendirektor sich selbst diese Assistentin ausgesucht haben mochte oder ob ihm das Mutterhaus der Sparkasse diesen weiblichen Zerberus ins Vorzimmer gesetzt hatte. Er tippte auf Letzteres.

„Wo steckt denn mein Markus?“, holte Thekla Wissing ihn in die Gegenwart zurück.

„Du sagst, dem Kalupka ist was passiert?“

„Ja.“ Ihre Stimme klang anklagend. „Und auch noch in seinem eigenen Haus.“

„Rühr nichts an. Wir kommen sofort.“

„Ich geh da nicht mit“, stellte Markus Wissing klar. „Ich kann doch nicht meine eigene Frau als Zeugin vernehmen. Nicht unter diesen Umständen. Da bin ich befangen. Echt. Das müsst ihr verstehen. Lasst mich im Hintergrund ermitteln. Ich melde mich für den Schreibtischdienst und den ganzen administrativen Kram. Vielleicht ist ja alles nur ein Fehlalarm.“

Ihm wurde bewusst, dass er seiner Thekla genau das zutraute. Ein derart dramatischer Auftritt passte zu ihr. Vor zwei Monaten war er ausgezogen, seit genau acht Wochen bat sie ihn um ein Gespräch, und in diesen acht Wochen hatte er immer wieder neue Ausreden erfunden. Jetzt hatte sie sich also einen Todesfall ausgedacht, nur um ihn zu einer Aussprache zu zwingen. Nein, den Gefallen würde er ihr nicht tun. So nicht! Nicht mit ihm! Ewald sollte ruhig mit vollem Ermittlungsgeschütz auffahren, in der schönen Villa einer hysterischen
Thekla und einem Kaffee trinkenden Sparkassendirektor begegnen und beiden eine gesalzene Standpauke halten.

Mit seinen vierundvierzig Jahren, davon bittere achtzehn als Theklas Ehemann, war Markus Wissing jedoch klug genug, all diese Überlegungen für sich zu behalten. Sollten die doch losfahren, dieser Einsatz könnte dann immer noch als Notfallübung verbucht werden. Er würde die Tür hinter ihnen schließen und in aller Ruhe die Kalveroder Nachrichten lesen und dann am Computer eine Patience lösen.

Ewald Schmeing wandte sich an die erst seit Mai in Kalverode tätige Kriminalhauptkommissarin Annalena Brandt, die zugleich die Tochter seines ältesten Freundes war. „Annalena?“

Die junge Frau nickte gefasst. „Ich hab schon mal die Spurensicherung und den Notarzt informiert. Für den Fall, dass der nur ohnmächtig ist – was wir alle hoffen.“

„Vielen Dank. Und jetzt fahren wir da mal hin, zu Kalupkas Gründerzeitvilla an der Hauptstraße. Der Wilfried soll auch mitkommen. Lieber einer zu viel als zu wenig.“

„Kann ich nicht auch mit?“, bat Hedwig Hagenkötter von ihrem Schreibtisch aus. „Alle sagen, dass das ein so schönes Haus ist. Ich würde es zu gern mal sehen!“

„Du bleibst hier, und über deine Fortbildung müssen wir dann auch noch mal reden. Schick den Antrag bloß nicht weg, verstanden? Die Dinge haben sich geändert.“ Ewalds Stimme klang resolut.

Seit er sich mit der Witwe Zentner zusammengetan hatte, war er energischer und strenger geworden, aber auch besser gelaunt.

Hedwig Hagenkötter nickte ergeben und dachte insgeheim, dass sie den Antrag spätestens heute Abend in den Briefkasten werfen würde. Ewald war ein guter Chef und hatte ihr noch nie etwas abgeschlagen. Sie würde ihn schon noch rumkriegen. Hedwig Hagenkötter liebte Fortbildungen, und ihr Büro war mit Zertifikaten gepflastert, die sie in jeder Disziplin als Expertin auswiesen.

„Weiß Wilfried schon Bescheid?“, erkundigte sich Ewald Schmeing.

„Der holt bereits den Wagen!“, verkündete Hedwig Hagenkötter.

„So ein Blödsinn, da sind wir doch schneller zu Fuß!“ Ewald Schmeing schüttelte den Kopf.

Die Eingangstür des zweistöckigen Hauses stand sperrangelweit offen. Thekla Wissing saß breitbeinig auf den rosafarbenen Marmorstufen, die von der gepflasterten Auffahrt ins Haus führten. Sie trug schwarze Leggins und ein leuchtend gelbes T-Shirt. Ihr Gesicht war fast so weiß wie die Rolle Küchentücher, in die sie hineinweinte. Sie zitterte. „Wo ist denn mein Markus?“

Der Kriminaloberrat überhörte die Frage, zog sich blaue Plastikschoner über die offenen Sandalen und stellte in strengem Ton klar: „Du hast doch wohl hoffentlich nichts angefasst?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich pack da nix mehr an!“

„Dann ist ja gut.“ Wie einem braven Kind tätschelte er ihr die Schulter und ging ins Haus.

Annalena setzte sich neben die blasse Frau auf die Marmorstufen und griff nach ihrer zitternden, noch in rosafarbene Gummihandschuhe verpackten Hand. „Alles wird gut.“

„Nichts wird gut“, fauchte Thekla. „Und überhaupt, mit
Ihnen red ich nicht.“

„Wir brauchen aber Ihre Aussage …“

„Sie kriegen die nicht von mir, Sie nicht“, zischte Thekla, zog schluchzend die Hand zurück und den Handschuh aus. Dann stand sie schwerfällig auf.

Annalena hob die Schultern. Sie streifte sich Latexhandschuhe über, schlüpfte auch in blaue Plastiküberzieher und betrat die Diele.

Dort beugten sich bereits Ewald Schmeing und Wilfried Lütke-Tillmann über einen eigenartig verrenkt liegenden Mann.

„Da hätt ich ja heute Morgen lange warten können“, murmelte Annalenas Vorgesetzter. „Der unterschreibt keinen Darlehensvertrag mehr. Nie mehr.“

„Tot?“, fragte Annalena.

Ewald Schmeing nickte. „Rührt besser nichts an, bis Horst mit den Jungs von der Spurensicherung da ist. Meine Güte, ist das hier sauber. Und so leer. Was sagt eigentlich Thekla dazu? Ist ihr was Ungewöhnliches aufgefallen, fehlt vielleicht was?“

Annalena hob die Schultern. „Die spricht nicht mit mir.“

Der Kriminaloberrat seufzte demonstrativ. „Frauen! Markus wird schon gewusst haben, warum er von zu Hause ausgezogen ist. Ich rede mal mit ihr.“ Er richtete sich langsam auf und befahl seiner Hauptkommissarin und dem Oberwachtmeister, sich schon mal im Hause umzusehen.

„Guck lieber nicht so genau hin“, warnte Wilfried Lütke-Tillmann seine Kollegin und legte die Lupe beiseite. „Der ist nicht mehr ganz frisch. Die erste Madengeneration ist schon zugange. Gibt’s hier ’ne große Kühltruhe?“

Sie sah ihn verständnislos an.

„Wenn wir ihn einfrieren, können wir den Wachstumsprozess stoppen. Der liegt garantiert schon sechsunddreißig Stunden hier rum. Und das bei der Hitze!“

Annalena nickte und hielt sich ein Taschentuch vor die Nase. „Ich rieche es. Ist das wirklich der Sparkassendirektor?“

„Wie, du kennst den nicht?“

„Nein.“

„Du Glückliche. Darf ich vorstellen, das da war Felix Kalupka, der Herr des Geldes. Ist erst vor drei oder vier Monaten nach Kalverode gezogen. Mit dem muss jeder reden, der sein Konto überziehen oder gar einen Kredit haben will. Also praktisch alle, die Stress mit der Knete haben.“

Annalena umrundete die Leiche. „Und wenn er einen Antrag ablehnt, hat er sich automatisch einen Feind gemacht?“

„Gut möglich.“

„Ruf Hedwig an. Sie soll sich mit der Bank in Verbindung setzen und herausfinden, wer in Sachen Darlehen vorgesprochen hat und abschlägig beschieden wurde.“

„Und das Bankgeheimnis?“

„Wird vom Staatsanwalt kurzerhand außer Kraft gesetzt, oder? Damit kann sie zumindest schon mal drohen.“

Während Wilfried telefonierte, sah Annalena sich den Toten an. Felix Kalupka lag auf dem Rücken. Die verdrehte Lage des Kopfes ließ einen Genickbruch vermuten. Der winzige Schnitt unterhalb des rechten Auges könnte von einem ausgerutschten Rasiermesser stammen. Vielleicht war er einfach nur die Treppe hinuntergestürzt, vielleicht war alles nur ein Unfall. Sie würden das Bad genau untersuchen.

Trotz der hochsommerlichen Hitze überzog sich ihr Körper mit Gänsehaut. Sie fror. Nein, das war kein Unfall. Sie ging
einen Schritt zurück. Irgendwas stimmte hier nicht. Das hatte sie im Gefühl.

Die großen Buntglasfenster tauchten die Eingangshalle der Gründerzeitvilla in ein dezentes Licht, und Annalena dachte an ihre letzten Ermittlungen. Damals hatte sie zum ersten Mal begriffen, dass Verbrechen viel über die Beziehung zwischen Täter und Opfer verrieten. Wenn Felix Kalupka die Treppe hinuntergestoßen worden war, so musste die Beziehung zum Täter sehr intensiv gewesen sein. Sie holte ihr Notizbuch hervor und schrieb, ohne groß nachzudenken, das Wort „Leidenschaft“ hinein. Bereits beim Schreiben wusste sie, dass sie darüber schon sehr bald den Kopf schütteln würde. Doch aus irgendeinem Grunde erschien es ihr notwendig, diesen ersten Eindruck festzuhalten, und sei es nur deshalb, um das Wort Leidenschaft aus ihrem momentanen Denken zu entfernen.

Ewald Schmeing hatte Thekla Wissing zur Seite genommen und sie zu dem schmiedeeisernen Gartenbänkchen am Rande der Einfahrt geführt. Dort saßen sie nun nebeneinander unter einer ausladenden Trauerrotbuche, deren glänzende Blätter im Wind raschelten und an diesem späten Sommervormittag für eine leichte Brise sorgten.

Wie schön es hier ist, dachte Ewald und betrachtete die Frau an seiner Seite. Die hatte ihre Lippen so fest aufeinandergepresst, als wolle sie nie wieder sprechen. Er sah auf seine Armbanduhr und gestand ihr und sich eine dreiminütige Schweigepause zu. Thekla Wissing wurde unruhig. Nach exakt einhundertachtzig Sekunden drehte er sich zu ihr und fragte: „Warum redest du nicht mit Annalena?“

In aggressivem Flüsterton antwortete Thekla: „Seit die da ist, läuft alles schief. Mein Mann hat mich verlassen.“

„Ich weiß, aber das hat nichts mit unserer Hauptkommissarin zu tun. Das weißt du auch!“

„Pfff“, schnaufte sie. „Du sagst doch immer: Es gibt keinen Zufall. Zufall ist das, was uns vom Schicksal zufällt. Und was fällt mir zu, kaum dass die da ist? Ein Unglück nach dem anderen. Schick sie weg.“ Sie begann wieder zu schluchzen.

„Das geht nicht. Sie ist meine beste Mitarbeiterin, und außerdem ist ihr Vater auf sie angewiesen. Du weißt doch, dass der krank ist.“

„Jahrelang war Markus dein bester Mitarbeiter. Und jetzt ersetzt du ihn einfach so durch dieses junge Huhn. Das hat ihn so gekränkt, dass er mich verlassen hat. Und jetzt finde ich einmal im Leben einen Toten, und du kommst mit diesem Mädchen hierher, statt meinen Mann mitzubringen, der doch Experte ist für die Beweissicherung. Du selbst hast ihn zu all diesen Fortbildungen geschickt, für die er dann auf die Wochenenden mit mir verzichten musste. Ich will mit ihm reden, nur mit ihm.“

Ewald horchte auf. „Hast du denn was zu sagen? Hast du was gesehen, ist dir was Ungewöhnliches aufgefallen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich hab schon die ganze Zeit darüber nachgedacht. Und wenn, dann hätte ich mich doch früher bei euch gemeldet.“ Ihre Stimme zitterte. „Weißt du, ich putz da ahnungslos vor mich hin, und da liegt der schon wer weiß wie lange tot auf den Fliesen rum. Wie kann denn so was passieren? Das darf doch gar nicht sein!“

„Wir reden später darüber. Jetzt beruhige dich erst einmal.“

„Ich will mich aber nicht beruhigen!“ Thekla Wissing stampfte mit dem Fuß auf.

Aus den Augenwinkeln heraus sah Ewald, wie der Notarzt zu seinem Wagen ging und dabei sein Handy bediente.

„Sekunde mal.“ Er ließ Thekla Wissing auf der Bank zurück und hechtete zum Sanitätswagen. „Können Sie der Zeugin dort auf der Bank bitte eine Beruhigungsspritze geben und sie ins Krankenhaus bringen? Ich nehm das auf meine Kappe. Sie soll dort ein Einzelzimmer bekommen und am besten für die nächsten drei bis vier Tage aus dem Verkehr gezogen werden. Wir verhängen eine Nachrichtensperre über den Fall, und bei der da müssen wir eben ein bisschen nachhelfen, dass nichts nach außen dringt.“

„Wie eine Quasseltante sieht die aber gar nicht aus.“

„Der Schein trügt. Wer sie kennt, der fürchtet sie“, log Ewald. Er wusste, dass bereits ein einziger Satz genügte, um die Stadt mit den wildesten Gerüchten zu überfluten. Und das war das Letzte, was er und sein Team noch brauchten.

„Gut. Dann nehm ich sie mit.“ Der Notarzt versuchte ein Lächeln. „Schreckliche Sache da drinnen. Hoffentlich kriegt ihr bald raus, wer das war.“

„Das hoffe ich auch.“

Katharina Gerwens

Über Katharina Gerwens

Biografie

Katharina Gerwens wuchs in einem Dorf im Münsterland auf. Nach ihrer Ausbildung zur Journalistin arbeitete sie in verschiedenen Verlagen und ist heute als freie Autorin tätig. Sie lebt mit Mann und Katze in Niederbayern. Gemeinsam mit Herbert Schröger verfasste sie eine Reihe von...

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