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Oona und SalingerOona und Salinger

Oona und Salinger

Frédéric Beigbeder
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Roman

„Dieses Buch ist berührend, pathetisch, kühn, manchmal anmaßend“ - Neue Osnabrücker Zeitung

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Oona und Salinger — Inhalt

Sie ist die schönste Frau, die er je gesehen hat. Oona O’Neill ist zarte fünfzehn und gerade „Glamour Girl“ des angesagtesten Clubs im New York City der 40er-Jahre geworden. Jerry Salinger wird einen romantischen Sommer mit ihr verbringen, dann macht ihm ein anderer einen Strich durch die Rechnung: Charlie Chaplin heiratet Salingers große Liebe. Man könnte meinen, damit wäre alles gesagt, doch es ist erst der Beginn einer langen Geschichte.

€ 12,00 [D], € 12,40 [A]
Erschienen am 01.08.2016
Übersetzt von: Tobias Scheffel
304 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-30904-2
Download Cover
€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 09.03.2015
Übersetzt von: Tobias Scheffel
304 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-97064-8
Download Cover

Leseprobe zu „Oona und Salinger“

I
Manhattan romance


„ I knew he’d be a writer. I could smell it. “
Oona O’Neill über J. D. Salinger


1940 rauchten in New York alle überall, in den Bars, ­Restaurants, Taxis, Zügen und vor allem im Stork Club. Wenn man den Club verließ, brannten einem die Augen, und die Haare rochen nach Zigaretten. Die Menschen ruinierten sich die Gesundheit stärker als heute, weil niemand ihnen vorwarf, sie würden das Sozialversicherungssystem belasten, da Letzteres noch nicht erfunden worden war. Es war fast elf Uhr abends ; um diese Zeit hatte man Mühe, an den Tischen in [...]

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I
Manhattan romance


„ I knew he’d be a writer. I could smell it. “
Oona O’Neill über J. D. Salinger


1940 rauchten in New York alle überall, in den Bars, ­Restaurants, Taxis, Zügen und vor allem im Stork Club. Wenn man den Club verließ, brannten einem die Augen, und die Haare rochen nach Zigaretten. Die Menschen ruinierten sich die Gesundheit stärker als heute, weil niemand ihnen vorwarf, sie würden das Sozialversicherungssystem belasten, da Letzteres noch nicht erfunden worden war. Es war fast elf Uhr abends ; um diese Zeit hatte man Mühe, an den Tischen in dem langen Saal der Bar die Gesichter zu unterscheiden. Das Stork war kein Club, sondern eine undurchdringliche Wolke. Unter einem mit Luftballons gefüllten Netz spielte die Band Songs von Cab Calloway. Oder war es Cab Calloway persönlich ? An die Wand war ein Storch mit Zylinder gemalt, der eine Zigarette rauchte. Sonntagabends war das Restaurant so überfüllt, dass die Gäste brüllen mussten, wenn sie bei den Kellnern in Spenzer mit schwarzer Fliege Getränke bestellen wollten. Aber das störte sie nicht weiter : Amerikaner reden immer laut, besonders wenn man ihnen Bourbon auf zerstoßenem Eis serviert.
Ein junger Blondschopf aus New Orleans mit hoher Stimme musste ständig lächeln, wenn er mit dem Erbinnen-Trio ausging : Gloria Vanderbilt, Oona O’Neill und Carol Marcus, die ersten It-Girls der Geschichte der westlichen Welt, die hinter einem Vorhang aus Rauch verborgen waren. Tagsüber schickte er Texte an Zeitungen, die diese noch nicht veröffentlichten. Und abends putzte er sich mit seinem schwarzen seidenen Einstecktuch die Brille, bevor er sie wieder aufsetzte und das Stoffläppchen in die linke Brusttasche seines weißen Jacketts zurücksteckte, wobei er sorgfältig vier nach oben weisende Dreiecke herausragen ließ, wie Pfeile, auf die über ihm aufgehängten Ballons gerichtet. Er war der Ansicht, es mache intelligent, gut gekleidet zu sein, und in seinem Falle stimmte das auch. Er war sechzehn Jahre alt, hieß Truman Capote, und die Szene spielte sich an der folgenden Adresse ab : 3 East 53rd Street.
„ Meine Kleinen, ihr seid meine Schwäne. “
„ Warum nennst du uns Schwäne ? “, fragte Gloria und blies ihm einen Schwall Zigarettenrauch ins Gesicht.
„  Na, zunächst einmal seid ihr weiß “, erklärte Capote und unterdrückte ein Husten, „ dann entfaltet ihr euch auf höchst elegante Weise, ihr habt lange, anmutige Hälse … “
„ Und vielleicht einen spitzen orangefarbenen Schnabel ? “
„  Ja, Gloria, du hast einen sehr spitzen Schnabel, das beweist du uns jeden Abend. Aber eher rot angemalt, wenn du den Inhalt deines Lippenstifts darauf verteilst – genau wie auf deinen Schneidezähnen. “
„ Aber wo sind unsere Flügel ? “, fragte Oona.
Truman Capote hatte nur ( blaue ) Augen für den Kellner, einen jungen Mann von den Antillen mit weit aus­einanderstehenden Zähnen, der Yannick Noah ähnelte – lange vor Yannick Noahs Geburt.
„ Seien Sie so lieb, und bringen Sie uns bitte vier Wodka-Martini, junger Mann, auf diese Weise kann ich sicher sein, dass ich Sie schnell zurückkommen sehe. “
Truman lächelte der Hübschesten der drei zu.
„  Ich habe euch die Flügel gebrochen, während ihr schlieft, Oona Darling “, antwortete er. „ Um euch daran zu hindern, von mir wegzufliegen. Ich sperre euch noch ein Jahrzehnt ein. Macht euch keine Sorgen, das geht schnell vorbei. “
„ Truman “, sagte Gloria, „ wenn wir deine Schwäne sind, was bist du dann … ein kleines Ferkel ? “
Allgemeines Gelächter. Gloria hatte diese Boshaftigkeit so verkündet, als hätte sie die Frage ein für alle Mal geklärt. Truman lief rosa an, tatsächlich hätte ein Wurstliebhaber seinem Charme nur mühsam widerstanden. Aber seine hellen Augen sprühten vor Spottlust, und alles, was er von sich gab, klang leicht und amüsant, und das unterschied ihn dann doch von einem Teller Wurst.
In derselben Bar, am anderen Ende des Raumes, stand ein Mann von einem Meter neunzig und beobachtete Tisch sechs, ohne etwas zu sagen, da er nie etwas sagte. Ohnehin richteten sich alle Blicke im Stork auf Tisch sechs, den Tisch in der Ecke, am Ende des L-förmigen Raumes. 1940 war Jerome David Salinger einundzwanzig. Er wohnte noch bei seinen Eltern, 1133 Park Avenue, Höhe 91st Street. Da er groß, schön und gut gekleidet war, ließ man ihn gelegentlich allein in den Stork Club, die exklusivste Adresse New Yorks. Sein Vater war ein mit dem Handel von koscherem Käse und geräuchertem Fleisch reich gewordener Jude. Einstweilen hatte Jerry keinen Grund, zum Erfinder der ewigen Jugend auf Pump zu werden.
Einstweilen ist er ein großer schüchterner Junge, der sich mit der Lässigkeit von Humphrey Bogart eine Zigarette anzündet – die tadellose Geste hat ihm wochen­langes Training vor dem Badezimmerspiegel abverlangt. Truman Capote ist ein größerer Snob als er, aber auch empfindsamer und witziger, wenngleich von sich eingenommen. Äußerlich ist er das Gegenteil von Salinger : so klein, wie der andere riesig, mit blauen Augen, während die des anderen dunkel und durchdringend sind, blond im Gegensatz zu dem braunhaarigen, finster blickenden Typen ( hier das absolute Kindergesicht aus Alabama, dort der große Einfaltspinsel, der die New Yorker Intellektuellen nachahmt ). Alle zwingen sich, Zigarette auf Zigarette zu rauchen, um volljährig zu wirken, sie wissen, welch Privileg es ist, an diesem sehr exklusiven Ort Alkohol trinken zu können. Es ist der einzige Augenblick in ihrem Leben, wo sie sich als Erwachsene verhalten werden. Capote registriert bereits alles, was er sieht, und wiederholt alles, was er versteht. Er weiß genau, dass er den Club ohne seine drei Schwäne nie betreten hätte. Sie sind sein Sesam-öffne-dich, überall wird ihnen der rote Teppich ausgerollt, sie werden für Harper’s Bazaar und Vogue fotografiert. Sie sind Post-Flapper und Prä-Feministinnen : Sie gehen gut essen, rauchen, tragen einen leichten Hauch von Seide mit einem geräuschvollen Perlencollier darüber und schreiben damit unwissentlich eine langsame Geschichte der Emanzipation fort, die in den 1920er-Jahren begonnen wurde und noch weit von ihrer Vollendung entfernt ist.
Capote tut nichts anderes, als ihrer Bewegung zu folgen und den Porzellansuffragetten Zerstreuung zu bieten. Fünfunddreißig Jahre später wird er bösartig davon erzählen ( in Erhörte Gebete ), seine Freundinnen werden sich von ihm abwenden, und er wird darüber vor Kummer sterben, eingelegt in Alkohol, Drogen und Tranquilizer. Einstweilen jedoch hat Truman das sorgenvolle Gesichtchen eines Kinds, das von seinen Eltern vernachlässigt wird und schon früh begriffen hat, dass es Erin­nerungen sammeln muss, um seine Einsamkeit auszufüllen.
Für einen Künstler ist Feiern nie unmotiviert. Schriftsteller, die abends ausgehen, vergnügen sich nie vollständig : Sie arbeiten – so ist das. Vielleicht denken Sie, sie lassen sich gehen, dabei sind sie gerade an der Arbeit und suchen nach dem Satz, der ihren morgigen Kater rechtfertigen wird. Ist die Ernte gut, so werden ein paar Sätze die erneute Lektüre überleben und einem Absatz eingefügt. War der Abend nichts, wird keine Ernte übrig sein, nicht einmal eine Metapher, ein Witz, ein Wortspiel oder Tratsch.
Leider geben Schriftsteller sich nicht geschlagen, wenn es nichts zusammenzutragen gibt : Der Misserfolg liefert ihnen den Vorwand, um noch mehr auszugehen, noch mehr zu trinken, so wie Goldsucher, die sich verbissen über eine stillgelegte Mine hermachen.
J. D. Salinger hat sich der Tischgesellschaft genähert. Er hielt sich immer leicht gebeugt, um die anderen nicht zu sehr zu überragen : Er war nicht nur der Größte, sondern auch der Älteste. Capotes Fuß wackelte unter seinem Stuhl wie der Schwanz eines aufgeregten Hundes. Er redete als Erster.
„ Meine Damen, könntet ihr mir sagen, wer dieser große Vogel mit schwarzen Federn ist ? Ein Reiher, ein Flamingo ? “
„  Hello, there. Mein Name ist Salinger. Jerry Salinger, sehr erfreut. Mein persönlicher Lieblingsvogel ist … “ ( Er überlegte ein wenig zu lange ) „ … das amerikanische Mädchen in Shorts. “
Eine ganz schöne Leistung, die herablassendsten Mädchen New Yorks zum Lächeln zu bringen. Truman be­­griff die Botschaft und sah zu, wie die Bohnenstange den Kopf beugte, um dem Trio die Hände zu küssen : Wäre er ein Vogel, wäre er ein Storch und damit in diesem Club ganz richtig am Platz ( „ stork “ bedeutet Storch, got it ? ). Oona war die Schüchternste von allen. Auch die Sanfteste, trotz ihres schwarzen schulterfreien Kleides. Durch ihr Schweigen, ihr pimpernellrotes Erröten drang der Blick aus unergründlichen schwarzen Augen. Sie ähnelte den Porträts junger Naiver von Jean-Baptiste Greuze in der Wallace Collection in London. Sie schien nicht zu wissen, dass sie schön war, dabei sagten ihr das alle seit ihrer Geburt – außer ihr Vater. Ihre Ungeschicklichkeit, ihr fehlendes Selbstbewusstsein, ihr Stottern verschönerten jede ihrer Gesten – die Art, wie sie ihr Glas an sich drückte, mit dem Zeigefinger die Eiswürfel um­­rührte, bevor sie ihn ableckte, als würde er bluten, und wie sie sich ständig für ihre Anwesenheit entschuldigte, als wisse sie nicht, dass der Club ihre Anwesenheit brauchte, um en vogue zu bleiben. Das Adjektiv „ clumsy “ schien eigens dafür erfunden, ihre fürchterliche Unbeholfenheit zu bezeichnen. Man verspürte das Bedürfnis, die herrenlose Katze zu adoptieren.
Gloria war mondäner, Carol blonder – sie kopierte die stark gewellte Locke von Jean Harlow und deren mit der Hand nachgezogene Brauen. Das war das Geheimnis ihrer Freundschaft : Mehr noch als ein Trio waren sie wie eine Palette der unterschiedlichsten Farben. Für jeden Geschmack war etwas dabei, keine machte der anderen Konkurrenz. Mochte man raffinierte Frauen, die Femme fatale, den Vamp, gab es Gloria, die große Milliardärin. Bevorzugte man die sinnlichen oder hysterischen, hatte man Angst, sich zu langweilen, oder ließ man sich gerne anschreien, so musste man sich für Carol entscheiden. Und wenn man weder von Geld noch von Extravaganz angezogen wurde … Wenn man eine zu schützende Autistin, einen zu rettenden Engel suchte … dann war die Chance groß, dass man Oona in die Falle ging.
Oona flößte durch ihre Ruhe Respekt ein. Sie war die am wenigsten Überschwängliche der Bande, nicht aber die am wenigsten Faszinierende. Wenn sie lächelte, bildeten sich zwei Grübchen auf den Wangen, und man sagte sich, eigentlich ist das Leben doch fast erträglich, vorausgesetzt, man hat immer leuchtende Augen. Seit Oona fünfzehn war, kümmerte ihre Mutter sich fast nicht mehr um sie, und sie wohnte bei Carol, 420 Park Avenue. Seit sie fünfzehn war, ließ der blau uniformierte Türsteher Oona O’Neill das Stork betreten, wann immer sie es wünschte, weil der Chef verrückt nach ihrem Familiennamen war. Sherman Billingsley hatte ein Auge auf sie, nannte sie „ my most beautiful baby “, platzierte sie am besten Tisch im Cub Room ( in der VIP-Ecke ) und übernahm die Getränke. Er war snobistisch wie ein Bidet im Waldorf Astoria, und genauso betrieb er sein Geschäft : Ein Schwarm junger Mädchen, selbst Minderjährige – vor allem Minderjährige –, schafft Atmosphäre, besonders wenn sie berühmte Namen tragen, die Fotografen und reiche Männer anlocken.
„ Rutscht zur Seite, Mädels “, sagte Truman. „ Macht doch Jerry endlich Platz ! Jerry, ich darf Ihnen meine Schwäne vorstellen. “
„ Ich finde nicht, dass dieses Fräulein einem Schwan ähnelt “, erwiderte Jerry. „ Ich würde eher sagen, einer verletzten Taube. Wie heißen Sie, lieber Aus-dem-Nest-gefallener-Vogel ? “
„ Ähh … Sie werden mich auslachen … “, antwortete Oona zögernd.
„ Nur zu. “
„ Oona. Das ist Gälisch. “
„ Oona. Das ist hübsch. Und es bedeutet … ? “
„ … einzigartig, heißt es. “
„ Aber ja doch, was bin ich dumm, das hört man doch. Oona = One. “
Capote lachte schrill.
„ Una ist eine Fee in den keltischen Legenden “, erklärte er. „ Die Königin der Feen. “
„ Hm … Und haben Sie Zauberkräfte ? “, fragte Jerry.
In diesem Moment brachte der junge Kellner die Gläser. Ich habe vergessen zu erwähnen, dass Frankreich gerade von Deutschland besetzt war. Mit der Zeitverschiebung marschierten im selben Moment deutsche Truppen über die Pariser Champs-Élysées.
„ Aber ja, sehen Sie “, antwortete Truman. „ Oona zaubert Wodka auf die Tische ! “
„ Ich kann auch Aschenbecher verschwinden lassen … “, sagte Oona.
„ Diese Kleptomanin sammelt gestohlene Aschenbecher “, kicherte Gloria.
„ Man fragt sich, wozu eigentlich die Polizei da ist “, bemerkte Carol.
Da lächelte Oona zum zweiten Mal an diesem Abend. Wenn Oona mit halb geschlossenen Lidern lächelte, war das Stimmengewirr nicht mehr zu hören. Es war, als hätte jemand den Rest der Welt leiser gedreht. So empfand es jedenfalls Jerry : Oonas Mund, der Kontrast ­zwischen ihren roten Lippen und weißen Zähnen, ihre hohen Wangenknochen, ihr weinroter, auf den kirschroten Mund abgestimmter Nagellack, die Perfektion eines Mädchens der obersten Gesellschaft machten ihn vollständig taub. Was bedeutete diese Brünette ? Warum be­­reitete ihm dieses Mädchen, das er seit fünf Minuten kannte, Bauchschmerzen ? Konnte bitte irgendjemand ihr verbieten, dieses Gesicht zu machen, wie ein Kind, das bei einem Fehler ertappt worden ist ? Auch er hatte das Bedürfnis, die Polizei zu rufen. Der Staat müsste es Frauen verbieten, sich derart gekonnt ihrer Lider zu bedienen. Jerry murmelte vor sich hin :
„ Ein Anti-Oona-Gesetz … “
„ Entschuldigung ? Was sagen Sie ? “
„ Er brummelt ! “
„ Hahaha ! Noch ein Opfer von Oona “, rief Truman. „ Sie können einen Club mit Orson gründen ! “
Mit einer Kopfbewegung deutete Truman zu einem Tisch am anderen Ende des L, wo Orson Welles sie über die Schulter eines Mädchens anschielte, das aussah wie Dolores del Rio, in Wahrheit aber die Frau von Errol Flynn war : die französische Schauspielerin Lili Damita, deren Mann gerade drehte. ( An dem Tisch am anderen Ende des L konnte kein Unbekannter Platz nehmen. ) Orson Welles warf den Mädchen unaufhörlich geheimnisvolle Blicke zu, vor allem Oona, und wandte den Blick ab, sobald er spürte, dass seine Geliebte ihn dabei zu erwischen drohte. Der fünfundzwanzigjährige berühmte Radiomacher versuchte es mit der Methode des schönen Gleichgültigen. Bei schüchternen Mädchen funktioniert das nicht, die muss man vielmehr überraschen. Ignorieren Sie eine Streberin, und es besteht die Möglichkeit, dass sie es bemerkt. Aber wenn Sie eine Schüchterne hochmütig übersehen, erweisen sie ihr einen Dienst und lernen sie nie kennen. Schon gar, wenn Sie berühmt sind, das heißt doppelt so einschüchternd wie ein normaler Mann. Orson Welles drehte sich wieder zu Lili Damita, die ihm gegenüber eine Crêpe Suzette aß. Jerry Salinger versuchte es anders : Er redete sehr leise und monoton, in der Hoffnung, dass der Rest der Tischgesellschaft ihn nicht hören würde. Er wandte sich an Oona, als wären sie allein auf der Welt, und folglich waren sie es an diesem Abend auch ein bisschen.
» Oona O’Neill, im Grunde ist Ihr Name eine Allite­ration … Meiner Ansicht nach «, fuhr Jerry fort, » hat Ihr Vater den Vornamen ausgesucht, weil er seinem Fami­liennamen ähnelte. Es ist eine narzisstische Wahl. «
„  Ich weiß es nicht – seit ich einer Zeitschrift gesagt habe, ich sei eine von den › Elends-Irinnen ‹, redet er nicht mehr mit mir. Er denkt, es wird ein schlimmes Ende mit mir nehmen. Einstweilen geht es ihm schlimm, seitdem er aufgehört hat zu trinken. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, zitterten seine Hände. “
Aber der Rest der Tischgesellschaft hatte ein feines Gehör :
„ Mit Oona wird es ein gutes Ende nehmen, weil sie schlimm begonnen hat “, bemerkte Gloria. „ So wie wir ! “
„  Ich habe meinen Vater nie kennengelernt, und ihrer ist gestorben, als sie achtzehn Monate alt war “, sagte Carol und deutete auf Gloria.
„ Und mich “, ergänzte Truman, „ hat meine Mutter ausgesetzt, als ich zwei war. “
„ Und mein Vater ist abgehauen, als ich zwei war “, sagte Oona.
„  Einen Toast auf den Club der Goldenen Waisenkinder ! “, fügte Gloria hinzu und hob ihr Glas. Die drei Mädchen stießen mit Truman und Jerry an, wobei Letzterem beinahe peinlich war, dass seine Eltern immer noch verheiratet waren.
Die Gläser bewirkten beim Aneinanderstoßen exakt dasselbe Klingeln wie das des Triangels im dritten Satz des Klavierkonzerts in F-Dur von George Gershwin.
„ Ein bisschen Respekt “, sagte Truman. „ Wissen Sie, dass Sie mit dem künftigen Glamour Girl des Stork reden ? “
„ Oh, nein, bitte nicht “, widersprach Oona genervt. „ Fangt nicht wieder davon an … “
„ Erheben wir die Gläser auf die neue Zelda ! “
Oona errötete noch stärker, diesmal aus Wut. Es machte sie rasend, dass sie jedes Mal rot wurde, wenn die anderen diese idiotische Geschichte erzählten. Jedes Jahr wählten die Gäste des Stork Club ein Glamour Girl, und sie stand auf der Liste der Finalistinnen. Sie hatte nicht darum gebeten, doch auch wegen dieser Dummheit redete ihr Vater nicht mehr mit ihr. Soll man es als Ehre ansehen, „ Miss Angesagter Club “ zu sein ? Nein. Soll man die Auszeichnung ablehnen, als hätte sie die geringste Bedeutung ? Auch nicht. Mit solchen Dilemmas war die Jeunesse dorée New Yorks im Jahr 1940 beschäftigt, während auf der Spitze des Eiffelturms eine weiß-rote Flagge mit Haken­kreuz wehte.
„ Zelda Fitzgerald ist keine Beleidigung “, sagte Oona. „ Trotzdem sind die Bücher ihres Mannes das Interessanteste an ihr. “
„ Ich erhebe mein Glas auf Francis › Scotch ‹ Fitzgerald ! “, erklärte Truman.
„  Schreiben Sie, Jerry ? “, fragte Carol. „ Sie haben ein Schriftstellergesicht. Die erkenne ich auf zehn Meilen gegen den Wind. Es sind üble Egozentriker, schrecklich intelligent und zu meiden wie die Pest. “
„ Finden Sie, er sieht intellektuell aus ? “, fragte Gloria. „ Er schweigt viel, nicht ? “
Jerry dachte gerade, dass er noch nie einen solchen Vornamen gehört hatte. Oona. Das klang wie ein lustvolles Stöhnen. Ooo… gefolgt von einem Befreiungsschrei : aaa ! Und zwischen den beiden Vokalen der Konsonant, der an den Mond erinnerte : ( m )oona … Der Vorname war ebenso hypnotisierend wie die Person, die ihn trug. Jerry sagte sich, dass Männer ruhig immer auf die Schnauze fallen könnten, solange es Frauen wie sie gebe, um sie wieder aufzusammeln.
„ Ich … ich habe noch nie ein Stück Ihres Vaters gesehen “, sagte er. „ Aber ich weiß, dass er unser bester Dramatiker ist. “
„  Er ist nicht der Beste “, sagte Truman, „ er ist der Einzige ! Der Erste, der Armut zeigt. Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee war – all diese deprimierenden Seeleute, diese Prostituierten mit großem Herz, diese suizidgefährdeten Außenseiter … Wie trübsinnig ! “
» Seit er den Nobelpreis bekommen hat, ist er natio­nales Kulturgut «, korrigierte Jerry.
Er wusste nichts darüber, aber er wollte der Tochter eine Freude machen, indem er den Vater verteidigte. Und außerdem mochte er keine unmotivierte, mondäne Aggressivität. Er fand es anregender, lustig zu sein, ohne Schlechtes über jemanden zu sagen ; aus diesem Grund war er nicht oft lustig.
„ Vor allem ist er ein schlechter Vater “, schloss Oona, die erneut den Rauch ihrer Zigarette zur Decke ausstieß, als läge sie auf der Couch eines Psychoanalytikers.
„ Diese Iren sind alle Alkoholiker “, sagte Truman. „ Versuchen Sie mal, einen Iren aufzutreiben, der nicht trinkt ! “
„ Zum Schreiben darf man trinken “, sagte Carol. „ Aber wenn man seine Kinder erziehen will, verbietet sich das. “
„  Ich kenne sein Werk nicht. Ich habe das Problem, Miss O’Neill, dass ich mich im Theater nicht wohlfühle “, nahm Jerry verwirrt seinen Faden wieder auf. „ Ich muss immer husten, wenn man nicht darf, und außerdem habe ich immer den Eindruck, ich sitze auf dem Sessel, der am lautesten von allen quietscht … Ich weiß nicht, warum es mir nicht gelingt zu vergessen, dass ich vor Leuten sitze, die dafür bezahlt werden, Dialoge aufzusagen. Außerdem übertragen mir die Schauspieler ihr Lampenfieber. Das ist idiotisch … ich habe an ihrer Stelle Angst, dass sie ihren Text vergessen. “
„ Und dann die feuchte Aussprache “, bemerkte Truman. „ Im Theater setzt man sich besser nicht in die ersten Reihen, es sei denn, man hätte einen guten Regenschirm dabei. “
„ Entschuldigen Sie “, sagte Jerry. „ Ich vermute, Sie … Bestimmt sind Sie es leid, dass man über Ihren Vater spricht. “
„  Es ist schwierig, seinen Namen zu tragen “, erklärte Oona. „ Ich sehe mich eher als Waise denn als die › Tochter von ‹. Es ist seltsam, die Waise einer lebenden berühmten Person zu sein. Alle erzählen mir von ihm, als stünde ich ihm nahe, dabei habe ich ihn in den letzten zehn Jahren gerade dreimal gesehen. “
Dann schwieg Oona, etwas verlegen, einem Unbekannten etwas so Intimes anvertraut zu haben. Gloria, die die Befangenheit ihrer Freundin spürte, kam ihr zu Hilfe, indem sie „ Hi-de-hi-de-hi-de-ho “ sang. Die Band spielte ein wenig zu schrill Minnie the Moocher. Die Schwingungen des Basses ließen die mahagonivertäfelten Wände erzittern. Das Lied erzählt die Geschichte einer Prostituierten, die von einem Kokainsüchtigen ausgehalten wird. Ein echtes Thema für Mr O’Neill Vater. Es ist immer amüsant zu sehen, wie die bürgerlichsten Menschen im Chor die brutalsten Dinge von sich geben. Manchmal muss ich lächeln, wenn in Anwesenheit kleiner Kinder bei Abendeinladungen distinguierte Familien Walk on the Wild Side und das „ too too doo too doo too too doo doo “ von Lou Reed trällern ( es ist die Geschichte eines Transvestiten, der auf den Strich geht ).
„  Hören Sie “, sagte Gloria Vanderbilt. „ Es ist schön für mich, dass ich das Vermögen der Familie geerbt habe. Aber auf den Rest hätte ich gern verzichtet : die Fotos, den Tratsch, die Gigolos, die Hochstapler … What a mess ! Truman, Darling, bestell noch eine Runde Wodka-Martini, ich bitte dich. “
Glorias Familie hatte halb New York erbaut und ihr die Kindheit verdorben. Während Truman dem Oberkellner winkte, wechselte er das Thema. Sobald das Gespräch sich etwas Schmerzhaftem näherte, ergriff Capote die Flucht. Es war eine Frage des Über­lebens. Was aus ihm den hinreißendsten Jüngling von New York machte.
„ All diese Mädchen, die keinen Vater haben “, sagte er zu Jerry. „ Da muss sich doch einer drum kümmern … Sie sind aus der Park Avenue geflohen, um Schauspiel zu studieren. Die Mädchen von der Upper East Side spielen alle Theater, weil sie geliebt werden wollen und weil die Leute, von denen sie angeblich geliebt werden, übers Wochenende in die Hamptons gefahren sind. “
„ Mein Vater ist in Paris und meine Mutter in Los Angeles “, sagte Oona.
„  Sehen Sie sich Orson da drüben an “, sagte Carol. „ Mein Gott, was ist er düster. Hat er nie O’Neill gespielt ? Das sollte er ! Ich kann ihn mir gut vorstellen, wie er seine Frau mit einer leeren Flasche verprügelt. “
„ Also, ich finde ihn beinahe schön “, sagte Gloria. „ Ich mochte es, als er im Radio so tat, als würden Außerirdische den Broadway angreifen. “
„ Ich verstehe nicht, was daran so sensationell war “, bemerkte Truman. „ Der Broadway wird jeden Abend von Außerirdischen angegriffen. “
Seit acht Uhr p. m. warf Gloria Vanderbilt jedem hübschen Typen, der vorbeikam, ein „ Hello “ zu. Wenn er ihr ein Lächeln schenkte, verließ sie den Tisch, ging zur Bar und kam mit Visitenkarten zurück, die sie dann von Sessel zu Sessel reichte, bevor sie sie schließlich im weißen Aschenbecher vergaß. Es war eine große Ehre, wenn die reiche Erbin bei ihrer Bande lärmender Freunde auf der roten Bank sitzen blieb.
Carol stand auf, um mit Truman zu tanzen. Sie hatten beide so blondes Haar … Um sie in der Menge der Tänzer ausfindig zu machen, brauchte man nur die zwei Flammen mitten auf der Tanzfläche zu verfolgen, die da wie Irrlichter über einem Moor schwebten.
Wollen Sie ein von vielen begehrtes Mädchen verführen, so müssen Sie ihr vermitteln, dass Sie Zeit haben … dabei haben Sie keine. Sich nicht auf sie stürzen wie die anderen, sondern Interesse zeigen. Es ist ein subtiles und widersprüchliches Spiel. Sie haben nur zwei Minuten, um die beiden folgenden Botschaften zu vermitteln : Ich pfeif drauf, aber ich pfeif nicht drauf. Tatsächlich ist es so : Wenn das Mädchen länger als zwei Minuten bei Ihnen bleibt, dann, weil es Sie gewählt hat, also seien Sie still.
Oona warf Jerry, der an seinen Nägeln kaute, einen unauffälligen Blick zu ; sie begriff, dass auch er sich fragte, was er da machte. Sie taxierten sich, ohne etwas zu sagen. Der Spiegel über der Bar hatte zwei Funktionen : die anderen ausspionieren und die eigene Frisur überprüfen. Von Zeit zu Zeit öffnete einer den Mund, um einen Satz zu beginnen, sprach ihn aber nicht aus. Der andere versuchte es seinerseits, aber nichts drang hervor, abgesehen von ein paar Chesterfieldkringeln. Sie suchten nach etwas, was sie sich sagen könnten und was keine Banalitäten wären. Sie spürten, dass sie sich als einander würdig er­­weisen müssten. Dass ein gemeinsames Gespräch verdient werden musste. Oder sie tauschten Gestammel aus, aber die meiste Zeit ihrer ersten Begegnung ( immerhin eine gute halbe Stunde ) verbrachten sie damit, winzige Vodkatini-Schlucke zu trinken und aufmerksam den Boden ihres Glases zu inspizieren, als würden sie darin nach einem Schatz, einer Olive oder einer Haltung suchen.
„ … “
„ Ähh … “
„ Ich … “
„ … “
„ Hm … “
„ Es ist warm … “
„ Ja … “
„ … “
„ Dieser Song … “
„ Smoke Gets in Your Eyes ? “
„ Vielleicht … “
„ Mmm … “
„ … “
„ … “
„ Hübscher Titel … “
„ Oh, ja … “
„ Hier hat man ständig Rauch in den Augen … “
„ Die beste Version ist die von Fred Astaire … wenn er tanzt, kommt es einem so vor, als würde er gleiten … “
„ Wie ein Schlittschuhläufer in Tanzschuhen … “
„ Mmh … Wissen Sie, dass Sie ihm ein wenig ähneln ? “
„ Ach ? “
„ … “
„ Das sagen Sie wegen meines länglichen Gesichts. “
( Verlegenes Lächeln )
( Fassungsloses Seufzen )
„ Geben Sie mir bitte den Aschenbecher … “
„ Hier … “
„ Ist ja richtig, dass ich ein Gesicht in Form einer Erdnuss habe. “
„ Aber nein, Fred Astaire ist sehr hübsch. “
„ Entschuldigen Sie, wenn ich Sie das frage, aber … wie alt sind Sie ? “
„ Fünfzehn, warum ? “
„ … “
„ … “
„ … nur so … “
„ Und Sie ? “
„ Einundzwanzig … “
„ … “
„ … “
„ Wissen Sie … “
„ Was ? “
„ Ich schweige … aber ich langweile mich nicht. “
„ Ich mich auch nicht. “
„ Ich schweige gern mit Ihnen. “
„ … “
„ … “
An dieser Stelle höre ich auf, den Dialog zwischen zwei Fischen zu transkribieren, denn der Leser wird denken, ich schinde Zeilen ( was stimmt ), oder ich liefere ihm nicht genug für sein Geld ( was falsch ist ). Und doch handelt es sich um die exakte Niederschrift des ersten Nicht-Gesprächs zwischen Oona O’Neill und Jerome David Salinger. Die beiden großen Gelähmten wagten sich nicht einmal anzusehen, während sie nebeneinandersaßen, den Blick in den Raum gerichtet. Sie betrachteten das Ballett der Kellner und hörten der Band zu, wie sie sich unter dem Netz aus Ballons die Lungen aus dem Leib blies. Oona kratzte ihre Serviette, Jerry schnupperte an seinem Glas, als würde er sich mit Martinis auskennen, während er sich mit der anderen Hand an der Armlehne seines Stuhls festkrallte wie ein phobischer Flugreisender beim Start. Manchmal zog er eine oder beide Brauen hoch. Man kennt den Begriff des „ Small Talk “ ; an diesem Abend erfanden Oona und Jerry den „ Silent Talk “. Eine redselige Stille, eine Stille voller Andeutungen. Der restliche Tisch machte Lärm um nichts ; sie waren von stummer Neugier. Der Anblick nervte regelrecht – so viel plötzliche Tiefgründigkeit inmitten New Yorker Leichtigkeit. Diese beiden Menschen, die sich nicht wohl in ihrer Haut ­fühlten, waren vielleicht erleichtert, endlich gemeinsam schweigen zu können. Die anderen kamen zurück und setzten sich wieder, erschöpft vom Flirten und Tanzen. Truman sah Jerry gerührt an und sagte Sätze wie :
„ Sieht so aus, als habe Orson einen Film über die Familie Hearst gedreht. Keine Zeitung wird je darüber schreiben ! “
„ Hören Sie auf, sie mit Blicken zu verschlingen, Darling. Das ist peinlich, versuchen Sie wenigstens, den Mund zuzumachen. “
„  Haben Sie den Großen Diktator gesehen ? Chaplin ist zum Lachen, aber ich fand es seltsam, seine Stimme zu hören. Ich hatte sie mir tiefer vorgestellt. “
„ Ich liebe es, wenn er Deutsch nachmacht “, sagte Carol. „ › Und Destretz Hedeflüten sagt den Flüten und destrutz Zett und sagt der Gefuhten ! ! ‹ “
„ Was heißt das ? “
„ Das ist kein richtiges Deutsch. Du bist wirklich ein Sprachengenie, wenn du trinkst. “
„  Vielleicht hält der echte Hitler seine Reden ja auch in Küchendeutsch. Und das ist auch der Grund, wieso ihm nie jemand geglaubt hat, was er sagte. “
Die blonde Carol lachte selbst am lautesten über ihre Witze, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie mochte es nicht, wenn Oona ankam. Sie wollte nicht teilen, sie wollte Ooona für sich behalten, wie die kleine Schwester, die sie nie gehabt hatte. Man sah ihr ihren Ärger an, nervös zog sie die Puderdose hervor und wedelte sich mit der Puderquaste übers Gesicht. Gloria war froh, nicht die einzige „ Tochter von “ am Tisch zu sein. Das ist der Fluch der Töchter von Prominenten : Anstatt unbekümmert von ihrem Namen zu profitieren ( schließlich haben sie sich ihre Eltern nicht ausgesucht ), fühlen sie sich von ihm verunstaltet, wie eine Handtasche mit einem dicken goldenen Logo. Aber die drei wussten, woran sie waren : Die Männer waren zunächst von ihrem Äußeren ange­zogen. Die Berühmtheit und das Vermögen ihrer Eltern waren nur das ( vergiftete ) Sahnehäubchen auf ihren zarten Körpern. Während sie weiter scherzten, runzelte Jerry die Stirn. Man kann sich vorstellen, was er dachte : „ Was hat dieses Mädchen nur, was die anderen nicht haben ? Warum regt ihr süßes Gesicht mich derartig an ? Warum vergöttere ich AUGENBLICKLICH ihre Brauen und ihre Traurigkeit ? Warum fühle ich mich neben ihr so dumm und so gut ? Was warte ich noch, warum nehme ich nicht ihre Hand, um sie zu entführen ? “
„ Also, was mir an Chaplin am besten gefällt, ist Paulette Goddard “, sagte Gloria. „ Wie schick sie ist ! “
„  Er hat immer einen guten Geschmack mit seinen Frauen bewiesen : Er sucht sich sehr junge “, murmelte Truman zwischen seinen nicht vorhandenen Lippen.
„ Ich fand seinen Diktator nicht lustig. Hitler bringt die Massen in Europa nicht zum Lachen “, stieß Jerry Salinger hervor, bevor er seine Unfähigkeit zur Leichtigkeit be­­dauerte. „ Ich frage mich, ob er ihn gesehen hat. “
Eine Sekunde später stand er vom Tisch auf, wandte sich zur Ausgangstür und drehte sich dann wütend zu Oona um, wie ein Schauspieler der Royal Shakespeare Company, der seinen Abgang zelebriert.
„ It was nice not-talking with you, Miss O’Neill. “
„ Hey ! Aber die Nacht ist noch jung ! “, rief Truman.
„ Ich MUSS jetzt SOFORT einen Crêpe Suzette haben, sonst STERBE ich “, erklärte Carol.
„  Nice not-to-meet-you, too, Jerry “, sagte Oona leise … ( dann wandte sie sich, um ihr Erröten zu verbergen, zu ihren Freundinnen um, während der lange Lulatsch zur Garderobe marschierte und dabei an einem Haut­fetzen seines linken Daumens kaute ). „ Seltsam, dieser Tollpatsch … Wie spät ist es ? “
„ Zu früh, um schlafen zu gehen “, antwortete Capote.
„ Wir müssen abwarten, bis die Ballons losgelassen werden “, sagte Carol.
„ There’s a great day coming mañana “, stimmte die Band an.
Jeden Sonntag gab es im Stork Club die Nacht der ­Ballons : Um Mitternacht balgten sich beim zwölften Glockenschlag die Mädchen darum, die Luftballons zum Plat­zen zu bringen, die ihnen auf die Köpfe fielen. In einigen davon waren Überraschungsgutscheine versteckt, für Schmuck, Geschenke, ein Kleid oder einen Schal … Die Gewinnerinnen schrien noch lauter, an der Grenze zum Orgasmus, und die Verliererinnen brüllten aus Wut und aus Neid ebenfalls, bevor alle ihre Aufregung in Strömen von Whisky ertränkten. Man sollte diese Überraschungsballon-Abende wieder einführen : Es fehlt an knallenden Nächten. Beim Explodieren machten die hundert Ballons den Lärm einer MP-38-Maschinenpistole, der die Rumbas kurz übertönte. Carol war die Irrste des Trios. Sie stand auf dem Tisch und war bereit, jeden zu kratzen und zu beißen, der sich ihr bei der Eroberung des höchsten Ballons, den sie mit ihren rasiermesserscharfen Nägeln platzen ließ, in den Weg stellen würde.
J. D. Salinger ging zu Fuß zurück zu seinen Eltern, die nicht weit entfernt von dem Haus wohnten, in dem ich vierundvierzig Jahre später bei meinem Onkel George Harben am Riverside Drive untergekommen war. Oonas trauriges Lächeln hatte sich ihm ins Gedächtnis und in die Fassaden der Häuser der Park Avenue gebrannt. Fucking Fred Astaire. Er fror am Kopf, denn er hatte seinen Hut im Stork vergessen, aber es war ihm zu unan­genehm, zurückzukehren und ihn vor aller Augen zu ho­len. Die nächsten Wochen verbrachte er damit, den Abend Sekunde für Sekunde auseinanderzunehmen. Warum war sie so lange bei ihm geblieben ? Warum war er nicht in der Lage gewesen, anders mit ihr zu reden als in Gestammel ? Was hätte er sagen müssen, um sich un­­vergesslich zu machen ? Als er das Haus betreten wollte und in der Jacketttasche nach den Schlüsseln suchte, fühlte er einen schweren Gegenstand. Jemand hatte ihm den weißen Aschenbecher des Stork Club ins Jackett ge­­steckt. So leblos der rauchende zylindertragende Storch auch war, sein Anblick schenkte ihm doch das Lächeln zurück.


Frédéric Beigbeder

Über Frédéric Beigbeder

Biografie

Frédéric Beigbeder, geboren 1965 in Neuilly-sur-Seine, lebt mit seiner Familie an der französischen Atlantikküste. Er war zehn Jahre lang als Texter in einer renommierten Werbeagentur tätig, die ihn nach der Veröffentlichung seines ersten Romans „Memoiren eines Sohnes aus schlechtem Hause“ vom Fleck...

Medien zu „Oona und Salinger“


Pressestimmen
STERN

„..ein geradezu umwerfender Künstlerroman... Das Buch, eine Mischung aus Fiktion und Fakten, ist klug, lebendig, mitreißend und analysiert scharfsinnig Werke von Eugene O'Neill, Joseph Conrad und Hemingway.“

Neue Osnabrücker Zeitung

„Dieses Buch ist berührend, pathetisch, kühn, manchmal anmaßend“

Badische Zeitung

„Das Buch ist grundiert von einem Sinn für Tragik, von Melancholie und jenem traurig-emphatischen Blick auf die menschlichen Abgründe. Hinter dem Schwadroneur ist der begeisterte Cineast, der Literaturkenner und immer auch der Moralist Beigbeder erkennbar.“

Die Presse am Sonntag

„Wer ein Fan der amerikanischen Literatur- und Filmkultur der frühen 1940er-Jahre ist, wird es genießen, viel über Capote, Chaplin oder Hemingway zu lesen und mitunter auch etwas Neues zu erfahren.“

HÖRZU

„Grandios.“

Basler Zeitung

„Das ist grosses Kino. Aber auch sonst ist dieser Roman, der mit dem Medium Biografie spielt, es mit viel Leidenschaft füttert, aber auch immer wieder unterläuft, ein Wurf.“

Zentralschweiz am Sonntag

„Ein kraftvolles Buch.“

Neue Presse

„Frédéric Beigbeder erzählt diese wahre Geschichte mit viel Einfühlungsvermögen, amüsierter Distanz und Herzenswärme.“

Kommentare zum Buch
JulesBarrois / lovelybooks.de am 07.04.2015

Oona und Salinger ist eine sehr schöne fast poetische Geschichte, hochraffiniert, witzig, anspielungsreiche und selbstreferentiell. Er ist dem konventionellen Realismus amerikanischer Prosa turmhoch überlegen Eine wahre Freude für die Liebhaber der amerikanischen Literatur und Interessenten in der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts.   Rezension ursprünglich auf www.lovelybooks.de veröffentlicht

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