In Flammen
Roman
„Megha Majumdar transportiert in bestechend schönen Sätzen bittere Wahrheiten über ein Land, das sich gerne als größte Demokratie der Welt sieht, in dem es aber nicht weit her ist mit Pluralität, Toleranz und Gerechtigkeit.“ - Kleine Zeitung Steiermark Newsletter (A)
In Flammen — Inhalt
„Selten wurde das Schicksal so facettenreich, so kraftvoll und launenhaft und hypnotisierend dargestellt.“ The New York Times Book Review
Jivan hat es vom Kohlfresser zum Hühnchenfresser gebracht. Doch ein Brandanschlag hebt ihr Leben aus den Angeln, und die Muslimin gerät ins Visier der indischen Regierung.
Lovely träumt von den ganz großen Rollen als Bollywood-Star. Die lebensfrohe Hijra könnte Jivans Unschuld bezeugen. Aber will sie ihren Durchbruch als Schauspielerin wirklich gefährden?
PT Sir erinnert sich noch gut an Jivans athletisches Talent. Nun macht der Sportlehrer Karriere in einer rechtskonservativen Hindu-Partei. Und soll an der jungen Muslimin ein Exempel statuieren ...
Mit bestechender Dringlichkeit zeigt Megha Majumdar das moderne Indien: ein gespaltenes Land, in dem Ambition, Klasse und Religion all jene zu Feinden machen, die auf ein besseres Leben hoffen.
„›In Flammen‹ besitzt eine stille Schönheit und ist doch verheerend. Dieses Buch wird Sie nicht mehr loslassen.“ Tommy Orange
„Erst am Ende dieses mutigen Romans wird einem vollends klar, wie weitreichend sein Urteil ist, wie entschieden und absolut die Anklage.“ The New Yorker
„In ihrem einnehmenden Debüt entwirft Megha Majumdar ein wirkmächtiges Korrektiv zu den politischen Narrativen, die das heutige Indien dominieren.“ Time Magazine
„Der Roman, den Sie in diesem Jahr gelesen haben müssen.“ The Washington Post
Leseprobe zu „In Flammen“
JIVAN
„Du riechst nach Rauch“, sagte meine Mutter zu mir.
Also rieb ich mir mit einem Seifenoval das Haar ein und kippte mir einen ganzen Eimer Wasser über den Kopf, bevor sich ein Nachbar beschweren konnte, dass ich den Morgenvorrat verschwendete.
An jenem Tag gab es eine Ausgangssperre. Auf der Hauptstraße kroch alle halbe Stunde ein Polizeijeep vorbei. Tagelöhner, die zum Arbeiten gezwungen waren, kamen mit erhobenen Händen nach Hause, um zu zeigen, dass sie unbewaffnet waren.
Im Bett, das nasse Haar übers Kissen gebreitet, nahm ich mein neues Smartphone [...]
JIVAN
„Du riechst nach Rauch“, sagte meine Mutter zu mir.
Also rieb ich mir mit einem Seifenoval das Haar ein und kippte mir einen ganzen Eimer Wasser über den Kopf, bevor sich ein Nachbar beschweren konnte, dass ich den Morgenvorrat verschwendete.
An jenem Tag gab es eine Ausgangssperre. Auf der Hauptstraße kroch alle halbe Stunde ein Polizeijeep vorbei. Tagelöhner, die zum Arbeiten gezwungen waren, kamen mit erhobenen Händen nach Hause, um zu zeigen, dass sie unbewaffnet waren.
Im Bett, das nasse Haar übers Kissen gebreitet, nahm ich mein neues Smartphone zur Hand, von meinem eigenen Gehalt bezahlt, die Schutzfolie noch auf dem Display.
Auf Facebook gab es nur ein einziges Thema.
Diese Terroristen haben das falsche Viertel angegriffen #KolabaganZugAnschlag #WirGebenNichtAuf
Leute, wenn ihr fünfzig Rupien übrig habt, verzichtet heute auf eure Samosas und spendet sie an …
Je weiter ich nach unten scrollte, desto mehr ließ Facebook mich wissen.
Dieser Nachrichtenausschnitt exklusiv von 24 Hours zeigt, wie …
Mahnwache mit Kerzen um …
Am Vorabend war ich selbst am Bahnhof gewesen, kaum fünfzehn Minuten Fußweg von meinem Zuhause entfernt. Ich hätte die Männer sehen müssen, die sich zu den offenen Wagenfenstern schlichen und lodernde Fackeln in den wartenden Zug warfen. Doch ich sah bloß die Waggons, in Flammen, die Türen von außen verschlossen und sengend heiß. Das Feuer griff auf ein paar Hütten über, die neben dem Bahnhof standen, und Rauch erfüllte die Lungen ihrer Bewohner. Über hundert Menschen starben. Die Regierung versprach den Familien der Toten eine finanzielle Entschädigung – achtzigtausend Rupien! –, die … nun ja, die Regierung verspricht so einiges.
In einem Video sprach der Chief Minister unseres Bundesstaats in das Dutzend Mikrofone vor seinem Kinn: „Lassen Sie die Behörden ermitteln.“ Jemand hatte diese Äußerung mit Aufnahmen von Polizisten zusammengeschnitten, die sich am Kopf kratzten. Darüber musste ich lachen.
Ich bewunderte diese Fremden auf Facebook, die schrieben, was immer sie wollten. Sie hatten keine Angst davor, Witze zu machen. Ob auf Kosten der Polizei oder der Politiker, sie gönnten sich ihren Spaß, und war nicht genau das Freiheit? Ich hoffte, dass ich nach ein paar weiteren Lohnabrechnungen, nachdem ich zu einer leitenden Verkäuferin bei Pantaloons aufgestiegen wäre, auch endlich so frei sein würde wie sie.
Dann trat, in einem Clip weiter unten auf der Seite, eine Frau vor die Kamera, mit wehendem Haar, rot geweinten Augen und laufender Nase, die eine feuchte Spur bis zu ihren Lippen zog. Sie stand auf dem schiefen Bahnsteig unseres kleinen Bahnhofs. Und schrie in das Mikrofon: „Da war ein Jeep voller Polizisten, gleich nebendran. Fragt die doch mal, warum sie rumstanden und zugesehen haben, wie mein Mann verbrennt. Er hat versucht, die Tür zu öffnen, um meine Tochter zu retten. Immer und immer wieder.“
Ich teilte das Video. Fügte eine Bildunterschrift hinzu.
Vom Staat bezahlte Polizisten sehen untätig zu, wie diese unschuldige Frau alles verliert, schrieb ich.
Ich legte das Handy neben meinen Kopf und döste vor mich hin. Die Hitze machte mich schläfrig. Als ich das nächste Mal aufs Display schaute, hatte ich nur zwei Likes. Eine halbe Stunde später: immer noch zwei Likes.
Dann kommentierte eine Frau – ich kannte sie nicht – meinen Post: Woher willst du wissen, dass die Frau uns nichts vormacht? Vielleicht will sie nur Aufmerksamkeit!
Ich setzte mich auf. War ich mit dieser Person befreundet? Auf ihrem Profilbild posierte sie in einem Badezimmer.
Haben Sie das Video überhaupt angesehen?, schrieb ich zurück.
Die Worte dieser herzlosen Frau spukten mir durch den Kopf. Ich ärgerte mich über sie, aber es war auch aufregend. Das hier war etwas anderes als der Frust über Wasserknappheit an der öffentlichen Pumpe oder die Stromausfälle in der heißesten Nacht des Jahres. War es nicht im Grunde so etwas wie ein Freizeitvergnügen, das sich als Erregung tarnte?
Für mich war dieser Tag immerhin ein Urlaubstag. Meine Mutter kochte gerade Fische, die so klein waren, dass wir sie samt Gräten und Schwanz essen würden. Mein Vater saß in der Sonne, was seine Rückenschmerzen ein wenig linderte.
Unter meinem wischenden Daumen sah ich, wie alle möglichen Posts zum Zuganschlag rasch fünfzig, hundert, dreihundert Likes ernteten. Meiner Antwort gab niemand einen Like.
Und dann schrieb ich, auf das kleine, leuchtende Display tippend, etwas Törichtes. Ich schrieb etwas Gefährliches, etwas, das niemand, der wie ich war, jemals auch nur denken sollte, geschweige denn schreiben.
Verzeih mir, Ma.
Wenn die Polizei einfachen Leuten wie euch und mir nicht geholfen hat, wenn die Polizei zugesehen hat, wie diese Menschen starben, heißt das dann nicht, schrieb ich auf Facebook, dass die Regierung ebenfalls ein Terrorist ist?
Draußen auf der Straße strampelte ein Mann langsam auf seiner Rikscha vorbei, der einzige Fahrgast seine eigene Tochter, die Hupe machte pööt pööt, und sie strahlte.
LOVELY
Sonntagmorgen! Zeit für meinen Schauspielkurs. Mit wogenden Hüften nach links und nach rechts gehe ich am Guavenverkäufer vorbei.
„Bruder“, rufe ich ihm zu, „wie spät?“
„Acht Uhr dreißig“, brummelt er, weil er mit mir ungern die Weisheit seiner Armbanduhr teilt. Lass ihn nur. Ich gebe meinen schicken Gang auf und trabe wie ein Pferd zum Bahnhof. Im Zug, während ich Brust und Stirn berühre und ein Gebet für diese armen Menschen spreche, die vor wenigen Tagen an genau diesem Bahnhof gestorben sind –
„Wer drängelt denn da so?“, ruft eine ältere Dame. „Aufhören!“
„Konnte diese Hijra kein anderes Abteil finden, um die Leute zu belästigen?“, zischt der Erdnussverkäufer, als ob ich keine Ohren hätte.
Für jemanden wie mich ist nichts einfach, nicht einmal eine Stunde Zugfahrt. Meine Brust ist die eines Mannes, mein Busen besteht aus Lumpen. Na und? Zeigt mir in dieser Stadt nur eine andere Frau, die so wahrhaft weiblich ist wie ich.
Mitten durch die Menge bahnt sich ein Bettler ohne Beine seinen Weg, auf einem Holzbrett mit Rollen, mit denen er allen über die Füße fährt.
„Gebt mir eine Münze“, jammert er.
Die Leute schreien ihn an.
„Musst du ausgerechnet jetzt hier vorbei?“
„Keine Augen im Kopf, oder was?“
„Und wo soll ich hin? Mich auf deinen Schädel stellen?“
Da keift auch er zurück: „Ich kann euch gerne die Beine abschneiden, dann werdet ihr ja sehen, wie ihr zurechtkommt!“
Bei Gott, darüber muss ich richtig doll lachen. Darum mag ich diese Regionalzüge so. Du kannst einen Zug abfackeln, aber das hält uns nicht davon ab, zur Arbeit zu fahren, zur Schule, unsere Familie zu besuchen, wenn wir denn eine haben. Jeder dieser Züge ist wie ein Film. Da beobachte ich Gesichter, Gesten, Stimmen, Streitereien. So können Leute wie ich etwas lernen. Als der Zug schwankt und Fahrt aufnimmt, der Wind mir durchs Haar fährt, drücke ich meine Fingerspitzen an die Decke, richte meinen Körper kerzengerade auf für Mr. Debnaths Schauspielkurs.
*
In seinem Haus sitzt Mr. Debnath im Sessel und trinkt Tee aus einer Untertasse. So kühlt er schnell ab, und Mr. Debnath muss nicht ewig daraufpusten: pfff pfff.
Ich habe schon von Schauspiellehrern gehört, die Menschen, denen im Leben nichts geschenkt wird, ausnutzen. Aber so ist Mr. Debnath nicht. Er ist anständig. In jüngeren Jahren hatte er mal die Chance, selbst Regie bei einem Film zu führen, aber der wurde in Bombay gedreht. Da hätte er für sechs Monate nach Bombay gemusst, mindestens. Zu der Zeit lag gerade seine alte Mutter im Krankenhaus. Was wäre das bitte für ein Ungeheuer, das die eigene Mutter im Stich lässt, um seinen Träumen nachzujagen? Also opferte er seine Ziele und blieb bei ihr. Als er uns diese traurige Geschichte erzählte, habe ich ihn zum einzigen Mal weinen sehen.
Zu seinen Füßen sitzen sechs weitere Schüler. Brijesh, der als Elektriker arbeitet, Rumeli, die eine Wundersalbe gegen Hautausschlag verkauft, Peonji, ein Angestellter in einem Versicherungsbüro, Radha, die Krankenschwester lernt, und Joyita, die im Unternehmen ihres Vaters, wo sie Tintenpatronen wiederbefüllen, die Buchhaltung macht. Was Kumar arbeitet, weiß niemand so genau, weil er auf alle Fragen immer nur mit einem Lachen antwortet.
Wir alle sparen und sparen und zahlen jede Stunde fünfzig Rupien.
Heute, in diesem Wohnzimmer, das unsere Bühne ist, schieben wir den Esstisch an die Wand und proben eine Szene, in der ein Mann seine Frau verdächtigt, untreu zu sein. Nach ein paar, wenn man so will, farblosen Auftritten bin ich dran. Ich lege mein Handy auf den Boden, um mich zu filmen und das Video später zu analysieren, dann gehe ich in die Zimmermitte und rolle energisch den Kopf, von links nach rechts, von rechts nach links. Mr. Debnaths verstorbene Eltern, man möge für sie beten, schauen mich von ihren Fotos an der Wand mit strengen Mienen an. Mir ist heiß, obwohl der Ventilator volle Pulle aufgedreht ist.
Zeit für meine künstlerische Darbietung. Diesmal ist Brijesh, der Elektriker, mein Partner. Dem Drehbuch zufolge, das Mr. Debnath uns gegeben hat, muss Brijesh, nun der misstrauische Ehemann, mich an den Schultern packen, heftig und wütend. Aber er packt sie zu lasch. Ich bin gezwungen, aus der Rolle zu fallen.
„Nicht so!“, rufe ich. „Woher soll ich denn dieses starke Gefühl kriegen, wenn du mich hältst wie ein Blütenblatt? Du musst mir das schon zeigen, die Wut, den Frust. Na los!“
Mr. Debnath ist sehr einverstanden. Wenn ihr es nicht fühlt, sagt er immer, wie soll es dann euer Publikum fühlen? Also haue ich Brijesh leicht auf die Schulter, mache ihn ein bisschen wütend und gebe ihm zu verstehen, dass er mit mir ruhig ein wenig mannhafter umspringen kann. Er murmelt irgendwas, also frage ich: „Wie? Sag das lauter.“
Nach einer langen Pause meint Brijesh endlich: „Ach! Muss ich es wirklich aussprechen, Lovely? Ich kann diese Eheszene doch nicht mit einem halben Mann spielen.“
In diesem Moment schlägt die Uhr elf, lässt uns alle verstummen. Meine Wangen werden heiß. Oh, an so etwas bin ich gewöhnt – auf der Straße, im Zug, in den Läden. Aber in meinem Schauspielkurs? Von Brijesh?
Also wische ich seine Beleidigung einfach fort. Sie ist Müll.
„Hör zu, Brijesh“, sage ich, „du bist wie ein Bruder für mich. Wenn ich also romantisch mit dir sein kann, dann kannst du das auch mit mir!“
„So ist es“, mischt Mr. Debnath sich ein. „Wenn es euch mit dem Film ernst ist, müsst ihr ganz in eurer Rolle sein …“
Er hält Brijesh eine richtige Standpauke. Wann immer er kurz innehält, hört man sogar das leise Ticken der großen Wanduhr.
Schließlich legt Brijesh auf Mr. Debnaths Vorschlag hin die Hände zusammen, um mich um Verzeihung zu bitten, und da steigen mir doch wirklich Tränen in die Augen. Rumeli schnäuzt sich in ihren Dupatta. Dann klatscht Mr. Debnath in die Hände und ruft: „Lasst dieses Gefühl direkt in eure Szene einfließen!“
Der Raum knistert vor Spannung. Die anderen Schüler legen ihre Handys beiseite, als ich losbrülle: „Du wagst es, eine Mutter zu schlagen?!“
Der Zorn dieser Figur, ich spüre ihn in meiner Brust. Dieses Wohnzimmer, mit in die Ecke geschobenem Tisch und Stuhl, mit Schränken voll staubiger Teddys, ist nicht weniger als eine Bühne in Bombay. Die Leuchtstoffröhre ist so hell wie ein auf mich gerichteter Scheinwerfer. Draußen geht ein Kissenbefüller vorbei und zupft das Gerät, mit dem er die Baumwolle sortiert, wie eine Harfe. Nur die Fenster mit ihren dünnen Vorhängen trennen mich von den Niemanden auf der Straße.
Dann, indem ich das Gefühl festhalte, die Stimme aber senke, liefere ich die nächste Textzeile ab: „Bist nicht auch du aus dem Schoß deiner Mutter gekrochen?“
Brijesh: „Mutter, ha, als hättest du so viel Würde! Glaubst du, ich weiß über ihn nicht Bescheid?“
Ich: „Ich schwöre dir, es ist nicht so, wie du denkst. Lass mich erklären. Oh, bitte, gib mir nur eine Chance, es dir zu erklären.“
Brijesh (versteinertes Gesicht, er blickt aus einem imaginären Fenster).
Ich: „Ich wollte nie über meine Vergangenheit reden, aber du zwingst mich dazu. Also muss ich dir jetzt mein Geheimnis verraten. Das war nicht ich, die mit diesem Mann zusammen war. Das war meine Zwillingsschwester.“
Was für ein Dialog! Die Szene ist zu Ende.
Meine Hände sind eiskalt und schwitzig. Aber mein Herz fühlt sich so leicht an wie ein Drachen im Wind. Eine brausende Stille erfüllt den Raum. Sogar das Hausmädchen sieht vom Türrahmen aus zu, mit Besen und Kehrblech in der Hand. Ihr klappt der Mund auf. Ich sehe sie und möchte am liebsten lächeln. Endlich verlasse ich die Szene und kehre in das Zimmer zurück.
Mr. Debnath hat einen leicht irren Blick.
„Genau so macht man das!“, flüstert er. Seine Augen sind weit aufgerissen. Er versucht, in seine Sandalen zu schlüpfen und vom Sessel aufzustehen, aber eine rutscht ihm immer wieder weg, sobald er den Fuß daraufsetzt. Egal, er sieht jetzt sehr ernst aus.
„Meine Schüler, habt ihr gemerkt, wie sie ihre Stimme eingesetzt hat?“, fragt er. „Habt ihr gesehen, wie sie es gefühlt und dieses Gefühl sich auf euch übertragen hat?“ Spucke sprüht ihm aus dem Mund und regnet auf die Köpfe seiner Kursteilnehmer.
Radha, die direkt unter ihm sitzt, reißt ein Stück von einer am Boden liegenden Zeitung ab. Dann wischt sie sich damit übers Haar.
Vor fast einem Jahr bin ich zum ersten Mal zu Mr. Debnaths Haus gekommen. Er fragte, ob wir mein Vorstellungsgespräch auf der Straße machen könnten. Denn – so sagte er, so lautete seine Erklärung – das Haus werde gerade gestrichen und man könne sich nirgends hinsetzen.
Papperlapapp. Wo bitte waren die Maler, die Lumpen, die Eimer, die Leitern?
Ich kannte die Wahrheit. Die Wahrheit war, dass Mrs. Debnath keine Hijra im Haus haben wollte.
Also stand ich mitten auf der Straße und passte gut auf, dass mir keine vorbeifahrende Rikscha den Hintern rammte. Mr. Debnath meinte: „Warum willst du unbedingt schauspielern? Es ist zu schwierig!“
Mein Kajal war verschmiert, mein Lippenstift an irgendeiner Teetasse kleben geblieben. Meine Achseln stanken, mein schwarzes Haar sog alle Hitze des Tages auf und bereitete mir Kopfschmerzen. Doch dies war die einzige Frage, die ich immer beantworten konnte.
„Ich spiele schon mein ganzes Leben“, erwiderte ich. Ich spielte in Zügen und auf Straßen. Ich spielte Glück und Freude. Ich spielte eine Verbindung zum Göttlichen vor. „Und jetzt“, sagte ich zu ihm, „lassen Sie mich einfach für die Kamera üben.“
Heute stehe ich auf und lege die Hände zusammen. Ich verbeuge mich. Was soll man sonst machen bei so viel Beifall? Sie klatschen und klatschen, meine Fans. Mein Buchhalterinnen-Fan, mein Wundersalbenverkäuferinnen-Fan, mein Versicherungsangestellten-Fan. Selbst als ich abwinke, zu breit grinse und rufe: „Jetzt hört schon auf!“, klatschen sie weiter.
JIVAN
Ein paar Nächte später klopfte es an der Tür. Es war spät, zwei oder drei Uhr nachts, wenn jedes Geräusch einem das Herz bis zum Hals schlagen lässt. Meine Mutter schrie: „Wach auf, wach auf!“
Eine Hand kam aus der Finsternis und zerrte mich in meinem Nachthemd hoch. Ich kreischte und wehrte mich, weil ich dachte, es wäre ein Mann, der gekommen war, um zu tun, was Männer tun. Doch es war eine Polizistin.
Mein Vater lag wimmernd auf dem Boden, mit trockener Kehle und vor Schmerz versteiftem Rücken. Nachts wurde er zum Kind.
Dann war ich hinten im Mannschaftswagen und sah durch den Maschendraht hinaus auf Straßen, die im Laternenlicht orange glühten. Bis zur Erschöpfung redete ich auf die Polizistin und die Gruppe Polizisten ein, die vor mir saßen: „Schwester, was geht hier vor? Ich bin eine berufstätige Frau. Ich arbeite bei Pantaloons. Mit der Polizei habe ich nichts zu schaffen!“
Sie schwiegen. Ab und zu knisterte das Radio weit vorn am Armaturenbrett. Irgendwann bretterte ein Auto voll junger Männer vorbei, und ich hörte sie schreien und jubeln. Sie kamen von einem Nachtklub zurück. Der schwankende Polizeiwagen scherte diese Jungs kein bisschen. Sie wurden nicht langsamer. Sie hatten keine Angst. Ihre Väter kannten Polizeichefs und Regierungsmitglieder, Personen, die in der Lage waren, jedes Problem aus dem Weg zu räumen. Und ich? Wie würde ich aus alldem herauskommen? Wen kannte ich?
„Schon die ersten Seiten dieses ungewöhnlichen Buchs werfen Leserinnen und Leser mitten hinein ins widersprüchliche, wogende, explosive Indien dieser Tage.“
„Mit Lakonik und viel Verständnis für ihre von Geld und Ruhm verdorbenen Figuren zeichnet Megha Majumdar ein packendes Panorama des modernen Indiens.“
„Ein erschütternder Roman, der anhand von einer fiktiven Geschichte aufzeigt, welche (politischen) Probleme alltäglich sind in Indien. Allein dafür lohnt er sich.“
„Kompromisslos, direkt und fesselnd“
„Ein starker, packender Roman über Vorverurteilung und Opportunismus in einem gespaltenen Land.“
„Ein beeindruckender Roman über die indische Gesellschaft und wie weit Menschen gehen, um im Leben weiter zu kommen.“
„Dieser Debütroman ist eindringlich, toll erzählt, aufwühlend, traurig und schön zugleich.“
„Ein starker, packender Roman über Vorverurteilung und Opportunismus in einem gespaltenen Land. (…) Meghan Majumdar hat ihren unkonventionellen Roman wie eine schnell geschnittene Doku aufgebaut. In knappen Kapiteln aus verschiedenen Perspektiven gibt sie die realistische Einblicke in eine ungerechte Welt. Die Autorin bleibt ganz dicht an ihren Figuren; das Politische und Gesellschaftskritische entsteht aus dem Privaten.“
„Megha Majumdar transportiert in bestechend schönen Sätzen bittere Wahrheiten über ein Land, das sich gerne als größte Demokratie der Welt sieht, in dem es aber nicht weit her ist mit Pluralität, Toleranz und Gerechtigkeit.“
„Mit Lakonik und viel Verständnis für ihre von Geld und Ruhm verdorbenen Figuren zeichnet Megha Majumdar ein packendes Panorama des modernen Indiens.“
»Eine mitreißende und spannend geschriebene Lektüre, die niemanden kalt lassen kann
„›Was Kumar arbeitet, weiß niemand so genau, weil er auf alle Fragen immer nur mit einem Lachen antwortet‹ - Sätze wie dieser sind der Grund, warum ich das Debüt der Autorin, einer gebürtigen Inderin, so mag.“
„Sie erzählt lebendig und schafft trist-bunte Atmosphären, die Perspektivwechsel erzeugen Spannung und Tempo, in Rückschauen werden Lebensbilder gezeigt und man taucht als Leser/in tief ein in diese fremde Welt Indiens.“
„Ein knisternder Debütroman, der zeigt, wie leicht das Band zwischen Moral und Menschlichkeit reißt.“
„Ein kleines Meisterwerk“
„Megha Majumdar erzählt in ihrem Debütroman ›In Flammen‹ eine eindringliche Geschichte aus dem heutigen Indien mit all seinen Widersprüchen.“
„Ein wichtiges Buch“
„Ein mutiges Buch, das uns viel über das Indien von heute erzählt. Sehr spannend zu lesen.“
„Emotional und mitreißend.“
„Ein mutiges und zutiefst berührendes Debut, das mich lange begleiten wird.“
„Spannend – der Thriller des Jahres!“
„Majumdar erzählt in aller Konsequenz, dicht und wertfrei, in einem eindrücklich klaren Stil – da ist kein Satz zu viel, kein Wort zu wenig. Sie schafft den protagonistischen Balanceakt auf Augenhöhe, verpackt ihre politisch soziologische Kritik in die Ungerechtigkeiten des Alltags. Das ist oft nur schwer zu ertragen und doch konnte ich das Buch nicht aus der Hand legen, war gefangen zwischen den Seiten und hoffte bis zum Schluss, dass sich Wünsche wie in den Bollywood-Filmen am Ende doch noch erfüllen würden. Absolute Leseempfehlung meines Jahreshighlights – auch dank der Übersetzung von Yvonne Eglinger!“
„›In Flammen‹ von Megha Majumdar (aus dem Englischen von Yvonne Eglinger) ist nicht nur das vielleicht schönste Buch des Jahres, sondern auch eines der besten!“
„Ein flammendes Debüt, dessen Anklage nachbrennt!“
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