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Mit Herd und Seele

Mit Herd und Seele

Jörn Kabisch
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Über die Melodie von Crème brûlée, die perfekte Käsereibe und das große Glück beim Kochen

„Jörn Kabisch schreibt in dieser Essaysammlung ebenso schlau wie unterhaltsam.“ - effilee

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Mit Herd und Seele — Inhalt

Vor dem Essen kommt das Kochen – zum großen Glück für alle, deren Meditation beim Zwiebelschneiden beginnt. Dass man dafür weder Blitzhacker noch Schoko-3D-Drucker braucht, dafür verbürgt sich Jörn Kabisch und überzeugt nicht nur als leidenschaftlicher Erzähler, sondern auch mit versierten Küchentipps. Da wird gegen die Knoblauchpresse ausgeteilt, vom Rosenkrieg mit der Polenta berichtet und einer stürmischen Affäre mit Sellerie. Und er räsoniert darüber, was man verpasst, wenn man beim Geschmack seiner Kindheit bleibt. Wer sich bei diesen Schilderungen dampfender Köstlichkeiten, gemütsdämpfender Küchenfiaskos und duftender Zutaten nicht sofort an den Herd stellen will – der besitzt wahrscheinlich einen Thermomix.

€ 12,99 [D], € 12,99 [A]
Erschienen am 03.04.2018
192 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99057-8
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„Jörn Kabisch schreibt in dieser Essaysammlung ebenso schlau wie unterhaltsam.“
effilee
„Eine sehr persönliche Liebeserklärung ans Kochen und Essen.“
Slow Food

Leseprobe zu „Mit Herd und Seele“

Prolog 


„Dass du immer alles in den Mund stecken musst.“ Diesen Satz höre ich seit frühester Kindheit. Fast jeder Erwachsene um mich herum hat ihn mal gesagt. Mutter, Vater, Tante, Oma, Oma, Opa: „Pfui. Steck doch nicht immer alles in den Mund.“

Aber es ging nicht. Ich habe schon immer versucht, alles zu schmecken und abzulecken, als Kleinkind, als Kind, als Jugendlicher mitten in der Pubertät. Vor allem das Ungenießbare – aber nicht nur das.

Ich ertappe mich noch heute häufiger in der S-Bahn. Ich stehe an den Türen, lehne den Kopf ans Fenster, und auf [...]

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Prolog 


„Dass du immer alles in den Mund stecken musst.“ Diesen Satz höre ich seit frühester Kindheit. Fast jeder Erwachsene um mich herum hat ihn mal gesagt. Mutter, Vater, Tante, Oma, Oma, Opa: „Pfui. Steck doch nicht immer alles in den Mund.“

Aber es ging nicht. Ich habe schon immer versucht, alles zu schmecken und abzulecken, als Kleinkind, als Kind, als Jugendlicher mitten in der Pubertät. Vor allem das Ungenießbare – aber nicht nur das.

Ich ertappe mich noch heute häufiger in der S-Bahn. Ich stehe an den Türen, lehne den Kopf ans Fenster, und auf einmal sind die Lippen am Glas. Als könnte man den Fahrtwind schmecken. Ich war ungefähr fünf, da musste ich mal wieder probieren, wie sich die eisige Stange im Sessellift auf der Zunge anfühlt. Das war immer ein großer Spaß auf der langweiligen Fahrt zum Gipfel. Die Skier und Skischuhe zerrten an den Beinen, der Hintern wurde kalt. Den dicken Mast anzulecken, der oben zu den Drahtseilen führte, war die beste Ablenkung. Man darf die Zunge dabei nur ganz leicht an das Metall halten. Die Kälte ist wie ein Magnet, der die Haut umgehend anfrieren lässt. Spürt man nur einen Hauch von Frost an der Zunge, muss man sie sofort wegziehen. Die Stange ist so kalt, dass sich die Prozedur ständig wiederholen lässt, bis der Ausstieg in Sichtweite kommt, wo schon irgendein Erwachsener steht, der tadelnd sagt: „Dass du immer alles in den Mund stecken musst …“

Manchmal ist das Metall aber zu kalt. Oder man wird übermütig. Und dann hängen die Lippen fest. Hätte es in meiner Kindheit schon Smartphones gegeben, hätte ich heute sicherlich ein verwackeltes Bild von mir im roten Skianzug, auf dem ich völlig verrenkt die Lippen an die Liftstange presse.

Ich fand die festgefrorenen Lippen gar nicht komisch, sondern dachte die ganze Zeit daran, was mich oben am Ausstieg erwartete. Malte mir aus, wie ich Stunden mit dem Lift hoch und runter im Kreis fahren musste. Und zerrte und drückte mit den Lippen an der Stange, versuchte Spucke zu sammeln, hauchte und blies, damit das Metall doch ein bisschen wärmer würde. Zog den Handschuh aus und umfasste die Stange, damit sie etwas auftaute. Das muss doch gehen wie beim Pflaster, dachte ich. Als ich das Gefühl hatte, das Eisen ließ nach, riss ich erst die Oberlippe, dann die Unterlippe vom Rohr. Ich war ein bisschen zu voreilig gewesen – und es brannte höllisch. Ich hinterließ auf dem Sessellift zwei kleine festgefrorene Lippenfetzchen, klappte den Riegel hoch, sprang auf die Skier, und dann war alles wie immer. „Dass du auch immer alles in den Mund stecken musst …“, empfing mich mein Vater kopfschüttelnd.

Der Schreck hielt aber nicht lange an. Mit den Jahren wurde ich vielleicht etwas vorsichtiger. Wissen Sie eigentlich, dass Faber-Castell-Bleistifte völlig anders schmecken als etwa die von Staedtler?

Muss ein Kind, das an Liftstangen leckt, sich auf dem Spielplatz Sandkuchen in den Mund steckt oder mit Boxerhündin Baffi im Körbchen liegt und sich die Hundekekse teilt, nicht zwangsläufig irgendwann ein großer Esser werden? In meinem Fall ja! Ein Geschmacksmensch, der kaum ein Gericht zwei Mal essen will, weil ihm das zu langweilig ist, dem beim Umzug in eine neue Stadt die Aromen in Mund und Nase mindestens genauso wichtig sind wie die neuen Menschen, die er dort trifft. Jemand, der nicht nur den unterschiedlichen Geschmack von Bleistiften entdecken will, sondern auch den von Schrauben, Telefonkabeln und Türknöpfen in Autos.

Doch sosehr ich damals schon das Probieren von Alltagsdingen liebte, war doch der Kontakt mit exotischer Nahrung eher eine Liebe auf den zweiten Biss. Es gab einen großen Unterschied. Man hatte auch zu schlucken. Und so wurde das nächste große Geschmackserlebnis der Horror. Es handelte sich dabei um eine Art von Menschenexperiment, die bestimmt bis zum heutigen Tag in deutschen Kindergärten durchgeführt wird. Es war ein wirklich schöner Frühsommertag, und im Raum Biene Maja freuten sich die Erzieherinnen über eine richtig lustige Idee, die uns Kindern eine Abwechslung bieten sollte in dem ewigen Einerlei aus Fangen, Raufen, Bilderbücher zerfetzen und sonstigen Arten von Mensch-ärger-dich.

Die Frauen hatten die Tische in der Mitte zu einer großen Tafel zusammengeschoben und Teller, Platten und Schüsseln voller Obst und Gemüse darauf verteilt. Man erkannte das ganze Trara aber kaum in dem matten, bunten Licht. Denn ein paar Wochen zuvor hatten wir an einem verregneten Frühlingstag die Fenster bis zur Undurchsichtigkeit mit Kühen, Maikäfern, Wolken und Pumuckl-Gesichtern bemalt.

So kam es uns seltsam unwirklich vor, was da auf den Tellern lag: Bläuliche Äpfel und Tomaten, grünstichige Orangen und Mandarinen, braune Bananen, schwarze Gurken, auch die Kohlrabis, Zucchinis und Salate sahen nicht so aus, wie wir sie vielleicht schon mal gesehen hatten. Doch es war nicht das Licht allein, was uns Dreikäsehochs damals die Freude nahm an diesem Berg aus Vitaminen. Ach was, Dreikäsehochs. Eigentlich waren wir alle Dreiwursthochs, ausnahmslos, der Jens und die Julia, der Georg und die Ulrike, die Susi und die Michaela auch, nämlich passionierte Gelbwurstesser. Das kam noch vor weißen Mäusen und Pommes mit Ketchup. Käse? Nein danke! Meine Freunde und ich rissen die Augen und Münder auf, und das Grauen wich auch dann nicht aus unseren Gesichtern, als die Kindergärtnerinnen trällernd erzählten, welche Überraschung sie sich hatten einfallen lassen.

Ich bin mir sicher, heute würden alle Kinder sofort von irgendwelchen Allergien anfangen, Fruchtzuckerunverträglichkeit oder Laktoseintoleranz, das lernt man heute ja gleich, nachdem man Papa sagen kann. Aber wir waren noch eine andere, naive Generation, der diese Art subtilen Widerstands noch unbekannt war.

Ich sah mir also den Berg aus Obst und Gemüse genau an, verfolgte nachlässig die Erklärungen der Kindergärtnerinnen und versuchte, mich für den schlimmsten Moment meines jungen Lebens zu wappnen, sicher noch schlimmer als die Tetanusspritze vor zwei Monaten. Uns sollten die Augen verbunden werden, und eine der Erzieherinnen würde uns irgendeine leckere Frucht in den Mund stecken. Die sollten wir dann essen und erraten. Georg und Ulrike, die alten Heulsusen, hatten schon Tränen in den Augen. Ich dagegen versuchte, die mir bevorstehende Katastrophe in Best- und Worst-Case-Szenarios aufzuteilen. Das kleinste Übel war die Banane, aber danach wurde es schon schwierig.

Ich war gerade in einer Anti-Rot-Phase, das heißt Tomaten, rotbackige Äpfel usw. hatte ich zu Hause für tabu erklärt. Weil mein Bruder gerade alles, was grün war, bestreikte, kamen eigentlich nur noch Kartoffeln und vielleicht noch Kohlrabi auf den Tisch. Meistens aber die von uns geliebten Schinkennudeln.

Erdbeeren und Tomaten hatte ich immerhin schon mal gegessen, da konnte man das Tabu mal für einen kleinen Bissen brechen. Musste ich ja nicht gleich zu Hause erzählen. Und Gurken, Zucchini und Salat hatte ich auch alle schon mal im Mund gehabt. Würde also auch irgendwie gehen. Aber das, was da oben auf dem Berg thronte, das hatte ich noch nie probiert – und wollte auch heute nicht damit anfangen. „Die Ananas kommt aus dem Regenwald“, hatte Frau Hintermoser gerade erklärt. Ich schüttelte mich.

Doch der Gipfel des Grauens waren die Avocados daneben. Die kannte ich leider auch schon. Ich hatte mal beobachtet, wie irgendein Erwachsener eine schon schwarz angelaufene, also angefaulte Frucht aufgeschnitten und dieses grüne, an den Rändern kackbraune, breiige Zeugs ausgelöffelt hatte. Wie grün angelaufene Mousse au Chocolat. Bei Ananas und Avocado, da war ich mir sicher, konnte ich für nichts garantieren.

Ich hätte nicht so tapfer sein sollen. Georg und Ulrike, die Heulsusen, waren als Erste dran – und Orange und Banane schon mal weg. Dann verband Frau Hintermoser Julia die Augen und schob ihr meinen Favoriten, den Apfelschnitz, in den Mund. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob sie herausfand, was sie aß. Ich war als Nächster an der Reihe und hatte nur Angst, weil das giftige Zeug aus dem Regenwald noch nicht verfüttert war. „Ein Stück Gurke, nur etwas Gurke, das schmeckt kaum nach was.“ Auf diesen Gedanken konzentrierte ich mich hinter dem Schwarz der Augenbinde. Vielleicht würden so telekinetische Kräfte in mir wach, wie bei Marvel Girl, dem Comic, den ich vorhin durchgeblättert hatte.

Ein paar Momente später wusste ich, dass ich nicht als Superheld geboren war. Die Kindergärtnerin sagte „Mund auf“ und schob mir etwas auf die Zunge. Ich konzentrierte mich darauf, die Geschmacksknospen abzuschalten. Aber das ging nicht. Ich merkte, wie das Stück Gemüse widerstandslos am Gaumen nachgab, es hatte keinen Biss wie jedes andere Grünzeug, was ich bisher gegessen hatte, das immerzu krachte und knirschte beim Kauen. Nein, es war sogar noch weicher als eine Banane. Und gar nicht süß. Und löste sich sofort in Brei auf und füllte meinen ganzen Mund ölig aus. Mein Kiefer erstarrte. Und Frau Hintermoser fragte noch: „Na, hast du es schon erkannt? Das ist sicher nicht leicht.“

Ich riss mir die Binde von den Augen, pulte mir das Gemüse aus dem Mund, sah auf ein Stück Avocado, leicht zerdrückt, am Rand kackbraun und spuckeglänzend, reichte es wortlos der Kindergärtnerin und drehte mich um. Nur raus hier. Doch der Ekel überwältigte mich noch vor dem Klo.

Drei Wochen später streikte dann meine Mutter: „Es reicht jetzt mit den Schinkennudeln. Ihr könnt euch doch nicht nur von Nudeln und Wurst ernähren.“ Und wahrscheinlich hatte ich meine einseitige Diät ebenfalls satt. Ich begann zu kochen. Ich wollte, dass mir nie mehr jemand etwas in den Mund steckte, was ich vorher nicht gesehen, nicht gekostet, nicht nach meinem Geschmack bearbeitet hatte. Mein erstes Gericht waren Spaghetti mit einer Sauce, die ich aus Salamiwürfeln, Ketchup und Kondensmilch in meiner Kinderpfanne blubbernd aufkochte. Mir doch egal, dass meine Brüder nicht verstanden, wie gut das war. Aber bis ich das nächste Mal Avocado aß, sollte es noch zwei Jahrzehnte dauern.



Geniessen 


Genießen lernte ich mit Pfannkuchen. Nicht das Karnevalsgebäck, sondern dünn ausgebackene Eierkuchen, solche, die man in Österreich Palatschinken nennt. Pfannkuchen mit Spinat. Ich kann davon heute noch schwärmen. Unsere Tante buk sie für uns: Leicht süßliche, nicht zu braun ausgebratene Fladen, „und bitte ganz dünn, echte Palatschinken“, wie mein Onkel, ein Münchner mit österreichischen Wurzeln, jedes Mal forderte, „am besten zum Durchgucken“.

Uns Kindern war das egal, wir konnten nur Löcher im Pfannkuchen nicht so leiden. Die Teller meiner Tante waren mit einem Muster aus grünem Liguster verziert, darum ein Goldrand. Darauf platzierte sie einen Pfannkuchen und gab einen Klecks Rahmspinat in die Mitte, nur den aus der Tiefkühltruhe, aber mit einem Extraschuss Sahne. Wir verstrichen den Spinat sorgfältig, ließen außen auf dem Pfannkuchen etwas Platz und rollten ihn dann so eng auf, wie es ging, immer bedacht, dass kein Spinat aus den Enden floss.

Das war wie bei dem Spiel, bei dem wir von Gehwegplatte zu Gehwegplatte hüpften und bloß nicht auf die Ritzen kommen durften. Wessen Teller am Ende des Spinatpfannkuchenessens am grünsten war, hatte verloren. Das war der Ü-Ei-Moment an diesem Essen. Es hatte was Spielerisches, wenn wir, noch kaum vertraut mit Messer und Gabel, unsere Pfannkuchen drehten. Anfangs war sogar erlaubt, dabei die Hände zu benutzen. Bis wir auf die Idee kamen, uns mit Spinat zu bewerfen.

Dank unseres Spiels waren die Pfannkuchen-mit-Spinat-Essen immer von einer ruhigen Seligkeit beherrscht. Bis heute bin ich fest davon überzeugt, dass es daran lag, dass das Essen nicht in Schüsseln auf den Tisch kam. Bei uns Jungs führte eine fast leere Schüssel – trotz eines vollen Tellers – zu Futterneid. Wir sprachen nicht, sondern spachtelten das Essen wie junge Hunde in uns rein, nur um als Erster eine zweite Portion zu bekommen.

Ich weiß nicht, wie viele Teller ich in meinem Leben auf diese Art leer gegessen habe, ohne meinen Geschmackssinn einzuschalten. Heute habe ich eine Abneigung dagegen, das Essen in Schüsseln auf den Tisch zu stellen. Ich richte die Teller immer an. Nachschlag gibt es selten, dafür gern eine Vorspeise oder ein Dessert. Bisher ist noch jeder Gast satt geworden. Sogar meine Brüder.

Bei den Pfannkuchen war es sinnlos, schnell zu essen, ganz im Gegenteil. Unsere Tante stand am Herd, bediente zwei Pfannen und verteilte reihum. Wenn man den Fehler machte, seine Rolle zu schnell zu wickeln und zu schlingen, musste man auf den nächsten Pfannkuchen nur umso länger warten. So wurden diese Essen zu meiner ersten Genussschule. Die Pfannkuchenrolle war in fünf Bissen aufgegessen. Weil man sich aber Zeit nahm, entdeckte ich: Jeder Bissen schmeckte anders. Die Enden waren schärfer und bitterer, weil der Spinat dominierte, die Mittelteile süßer und samtiger, weil da mehr vom Pfannkuchen war. Für mich sind die Geschmacksunterschiede bei einem so einfachen Gericht noch heute eine Sensation. Außerdem konnte man erforschen, wie sich der Geschmack veränderte, wenn man viel oder wenig Spinat auf dem Pfannkuchen verstrich. Meine Tante hatte zwar sehr genaue Vorstellungen, wie viel auf den Teller durfte, auch damit der Topf Spinat bis zum Ende reichte. Aber man konnte am Anfang nur eine halbe Kelle verlangen und die Spinatmasse auf dem Teller dann langsam steigern. Da machte sie mit.

Die Pfannkuchenessen waren auch die ersten Essen, bei denen das Essen selbst das Thema am Tisch war. Es fing immer mit der Palatschinkenforderung meines Onkels an. Mit seiner Hilfe wurden wir zu Pfannkuchenexperten. „Die müssen aber ganz dünn sein, zum Durchschauen“, äfften wir ihn nach und hatten bald auch Geschichten über die österreichische Palatschinkenkultur parat und wussten, es bekommt dem Teig, wenn er nicht erst direkt vor dem Backen angesetzt wird, sondern ein bisschen ruhen darf.

Nur eines schafften wir nicht: unsere Tante dazu zu bewegen, die Pfannkuchen in der Luft zu wenden. Theoretisch wussten wir genau, wie das ging, unser Onkel gab sich auch als Meister dieser Disziplin, aber meine Tante hielt ihn immer fern vom Herd. Richtig ernst war es ihm ohnehin nie, eine Probe seines Könnens zu zeigen. So lernte ich erst sehr viel später, Pfannkuchen in der Luft zu wenden, wahrscheinlich in der Küche des Studentenwohnheims.

Spinatpfannkuchen wurden so das erste Gericht, mit dem ich meine eigene Versuchsküche ging.

Wenn ich heute gut essen gehe, und ich meine wirklich sehr, sehr gut, gibt es oft einen Moment, da muss ich wieder an die Teller mit dem goldenen Rand denken, an die hellbraun ausgebackenen Pfannkuchen und den großen Klecks Spinat darauf. Das ist immer dann, wenn ich mit dem Teller vor mir zur Ruhe komme, wenn das Gespräch am Tisch verstummt, wenn ich die verschiedenen Komponenten auf dem Teller zusammen und allein durchprobiert habe und anfange, mir einzelne Kombinationen auf die Gabel zu schieben, in Kleinstmengen.

Ich hasse übrigens Köche, die stapeln. In den 90er-Jahren war das mal sehr angesagt. Wie Burger drapierten die Küchenchefs alles übereinander: Auf Sauce musste Gemüsebett, musste Fleisch, musste wieder Gemüse, musste irgendein Crunch, mussten Sprossen, musste wieder irgendein Sößchen. Bei solchen Arrangements ist der Gast verdammt, immer das Gleiche vom Teller zu nehmen. Oder in meinem Fall: den Turm des Küchenchefs auseinanderzunehmen.

Ich bin auch als Esser Koch. Ich glaube, jeder Gourmet ist das, auch die, die glaubhaft versichern, am Herd eine absolute Null zu sein.

Es gibt Menschen, die haben am liebsten alle Beilagen säuberlich getrennt und essen den Teller dann im Uhrzeigersinn leer. Das Fleisch heben sie sich als Höhepunkt bis zuletzt auf. Man kann diesen Leuten eine Freude machen, wenn man ihnen das Essen auf Kantinentellern serviert, diesen Tabletts mit Vertiefungen für das Gulasch, die Spätzle, den kleinen Salat und rechts oben den Joghurtbecher. So einer bin ich nicht, aber ich habe Sympathie für diesen Typ Esser.

Ich liebe es, einzelnen Aromen nachzuspüren, die Komponenten auf dem Teller unterschiedlich auf meiner Gabel zu arrangieren. Aus meiner Sicht ist das eine Vorform des Kochens. Wenn ein Chefkoch mich animiert, mit dem, was er auf den Teller gibt, zu spielen, hat er mich schon auf seine Seite gezogen.

 

Genuss ist meiner Ansicht nach keine passive Tätigkeit, ganz im Gegenteil. Sie ist aktiv, kreativ, sie hat ihre eigene Geschwindigkeit. Mein Genuss beginnt, wenn mir der Koch die Freiheit lässt zu essen, wie ich es will. Alles nacheinander im Uhrzeigersinn oder nachdem ich alles auf dem Teller durcheinandergemanscht habe (mache ich gern ein bis zwei Mal im Jahr mit Tellern, auf denen viele Kartoffeln liegen) – oder nach einem Verfahren irgendwo in der Mitte zwischen diesen Extremen. Die Überlegung, wie ich esse, fördert meine Konzentration darauf, was ich esse. Und ich kann besser fühlen und sagen, wie es mir schmeckt.

Ich glaube, das ist auch ein Grund, warum viele Menschen so gern asiatisch essen gehen. Weil man gezwungen wird, anders zu essen. Es kommen viele Gerichte auf den Tisch, auf die Stäbchen passt nicht so viel wie auf das westliche Besteck. Asiatisch zu essen hat immer mehr von probieren als von schnell satt werden – vor allem, wenn man mit Stäbchen nicht so richtig umgehen kann. Schon allein die Art zu essen ist genussfreundlicher. Wobei das nicht heißt, dass Asiaten nicht spachteln könnten. Aber wie: Man muss nur die Reisschale nahe an den Mund bringen, die Stäbchen dienen dann nur noch dazu, das Essen über den Rand zu schieben, wo es dann von selbst in den Mund fällt. Geht fast noch schneller als mit der Gabel.

Über Jörn Kabisch

Biografie

Jörn Kabisch, geb. 1971 in der Nähe von München, studierte Jura und Philosophie in Frankfurt am Main und Potsdam. Nach dem Volontariat bei der Märkischen Oderzeitung ging er als Blattmacher zur taz. Im Jahr 2008 wechselte er als stellvertretender Chefredakteur zur Wochenzeitung der Freitag....

Pressestimmen
effilee

„Jörn Kabisch schreibt in dieser Essaysammlung ebenso schlau wie unterhaltsam.“

Slow Food

„Eine sehr persönliche Liebeserklärung ans Kochen und Essen.“

bookreviews.at

„Schade ist, dass man es viel zu schnell ausgelesen hat.“

Hannoversche Allgemeine

„In biografischen Episoden erzählt er vom Essen – ein Genuss.“

carpegusta.de

„Alles zusammen ergänzt sich zu einer ausgekochten Liebeserklärung an den Herd.“

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