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Sommerkätzchen

Sommerkätzchen

Sonnige Katzengeschichten

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Sommerkätzchen — Inhalt

Warum dürfen Katzen unhöflich sein, ohne Sanktionen befürchten zu müssen? Diese und viele andere Fragen beantworten Menschen, die es wissen müssen – von Elfriede Hammerl und Thomas Raab bis zu Gisa Pauly und Alex Capus  – in einer vergnüglichen Sammlung von Katzengeschichten. Und stets gelangen sie zur selben Erkenntnis: „Ein Leben ohne Katze ist möglich, aber sinnlos!“

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 01.06.2016
Herausgegeben von: Jone Heer
240 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-97324-3
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Leseprobe zu „Sommerkätzchen“

Von Katzen, verfluchten
Dichtern und der Sommerfrische

Der Sommer war sehr groß.
Sagt der Dichter Rainer Maria Rilke. Das sagt er aber nicht einfach so daher, das sagt er im Gedicht. Wir haben es in der Schule auswendig gelernt, und es hat uns nicht geschadet. Heute meint man, das Auswendiglernen von Gedichten sei eine Tortur, die jugendlichen Seelen nicht zuzumuten ist. Weshalb man von Leuten unter fünfzig dumm angeguckt wird, wenn man mit versonnenem Lächeln sagt, der Sommer sei in diesem Jahr sehr groß.
Konrad lächelte versonnen zurück, er kennt das [...]

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Von Katzen, verfluchten
Dichtern und der Sommerfrische

Der Sommer war sehr groß.
Sagt der Dichter Rainer Maria Rilke. Das sagt er aber nicht einfach so daher, das sagt er im Gedicht. Wir haben es in der Schule auswendig gelernt, und es hat uns nicht geschadet. Heute meint man, das Auswendiglernen von Gedichten sei eine Tortur, die jugendlichen Seelen nicht zuzumuten ist. Weshalb man von Leuten unter fünfzig dumm angeguckt wird, wenn man mit versonnenem Lächeln sagt, der Sommer sei in diesem Jahr sehr groß.
Konrad lächelte versonnen zurück, er kennt das Gedicht, und dafür – unter anderem – liebe ich Konrad. Natürlich kennt er nicht nur dieses eine, er kennt Gedichte von den Merseburger Zaubersprüchen bis zu denen, die er in jungen Jahren selbst geschrieben und die er mir nie gezeigt hat.
Zur Zeit jenes Dichters mit dem eindrucksvollen Schnauzer, dem seelenvollen Blick und dem großen Sommer gab es noch andere schöne Wörter. Man sagte zum Beispiel nicht Urlaub, man sagte Sommerfrische. Ein kühles, heiteres, melodisches Wort, es schmeckt nach Sonne und Wind und einem Himmel, über den freundliche Wolken gelassen hinwegziehen. Wie bei uns im Hochschwarzwald. Viele Leute reisen von weither und zahlen ein Mordsgeld dafür, hier weilen zu können, zwischen Kuhglockengebimmel, Schafsgeblök und Güllegeruch. Denn wir sitzen mittendrin in der Sommerfrische, wir sommerfrischeln umsonst. Aber was man immer hat, schätzt man weniger.
„Fahren wir doch ein oder zwei Wochen in eine andere Sommerfrische“, sagte Konrad. „Mich brennt’s in meinen Reiseschuhn.“
Was er aber nicht wörtlich meinte, er meinte seine Autoreifen.
„Schön wär’s“, sagte ich.
„Schön wird’s!“, sagte Konrad.
„Und was ist mit Schlumpel?“
Schlumpel ist meine und – wenn ihr gerade danach ist – auch Konrads Katze. Eines Morgens stand hinter der Küchentür eine alte Schachtel, darin hockte ein junges Ding, rot bepelzt, mit grünen Augen, schmuddeligen Pfoten und einem Charme, dem ich sofort erlag. Hergebracht hatte sie der Pfarrer von St. Blasien, und auf einem Zettel las ich, hier vertraue er mir das Enkelkind jenes berüchtigten schwarzen Katers namens Mephistopheles an, der ihm mit seiner nächtlichen Singerei und auch sonst das Leben zur Hölle gemacht habe und dann gottlob ausgewandert sei, um, wie er vermute, auch mir das Leben zur Hölle zu machen. Dieser Mephistopheles habe reichlich herumgehurt, sei der Stammvater eines großen Geschlechtes, und für das kleine rote Ding in der Schachtel zu sorgen, gehe über seine, des Pfarrers, Kräfte. Weshalb er das, wie er zugeben müsse, durchaus anmutige, atemberaubend muntere Geschöpf meiner Obhut anvertraue. Und er werde mich in sein Nachtgebet einschließen.
So kam Schlumpel zu mir, und ich liebte sie vom ers­­ten Moment an, wie ich ihren Großvater geliebt habe, meinen unvergesslichen Stoffele, diesen Saukater, Macho und Tunichtgut, der aus meinen Kissen die Fäden herauszog, meine Teppichfransen zerkaute, meine Hausordnung zerfetzte, meinen Schaukelstuhl zu dem seinigen erklärte und, weil er mir einen Stern vom Himmel holen wollte, vom Dach fiel, deshalb längst in den ewigen Jagdgründen weilt und gelegentlich in meine Träume hereinschaut.
„Und was ist mit Schlumpel?“, fragte ich also. „Wer soll sie, wenn wir in der Sommerfrische weilen, füttern, streicheln und ihr zehnmal am Tag sagen, dass sie die Allerliebste und Allerschönste ist?“
„Petermann“, sagte Konrad nach einigem Nachdenken.
Ich kannte keinen Petermann, dem ich meine Katze anvertraut hätte.
„Petermann ist ein Freund von mir. Der sucht gerade einen Zufluchtsort, weil seine Wohnung in Konstanz renoviert wird und der Krach ihn schier in den Wahnsinn treibe, wie er mir gesagt hat. Petermanns Nervensystem ist so sensibel, da kommt deins nicht mit. Hier hätt er’s ruhig, gute Luft und Salat, frisch vom Beet.“
Ich stellte die Gretchenfrage: „Wie hält Petermann es mit Katzen?“
„Er hat mal erwähnt, seine kleine Nichte habe eine.“
Das überzeugte mich nicht von Petermanns Katzenhüterqualitäten. „Du weißt, dass Schlumpel sehr ungnädig sein kann, wenn hier Leute herumlaufen, die ihrer Meinung nach nicht in dieses Haus gehören.“
„Petermann“, sagte Konrad beschwörend, „ist aber doch ein Schöngeist und Dichter. Und Dichter gehören in dieses Haus.“
Da hatte er recht. Ich schreibe über Katzen, weil mir das Spaß macht und weil ich über Katzen schreiben muss. Denn mein Verlag will immer nur was über Katzen von mir, da Katzengeschichten nun mal gut gehen, obwohl meine anderen, nicht von Katzen bevölkerten Geschichten noch besser sind. Konrad schreibt kluge Essays über Musik und auch Erzählungen, in denen oft Leute auf unerklär­liche Weise verschwinden. Weshalb ich ihn gebeten habe, bloß keine Katze verschwinden und nicht wiederkommen zu lassen, sonst sei’s aus mit uns. Was Konrad gelobt und gehalten hat.
Trotzdem äußerte ich Bedenken.
„Dichter und Schöngeister mögen Katzen“, sagte Konrad. „Thomas Mann war mehr für Hunde.“
„Der gilt nicht. Baudelaire, verrückt nach Katzen, hat seine Liebe in Verse gegossen: ›Komm, meine schöne Katze, an mein verliebtes Herz!‹“
Monsieur Charles Baudelaire ist für uns nämlich kein Fremder, er ergeht sich manchmal zur Blauen Stunde in unserem Garten, sinnend und dichtend. Schlumpel mag ihn sehr. Vor allem seine grünen Haare.
„Und Robert Walser“, fuhr Konrad fort, »hat mal ge­­schrieben: ›Ich dachte heute an nichts als an das Kätzchen.‹« Dann fiel ihm auch noch Doris Lessing ein: „›0 Katze! Schööööne Katze! Kostbare Katze! Erlesene Katze! Seidige Katze! Katze! Katze! Katze!‹ Na? Genügt das?“
„Nein. Das spricht zwar für die Dichter“, sagte ich, „aber machen Dichter auch Katzenklos sauber? Was tun Schöngeister, wenn die Katze spuckt, weil sie Kaninchenragout sehr fein nicht mag, unter den Schrank pinkelt, mit einem Tatzenhieb das Computerprogramm löscht?“
„Im schlimmsten Fall“, sagte Konrad, „machen sie ein Gedicht.“
„Und im besten?“
„Machen sie auch eins.“
„Aber Bruder Grau –“
Bruder Grau ist ein Kartäuser (und Kartäuserkater sind nun mal grau), der seine Zuneigung zu uns entdeckt hat. Eigentlich ist er ein wilder Streuner und fahrender Sänger, ohne einen Platz, auf dem er sein graues Haupt zur Ruhe legen kann. Und er hat immer Hunger, gewaltigen Katerhunger, den wir nach besten Kräften stillen. Er findet stets ein gefülltes Schüsselchen, auf dem geschrieben steht: Für liebe Gäste.
„Glaubst du, ich lass unseren grauen Bruder verhungern?“, fragte Konrad entrüstet.
„Mir wär’s lieber, Petermann ließe ihn nicht verhungern“, sagte ich. „Du weilst mit mir ja in irgendeiner anderen Sommerfrische.“
„Allerdings ist Petermann –“
„Hat er einen Haken?“
„Er neigt zum Hypochondertum. Kriegt alle Krankheiten, von denen abends zuvor in den Gesundheitssendungen des Fernsehens die Rede war. Sagt man ihm, heut sehe er aber gar nicht gut aus, ist er imstand und stirbt auf der Stelle. Aber sonst leg ich für ihn die Hand ins Feuer.“
Das tat Konrad so lange, bis ich es nicht mehr sehen konnte. „Tu die Hand da raus! Probieren wir’s!“
Und also probierten wir’s mit Petermann, dem sensiblen Dichter und lärmempfindlichen Schöngeist.

Petermann kam, er sah pumperlgesund und prächtig aus mit seinem beigen Strohhut, den er schief trug, einem getupften, seltsam verschlungenen Etwas am Hals, einem Mittelding zwischen Krawatte und Fliege, das ich blöd fand, und Konrad auch. Aber Petermann zuliebe fand er es, wie er schmeichlerisch sagte, geradezu innovativ. Und dann erklärten wir ihm alles, den Fernseher, den Weinkeller, die Tiefkühltruhe. Den Computer nicht – von dem soll er die Dichterfinger lassen, flüsterte ich Konrad zu –, und Bruder Grau erklärten wir ihm auch.
Petermann schloss ihn sofort ins Herz, weil Bruder Grau, wie er auch, ein aus der Gesellschaft Ausgeschlossener sei, ein Sonderling, eine poetische Existenz sozusagen. Wobei ich fand, da lüge er sich in die Tasche, denn Petermann war – er hatte geerbt – durchaus wohlsituiert; es ging ihm ausgesprochen gut, jedenfalls besser als Bruder Grau, der kein bisschen poetisch und wohlsituiert war und nichts geerbt hatte. Auch plagten ihn – Petermann – weder Flöhe noch Milben noch Würmer.
Trotzdem legten wir Petermann die Nummern des Internisten, des Orthopäden, des Urologen, des Proktologen, des Chiropraktikers, die unseres Hausarztes sowie die eines gut beleumundeten Heilpraktikers neben das Telefon. Petermann sortierte seine Pillen in dafür vorgesehene Schächtelchen, die wie Schubladen in einer kleinen Kommode stecken und eingeteilt sind in Fächer für morgens, mittags, abends und nachts.
Dann kam Schlumpel. Petermann lüpfte seinen Stroh­­hut, den er immer noch aufhatte, wegen der in unserer Höhe intensiven Sonnenstrahlung, und sagte, er habe die Ehre. Schlumpel sagte gar nichts, aber ihr Blick sagte, sie habe nicht die Ehre. Ich nahm sie auf den Arm, lobte Petermann übern Schellenbambl, wie man bei uns im Badischen sagt, er sei ein Bewunderer von Monsieur Baudelaire mit dem grünen Haar, der sie, Schlumpel, so bewundere, appellierte an ihren Großmut und ihre Intelligenz, bat sie, sich von ihrer allernettesten Seite zu zeigen. Und ich würde ihr auch was Schönes mitbringen.
Schlumpel knabberte an meinen Haaren und sagte, dann wolle sie mal nicht so sein und – da denkt meine Katze praktisch – Konrad solle ihr auch was Schönes mitbringen, von zwei schönen Mitbringseln habe man mehr als nur von einem. Wenn ich hier sage, was Schlumpel gesagt hat, dann ist das wörtlich zu nehmen. Denn in unserem Hause sprechen Mensch und Katz miteinander, das hat sich so ergeben, und wir sind dabei geblieben.
Petermann fand Schlumpel apart, ihren Namen verheißungsvoll, die Gegend herrlich, die Ruhe bemerkenswert, die Eier meiner Eierfrau wohlschmeckend, mein Quitten­gelee köstlich. Und so fuhren Konrad und ich beruhigt von dannen, in eine größere Stadt mit allen geistigen Anregungen, die wir hinter unserem Schwarzwaldmond eher selten finden, mit Theater, Konzert, Oper, Museen, eine Stadt voller Trubel und weltstädtischem Flair.
Die Nichtruhe, die wir sonst zu Hause nicht genießen, ­genossen wir dort in vollen Zügen. Allerdings hatte sich über dieser Stadt ein atlantisches Tief niedergelassen, das nicht genug von uns kriegen konnte, und wir liefen mit ­Regenmänteln und Schirm herum, was wir zwei Tage er­­frischend fanden, dann aber nicht mehr, vor allem, weil wir hörten, auf unseren Schwarzwaldhöhen habe sich ein Azorenhoch breitgemacht und erheitere Einheimische und Fremde.
Nach zwei Wochen waren wir so erschöpft vom Genuss der Nichtruhe, dass wir uns nach unserer häuslichen Ruhe sehnten und nach einem heiteren blauen, sommerfrischen Himmel, und deshalb fuhren wir wieder heim.

Petermann stand vor der Tür und winkte uns mit seinem Strohhut herzlich zu, bedauerte sehr unsere Rückkehr und schlug vor, noch eine Urlaubswoche dranzuhängen, aber bitte nicht hier. Wir störten.
Schlumpel, die sonst immer schnell angerannt kommt, war nicht da.
„Wo steckt meine Schlumpel, Petermann?“, fragte ich.
„In meinem Bett. Sie schläft. Trampel nicht so“, sagte er zu Konrad, „Katzen und Dichter mögen’s leis. Ich hol sie.“ Er kam zurück, Schlumpel im Arm, sie schmiegte den schönen Kopf an seine dicke Backe.
„Habt ihr euch vertragen? Sie hat’s sonst ja nicht so mit Fremden.“
„Vertragen“, sagte Petermann, »ist gar kein Ausdruck. Ich hab mich in ihr rotes Haar verliebt. Was ich auch bedich­tet habe.« Petermann sah tief in Schlumpels grüne Augen und legte los:
„Im Sommer war das Gras so tief,
Daß jeder Wind daran vorüberlief.
Ich habe da dein Blut gespürt.
Und wie es heiß zu mir herüberrann.
Du hast nur meine Stirn berührt,
Da schmolz er auch schon hin, der harte Mann,
Weil’s solche Liebe nicht tagtäglich gibt.
Ich hab mich in dein rotes Haar verliebt …“
„Petermann“, sagte ich, „du lügst.“
Er sah mich empört an.
„Dieses rote Haar gehört nicht meiner Schlumpel, sondern einer Maid, die dein Dichterkollege François Villon besungen hat. Der stand auch schon auf Rot, allerdings ein paar hundert Jahre vor dir, und bei einer anderen Schlumpel. Fast hätte man ihn aufgehängt.“
„Schlumpelhalber?“, fragte Petermann besorgt.
„Nein, wegen Beleidigung der Obrigkeit und noch ein paar anderer Delikte. Er war wirklich ein Außenseiter, ein fahrender Sänger, ein Vagabund. Und ein Genie dazu.“
„Da muss ich uns verwechselt haben“, sagte Petermann unzerknirscht. „Ja, so sind wir nun mal, wir Dichter. Genial. Kritisch. Unbeugsam.“
Schlumpel beknabberte zuerst seinen Daumen, dann fraß sie einen Tupfen von seiner Krawattenfliege.
Ich erkundigte mich nach dem Befinden seiner inneren Organe.
Vor lauter Schlumpel, sagte Petermann, habe er keine Zeit gehabt, sich darum zu kümmern, habe sogar vergessen, die Pillen regelmäßig zu nehmen.
„Bleib noch einen Tag“, sagte ich großmütig, „dann müsst ihr Abschied nehmen.“
Petermann trübte ein und gestand, ohne meine Katze nicht mehr leben zu können. Und vor allem nichts mehr zu schaffen, denn Schlumpel sei, weil poetisch so naturbegabt, eine große Hilfe für ihn.
„Wie meinst du das, Petermann?“, fragte ich nicht ohne Misstrauen, denn Schlumpels poetische Ader war mir bisher nicht aufgefallen.
„Diese Katze ist was Besonderes“, sagte er. „Die Katze aller Katzen.“
„Das wissen wir“, sagten Konrad und ich wie aus einem Mund.
Schlumpel guckte, als wisse sie das auch. Doch was heißt wisse – sie weiß es.
„Sie kann nicht genug kriegen“, sagte Petermann. „Will dauernd was hören.“
Schlumpel tatzelte nach Petermanns Strohhut.
„Ganz der Opa“, sagte ich. „Dem hab ich auch immer was erzählen müssen. Worauf war sie denn besonders scharf?“
„Auf mich“, sagte Petermann bescheiden. „Sie ist ganz wild nach Gedichten. Natürlich nach meinen.“
Schlumpel schleckte Petermanns Ohr ab. Petermann kicherte. „Sie versteht eine Menge davon. Ist geradezu eine Fachkatze für Lyrik. Klopft mit dem Schwanz den Rhythmus mit. Wie Goethe.“
„Was?“
„Der klopfte mit den Fingern das Metrum auf den Rücken seiner Geliebten.“
„Goethe hat Frau von Stein beklopft?“, fragte Konrad. „Das ist mir aber entgangen.“
„Nicht die“, sagte Petermann. „Eine schöne junge Dame in Rom. Sie hatte ein sehr sicheres Urteil, sicherer als so mancher Literaturpapst.“
„Die beklopfte leckere junge Dame in Rom?“
„Schlumpel. Die redet und schwafelt nicht drumherum, wie die Literaturtrüffelschweine und Feuilletonschreiberlinge. Was sie sagt, hat Hand und Fuß, beziehungsweise Pfot. Sie ist eindeutig. Klar. Souverän. Legt sie den Schwanz rechts um sich herum, gefällt ihr das Gedicht. Ein Rechtsrumschwanz mit begleitendem Schnurren heißt genial. Wenn ich ihr eins von mir vorgelesen habe, hat sie ihren Schwanz fast immer rechtsrum gelegt und dabei über die Maßen geschnurrt. Du hast nie geschnurrt“ – er sah Konrad kühl an –, „wenn ich dir mal eins vorgelesen hab. Schwanz links herum bedeutet, da gehst du besser noch mal drüber. Ein Bürstenschwanz mit aufgestelltem Haar heißt: Lass es lieber! Hat sie aber nur einmal gemacht. Was ihr erst einer nachmachen soll.“
Das freute mich von Herzen und erfüllte mich mit einem gewissen, aber unberechtigten Stolz, denn Schlumpels lyrischer Verstand ging ja nicht auf mein Konto.
„Ich nehm sie mit“, sagte Petermann. „Ihr könnt sie schon mal zusammenpacken. Ich werde über sie schreiben. Bedichten werd ich sie.“
Ich entriss ihm Schlumpel. „Kommt nicht in Frage. Über Schlumpel schreib nur ich! Du lässt die Finger von meiner Katze und hältst dein poetisches Maul. Bedichte meinetwegen die Bodenseeschwäne oder die Möwen, die alle Emma heißen.“
„Ich nehm sie mit“, sagte Petermann stur. „Ihr habt ja Bruder Grau. Der reicht für euch.“
„Was soll das heißen?“, rief Konrad.
„Ich brauch sie. Als Musenkatze. Als Katzenmuse.“
„Ich brauch sie auch“, sagte ich. „Als Katze.“
Schlumpel drückte den Kopf in meine Halsgrube und verlangte nach dem Mitbringsel.
„Leg dir selber eine zu“, sagte ich zu Petermann. „Katzen gibt’s jede Menge. Nimm Bruder Grau! Dort hockt er hinter der Balkontür.“
„Dort ist er den ganzen Tag über gehockt“, sagte Petermann. „Oder er hat gepennt und auf die nächste Fütterung gewartet. Ich hab ihm immer eine doppelte Portion gegeben, und das dreimal am Tag. Weil er so geguckt hat.“
Bruder Grau musste es gehört haben, denn er guckte wieder so.
„Ich weiß ja, wie das ist, ein fahrender Sänger zu sein“, sagte Petermann, „ausgestoßen aus der Gesellschaft und –“
„Nimm ihn mit“, sagte Konrad. »Du kriegst ihn um­­sonst.«
Bruder Grau machte Männchen und kratzte am Türrahmen. Petermann winkte ihm zu, aber mitnehmen wollte er ihn nicht, weil er zu proletarisch sei und beim Fressen schmatze. „Keine Katze ist von solch poetischer Intelligenz wie Schlumpel“, sagte er. „Sie ist ungeheuer inspirierend. Die ist viel zu gut für euch. Eine solche Perle schmeißt man nicht vor die – na ja.“
„Kommt nicht in Frage“, sagte ich, und Konrad, der mir Schlumpel entrissen hatte, nickte sogar zweimal, was in diesem Fall nicht ja bedeutete, sondern ein entschiedenes Nein. So entschieden, dass ich mich fragte, wem er, vor die Wahl gestellt, entweder Schlumpel oder mich mit Petermann ziehen zu lassen, wohl den Abschied gäbe. Und ich beschloss, statt seines Leibgerichts – mit Pilzen gefüllte und mit Par­mesan überbackene Pfannkuchen – zum Abendessen alte Kartoffeln mit Bibbeleskäs zu servieren, dazu Hagebuttentee.
Schlumpel heischte von Konrad zu wissen, was er ihr denn mitgebracht habe. Bruder Grau kratzte und guckte. Petermann stellte sich an. Seufzte, bettelte, erklärte, dann komme er in die Krise und werde dichterisch verstummen.
Ich blieb hart. Packte ihm noch zwei Gläser Quittengelee ein, man weiß ja nie, wann man ihn wieder brauchen kann, und zehn frische Eier, damit übersteht man auch Krisen besser. Konrad machte ein wehmütiges Foto von Petermann mit Schlumpel im Arm, dann reiste Petermann ohne Abendbrot – er hätte keinen Bissen hinuntergebracht, wie er sagte, und Bibbeleskäs sei, weil unpoetisch, sowieso nicht sein Ding – zurück an den Bodensee in ein schlumpelloses Leben, und Schlumpel verdrückte das Mitbringsel, ein Paar von der Stiftung Warentest mit „sehr gut“ ausgezeichnete Wienerle. Für uns holen wir immer nur die „gut“. Bruder Grau kriegte Geflügelhäppchen an feiner Soße und machte uns klar, ab heute bestehe er auf zwei Portionen.

„Den hast du aber bezirzt“, sagte ich zu Schlumpel. Sie saß auf meinem Schoß, machte Müffchen und schnurrte; Konrad saß in seinem Musiksessel und hörte Lautenmusik von John Dowland. Die ist so beruhigend, auch Schlumpel schläft am liebsten bei Dowland. „Und zugenommen hast du ganz schön.“
Schlumpel schleckte sich die Schnauze. „Rinderhack aus Mutterweiderind. Milch von biologischen Kühen. Und Tabs. Aber nicht die billigen“ – schräger Blick zu Konrad –, „sondern die besseren, die wo so riechen.“
„Was?“
„Hat er immer geholt. Wenn ich den Schwanz rechtsrum gelegt habe. Wir sind doch nicht blöd, mein Schwanz und ich. Drum hat der sich immer rechtsrum –“
„Das war kein poetisches Liebes-, sondern ein Hackfleischverhältnis“, sagte Konrad. „Bei uns beiden“ – er sah mich zärtlich an – „ist’s umgekehrt. Wann machst du endlich die Pilze?“

Längere Zeit hörten wir nichts von Petermann. Er geriet, wie versprochen, in eine schwere dichterische Krise, in der er ziemlich lange verweilte. Als er wieder herauskam aus der Krise und aus dem Verstummen, schrieb er einen Gedicht­zyklus, durch den ein frischer poetischer Wind wehte. Er stellte ihm die Widmung Für Schlumpel voran, was in literarischen Kreisen einiges Rätselraten hervorrief, hatte man Petermann bisher doch eher mit Musen in Verbindung gebracht, deren Namen auf eine etwas vornehmere Abstammung hindeuteten.
Konrad und ich gefielen uns darin, abenteuerliche Ver­mutungen anzustellen. Da es uns an Phantasie nicht mangelt, malten wir uns aus, wie Joachim Kaiser (von der Süddeutschen Zeitung) in Schlumpel eine unerreichbare ferne Geliebte sah, ganz wie bei Beethoven, aber aus niedrigeren Kreisen. Ein wildes, schönes Natur-, Gossen- oder Schmuddelkind, dessen loser Wortschatz den bisher eher elitären, gepflegten des Dichters erfrischend bereichere. Konrad er­­nannte Petermann sogar zum poète maudit, der am heimischen, sonst eher biederbraven Bodensee eine ganze Schule begründete und dem viele junge, unbiedere, wilde Poeten, die auch gern verflucht sein wollten, nacheiferten – Schlumpellyriker nannten sie sich – und deren liederlichste Ge­­­dichte, gesättigt von drastischer Erotik, demnächst in einer Anthologie veröffentlicht würden. Und der Komponist Aribert Reimann, so stellten wir uns weiter vor, trage sich mit dem Gedanken, den Schlumpelzyklus zu vertonen; der Bariton Dietrich Fischer-Dieskau bedaure, diese Lieder, wegen seines Rücktritts von der Konzertbühne, nicht mehr ur­­aufführen zu können. Und endlich werde Petermann, doch noch mit Schlumpel vereint, vermutlich in die Unsterblichkeit eingehen.
Das alles stellten wir uns aber, wie gesagt, nur vor, wohl wissend, wie albern es war. Unsere Phantasien haben sonst immer ein hohes Niveau.

Schlumpel, die sich gerade ganz unpoetisch den Hintern schleckt, ist das wurscht. Bruder Grau kratzt an der Tür und guckt so. Konrad schreibt eine Geschichte über den fahrenden Sänger, Vaganten und verfluchten Poeten François Villon, der im Jahre 1463, nachdem er wegen seines schlimmen Lebenswandels aus der Stadt und Grafschaft Paris verbannt worden war, spurlos verschwand.

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