Kammerflimmern (Sara Zuckerman 1)
Thriller
„Ein packender Thriller.“ - Recklinghäuser Zeitung
Kammerflimmern (Sara Zuckerman 1) — Inhalt
Sara Zuckerman ist die neue Chefärztin an einer Osloer Edelklinik. Doch schon der erste Patient der renommierten Herzchirurgin stirbt auf unerklärliche Weise: Ein hochsensibler Herzschrittmacher verursacht kurz nach der OP einen Herzstillstand – Mord oder technisches Versagen? Schockiert und höchst beunruhigt suchen Sara und ihr Assistent Ola nach den Ursachen dieses Todesfalls. Als ein zweiter Patient stirbt, wird eines schnell klar – die Lösung liegt nicht bei den Opfern. Sind die Klinik und der Hersteller das Ziel dieser Morde? Oder Sara selbst? In ihrem ersten Thriller „Kammerflimmern“ stellen Holt & Holt ein tödliches Rezept aus: Rache, Intrigen und eine internationale Medizinmafia, die über Leichen geht.
Leseprobe zu „Kammerflimmern (Sara Zuckerman 1)“
Für Amalie, Amund, Jenny
und Iohanne, unsere Kinder
„Für das Herz ist das Leben einfach: Es schlägt, solange es kann. Dann hört es auf.“
Karl Ove Knausgård
Dienstag, 4. Mai 2010
8.47 Uhr
Universitätskrankenhaus Grini (GRUS ), Bærum bei Oslo, Norwegen
Als Dr. Sara Zuckerman den Patienten im hellblauen verwaschenen Operationshemd sah, blieb sie abrupt stehen. Sie lächelte, um den Schrecken zu überspielen. Das war unnötig, denn noch hatte er sie nicht gesehen.
Die OP-Schwester half dem Patienten von der fahrbaren Liege auf den Operationstisch. Der Kranke [...]
Für Amalie, Amund, Jenny
und Iohanne, unsere Kinder
„Für das Herz ist das Leben einfach: Es schlägt, solange es kann. Dann hört es auf.“
Karl Ove Knausgård
Dienstag, 4. Mai 2010
8.47 Uhr
Universitätskrankenhaus Grini (GRUS ), Bærum bei Oslo, Norwegen
Als Dr. Sara Zuckerman den Patienten im hellblauen verwaschenen Operationshemd sah, blieb sie abrupt stehen. Sie lächelte, um den Schrecken zu überspielen. Das war unnötig, denn noch hatte er sie nicht gesehen.
Die OP-Schwester half dem Patienten von der fahrbaren Liege auf den Operationstisch. Der Kranke bewegte sich steif, als hätte er am Vortag in aller Stille nicht seinen siebzigsten, sondern einen weit höheren Geburtstag begangen. Das Hemd schlotterte um seine Glieder und ließ ihn so verletzlich wirken, dass Dr. Zuckerman noch immer zögerte. Als er den Kopf senkte, um sich zurechtzusetzen, sah sie unter der sterilen Haube verfilzte Haare wie kleine Pfeile auf seine mageren Schulterblätter zeigen.
Ein Greisengesicht, das sie nicht wiedererkannte.
Sie hielt den Atem an und spürte, wie ihr Puls schneller wurde.
Hier lief etwas schief.
In diesem Moment müsste ein anderer in der Tür zu OP 7 stehen. Einer der anderen Kardiologen könnte den Eingriff ebenso gut ausführen. Besser, dachte sie, auch wenn niemand ihre Erfahrung besaß. Niemand hatte ihre Erfolgsgeschichte, ihre Kenntnisse, ihr Ansehen. Sie war ein Star, ein Superstar an einem Himmel, der größer war als der über Norwegen, über Bærum, über dem kleinen Krankenhaus, das sich in keiner Weise mit dem Ort messen konnte, in dem sie einmal zu Hause gewesen war.
Aber es lief hier etwas schief.
Sie hätte ablehnen müssen.
Sie hatte abgelehnt.
Prof. em. Dr. med. Erik Berntsen, ein Menschenalter hindurch Nestor der nordischen Elektrophysiologie, hatte seinen Willen durchgesetzt.
„Guten Morgen“, sagte Sara Zuckerman eine Spur zu laut und zu munter.
In wenigen Minuten würde sie eine Operation durchführen, die, obwohl es sich um einen Routineeingriff handelte, durchaus das Leben des Patienten fordern könnte. Und das wusste niemand besser als der Patient selbst.
Er wandte ihr das Gesicht zu.
Natürlich war alles in Ordnung. „Einer Kapazität wie dir brauche ich ja nicht zu erklären, was hier geschehen wird“, sagte Sara Zuckerman. „Aber aus Rücksicht auf unsere PJlerin Karita Solheim . . .“
Sie nickte zu einer jüngeren Frau hinüber, Medizinstudentin im Praktischen Jahr, die aussah, als sollte sie eine Hinrichtung überwachen.
„. . . machen wir es wie sonst auch.“
Noch immer fiel es Sara schwer, dem Patienten in die Augen zu schauen. Die waren gelbbraun, das wusste sie, und ungewöhnlich groß. Sie lagen tief in den Höhlen, unter schwarzen Augenbrauen mit einzelnen grauen steiferen Haaren. Sie kannte seinen Blick gut; selbstbewusst, stark und mit einem Hauch der Arroganz, die sie früher für fachliche Stärke gehalten hatte. Er war ein Einzelgänger, ein Ausnahmewissenschaftler wie die, an die sie gewöhnt war und mit denen sie zu tun gehabt hatte, ehe sie nach Norwegen zurückgekehrt war. Was sie sich nie gewünscht hatte und was sie sich nicht einmal hatte vorstellen können. 2002, als das Unglück geschehen war und sie nach Hause fahren musste, war Norwegen nur eine vage und unliebsame Erinnerung an eine Jugendzeit.
Erik Berntsen wäre überall auf der Welt einzigartig gewesen.
Ihn so hilflos zu sehen tat ihr geradezu physisch weh. „Ursache der Einweisung“, sagte Sara Zuckerman mechanisch, „ist eine Ventrikeltachykardie und Synkope vor zwei Wochen. Die Implantation eines ICD vom Typus Mercury Deimos wird plangemäß ungefähr eine Stunde dauern. “
Sie und der Patient wussten, dass kaum jemand in Norwegen solches Glück hatte wie er. Die medizinischen Bedingungen für die Zuteilung eines ICD, eines Herzstarters, der die Steuerzahler an die 100 000 Kronen kostete, waren im reichen Norwegen strenger als in anderen Ländern Europas.
„Wie du selbst am besten weißt . . .“, sagte sie jetzt.
Und sah ihm wieder ins Gesicht. Sein Kopf wirkte zu groß für den dünnen Hals. Sie ertappte sich bei dem Wunsch, seine Wange zu streicheln.
„... ist mit jedem operativen Eingriff ein gewisses Risiko verbunden. Die häufigste Komplikation ist ein Pneumothorax. Seltener kommt es zur Tamponade, bei der sich der Herzbeutel mit Blut füllt. Das kann zu einem kritischen Zustand führen, der . . .“
Zum ersten Mal, seit er in den OP gebracht worden war, lächelte Erik Berntsen. Eine freudlose, leicht herablassende Grimasse.
„ Tut mir leid “, rief sie. „ Ich vergesse ganz, mit wem ich rede. “
Sie merkte, dass sie noch immer zu laut sprach.
Die PJlerin bei der Tür atmete fast nicht mehr. Dr. Zuckerman trat zu ihr und legte der jüngeren Frau die Hand auf den Arm. „Das geht schon gut.“
Etwas Besseres fiel ihr nicht ein.
Aus Karita Solheim würde nie eine Kardiologin werden, auch wenn es ihr größter Traum war. Wie sie überhaupt auf die Idee gekommen war, Ärztin zu werden, war für Dr. Zuckerman ein Rätsel. Karita versuchte heute zum dritten Mal, die Implantation eines ICD, eines Implantable Cardioverter Defibrillators, zu begleiten. Bei diesem Eingriff ging es darum, einen kleinen Computer unter der Haut am linken Schlüsselbein anzubringen. Ein relativ einfacher Eingriff für eine erfahrene Kardiologin.
Karita Solberg konnte nicht einmal zusehen.
Beim ersten Versuch, sechs Monate zuvor, war Karita Solberg bereits in dem Moment in Ohnmacht gefallen, als Sara Zuckerman das Skalpell gesenkt hatte. Im Fallen riss die junge Frau ein Tablett mit sterilen Instrumenten mit, was einen Höllenlärm verursachte. Der Patient, der bei einer solchen Operation nur örtlich betäubt wird, geriet in Panik, und der Eingriff musste abgebrochen werden.
Beim zweiten Versuch hatte Karita den OP nach zehn Minuten verlassen.
Heute war ihre letzte Chance, und das wussten sie beide.
Psychologin, dachte Sara Zuckerman, als sie mit raschen Schritten zum Umkleideraum ging, während Karita wie ein ängstliches Hundebaby hinter ihr herwuselte. Du solltest es mit der Psychiatrie versuchen, mein Mädel, dann bist du vor der echten Medizin gefeit.
Das war ihre Ansicht, aber sie war lange genug in Norwegen, um zu wissen, dass sie so etwas niemals laut sagen dürfte.
Vom Umkleideraum aus konnte sie durch eine Glaswand in den OP blicken. Erik Berntsen hatte endlich resigniert und sich flach auf den Tisch gelegt. Während Sara Zuckerman den schweren Röntgenkittel anzog, bemerkte sie, dass seine Finger zitterten. Energisch schrubbte sie sich Hände und Unterarme mit einer sterilen Bürste, länger als die üblichen fünf Minuten. Erst als Sivert Sand, der Programmierer von Mercury Medical, demonstrativ auf die große Wanduhr schaute, trat sie zum Operationstisch.
„Geld oder Leben“, murmelte Sivert Sand.
Der Mann ging ihr auf die Nerven.
Aber er war tüchtig, und sie brauchte einen Assistenten von Mercury Medical, um die Herzstarter zu programmieren und zu testen, sowie sie in den Körper des Patienten eingesetzt worden waren.
Die Krankenschwester hatte die Packung mit steriler Kleidung bereits geöffnet. Ganz oben lagen zwei Papierhandtücher, und Sara rieb sich gründlich Hände und Arme damit ab. Die Operationsschwester schloss Sara den sterilen Kittel im Rücken und reichte ihr erst die grünen Handschuhe, dann die grauen.
Abteilungsoberärztin Sara Zuckerman war bereit für den ersten Eingriff des Tages.
Erik Berntsen schloss die Augen. Sein Körper war bedeckt, bis auf ein gründlich gereinigtes Feld von vier mal zehn Zentimetern gleich unter dem linken Schlüsselbein.
Die Narkoseschwester fragte mit tonloser, fast mechanischer Stimme: „Keflin?“
„Ja“, antwortete Dr. Zuckerman. „Zwei Gramm intravenös. “
Sie warf einen Blick auf die Bildschirme. Normaler Blutdruck, regelmäßiger Sinusrhythmus, zufriedenstellende Sauerstoffsättigung.
„Was macht denn der Hund?“, fragte Sara Zuckerman und schaute über den Vorhang, der dem Patienten den Blick auf die OP verwehrt, ehe sie kurz Anweisung gab, die beiden Lampen auf den Operationsbereich einzustellen. „Kommt er mit einem Drittel Schwanz auch zurecht?“ Erik Berntsen gab keine Antwort.
Narkoseschwester Frid Moelv saß bewegungslos vor ihren Bildschirmen.
Karita Solheim wich vom Operationstisch zurück, mit einem winzigen Schritt nach dem anderen.
„Das geht gut, Erik.“
Dr. Zuckerman beugte sich über sein Ohr und flüsterte jetzt: „Ich habe das schon zahllose Male gemacht. Sei jetzt ganz locker, ja?“
Er öffnete ein wenig die Augen. Versuchte zu lächeln. Räusperte sich leise. „Fang an“, sagte er, ohne dass seine Stimme so richtig trug. „Rede mich über alles hinweg. Das hilft. Dann ist es fast, als ob . . . als ob ich es selbst machte. “
„Klar doch“, sagte sie und holte so tief Luft, dass sich unter dem Mundschutz die Umrisse ihrer Lippen abzeichneten. „Zuerst gebe ich zwanzig Milliliter Xylocain unter die Clavicula . . . so.“
Es blutete leicht, als sie die Kanüle aus dem Punkt gleich unter dem Schlüsselbein zog, nachdem sie selbst die örtliche Betäubung gesetzt hatte.
Abrupt drehte sie sich zu Sivert Sand um. „ Verzeihung, aber kannst du bitte damit aufhören?“
Er starrte sie verdutzt an.
„ Womit denn ? “
„Dem Summen. Kannst du aufhören?“
„Ach. Entschuldige. Hab ich gar nicht gemerkt.“
Er vertiefte sich in die vor ihm stehende Programmiermaschine. Die sah aus wie ein Laptop aus den frühen Achtzigerjahren, schwer und klobig, aber mit Touchscreen.
„Der schafft das gut“, flüsterte Erik Berntsen.
„ Wer ? “
Sara beugt sich zu ihm.
„Zorro. Ohne die Schwanzspitze.“
„Wie gut. Dieser Hund wird dich noch überleben.“
Als ihr klar wurde, wie unpassend diese Bemerkung war, fügte sie schnell hinzu: „Jetzt mache ich einen fünf Zentimeter langen Schnitt, horizontal. Hier . . .“
Eine fast obszöne Wunde öffnete sich in der papierweißen Haut. „Und jetzt schneide ich vorsichtig bis zur Faszie“, sagte sie. „Hörst du zu, Karita? Bis zur Faszie, also gleich über der Muskulatur, etwa zwei Zentimeter in die Oberhaut. Mithilfe von Diathermie verbrennen wir Gewebe und verhindern . . .“
„ Es riecht nach verbranntem Fleisch “, sagte Karita Solheim heiser.
„Kümmere dich nicht darum. Schau zu.“
Die Wunde blutete ein wenig. Sara Zuckerman schob den rechten Mittelfinger zwischen Muskel und Fett, um eine Tasche für den ICD zu bilden.
„Zuerst müssen wir die Kanüle wie eine Art Trichter für den Leitdraht einführen, schräg zum Jugulum . . .“
Die Nadel glitt auf die Spitze des Brustkastens zu.
„. . . um die Vena subclavia zu treffen. Was ich . . . nicht getan habe. “
Es war ganz still, als sie einen weiteren Versuch machte. Ohne Erfolg.
Auch beim dritten Mal verfehlte sie die Vene, die zum Herzen führte. Ihr Mund war wie ausgedörrt, als sie zum vierten Mal ansetzte. „Verdammt. O verdammte Pest ! “
Als Sara Zuckerman im Jahre 1980 mit achtzehn Jahren ihre Heimatstadt Tromsø verlassen hatte, um nie zurückzukehren, hatte sie nur zwei Dinge mitgenommen: einen orangefarbenen Bergans-Rucksack mit Traggestell, den ihre Großmutter ihr zur Bat-Mizwa geschenkt hatte, vollgestopft mit Büchern und sauberer Wäsche, sowie einen unfeinen Hang zum Fluchen.
In den Jahren, die sie in den USA verbracht hatte, mit immer herausfordernderen Studiengängen, akademischen Graden, Anstellungen und Prestigeprojekten, war ihre Sprache gebildeter geworden. Rasch wurde sie amerikanisiert, noch rascher hatte sie Erfolg. Bis sie im Jahr 2002 plötzlich nach Norwegen zurückkehrte. Zur Enttäuschung der akademischen Szene an der Cleveland Clinic, wo inzwischen mit ihr zu rechnen war. Erst nach ihrer Heimkehr stellte sie fest, dass man sich von alten Gewohnheiten nur schwer trennen kann. Ihr Akzent war zwar verschwunden, aber sie musste sich zusammenreißen, um nicht zu fluchen.
Sie hatte die Arteria subclavia getroffen. Knallrotes Blut pulsierte rhythmisch in die Spritze. „ Scheiße! Einen Druckverband ! “
Karita Solheim schwankte.
Narkoseschwester Frid Moelv sprang viel rascher auf, als man es von der üppigen Frau in mittleren Jahren erwartet hätte, und schlang ihre Arme um die PJlerin. „Die fällt uns ja gleich um.“
„Schaff sie raus“, fauchte Sara Zuckerman. „Schaff sie hier raus, und lass sie nie wieder herein!“
„Das liegt nicht am Blut“, murmelte Karita, während ihr zur Tür geholfen wurde. „Es liegt nicht am Blut. Blut kann ich ertragen. Es ist nur . . . das Herz. Sie hat doch das Herz ver . . . “
Erik Berntsen war aschgrau. Sara atmete tief, schaute über den Vorhang und fing seinen Blick ein.
„Ich habe einen Fehler gemacht, Erik. Aber du weißt, dass wir die Sache unter Kontrolle haben. Versuch, ganz locker zu sein. Ich drücke jetzt fünf, sechs Minuten auf den Operationsbereich, und dann machen wir weiter. Okay ? “
Er flüsterte etwas, was wie Ja klang.
Fünf Minuten später traf sie die Vene beim ersten Versuch. Sie schob durch die hohle Spitze der Spritze einen langen Draht in den Körper des Patienten.
„Sprich“, sagte Erik Berntsen heiser. „Sprich mit mir.“
„Der Draht ist eingeführt“, sagte sie rasch. „Der Röntgenbogen liefert mir ein feines Bild . . . so.“
Auf dem Bildschirm mit dem Bild des Röntgenapparates, der die Brustpartie des Patienten wie ein Halbmond umgab, konnte sie sehen, wie der Führungsdraht der Vene bis ins Herz folgte, in die rechte Vorkammer und fast bis hinab zur rechten Hauptkammer. Der Leitdraht hatte keine andere Funktion, als was sein Name verriet: den späteren Gegenständen den Weg zu zeigen.
„ Gib mir eine Sieben-French-Hülse “, sagte sie zu Linda Gundersen. „ Jetzt führe ich die Hülse über den Leitdraht. Und jetzt werde ich . . .“
Sara schob die Plastikhülse energisch bis zu dem Punkt, an dem der Draht in der Vene verschwand. Endlich steckte die Hülse wie ein Rohr in der Vene.
„Mach die Elektrode bereit“, sagte sie.
Linda Gundersen öffnete die sterile Packung mit der Elektrode, die den Herzstarter mit dem Herzen verbinden sollte. Dr. Zuckerman zog behutsam das innere Teil der Hülse aus der Brust des Patienten und dichtete das Loch mit dem Daumen ab, als sie sah, dass das Blut frisch und dunkelrot strömte.
Im Raum war es warm. Viel zu warm, dachte Sara Zuckerman. Geradezu unangenehm heiß, als ob die Wechseljahre, an die sie nie so recht zu denken wagte, plötzlich beschlossen hätten, sie an ihr wirkliches Alter zu erinnern.
Sie hätte sich niemals zu dieser Operation bereit erklären dürfen.
Ihre Hände zitterten kaum merklich, als sie die Elektrode nahm und den Daumen vom Loch hob. Rasch führte sie die Leitung durch die Hülse und hinab zur rechten Arterie. Ihr Blick war auf den Bildschirm des Röntgenapparates gerichtet.
„So“, murmelte sie.
„ Sprich zu mir “, verlangte Erik Berntsen. „ Sprich, habe ich gesagt. “
„Ich ziehe jetzt den Stylos aus der Elektrode “, sagte sie rasch.
Der linke Teil der Elektrodenleitung, der noch immer unter dem linken Schlüsselbein hervorragte, war ohne den versteifenden Draht weich wie Spaghetti. Sara Zuckerman bog ihn zu einem Winkel von vierzig Grad, ehe sie ihn wieder durch den Hohlraum in der Elektrode führte.
„So“, sagte sie. „Jetzt müsste es eine Kleinigkeit sein, zu . . . “
Sie schob die Leitung vorsichtig in die Hülse.
Kleinigkeit, dachte Sara. Das hier sollte eine Kleinigkeit sein. „Ist es nicht ungewöhnlich warm hier?“, murmelte sie.
Die Leitung passierte die Herzklappe und lag an Ort und Stelle.
„Perfekt. Und jetzt den Schraubenzieher.“
Mit der linken Hand hielt sie die Leitung wie mit einer Pinzette, während ihr rechter Zeigefinger den Schraubenzieher zwölfmal um seine eigene Achse drehte. Am anderen Ende der Leitung, am Ende von Erik Berntsens rechter Herzhälfte, zeigte die Großaufnahme auf dem Bildschirm, dass die Elektrodenschraube offenbar am Herzmuskel befestigt war. Sara verband eine weitere Leitung mit der Elektrode und reichte das lose Ende an Sivert Sand weiter.
Ehe sie den ICD einschaltete, musste sie sicher sein, dass alles funktionierte. „Signalstärke testen“, befahl Sara mit scharfer Stimme.
„Vier Millivolt“, sagte Sivert Sand und schüttelte den Kopf.
Das war zu schwach. Die Signalstärke musste mindestens fünf Millivolt betragen, damit der ICD befriedigend funktionierte und Erik Berntsen den lebensrettenden Stoß aus den kleinen, aber kräftigen Batterien des ICD geben konnte, falls sein siebzig Jahre altes Herz abermals versagte. Rasch drehte sie die Elektrode von der Herzwand los. Schob das Endstück einige Millimeter weiter und schraubte es wieder fest.
„Drei Millivolt“, sagte Sivert Sand tonlos.
„ Verdammt “, flüsterte Sara Zuckerman und schraubte die Elektrode ein weiteres Mal los.
Beim dritten Testversuch lächelte Sivert Sand: „Elf Millivolt. “
Ein Herzstarter hat zwei Aufgaben. Erstens soll er die natürlichen elektrischen Signale des Herzens auffangen. Zweitens soll er diese Signale deuten, um, falls es zu einer bedrohlichen Herzrhythmusstörung kommt, einen angemessenen Stoß zu geben und den normalen Rhythmus wiederherzustellen. Außerdem muss die Elektrode das Herz stimulieren wie ein Schrittmacher, wenn der Eigenrhythmus Probleme macht.
„ Ich fühle mich nicht so gut “, murmelte Erik Berntsen.
„ Alles in Ordnung “, sagte Sara Zuckerman. „ Jetzt noch ein paar Nacharbeiten, dann bist du wieder einsatzbereit. “
„ Blutdruck reduziert “, sagte Frid Moelv ruhig. „ Leichte Frequenzsteigerung. “
„Okay“, murmelte Dr. Zuckerman.
Die geöffnete Packung mit dem ICD lag bereit. Auf dem Bildschirm konnte sie sehen, dass die Leitung eine hervorragende Position eingenommen hatte, und mit geübten Bewegungen verband sie sie mit dem Herzstarter. Narkosearzt Eivind Storelv betrat den OP. Er sollte den Patienten kurzfristig in Narkose versetzen, um die Schockfunktion des ICD zu testen.
Dr. Zuckerman war dabei, die Wunde zu schließen.
„Meine Brust tut weh“, keuchte Erik Berntsen. „Probleme . . . mit . . . Dyspnoe.“
„Pneumothorax?“, fragte Eivind Storelv.
Dr. Zuckerman schüttelte den Kopf. Sie hatte keinen Grund zu der Annahme, der Lungenflügel könnte punktiert sein.
„Ich bin so weit“, sagte Sivert Sand.
„Neunzig zu siebzig“, sagte Frid Moelv, ihre Stimme bekam einen ängstlichen Beiklang, als sie feststellte, dass der Blutdruck weiterhin fiel.
Sara Zuckerman warf einen Blick auf den Röntgenschirm.
„ Verdammt ! “
Jetzt rief Sara Zuckerman: „Tamponade!“
Die Herzwand hatte offenbar ein Loch. Sara wusste, dass das bei einem der beiden Versuche passiert sein musste, die Elektrode zu befestigen. So, wie sie jetzt saß, war die Befestigung korrekt. Sara hatte mehr solcher Eingriffe ausgeführt, als sie sich erinnern konnte, und alle ihre Instinkte warnten: Lass die Elektrode stecken! Rühr die Elektrode nicht an! Dreimal zuvor, nur drei entsetzliche Male zuvor, hatte sie ein Loch in das Herz eines Patienten gestochen. Dreimal von den Hunderten, vielleicht über Tausenden von Malen. Nur drei verdammte Male hatte sie das Herz des Patienten punktiert.
Ohne fatale Konsequenzen. Sie hatte noch keinen Patienten auf dem Operationstisch verloren.
Sara Zuckerman war achtundvierzig Jahre alt, und kein einziger Patient war ihr unter den Händen gestorben. Nach der OP mochte das passiert sein, einige Kranke waren eben nicht zu retten gewesen. Nicht einmal von der berühmten Sara Zuckerman. Aber sie waren nicht hier gestorben, diese Patienten, nicht hier, wo die Verantwortung bei ihr lag.
Für einen Moment sah sie die Angst in Dr. Storelvs Augen.
„ Sollen wir noch einen Narkosearzt holen ? Einen Interventionsradiologen?“, Frid Moelv fragte zum zweiten Mal.
„ Nein, nein ! “
Sara erkannte ihre eigene Stimme nicht.
Erik Berntsen war ihr Patient.
Sie war Prof. Dr. med. Sara Zuckerman, hatte 2001 den Mirowski-Preis erhalten, war die ehemalige Leiterin des Heart and Vascular Institute der Cleveland Clinic in Cleveland, Ohio, und jetzt Abteilungsoberärztin und Professorin an einem modernen und hervorragend ausgestatteten Krankenhaus in Norwegen.
Ohne zu fragen, griff sie mit der rechten Hand nach einer groben Kanüle.
„Ein Echo?“, fragte Dr. Storelv zaghaft. „Damit wir verifizieren können, dass eine Tamponade vorliegt?“
Als ob sie dafür Zeit hätten, dachte Sara. Typisch norwegisch: Kontrollen. Überprüfungen.
Inzwischen starben die Patienten.
„ Achtzig systolisch “, sagte Frid Moelv. „ Der Druck fällt weiter. “
Erik Berntsen war bewusstlos. Sara packte die grobe Kanüle, eine leere Spritze, und stach sie schräg unter das Brustbein. Bestimmt, sicher und brutal.
Dunkelrotes Blut strömte hervor.
Berntsen grunzte.
„'Kammerflimmern' ist ein brisanter, aufregender und sehr realistischer Medizinthriller.“
„Ein packender Thriller.“
„Ein bewegender, skrupellos realistischer Medizinthriller, der allemal auf Augenhöhe mit der internationalen Krimi-Konkurrenz von Erfolgsautoren wie Jussi Adler-Olsen, Ferdinand von Schirach oder Henning Mankell ist.“
„Höchst spannend und realistisch.“
Ein packender Thriller, in dem ein global agierender, skrupelloser Medizintechnik- Konzern über Leichen geht und durch Mord, Vertuschung und Finanzmanipulationen seine marktbeherrschende Position zu halten sucht.
„Außer spannender Unterhaltung bekommt der geneigte Leser hier einen Crash Kurs in Kardiologie und gleichzeitig einen Einblick in die Welt der Börsenspekulation.“
„Ein exzellenter, schneller, bestechender forensischer Thriller.“
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