Schlamm, Schweiß und Tränen
Die Autobiografie
Schlamm, Schweiß und Tränen — Inhalt
Wenn sich Bear Grylls in seiner Kultserie »Ausgesetzt in der Wildnis« durchs Gelände kämpft, scheinbar Ungenießbares verspeist und ganz nebenbei jede Menge Überlebenstricks zum Besten gibt, ist ihm das Staunen seines Publikums sicher. Jetzt erzählt der ebenso sympathische wie kompromisslose Überlebenskünstler seinen wechselvollen Lebensweg vom kletterwütigen Jungen im nordirischen Donaghadee zum härtesten und bekanntesten Abenteurer der Welt. Pflichtlektüre für jeden Outdoor-Fan.
Leseprobe zu „Schlamm, Schweiß und Tränen“
Vorwort
Die Lufttemperatur beträgt minus 20 Grad Celsius. Ich reibe meine eiskalten Finger kräftig aneinander, aber sie werden einfach nicht richtig warm. Sie machen einem eben ständig zu schaffen, diese alten Verletzungen, die man sich infolge von Erfrierungen eingehandelt hat. Die gehen auf das Konto des Mount Everest.
„Bist du startklar, Kumpel?“, fragt Kameramann Simon mit einem Lächeln. Seine Kameraausrüstung ist montiert und einsatzbereit.
Ich lächle zurück. Ich bin ungewöhnlich nervös.
Irgendetwas stimmt nicht.
Aber ich höre nicht auf meine innere [...]
Vorwort
Die Lufttemperatur beträgt minus 20 Grad Celsius. Ich reibe meine eiskalten Finger kräftig aneinander, aber sie werden einfach nicht richtig warm. Sie machen einem eben ständig zu schaffen, diese alten Verletzungen, die man sich infolge von Erfrierungen eingehandelt hat. Die gehen auf das Konto des Mount Everest.
„Bist du startklar, Kumpel?“, fragt Kameramann Simon mit einem Lächeln. Seine Kameraausrüstung ist montiert und einsatzbereit.
Ich lächle zurück. Ich bin ungewöhnlich nervös.
Irgendetwas stimmt nicht.
Aber ich höre nicht auf meine innere Stimme.
Die Arbeit ruft.
Mein Kamerateam schwärmt mir vor, wie atemberaubend schön die schneebedeckten Gipfel der kanadischen Rocky Mountains heute Morgen aussehen. Aber ich nehme das nicht wirklich wahr.
Denn es ist jetzt Zeit, dass ich mich gedanklich an meinen geheimen Ort zurückziehe. In jenen verborgenen Winkel tief
in meinem Innersten, der sich durch absolute Konzentration, Unerschrockenheit, Klarheit und Präzision auszeichnet. Auch wenn ich mit diesem Teil meines Innersten am besten vertraut bin, ziehe ich mich nur äußerst selten an diesen Ort zurück.
Das mache ich ausschließlich in besonderen Situationen. So wie jetzt.
Unter mir befindet sich eine etwa 90 Meter lange, steil abfallende Felswand, die mit einer dicken Schnee- und Eisschicht bedeckt ist. Steil, aber durchaus machbar.
Eine derart rasante Schussfahrt wie diese habe ich schon oft, sehr oft gemacht. Meine innere Stimme ermahnt mich: Sei bloß niemals zu selbstsicher. Diese Stimme hat immer recht.
Ein letzter tiefer Atemzug. Ein Blick hinüber zu Simon. Dieser erwidert meinen Blick stillschweigend.
Doch wir haben eine entscheidende Kurve nicht korrekt genommen. Ich weiß es. Aber ich reagiere nicht.
Ich springe.
Ich werde augenblicklich von der Geschwindigkeit überrascht. Normalerweise mag ich das. Doch dieses Mal bin ich beunruhigt.
Ich spüre, dass irgendetwas nicht stimmt.
Im Nu rase ich mit über 65 Stundenkilometern talwärts. Füße voran den Berghang hinunter. Mit meinem Kopf sause ich nur wenige Zentimeter am Eis vorbei. Das ist meine Welt.
Ich werde immer schneller. Der Rand des Berghangs kommt immer näher. Höchste Zeit, die Schussfahrt abzubremsen.
Schnell drehe ich mich auf den Bauch und schlage meinen Eispickel tief in den Schnee.
Eine weiße Wolke aus feinem Schneestaub und Eis wirbelt durch die Luft. Nachdem ich den Eispickel mit meiner ganzen Kraft tief in das Schneefeld gerammt habe, merke ich sofort, dass ich extrem an Geschwindigkeit verliere.
Es läuft alles ganz genauso wie immer. Wie am Schnürchen. Grenzenloses Selbstvertrauen. Es ist einer jener seltenen Augenblicke, die von absolut klaren Gedanken geprägt sind.
Ein flüchtiger Augenblick. Dann ist er vorbei.
Ich bin jetzt zum Stillstand gekommen.
Die Welt um mich herum steht still. Dann – rums.
Simon und sein schwerer Holzschlitten samt dem robusten Kameragehäuse aus Metall krachen direkt in meinen linken Oberschenkel. Und das mit gut und gerne über 70 Stundenkilometern. Der laute Aufprall entlädt sich augenblicklich in einer unglaublichen Explosion aus Schnee und Schmerz.
Es ist, als hätte mich ein Güterzug erfasst. Ich werde den Berg hinuntergeschleudert wie eine Stoffpuppe.
Das Leben steht still. Ich fühle und sehe alles wie in Zeitlupe.
Im Bruchteil einer Sekunde wird mir jedoch eines klar: Wäre der Schlitten nur um ein Grad von seiner Bahn abgewichen, hätte er mich am Kopf erwischt. Zweifellos wäre dies dann wohl der letzte Gedanke in meinem Leben gewesen.
Stattdessen krümme ich mich vor Schmerzen.
Ich weine. Es sind Tränen der Erleichterung.
Ich bin zwar verletzt, aber am Leben.
Ich sehe einen Hubschrauber, kann ihn aber nicht hören. Dann bin ich im Krankenhaus. Ich war schon in einigen Krankenhäusern, seit wir die Reihe Abenteuer Survival – Ausgesetzt in der Wildnis: Bear Grylls drehen. Ich hasse Krankenhäuser.
Ich kann sie allesamt mit verbundenen Augen erkennen:
Die dreckige und blutverschmierte Notaufnahme in Vietnam, in die ich gebracht wurde, nachdem ich mir im Dschungel meinen Finger zur Hälfte abgesäbelt hatte. Nachttische gab es dort nicht.
Dann der Steinschlag im Yukon. Ganz zu schweigen von dem weitaus schlimmeren Felssturz in Costa Rica. Der Einsturz des Grubenschachts in Montana oder das Salzwasserkrokodil in Australien. Oder der fast fünf Meter lange Tigerhai, mit dem ich im Pazifik Bekanntschaft gemacht habe, oder gar der Schlangenbiss, den ich mir in Borneo zugezogen habe.
Es gab unzählige Situationen, in denen ich dem Tod gerade noch einmal von der Schippe gesprungen bin.
Sie alle verschwimmen irgendwie in meiner Erinnerung. Alle waren übel.
Doch alle sind sie gut ausgegangen. Ich bin am Leben.
Es gibt viel zu viele solcher Situationen, um mich darüber aufzuregen. Denn das Einzige, worauf es im Leben ankommt, ist zu leben.
Ich lächle nur.
Am nächsten Tag ist der Zusammenstoß vergessen. Für mich gehört er der Vergangenheit an. Unfälle passieren eben; niemand hat Schuld daran.
Ich habe meine Lektion gelernt.
Hör auf deine innere Stimme.
Und weiter geht’s.
»Hey, Si, ich nehm’s locker. Du gibst mir einfach eine Piña Colada aus, wenn wir hier rauskommen. Ach, und außerdem werde ich die Rechnungen für Bergrettung, Krankenhaus und Physiotherapie an dich weiterleiten.«
Er greift nach meiner Hand und drückt sie. Ich mag diesen Kerl einfach.
Wir haben immerhin schon so manches Abenteuer gemeinsam gemeistert.
Ich schaue an mir herunter – auf meine zerrissenen Ski-Latzhosen, auf meine mit Blut verschmierte Jacke, die zertrümmerte Minikamera und die zerbrochene Skibrille.
Doch insgeheim frage ich mich: „Wann wurde dieses ganze verrückte Treiben eigentlich zu meiner Welt?“
1
Die jungen Leute wissen noch
zu wenig, um vernünftig zu
handeln. Darum versuchen sie
das Unmögliche – und bringen
es, Generation für Generation,
aufs Neue zuwege.
– Pearl S. Buck, US-amerikanische Schriftstellerin
und Literaturnobelpreisträgerin
1
Mein Urgroßvater Walter Smiles hatte eine ganz klare Vorstellung von seinem Lebenstraum. Denn während er an der nordirischen Küste, die er so sehr liebte, die frische salzige Meeresluft einatmete, ließ er seinen Blick zu den weit draußen liegenden Copeland Islands von County Down schweifen. Er gelobte, dass er eines Tages nach Portavo Point – an diese ursprüngliche und windumtoste Bucht – zurückkehren würde, um genau hier zu leben.
Er träumte davon, sein Glück zu machen, seine große Liebe zu heiraten und ein Haus für sich und seine Braut zu bauen – hier, in dieser kleinen Bucht, von der aus man die zerklüftete irische Küstenlinie überblicken kann. Es war ein Traum, der nicht nur sein Leben, sondern letztlich auch sein Lebensende prägen sollte.
Walter stammte aus einer starken, hoch motivierten und zielstrebigen Familie. Sie war zwar nicht einflussreich und gehörte auch nicht zur High Society, dafür zeichneten sich ihre Mitglieder aber als vernünftige und tatkräftige Menschen mit großem Familiensinn aus. Walters Großvater war Samuel Smiles, der Autor des 1859 erschienenen bahnbrechenden „Motivations“-Ratgebers mit dem Titel Self-Help. Das Werk galt als Meilenstein und wurde sofort zu einem Bestseller, dessen Erstausgabe sogar noch höhere Verkaufszahlen erzielte als
On the Origin of Species von Charles Darwin.
Samuels Buch Self-Help betonte insbesondere auch den Leitsatz, dass harte Arbeit und Durchhaltevermögen eine Schlüsselrolle bei der persönlichen Weiterentwicklung spielen. In der viktorianischen Gesellschaft traf sein Buch Self-Help haargenau ins Schwarze, denn zur damaligen Zeit lag einem Engländer die Welt regelrecht zu Füßen, sofern er über den nötigen Elan und Unternehmungsgeist verfügte, um sich tatkräftig für die Verwirklichung seiner Ziele einzusetzen. Das Buch wurde zum ultimativen Leitfaden, der dem gewöhnlichen Mann auf der Straße das Rüstzeug an die Hand gab, nach den Sternen zu greifen. Die Kernaussage des Buches machte deutlich, dass der Adelsstand kein Geburtsrecht ist, sondern dass er durch unser Handeln definiert wird. Es enthüllte die einfachen, bislang jedoch unausgesprochenen Grundsätze für ein sinnvolles und erfülltes Leben und definierte einen Gentleman einzig auf der Grundlage seines Charakters und nicht etwa seiner Abstammung.
Reichtum und gesellschaftliche Stellung gehen nicht zwingend Hand in Hand mit echten ritterlich-edelmütigen Charaktereigenschaften.
Denn ein armer Mann, welcher reich ist an Mut und Tatkraft, ist in jeglicher Hinsicht einem reichen Mann, welcher arm ist an Mut und Tatkraft, weit überlegen.
Um es mit den Worten des heiligen Paulus zu sagen, der Erstgenannte „hat nichts und besitzt doch alles“, während der Letztgenannte zwar alles besitzt und dennoch nichts hat.
Nur diejenigen, welche arm sind an Mut und Tatkraft, sind wahrhaftig arm. Derjenige, der alles Hab und Gut verloren hat, aber dennoch seinen Mut, seinen Frohsinn, seine Hoffnung, seine Tugend und seine Selbstachtung nicht sinken lässt, ist noch immer ein reicher Mann.
Im viktorianischen Zeitalter, das heißt in einem aristokratischen England mit extrem ausgeprägtem Klassenbewusstsein, waren dies revolutionäre Worte. Um seinen Leitsatz unmissverständlich deutlich zu machen (und um zweifellos ein paar hochwohlgeborenen aristokratischen Egos auf den Schlips zu treten), betonte Samuel noch einmal mit Nachdruck, dass der Titel „Gentleman“ verdient werden müsse: „Es gibt keinen Freifahrtschein für wahre Größe.“
Samuel Smiles schließt sein Buch mit der nachfolgenden sehr bewegenden Geschichte eines Generals mit Gentleman-Qualitäten:
Ein Gentleman zeichnet sich durch seine Aufopferungsbereitschaft aus, indem er das Wohl der anderen bei den kleinen alltäglichen Angelegenheiten des Lebens vor sein eigenes stellt. […] In diesem Zusammenhang wollen wir auf die Anekdote des edelmütigen Sir Ralph Abercromby verweisen, von dem berichtet wird, dass man ihm, als er in der Schlacht von Abukir tödlich verwundet wurde, eine Wolldecke, die einem Soldaten gehörte, unter den Kopf geschoben hatte, um seine Schmerzen erträglicher zu machen, wodurch seine Qualen in der Tat erheblich gelindert wurden.
Er fragte, was man ihm da unter den Kopf geschoben hatte.
„Das ist bloß die Wolldecke von einem Soldaten“, lautete die Antwort.
„Wem gehört diese Decke?“, fragte er.
„Einem der Männer.“
„Ich wünsche zu erfahren, wie dieser Mann heißt, dem die Decke gehört.“
„Sie gehört Duncan Roy vom 42. Regiment, Sir Ralph.“
„Dann sorgen Sie dafür, dass Duncan Roy noch heute Nacht seine Decke zurückerhält.“
Der General hätte noch nicht einmal für eine einzige Nacht einen einfachen Soldaten seiner Decke beraubt, selbst wenn er dadurch seine Todesqualen hätte lindern können.
Es ist genauso, wie Samuel geschrieben hat: „Wahrer Mut und echte Großherzigkeit gehen Hand in Hand.“
Und genau in dieser Familie, die nach eben diesem altüberlieferten Wertesystem lebte, ist mein Urgroßvater Walter aufgewachsen und hat seinen ganz persönlichen Lebenstraum gefunden.
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