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Lotte und der Problemtauschzauber

Lotte und der Problemtauschzauber

Sonja Bullen
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Lotte und der Problemtauschzauber — Inhalt

„Alle Menschen haben Probleme. Deshalb Vorsicht, wenn du den magischen Anhänger trägst ...“ Die zwölfjährige Lotte traut ihren Augen nicht, als sie das alte Tagebuch ihrer Tante liest! Was hat es mit dem Anhänger auf sich? Am nächsten Tag in der Schule ist eigentlich alles wie immer: Jan traut sich nicht, Pauline anzusprechen. Und Lottes beste Freundin Mira interessiert sich nur fürs Reiten, nicht für sie. Da geschieht das Unglaubliche – das Amulett tauscht ihre Probleme. Plötzlich versucht Jan alles, sich Mira zu nähern, obwohl er in Pauline verliebt ist. Und Lotte redet in Paulines Nähe nur noch dummes Zeug. Heilloses Chaos bricht aus, und Lottes immer verrücktere Pläne, alles wieder in Ordnung zu bringen, machen es nur noch schlimmer ...

€ 6,99 [D], € 6,99 [A]
Erschienen am 02.10.2018
176 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99244-2
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Leseprobe zu „Lotte und der Problemtauschzauber“

Ich bin so froh, dass Mira bei mir ist. Wenn es wirklich darauf ankommt, kann ich mich auf meine beste Freundin verlassen. Bei uns im Haus ist nämlich eine ganz komische Stimmung, seit Ma den Anruf bekommen hat, dass ihre Schwester gestorben ist. Meine Tante Marie-Lou, die ich noch nicht einmal kannte. Und heute Nachmittag sollen wir sogar etwas von ihr erben.

Mira sitzt dicht neben mir auf dem Sofa in meinem Zimmer. „Deine Mutter und ihre Schwester haben sich wirklich eine Ewigkeit nicht gesehen?“

»Paps sagt, sie haben sich schon gut verstanden, aber [...]

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Ich bin so froh, dass Mira bei mir ist. Wenn es wirklich darauf ankommt, kann ich mich auf meine beste Freundin verlassen. Bei uns im Haus ist nämlich eine ganz komische Stimmung, seit Ma den Anruf bekommen hat, dass ihre Schwester gestorben ist. Meine Tante Marie-Lou, die ich noch nicht einmal kannte. Und heute Nachmittag sollen wir sogar etwas von ihr erben.

Mira sitzt dicht neben mir auf dem Sofa in meinem Zimmer. „Deine Mutter und ihre Schwester haben sich wirklich eine Ewigkeit nicht gesehen?“

„Paps sagt, sie haben sich schon gut verstanden, aber irgendwann gab es einen großen Streit. Danach haben sie sich wohl nie mehr richtig vertragen.“

„Das ist aber traurig.“ Mira lässt die Schultern hängen. „Was wird deine Ma dann wohl erben?“

„Keine Ahnung. Ich hab eigentlich gar keine Lust, mit zu dem Notar zu gehen, wir sind aber alle eingeladen worden, das steht in dem Einladungsbrief.“

„Was genau ist ein Notar?“, will Mira wissen.

„Ma hat mir erklärt, dass so jemand rechtliche Dinge überprüft und dass man dort Geld und Wertgegenstände hinterlegen kann.“

„Eigentlich praktisch. Und was ist mit deiner Tante Gertrud?“

Ich seufze. „Die kommt auch, sie wird ebenfalls etwas erben. Allerdings hat sie sich wohl noch schlimmer mit Marie-Lou gestritten als meine Mutter. Ich bin sowieso nicht scharf darauf, sie zu treffen.“

Mira kichert. „Das kann ich verstehen. Bei eurer Sommerparty letztes Jahr hab ich erst gedacht, sie ist eine unbeliebte Nachbarin oder so etwas.“

„Lotte! Wir müssen los!“, ruft Ma uns vom Flur aus mit brüchiger Stimme zu.

Mira nickt. „Dann mach ich mich jetzt auch auf den Weg. Schreib mir sofort, wenn du es hinter dir hast, ja? Ich denk an dich!“

„Danke, Mi.“

Wir traben nach unten, wo Paps gerade an der Garderobe meiner Mutter den Arm um die Schulter legt.

„Bis bald, Mira!“ Ma seufzt tief, bevor sie die Haustür öffnet. Ihre Augen sind gerötet.

Ich winke meiner Freundin nach, als ich schon im Auto bin und sie noch ihr Fahrrad aufschließt. Ich wünschte, sie könnte mitkommen.

Den ganzen Weg zum Notariat muss ich darüber nachdenken, wie meine Mutter sich wohl fühlt. Auch wenn Ma und Marie-Lou einen schlimmen Streit hatten, muss es doch trotzdem ein Schock sein zu wissen, dass man nun plötzlich statt zwei Schwestern nur noch eine hat. Und wenn die dann auch noch Gertrud ist, die außer für ihren kleinen Chihuahua Frau Sarafina wenig Verständnis für irgendjemanden hat, würde mich das jedenfalls runterziehen. Aber wie kann man denn auch seine eigene Schwester aus den Augen verlieren? Das ist doch irgendwie seltsam.

Im Gegensatz zu sonst ist es heute absolut still im Auto. Vielleicht müssen Ma und Paps auch so viel nachdenken wie ich. Als wir kurz vor unserem Ziel sind, jedenfalls laut Navi, rutscht meine Mutter unruhig auf ihrem Sitz hin und her.

„Da fährt gerade jemand weg!“ Sie deutet auf ein Auto am Straßenrand.

„Prima, direkt vor der Tür.“ Paps blinkt und parkt rückwärts in die Lücke. Und, na klar, Tante Gertrud ist schon da. Sie steht vor dem Eingang, ihr braunes Hündchen auf dem Arm. Der Motor ist noch gar nicht richtig aus, da hechtet meine Mutter bereits aus dem Auto. Ob sie es schnell hinter sich bringen will? Paps schwingt sich energiegeladen vom Fahrersitz. Ich hab es nicht so eilig, denn ich weiß ja gar nicht, was mich gleich erwartet.

„Ihr seid zu spät. Jetzt aber schnell!“, ruft Gertrud uns entgegen.

„Hallo erst mal“, entgegnet Paps betont freundlich. „Kennst uns ja.“

Frau Sarafina kläfft wie immer in den höchsten Tönen. Ma und Tante Gertrud umarmen sich stumm und kurz, mir reicht meine Tante hoheitsvoll die Hand, als sei sie eine Königin, die einen Handkuss erwartet. Nun ja. Paps klingelt, und sechsundvierzig Stufen später stehen wir vor einem großen Mann mit Spitzbart. „Guten Tag, ich bin Phileas Montabus. Bitte nehmen Sie noch einen Moment Platz. Ich bin gleich bei Ihnen.“

Im kleinen Wartezimmer des Notars riecht es nach Staub und alten Dokumenten.

Gertrud hebt Frau Sarafina sofort auf ihren Schoß, wo die Hundedame sich zufrieden einrollt. Während ich Ma und meiner Tante gegenübersitze, muss ich wieder an Marie-Lou denken. Meine Mutter hat immer gesagt, dass die schon als Kind schräge Ideen hatte, was auch immer das genau bedeutet. Daran ist doch erst mal auch nichts auszusetzen, finde ich. Ich hätte gerne Geschwister, egal wie die dann wären.

Der Notar taucht vor uns auf und deutet eine klitzekleine Verbeugung an. Es würde nur noch fehlen, dass er einen Zylinder auf dem Kopf hätte. Das würde so gut zu ihm passen, dass es wahrscheinlich gar nicht weiter auffallen würde. Er weist in Richtung seines Büros am Ende des Flures. Die Tür ist leicht geöffnet. „Nach Ihnen.“

Gertrud schnappt sich ihr Hündchen, Paps nickt Herrn Montabus zu, und Ma folgt mit nachdenklich gerunzelter Stirn. Mitten im Büro des Notars steht ein großer Holztisch. Auf der einen Seite steht ein besonders großer Sessel mit einer Sitzfläche aus braunem Leder, gegenüberliegend warten vier Stühle nebeneinander. Gertrud setzt sich sofort auf den mächtigen Sessel, zieht sich einen der anderen Stühle heran und platziert darauf Frau Sarafina. Wie peinlich ist das denn?

Herr Montabus räuspert sich. „Da sitze ich, wenn es recht ist.“ Seine tiefe Stimme ist heiser, dabei aber trotzdem durchdringend.

Jedenfalls reagiert Gertrud sofort. Vielleicht weil sie es jetzt endlich auch gecheckt hat. Sie greift nach ihrem Hündchen, nimmt den Stuhl umständlich wieder mit auf die andere Seite und klemmt sich Frau Sarafina unter den Arm. Paps schüttelt kaum merklich den Kopf, ich kann mir aber vorstellen, was gerade in ihm vorgeht.

„Also, wie Sie bereits wissen, hat Ihre Schwester, Tante und Schwägerin Marie-Lou Sonnenstein Ihnen einen Brief hinterlassen, den ich jetzt verlesen werde. Fragen können wir im Anschluss klären.“ Herrn Montabus’ Blick bleibt an mir haften, als wolle er in mich hineinsehen, bevor er endlich den Umschlag öffnet, eine kleine Brille aufsetzt, sich aufrichtet und zu lesen beginnt.

Liebe Schwestern!

Obwohl, so lieb hatten wir uns ja eigentlich gar nicht, trotzdem sagt man das wohl so. Bevor ihr erfahrt, was ich euch vererbe, habe ich noch ein paar Dinge zu sagen.

Ich habe nie verstanden, was eigentlich in euch vorgeht, und ganz gewiss beruhte das auf Gegenseitigkeit. Wir hatten schon als Kinder oft Streit, und als später jeder seiner Wege ging, war das auch gar nicht schlimm. Ich trage euch nichts nach, denn wahrscheinlich sind wir einfach zu verschieden, um uns zu verstehen. Auch der große Altersunterschied hat es nicht gerade leichter gemacht.

Dennoch muss ich loswerden, dass dir, Gertrud, die du dich wohl am meisten an meiner Andersartigkeit und an meinen Vorstellungen gestoßen hast, ein wenig mehr Feuer und weniger Gleichförmigkeit gut stehen würden.

Und du, Leona, musst wissen, dass ich dich immer um deine Tochter Lotte beneidet habe, auch wenn ich es nie zugab. Eine neue Generation bringt immer frischen Wind in Familien. Deshalb möchte ich dir, meiner lieben Nichte, auch meinen wertvollsten Besitz vermachen. Gehe weise damit um.

 

Herr Montabus greift in eine Schublade, zieht einen großen Umschlag heraus und überreicht ihn mir feierlich. Mein Herz hämmert plötzlich so laut, dass ich meine, alle könnten es hören. Ich ziehe ein kleines dunkelblaues Kästchen und ein schweres Buch mit furchigem hellbraunem Ledereinband aus dem Umschlag. Neugierig öffne ich das Kästchen. Auf einem weißen Seidentuch liegt ein leuchtend grüner, rautenförmiger Anhänger an einer feinen Silberkette. Ich hole das Schmuckstück vorsichtig heraus und lege es in meine Hand, die sofort zu kribbeln beginnt.

„Ist der Anhänger wertvoll?“, ruft Gertrud in die Stille.

Herr Montabus lächelt. „Ja, das ist er wohl. Er ist auf seine Weise wertvoll.“

Ich lege den Anhänger in das Kästchen zurück und blättere das Buch durch. „Da steht ja gar nichts drin!“, entfährt es mir.

„Dieses Tagebuch hat Marie-Lou seinerzeit besonders am Herzen gelegen. Zudem beinhaltet es eine Überraschung in der Überraschung.“ Herr Montabus zwinkert mir zu.

Hä? Kapier ich nicht. Aber bevor ich nachhaken kann, drängt sich Gertrud wieder dazwischen. „Was hat meine Marie-Lou mir denn vererbt?“ Sie richtet sich kerzengerade auf.

„Nur Geduld, hier geht alles der Reihe nach. Erst mal zu Ihrer Schwester …“ Herr Montabus beugt sich wieder über den Brief.

Leona, dir vererbe ich etwas, was mir stets sehr viel bedeutet hat. Es hat mich immer an eines der wenigen schönen Dinge erinnert, die wir als Kinder geteilt haben.

 

Wieder öffnet Herr Montabus seine Schublade. Er überreicht meiner Mutter ein rechteckiges Paket, in dunkelblaues Seidenpapier eingeschlagen. Ma wickelt es behutsam aus. Ihre Augen weiten sich, und sie beginnt leise zu schluchzen.

„Was ist es denn?“ Gertrud reckt ihren Hals. Mittlerweile ist ihr Gesicht richtig zerknautscht, so angespannt ist sie.

„Unser altes Märchenbuch“, flüstert Ma und drückt es an sich.

„Aha“, ist alles, was meiner Tante dazu einfällt. Unruhig scharrt sie mit den Füßen, was Frau Sarafina dazu anregt, laut loszukläffen. Herr Montabus zieht erst seine Augenbrauen hoch, dann wirft er Gertruds Schatz einen scharfen Blick zu. Das winzige Hündchen verstummt augenblicklich. Wow, wie hat er das nur hinbekommen? Wenn dieser Hund sonst bellt, hört er so schnell nicht wieder auf.

„Und nun zu Ihnen.“ Herr Montabus blickt meine Tante über den Rand seiner Lesebrille an, bevor er loslegt.

Gertrud. Dir vererbe ich natürlich auch etwas. Ich glaube, dass das von all den Dingen, die ich besitze, am besten zu dir passt. Vielleicht hast du es vergessen, aber es gab Momente, da konnten wir gemeinsam lachen.

 

Gertruds Erbe sieht von außen ähnlich aus wie Mas. Meine Tante packt ein Buch aus und starrt es an. Sie hält es fassungslos in die Luft. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Gedichte, Reime und Sketche. Abgebildet ist ein Mensch mit seinem Hund. Paps schmunzelt in sich hinein, Gertrud hingegen legt ihre Stirn in tiefe Falten. Sie atmet mühsam, blättert das Buch hektisch durch, als erwarte sie, dass sich etwas darin befindet. Dann wendet sie sich empört dem Notar zu. „Aber man munkelte, meine Schwester sei reich!“ Ihre Stimme klingt plötzlich viel zu hoch.

Herrn Montabus’ Blick lastet auf meiner Tante. „Und?“, ist alles, was er antwortet. Es fühlt sich so an, als wäre es auf einen Schlag zehn Grad kälter im Raum.

„Na ja, also, ich hab gedacht, dass, vielleicht, nun …“, stottert sie. „Dass ich möglicherweise noch etwas außer diesem Buch geerbt habe.“

„Nein, das haben Sie nicht.“ Der Notar rückt seine irgendwie viel zu kleine, kreisförmige Brille zurecht. „Der Brief ist noch nicht zu Ende.“

Ich kann mir vorstellen, dass du ganz schön enttäuscht bist, Gertrud. Damit du aber weißt, wohin meine sämtlichen sonstigen Besitztümer geflossen sind, teile ich es dir mit. Ich bin nämlich sicher, dass es für dich wichtig ist. Ich habe eine Stiftung gegründet. Zusammen mit meinem geliebten Leolay. Eine Stiftung, die solche sogenannten verrückten Menschen wie mich und ihn unterstützt, die SfmA. Der Stiftungsverwalter, Herr Montabus, sitzt gerade vor euch. Tja, und nun, lebt wohl, meine Schwestern. Und Lotte sowieso. Du wirst schon sehen.

 

Herr Montabus faltet sorgsam den Brief zusammen und lächelt. Meine Mutter blickt nachdenklich aus dem Fenster, Paps streicht ihr über den Rücken. Gertrud krault gedankenverloren Frau Sarafinas Ohr, ein bisschen zu stark, denn der Hund jault auf. „Oh, Verzeihung, mein Zimtschneckchen. Das wollte ich nicht.“ Plötzlich macht meine Tante ein bedrohliches Gesicht. „Sie haben ja beste Laune, Herr Notar. Wie viel Geld wandert bei der ganzen Sache denn in Ihre eigene Tasche? Kein Wunder, dass Sie so schmierig vor sich hin grinsen. Ich werde Sie verklagen!“

Der Notar fixiert Gertrud wortlos. Nach einem Moment eisigen Schweigens weicht sie seinem Blick aus. „Es ist schade, dass Sie so unzufrieden mit Ihrer Erbschaft sind. Das ist allerdings kein Grund, mich anzugreifen. Gibt es sonst noch Fragen?“, erkundigt er sich. Gertrud starrt blass ins Leere, Paps schüttelt den Kopf.

„Wofür steht denn SfmA?“, will Ma wissen.

„Stiftung für magiebegabte Außenseiter“, antwortet der Notar, als wäre es das Normalste der Welt. Meine Tante scheint nicht zu wissen, ob sie lachen oder weinen soll.

„Und was genau bedeutet das?“, erkundigt sich Paps.

„Die Stiftung ist ein Ort, an dem sich Marie-Lou geborgen gefühlt hat. Dort gingen, und gehen noch immer, lauter Menschen ein und aus, die anders sind und Fähigkeiten haben, die in den Augen von Außenstehenden nicht ganz normal sind.“

„Das trifft den Nagel auf den Kopf. Sie sind wirklich nicht ganz normal, deshalb hat meine Schwester auch Sie ausgewählt!“, brüllt Gertrud.

Der Notar steht schlagartig auf. „Sie verlassen mein Büro, jetzt.“ Mir läuft eine Gänsehaut über den Rücken, denn Herrn Montabus’ Stimme ist eiskalt.

Auch ich hätte noch ein paar Fragen. Zum Beispiel, was es mit dem leeren Tagebuch auf sich hat. Und warum man gleich verrückt sein soll, wenn man anders ist. Und Leolay? Hab ich vorher noch nie gehört. Aber Herr Montabus scheint es plötzlich sehr eilig zu haben, uns loszuwerden. Oder vor allem Tante Gertrud. Er geleitet uns wieder auf den Flur und ins Wartezimmer. „Bei Bedarf können Sie sich jederzeit an mich wenden.“ Seine Brille ist ein Stück runtergerutscht, und er senkt den Kopf, um hindurchzusehen. „Sofern das in einem angemessenen Ton passiert“, fügt er mit einem kühlen Blick zu Gertrud hinzu. „Jetzt muss ich weitermachen. Auf Wiedersehen.“

Als er mir die Hand reicht, lächelt er mich aufmunternd an. Ich nicke verlegen, zu mehr bin ich gerade nicht fähig. Auch Ma sieht etwas verloren aus. Paps und sie gehen gemeinsam die Treppe hinunter, vor ihnen läuft Gertrud, die sich die ganze Zeit beklagt. Ihre Absätze klackern auf der Steintreppe. „Das kann doch wohl alles nicht wahr sein! Ein lächerliches Buch! Und das ganze Geld hat jetzt dieser widerliche Notar? Kein Wunder, dass der sich so benommen hat.“

Ich bin mehr als erleichtert, als wir endlich unten sind, wieder an der frischen Luft.

„Wie er sich benommen hat? Wenn überhaupt, hast du dich benommen, und zwar völlig daneben!“, schleudert Ma ihr entgegen.

Doch Tante Gertrud macht unbeeindruckt weiter. „Ich werde mir überlegen, einen Anwalt zu nehmen und gegen diese alberne Stiftung vorzugehen!“ Sie stampft auf den Boden, und ich wundere mich, dass ihr Absatz das aushält. Mein Opa hat manchmal gesagt, dass bei Geld die Freundschaft aufhört. Vielleicht hat er damit auch so etwas gemeint.

Ma baut sich vor ihrer Schwester auf. „Sag mal, was hast du denn gedacht? Dass wir all ihre Reichtümer erben, sofern es die überhaupt gab? Obwohl wir uns jahrelang nicht umeinander gekümmert haben?“ Meine Mutter spricht leise, aber irgendwie drohend. Sie umklammert wieder ihr Märchenbuch. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber es wirkt fast so, als würde sie ein bisschen zittern. „Ich möchte jetzt nach Hause.“ Sie verabschiedet sich mit einem Kopfnicken von Gertrud, Paps folgt ihrem Beispiel, und ich, na ja, streichle noch kurz Frau Sarafina, denn die kann ja nichts dafür. Dass sie mit Tante Gertrud zusammenleben muss, meine ich.

Als wir im Auto sitzen, atmen wir alle auf.

„Wisst ihr was? Wir fahren noch beim Bäcker vorbei und besorgen uns leckeren Butterkuchen. Wir sollten es uns den Rest des Tages so richtig gut gehen lassen, um die traurige Stimmung zu vertreiben. Und überhaupt, das bevorstehende Wochenende einläuten. Einverstanden?“

Na, da muss Paps natürlich nicht zweimal fragen.

„Danke, Christoph. Ich bin froh, wenn ich abgelenkt werde und wenigstens eine Weile nicht über all das nachdenken muss.“

Ich würde meine Mutter eigentlich gerne noch etwas über meine verstorbene Tante ausquetschen, werde das aber besser auf später verschieben. Sie wirkt gerade wieder ein wenig fröhlicher. Vielleicht kann auch ich mich beim Gedanken an die bevorstehenden freien Tage wieder etwas entspannen. Obwohl … ein Satz, den Marie-Lou mir mit auf den Weg gegeben hat, fliegt mir wieder und wieder durch den Kopf, ohne dass ich ihn einfangen kann.

Du wirst schon sehen.

Über Sonja Bullen

Biografie

Sonja Bullen, geboren 1977, studierte am Institute of Children’s Literature in Connecticut und arbeitet als Schriftstellerin, Hörfunksprecherin und freie Texterin. Auf ihren zahlreichen Reisen, die sie durch die halbe Welt führen, schreibt sie am liebsten Kinderbücher. Die Autorin lebt mit ihrem...

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