Selbstporträt mit Bonaparte
Roman
„Einer der klügsten Romane der Saison.“ - Spiegel online
Selbstporträt mit Bonaparte — Inhalt
Bonaparte, notorischer Spieler und ihr Geliebter, ist weg. Immer wieder musste sie sich auf seine Abwesenheit einstellen. Doch diesmal ist es anders– zögerlich zunächst, aber auch beharrlich geht sie seinem Verschwinden nach, hinterfragt ihre Liebe und das, was sie mit ihm verbindet. Während sie als Fotografin ihre Arbeit macht und ostdeutsche Landschaften ins Visier nimmt, tastet sie nach den verborgenen Fäden in die Vergangenheit. Ist mit dem gemeinsamen Glücksspiel auch ihre Liebesgeschichte verlorengegangen?Vor dem Stillstand, der sie erfasst, vermag sie einzig die Leidenschaft zu retten.„Selbstporträt mit Bonaparte“ ist ein ebenso knapper wie präziser Roman über die Liebe und die allumfassende Macht der Unbeständigkeit.
Leseprobe zu „Selbstporträt mit Bonaparte“
Für Edgar & Zelda
„Aber die Zeit vergeht,
und was passiert eigentlich?“
Steve McQueen zu Astrid Heeren in
Thomas Crown ist nicht zu fassen
Und dann, in jener langen Sekunde, wenn die Kugel noch unterwegs ist, wenn sie sich noch nicht entschieden hat für eine Zahl, ist alle Zeit ausgelöscht. Keine Zukunft, keine Vergangenheit. Für diesen einen Moment kann man beruhigt sein, die Welt, sie wartet noch.
In welch sonderbarer Zeit spielt das, was ich erzähle?
Sechshundertachtundachtzig. Wie mir auf meine Nachfrage am Empfangstresen des Kasinos von P. mitgeteilt [...]
Für Edgar & Zelda
„Aber die Zeit vergeht,
und was passiert eigentlich?“
Steve McQueen zu Astrid Heeren in
Thomas Crown ist nicht zu fassen
Und dann, in jener langen Sekunde, wenn die Kugel noch unterwegs ist, wenn sie sich noch nicht entschieden hat für eine Zahl, ist alle Zeit ausgelöscht. Keine Zukunft, keine Vergangenheit. Für diesen einen Moment kann man beruhigt sein, die Welt, sie wartet noch.
In welch sonderbarer Zeit spielt das, was ich erzähle?
Sechshundertachtundachtzig. Wie mir auf meine Nachfrage am Empfangstresen des Kasinos von P. mitgeteilt wurde, war ich sechshundertachtundachtzig Mal dort zu Gast. Eine gigantische Zahl, kommt es mir rückblickend vor. Riesenhaft, beherrschend, eine Zahl jedenfalls, die mich zutiefst erstaunt. Dabei müsste ich es wissen: Immer wieder finde ich alte Eintrittskarten – in Mantel- und Hosentaschen, ausrangierten Portemonnaies oder Schachteln, zwischen Papieren auf meinem Arbeitstisch oder als Lesezeichen in Büchern. Dass ich sie finde, ist kein Zufall. Ich kann sie nicht wegwerfen. Ich hänge an ihnen. Schon in frühester Zeit ist es mir unmöglich gewesen, mich von Nichtigkeiten zu trennen: Unfähig, den übrig gebliebenen Stumpf eines Apfels aus einem fahrenden Auto zu werfen, einen Kaugummi wegzuspucken oder ein paar ausgekämmte Haare in einem Zugabteil zurückzulassen, zog ich jedes Mal das Unverständnis meiner entnervten Mitmenschen auf mich. Wo sie bloß Reste oder Kleinkram sahen, empfand ich eine regelrechte Qual bei der Trennung von allem, was eben noch ganz und gar zu mir gehört hatte.
In diesem Fall allerdings, im Fall der Kasino-Eintrittskarten, habe ich seit Längerem tatsächlich den Eindruck, in ihnen offenbart sich meine wirkliche Existenz. Zumindest zeugen sie von einer Stetigkeit, wie sie in meinem sonstigen Leben nicht vorkommt. Es stimmt zwar, dass auf Wochen und Monate, in denen ich Abend für Abend am Roulettetisch stand, immer eine Zeit folgte, in der ich überhaupt nicht ins Kasino ging, aber das spielt keine Rolle. Denn selbst wenn ich draußen blieb, blieb ich doch in der Nähe. Womöglich faszinierte mich der Geist des Spiels während dieser Zeit sogar noch mehr …, sodass es also durchaus den Tatsachen entspricht, wenn ich behaupte, dass es nie wirklich aus meinem Leben verschwunden war.
Aber was heißt: mein Leben? Und was heißt: ich? Habe ich mich, sobald das Gespräch zufällig aufs Roulette und meine Leidenschaft dafür kam, nicht immer beeilt zu betonen, ich würde nicht allein spielen? Ein Hinweis, der ebenfalls der Wahrheit entspricht. Allerdings habe ich ihn immer so vorgebracht, dass das Wesentliche dem Zuhörer entgehen musste, ja in den meisten Fällen vermutlich geradezu entgegengesetzt aufgefasst worden ist – nämlich als ein Einwand. So als könnte ich das Spielen irgendwie und gegen jede Logik kleiner machen, das Ganze abschwächen, wenn ich betonte, ich würde es zu zweit tun. Was man zu zweit tut, kann nicht dem Wahnsinn angehören. Noch nicht oder wenigstens nicht ganz. Vermutlich war diese Abschwächung aber nur meinem Unwillen geschuldet, überhaupt davon zu sprechen (was etwas anderes ist, als es bewusst zu verschweigen), was mir anfangs sogar gelungen ist. In dem Maße, wie die Besuche im Kasino für mich zu einer Normalität geworden sind, habe ich allmählich locker gelassen in dieser Hinsicht, auch weil für mich außerhalb des Roulettes oft gar nichts des Erzählens wert scheint, ja mir jedes andere Thema so gut wie immer an der Hauptsache vorbei erzählt vorkommt … Weshalb dann also trotzdem immer wieder der Versuch, die erstaunten oder interessierten Nachfragen irgendwelcher Zuhörer zu dämpfen, ausgerechnet mit dem kleinen Zusatz: zu zweit , der doch nur als Halbherzigkeit, als ein Ausweichen ins Unverbindliche ausgelegt werden konnte? Wo doch immer das Gegenteil der Fall war.
Das Gegenteil der Fall ist.
Auf den ersten Blick könnte man die Eintrittskarten für eine Art Tagebuch halten. Immerhin ließe sich an ihnen ablesen, wo ich mich an dem betreffenden Tag aufgehalten, womit ich mich befasst habe. Aber die kleinen roten Kärtchen mit dem Datum und der Art des jeweiligen Eintritts darauf (Glückspaket oder Tageskarte) bilden nur scheinbar den Faden einer Erzählung. Selbst wenn ich auf jedem die Einzelheiten des Abends notiert hätte – es ist vollkommen gleichgültig, wann und ob ich das Kasino mit einem Gewinn oder Verlust wieder verlassen habe. In Wahrheit gleichen sie insgesamt und in ihrer ungeheuren Menge einem Beweis. Dem Beweis für eine Art rückwärtiger Existenz , einer Existenz also, auf die es tatsächlich ankommt. (Genau wie in Büchern gerade die Stellen, an denen der Autor Bekenntnisse abgibt und sich scheinbar offenbart, oft die unwesentlichsten sind und es in Wirklichkeit fast immer auf die ankommt, die man als erfundene Zutaten überliest.) Wo herkömmliche Biografien den üblichen Werdegang eines Menschen präsentieren (Geburt, Kindheit, Schulgang, Wohnorte, Liebes- und Arbeitsbeziehungen), enthielte eine rückwärtige Biografie das scheinbar Nebensächliche, eine schnell zu übersehende, aber beständige Manie. Der verführerischen Vorstellung einer Leiter des beruflichen und persönlichen Vorankommens würde sie das ewig Gleiche eines Menschen gegenüberstellen, jene Seite, auf der andere Gesetze gelten. So ließe sich mein Leben zum Beispiel leicht ohne die Leidenschaft fürs Roulette erzählen – dann käme Bonaparte vermutlich an keiner Stelle vor. Wohingegen auf der Rückseite dieser Lebenserzählung von nichts anderem die Rede sein kann.
Bonaparte ist weg.
Seit einem oder hundert Tagen. Zum ersten oder hundertsten Mal haben sich unsere Wege getrennt. Während ich die Zahl der Kasinobesuche genau kenne, habe ich die Abwesenheiten, Bonapartes oder meine, die Längen, Tage und Wochen unseres Getrenntseins nie gezählt. Äußerlich betrachtet, ist mein Leben in diesen Zeiten immer verlaufen wie sonst auch: Wenn ich nicht selbst unterwegs war, habe ich mich mit Fotografen oder Malern getroffen, für deren Ausstellungen oder Kataloge ich Texte verfasse, habe ich einen Film im Kino gesehen oder meinen gemütskranken Vater besucht. Allerdings bekommen diese Handlungen auf diese Weise eine Bedeutsamkeit, die unangemessen ist. Anstatt ein Vorspiel zu sein, bilden sie plötzlich das Zentrum der Tage, die, obwohl gefüllt, auf nichts hinauslaufen. Jede Tätigkeit in Wirklichkeit ein Herumzappeln, nur dazu da, die Zeit auszufüllen, bis wir uns wiedersehen. Oder wiederhören.
Soweit ich mich erinnere, haben seine Anrufe immer Erschrecken und Freude bei mir ausgelöst. In dieser Reihenfolge. Dabei bin ich jedes Mal aus den Gedanken an ihn hochgeschreckt, kommt es mir vor. Vielleicht liegt es an seiner Angewohnheit, sich auch nach Jahren noch mit seinem vollständigen Namen zu melden, dieser Art, sich zu räuspern und seinen Namen zu nennen, als sei er mit irgendeinem Amt zur Klärung eines Sachverhalts verbunden. Als wolle er mir mitteilen, dass seine Liebe zu mir nun endgültig, ein für alle Mal erloschen sei. Befürchtungen, die sich natürlich als haltlos erweisen, da es genauso seine Art ist, zwei Minuten nach dem Anruf mit einem Päckchen Tee oder einer Flasche Martini bei mir aufzutauchen, nach Tagen, Wochen, Jahrhunderten der Abwesenheit plötzlich die Türen aufzureißen und übergangslos, jedenfalls ohne großartiges Wiedersehenszeremoniell, da zu sein …
Keiner fällt heute mehr aus der Welt. Weggehen heißt Wiederkommen.
Sätze, die aus meinem Kopf stammen. Aber da wir nie darüber gesprochen haben, ist es gut möglich, dass für Bonaparte eine andere Zeitrechnung gilt, dass er seine Abwesenheit nicht als Zwischenzeit betrachtet, nie betrachtet hat. Genauso wie es möglich ist, dass sich seine Biografie für ihn nicht in eine Vorder- und Rückseite aufklappen lässt. Und selbst wenn sie es täte, wäre es vermutlich nicht sicher, zu welcher der beiden Seiten ich gehöre.
Als Bonaparte zum ersten Mal in meinem Schaukelstuhl saß, fiel sein Blick auf die kleine Trittleiter, die vor meinem Bücherregal stand. Offenbar schien ihm dieser Verwendungszweck vollkommen unverständlich, denn er sprang sofort auf und stellte sie vor das Dachfenster, von dem aus man auf ein kleines Eisengitter gelangt. Im Falle eines Brandes soll die Feuerwehr dort andocken. Bonaparte hatte darauf bestanden, dass die Leiter dort stehen bleibt, und wir waren beide aufs Dach gestiegen. Ich habe sie tatsächlich dort gelassen. Manchmal klettere ich hinaus und lehne wie an der Reling eines sehr hohen Schiffes. Auf dem Gitter nebenan liegt der Hund des Nachbarn, ein großer schwarzer Pudel, vielleicht auch ein Schnauzermischling. Er ist alt und so gut wie taub. Der Nachbar lässt ihn dort, weil er einen furchtbaren Geruch verströmt, wie er sagt. Sein Anblick stimmt mich traurig, was aber vor allem daran liegt, dass er Nord heißt.
„Licht, klar und dabei tänzerisch schwebend - so ist die Sprache von Julia Schoch.“
„Ein erstaunliches Werk über die Magie des Augenblicks, die Kraft des Erinnerns und die Leidenschaft, die das Warten ausfüllt.“
„Poetisch und eindringlich ohne Sentimentalität.“
„Wenn man von einer Autorin behaupten kann, sie trete die Nachfolge Christa Wolfs an, dann kann man das von Julia Schoch sagen.“
„Einer der klügsten Romane der Saison.“
„So lakonisch wie poetisch.“
„Ein Abgesang auf die große Liebe und zugleich eine Liebeserklärung an das Spiel mit dem großen oder auch dem kleinen Geld. Auch wenn jede Illusion zerrieben ist, das Roulette dreht sich weiter. Und das ist eine überraschend tröstliche Nachricht.“
„Man spürt die Empathie des Schreibenden ebenso wie eine lakonische Nüchternheit. Feinsinnig sind ihre Beobachtungen, tiefgründig die Gedankenwelt der Schriftstellerin.“
»Dass das Glücksspiel selten Glück bringt, weiß die Literatur spätestens seit Dostojewskis 'Der Spieler'. Selten ist jedoch so traurig und gleichzeitug unsentimental darüber geschrieben worden wie in Julia Schochs drittem Roman 'Selbstportät mit Bonaparte'.
„Dieses Porträt lebt von den Stimmungen, die Schoch in ihrer ruhigen, aber nuancenreichen Sprache inszeniert, von der Langsamkeit, von der Sorgfalt bis ins letzte motivische Detail.“
„Von der Sehnsucht, etwas festzuhalten, was unwiederbringlich verloren ist, handelt Julia Schochs kluges, poetisches Buch.“
„Von der Sehnsucht, etwas festzuhalten, was unwiederbringlich verloren ist, handelt Julia Schochs kluges, poetisches Buch.“
„Man muss diesen Roman von Julia Schoch unbedingt dafür loben, dass er diese Sphären, also die Liebe und die Weltgeschichte, so quer gegeneinanderstellt, dass sie Funken schlagen.“
„Julia Schoch beschreibt nie ausufernd und detailverliebt. Eher skizziert sie immer haargenau und beschwört allein mit ihrer schnörkellos feinen, klaren und stets zugänglich bleibenden Sprache jene Stimmungen und Atmosphären herauf, die frei jedweder Rührseligkeit die großen Themen ihres Erzählwerks, die Liebe, die Vergänglichkeit und die Kraft der Erinnerungen auf grandiose Weise bildhaft und sagbar machen.“
„Eine eigenwillige Geschichte mit Sätzen wie Kunstwerken.“
„Julia Schoch findet in ihrem für sie typischen mal spöden, mal poesiegeladenen Ton einen geschickten Weg, Themen und Motive miteinander zu verbinden und daraus ein unauflösbares Geflecht zu machen.“
„Julia Schoch (...) bedient (…) sich einer präzisen Sprache, deren Eleganz über jeden Zweifel erhaben ist. Etliche Sätze taugen zu Aphorismen von entwaffnender Evidenz.“
„(...) eine wunderbare Lektüre (...), glaubwürdig und schön formuliert.“
„(...)atmosphärisch dichte Geschichte von Vergeblichkeit und Verlust(...)“
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