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Die Moltkes

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Jochen Thies
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Biographie einer Familie

„Jochen Thies hat sich in seinem sehr persönlichen Buch mit dem Erfolg der Moltke-Familie beschäftigt.“ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

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Die Moltkes — Inhalt

Über 200 Jahre lang waren sie auf das Engste mit der deutschen Geschichte verbunden: Die Moltkes stellten nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa Politiker, Militärs, hohe Beamte, Künstler und Sportler. Jochen Thies hatte uneingeschränkten Zugang zu bislang unveröffentlichten Dokumenten und erzählt in diesem fesselnden Familienepos die Geschichte der Moltkes von den Anfängen bis heute.

€ 12,99 [D], € 12,99 [A]
Erschienen am 17.09.2012
384 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-95505-8
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Leseprobe zu „Die Moltkes“

Vorwort


Straßenlärm, Stille und Vergänglichkeit liegen am Großen Stern in Berlin dicht beieinander. Von dem riesigen Platz mit mehreren Fahrspuren, in dessen Mitte sich eine monumentale Siegessäule mit einer vergoldeten Göttin auf der Spitze erhebt, zweigt der Spreeweg ab. Er führt zum Schloss Bellevue, dem Sitz des Bundespräsidenten. Einige Meter von der Einbiegung entfernt steht zur linken Hand eine überlebensgroße Statue von Helmuth Carl Bernhard von Moltke. Er war der preußische Generalstabschef und geniale Schlachtenlenker in den Deutschen [...]

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Vorwort


Straßenlärm, Stille und Vergänglichkeit liegen am Großen Stern in Berlin dicht beieinander. Von dem riesigen Platz mit mehreren Fahrspuren, in dessen Mitte sich eine monumentale Siegessäule mit einer vergoldeten Göttin auf der Spitze erhebt, zweigt der Spreeweg ab. Er führt zum Schloss Bellevue, dem Sitz des Bundespräsidenten. Einige Meter von der Einbiegung entfernt steht zur linken Hand eine überlebensgroße Statue von Helmuth Carl Bernhard von Moltke. Er war der preußische Generalstabschef und geniale Schlachtenlenker in den Deutschen Einigungskriegen von 1864, 1866 und 1870/71. Die sechs goldenen Lettern, die seinen Namen darstellten, sind abgefallen, das Familienwappen mit den drei Birkhähnen ist verblichen, in seinen von der Witterung ausgewaschenen Konturen kaum noch zu erkennen. Das Denkmal ist ungepflegt. Der hochgewachsene Generalfeldmarschall blickt stehend, entspannt, leicht zurückgelehnt, mit verschränkten Armen in der Uniform eines preußischen Offiziers, auf die Siegessäule. Ein Touristenpärchen bleibt für einen Augenblick stehen und geht dann weiter. Nur wenige Fußgänger verirren sich anscheinend auf diese Seite des Platzes, während die gegenüberliegende im Sommer mit dem dahinter befindlichen großen Biergarten die Massen anzieht. Einige Hundert Meter südlich, auf der Höhe des Bundeskanzleramtes, führt die Moltkebrücke über die Spree. Wenn man mit dem Schiff in Richtung Regierungsviertel fährt, kann man vom Deck für einen Augenblick das Konterfei des Generalfeldmarschalls studieren.
Nicht nur sie, auch zahlreiche andere Brücken, Denkmäler, Straßen und Schulen trugen und tragen noch den Namen Moltke. Fast aber hat es den Anschein, als ob die Schlussphase des Dritten Reichs, der Endkampf um die Berliner Reichskanzlei rund um die Moltkebrücke, die zerstört und später in unmittelbarer Nähe der Mauer wieder aufgebaut wurde, die Erinnerung an Helmuth von Moltke unter sich begraben hätte. Die heute zum neuen Bundeskanzleramt führende ehemalige Moltkestraße wurde 1998 in Willy-Brandt-Straße umbenannt. Eine öffentliche Diskussion gab es nicht. Helmuth Caspar von Moltke, der Sohn von Helmuth James von Moltke, fand die neue Namensgebung angemessen, hielt aber auch für wichtig, dass die Brücke weiterhin den Namen seines großen Ahnherrn trägt.


Wenige Wochen vor der Umrundung des Großen Sterns war ich mit meiner Frau nach Rostock gefahren. Auf der Autobahn ging es entlang der Stadtsilhouette in Richtung Warnowtunnel. Unser Reiseziel, der Toitenwinkel, lag nahe der letzten Ausfahrt vor dem Tunnel. Nach Westen ist er umfasst vom Fluss, dominiert von einer Plattenbausiedlung aus DDR-Zeiten, nach Osten begrenzt von einem Deich, vor dem die Eisenbahnlinie und die Autobahn entlangführen. Kein Mensch war auf den Straßen, als wir uns unserem Ziel näherten. Am nördlichen Rand des Stadtteils zeichnete sich ein kleines Wäldchen ab. Aus den Baumwipfeln lugte ein Kirchturm hervor. Wir bogen in eine verkehrsberuhigte Spielstraße ein. Wenige Augenblicke später standen wir vor der Kirche St. Katharina und St. Laurentius, an die sich auf der rechten Seite ein Kirchhof anschloss.
Es ist die Patronatskirche der Moltkes, die auf einem Fundament von Granitfeldsteinen errichtet wurde. Sie stammt vom Beginn des 14. Jahrhunderts, also aus der Zeit, als der dänische König Erich die Familie mit Privilegien für einige umliegende Dörfer ausstattete. Ein kaum für möglich gehaltener idyllischer Ort inmitten einer tischplattenartigen Landschaft, die die nahe Ostsee schon erahnen lässt. Aber sie weist nur noch wenige Spuren des Geschlechts auf, das Mitte des 13. Jahrhunderts erstmals im Licht der Geschichte auftaucht. Wir gingen in die Kirche hinein, in der an diesem Sonntagmorgen eine Handvoll Menschen der Predigt einer Pfarrerin lauschten. Wenige Minuten später war der Gottesdienst beendet. Damit bot sich die Möglichkeit zu einem Rundgang und zu einer näheren Inaugenscheinnahme der Kirche, in der sich mehrere Grabsteine der Familie befinden. Im Chor über dem Altar entdeckte ich die drei Birkhähne, die das Familienwappen der Moltkes zieren. In einer Ecke war auf einer Tafel sogar der Stammbaum der Familie verzeichnet, die zu den bedeutendsten Adelshäusern Deutschlands zählt. In der nördlichen Seitenkapelle betrachteten wir ein großes Ölgemälde, das Joachim Friedrich zeigt, einen der letzten großen Moltkes auf Toitenwinkel, bevor der Besitz im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts in andere Hände überging.


Meine zweite historische Reise zu den Moltkes führte mich an einem schönen Maitag 150 Kilometer von Berlin nach Parchim, den Geburtsort von Helmuth Carl Bernhard von Moltke. An der Ausfahrt Parchim verließ ich die Autobahn und durchquerte die Ruhner Berge, ein hügeliges Gelände mit Wiesen, Wäldern und von Butterblumen übersäten Feldern. Die herbe Landschaft von Mecklenburg-Vorpommern hatte über Nacht ihre ganze Pracht entfaltet. Von Kastanienbäumen gesäumte Alleen standen in voller Blüte. Eine Art Heidelandschaft, stellenweise mit Sümpfen durchsetzt, breitete sich vor meinen Augen aus. Dann tauchten Rapsfelder auf. Ich fuhr an kleinen Dörfern und verfallenen Relikten der DDR-Zeit vorbei. Auf einer Chaussee, deren geflicktes Pflaster ihre alte Straßenbreite verriet, näherte ich mich allmählich meinem Ziel.
Golo Mann beschreibt in seiner Wallenstein-Biografie diese Landschaft zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges. Mit 300 000 Einwohnern war Mecklenburg damals ein bevölkerungsreiches, stark agrarisch geprägtes Land. Der Landesherr hatte es verpasst, Industrie und Handel zu fördern: „Das Gebiet, trotz der vielbuchtigen Küste im Norden, hatte etwas Binnenländisches, Abgelegenes, ohne rechte Verbindung mit den schiffbaren Strömen in West und Ost. Fruchtbares Ackerland, Weiden mit schwarz-weiß geflecktem Vieh begannen gleich hinter den Dünen und Fischerdörfern, Wälder zogen sich hin, beschatteten die sich ineinanderschlingenden Seen. Da hauste der Adel auf seinen bescheidenen Schlössern, die Bassewitz, Moltke, Bülow, von der Lühe, Plessen, Maltzan.“1
Kurz vor Parchim ging es durch ein großes Mischwaldgebiet. Danach führte die abschüssige Chaussee an den Ortsrand des 20 000 Einwohner zählenden Städtchens, das von einem Gürtel von Datschen umringt war. In der Nähe des Stadtkerns passierte ich ein Schulzentrum und überquerte ein Flüsschen. An einer Vorkriegssiedlung mit kleineren Doppelhausvillen ging es in einem großen Linksbogen ins Herz der Stadt, aus dem bereits ein großer Kirchturm in Backsteinbauweise grüßte. Durch die Buchholzallee, einen repräsentativen Straßenzug mit Villen aus der Zeit um 1900, fuhr ich zum Marktplatz und stieg aus. In einem alten, urwüchsigen Stadtkrug verzehrte ich ein deftiges Mittagessen und ließ Parchim auf mich wirken.
Bis dahin hatte ich von Parchim nur aus der Presse gehört. Der Flughafen, auf dem bis 1994 die gewaltigen Antonow-Maschinen der sowjetischen Streitkräfte landeten und schwere Kampfhubschrauber die Bewohner aus dem Schlaf rissen, hatte im Jahre 2008 das Interesse der Chinesen gefunden. Sie hatten damit begonnen, mehrmals in der Woche Flugzeuge, beladen mit Spielzeugartikeln, nach Parchim zu entsenden. Sie beabsichtigten, den Flughafen zu kaufen.
Nun begab ich mich auf die Suche nach dem Geburtshaus des Generalfeldmarschalls, dem eigentlichen Anlass dieser Tagesreise. Ich fand es in der Langen Straße, schräg gegenüber der evangelischen St.-Marien-Kirche. Die Tür zum Moltke-Museum, das sich in einem Fachwerkhaus mit Entree befand, war verschlossen. Nachbarn empfahlen mir, beim Stadtmuseum vorbeizuschauen und nach dem Schlüssel zu fragen. Ich fand es nach einigen Minuten. Ein freundlicher Herr, offenbar ein städtischer Angestellter, öffnete nach wenigen Augenblicken. Nachdem ich mein Anliegen vorgetragen hatte, bot er an, das Stadtmuseum vorübergehend zu schließen und mit dem Fahrrad am Moltke-Museum vorbeizukommen, um es mir zu öffnen.
Das Museum stellte sich als etwa 50 Quadratmeter großer Raum heraus. Ein geschichtsbewusster General der Bundeswehr hatte ihn kurz nach der Wiedervereinigung herrichten lassen. Das Inventar war rasch zu überblicken: ein alter Schreibsekretär, eine Uniformpuppe, deren Kleidung bei entsprechenden Anlässen auch von einem Parchimer Stadtführer getragen wird, wie ich erfuhr, dazu Gedenktafeln, Bücher und einige Gemälde. Außerdem gab es ein rundes Dutzend Büsten sowie Faksimiles von Zeitungsausschnitten.
Bereits vor dem Besuch des Museums war ich auf das Moltke-Denkmal am Marktplatz hingewiesen worden, das eine aufregende Geschichte hinter sich hatte. Die überlebensgroße Bronzefigur hatte das Ende des Zweiten Weltkriegs nur durch einen Zufall überlebt. Der zuständige russische Kommandeur weigerte sich nach dem Einmarsch der Roten Armee in die kampflos übergebene Stadt im April 1945, die Statue zu zerstören. Eilfertige und willfährige ortsansässige deutsche Kommunisten hatten angeboten, das Denkmal von einem Bagger umreißen zu lassen. Die Begründung des Offiziers war kurz und bündig: Moltke sei für ihn Pflichtlektüre an der Militärakademie gewesen. Er verehre den Generalfeldmarschall. Die Statue bleibe stehen.


Nur eine Woche später flog ich in die Türkei, erneut auf den Spuren des Generalfeldmarschalls. Er verbrachte in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, prägende Jahre. Im Park der Sommerresidenz des deutschen Botschafters in Istanbul ist noch immer ein aus weißem Marmor gefertigter Obelisk zu sehen, der 1889 von der deutschen Kolonie zur Erinnerung an den Grafen errichtet wurde.


Ich erinnerte mich an ein Hauptseminar im Fach Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Dort hatte ich mich 1968 mit Bismarck und Moltke befasst und in einem Freiburger Antiquariat in der Grünwälderstraße eine sehr gut erhaltene Ausgabe der „Gesammelten Werke“ von Moltke erworben. Das Interesse für den Generalfeldmarschall war geweckt. Die Aufgabe, die Jahrhundertfigur Moltke zu begreifen, ihn zu porträtieren – nicht nur als bedeutenden Feldherrn, sondern als universal Gebildeten –, war somit seit vielen Jahren umrissen. Während meines Berufslebens lernte ich dann zwei Moltkes näher kennen.


Den Schlusspunkt meiner Reisen zu den Moltkes bildete eine Fahrt nach Kreisau. Ich fuhr in ein Land, das sich in den letzten 20 Jahren stark verändert hatte, das ein sehr interessanter, aber noch unbekannter Nachbar des wiedervereinigten Deutschland ist. Von der boomenden, über 600 000 Einwohner zählenden Stadt Breslau, die sich auf ein sportliches Großereignis im Jahre 2012 vorbereitet, ging es in einer einstündigen Autofahrt in die Vorbergzone des Eulengebirges, in der Kreisau liegt. Die Landschaft ähnelte dem Rheintal, wenn man hinter dem Kaiserstuhl die deutsch-französische Grenze passiert hat und auf die Vogesen zufährt.
Unmittelbar nach der Einfahrt in das große Schlossareal vermittelte sich die heitere Atmosphäre eines Tagungsortes, der dem europäischen Gedanken gewidmet ist. Im Schloss war es noch ruhig. Beim Betreten des Gebäudes sah ich neben dem Moltke’schen Wappen mit den drei Birkhähnen zum ersten Mal auch jenes von Mary Burt, der Frau des Generalfeldmarschalls. Es zeigte drei Kreuze in einer Schleife und drei Signalhörner.
Nun zog es mich zu einem weiteren Ort. Einige Fußminuten vom Schloss entfernt, über eine Allee und eine Ansammlung von frei stehenden kleinen Bauernkaten erreichbar, kam ich zum sogenannten „Berghaus“. In ihm befinden sich die beiden Räume, in denen 1942 und 1943 der Kreisauer Kreis getagt hatte. Die heutige, clubartige Atmosphäre in den hellen Zimmern ließ nicht erahnen, worum es damals gegangen war. Im Nachbarraum erläuterte mir später ein Mitarbeiter der Stiftung die Funktion eines viergeteilten runden Tisches. Er wird bei Tagungen aus gruppendynamischen Gründen zusammengesetzt und symbolisiert sowohl den historischen Kreisauer Kreis als auch das neue Kreisau. Der Blick aus dem Fenster in die schlesische Landschaft war beeindruckend und auch ein wenig imperial, ein Feldherrenhügel.
Schon zu Beginn meiner Recherchen stellte ich fest, dass es erstaunlicherweise bis dahin keine Gesamtgeschichte der Familie gab. Wäre es nach Helmuth Carl Bernhard von Moltke gegangen, wäre sie bereits zu seinen Lebzeiten geschrieben worden. Kurz vor dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 hatte der General, der selbst ein passionierter Historiker war, zunächst Kontakt mit dem mecklenburgischen Altertumsforscher Friedrich Lisch wegen der frühen Besitzungen der Moltkes in Mecklenburg-Vorpommern aufgenommen. In einer Korrespondenz mit dem mecklenburgischen Gymnasialdirektor und Historiker Friedrich Wigger regte Moltke 1878 an, eine Geschichte seiner Familie zu schreiben. Die Idee wurde dann jedoch als finanziell und inhaltlich zu aufwendig verworfen. In der Tat sind die Moltkes ein kaum zu überblickender familiärer Großverband, der die Genealogen vor große Schwierigkeiten stellt. Etwa 250 Moltkes, die historisch feststellbar sind, konnten bislang den Familienstämmen nicht zugeordnet werden.
Die Geschichte der Moltkes hat aber nicht nur eine mecklenburgische, nicht nur eine deutsche, sondern auch eine europäische Dimension. Mit der Person Helmuth Carl Bernhard von Moltkes sind wichtige Etappen der deutsch-türkischen Beziehungen im 19. Jahrhundert verbunden. Auch die Verbindungen zu anderen großen Staaten wie Russland, Großbritannien, Frankreich, Österreich-Ungarn oder Dänemark sind bedeutend. Doch am Ende ist die Geschichte der Moltkes, und dies mag überraschen, in vielerlei Hinsicht vor allem eine deutsch-englische „Beziehung“.
In gewisser Weise sind die Moltkes – eine Familie mit Politikern, Soldaten, hohen Beamten, Landwirten, Künstlern und einem veritablen deutschen Meister im Zehnkampf in ihren Reihen – Opfer der Brüche und Zäsuren der deutschen Geschichte während der letzten 100 Jahre. Nahezu die gesamte Familiengeschichte zwischen 1800 und 1933 ist ausgeblendet oder vergessen. Der Erste Weltkrieg, bei dessen Ausbruch Helmuth Johannes Ludwig von Moltke, ein Neffe des Generalfeldmarschalls, als Generalstabschef eine wichtige Rolle spielte, ist historisiert. Anders als in Frankreich oder in Großbritannien spielt „The Great War“ im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit kaum eine Rolle.
Kreisau ist hingegen der immer wieder beschworene Eckpunkt der Moltke’schen Familienhistorie. Das kleine Gut war während dreier Moltke-Generationen der Sitz der Familie. Bis 1945 war es ein Symbolort deutscher Patrioten. Sie wallfahrteten hierhin, um die Erinnerung an den Generalfeldmarschall Helmuth Carl Bernhard von Moltke zu pflegen. In den Jahren des Hitler-Regimes war es aber auch der Ort, an dem Helmuth James von Moltke, ein Urgroßneffe des Heerführers, im Kreis von Verschwörern über ein Deutschland ohne Hitler nachdachte. Heute liegt Kreisau in Polen und ist in ein deutsch-polnisches Begegnungszentrum umgewandelt worden.


Helmuth Carl Bernhard, Helmuth Johannes Ludwig und Helmuth James von Moltke spielten in der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts wichtige Rollen. Der Generalfeldmarschall und sein Urgroßneffe fanden ihre Biografen, der Generalstabschef interessanterweise bisher nicht. Wenn man sie in Beziehung zueinander setzt, wenn man die Geschichte der Familie über vier Generationen hinweg verfolgt, eröffnen sich neue Quellen und vermitteln sich neue Einsichten über den außergewöhnlichen Familien- und Traditionsverband der Moltkes.
Zu diesem gehören insbesondere auch zwei starke Frauen. Die bekanntere ist zweifellos Freya von Moltke. Die Ehefrau von Helmuth James von Moltke starb Anfang 2010 im Alter von 98 Jahren. Mit ihrem zupackenden Wesen hatte sie schon im Dritten Reich den Kreisauer Kreis bereichert und nach 1990 die Umwandlung des Gutes in Kreisau in eine deutschpolnische Begegnungsstätte vorangetrieben. Sie repräsentierte den beeindruckenden, klugen Frauentypus in der Moltke-Familie. Auch Helmuth James’ Mutter, Dorothy Rose Innes, entsprach diesem Bild. Sie stammte aus Südafrika und war die Tochter eines Obersten Richters der Südafrikanischen Union. Ihr Verdienst bestand darin, Internationalität und angelsächsischen Pragmatismus in die Familie Moltke hineingetragen zu haben.
Von ihr, ihrem Sohn, ihrer Schwiegertochter und von zwei Generälen – Helmuth Moltke dem Älteren und Helmuth Moltke dem Jüngeren – wird das Buch hauptsächlich handeln. Es wird die vielfältigen Gaben, Talente und Temperamente der Familie in Form einer Familienbiografie schildern und sie nicht nur als Ausdruck individueller Persönlichkeit, sondern vor dem Hintergrund von mehr als 200 Jahren deutscher und europäischer Geschichte beschreiben.


Die Moltkes wirken auch nach Jahrhunderten einer eindrucksvollen Erfolgsgeschichte kraftvoll und vital. Es sind keinerlei Ermüdungserscheinungen festzustellen, kein Abstieg wie bei anderen großen Familien. Sie stellen weiterhin hohe Beamte, Diplomaten, leitende Angestellte, Wissenschaftler und Künstler. Ein erheblicher Teil der Familie lebt infolge des Dritten Reiches in Nordamerika. Aber ihre jüngere Geschichte beginnt nicht mit dem Widerstand gegen Hitler, sondern fast 150 Jahre früher.2
Im Ausland ist die Erinnerung an diese eineinhalb Jahrhunderte und damit an die militärischen Verdienste der Familie ungebrochen und stark. Gebhardt von Moltke beispielsweise wurde in seiner Dienstzeit bei der NATO und bei Auslandsreisen oft auf seine bedeutenden Vorfahren angesprochen.


Ein Wechsel der Perspektive, eine Besinnung auf frühere Zeiten, lässt sich nicht erzwingen. Aber Deutschland erfährt zurzeit eine Veränderung seiner nationalen Identität und Mentalität. Schon einmal, im Lebensgefühl und in der Erinnerung unserer Groß- und Urgroßeltern, war es so. Die Jahre zwischen 1871 und 1914 waren eine glückliche Zeit, wenn man ihren Berichten vertraut. Es kann sein, dass wir heute in einem tatsächlich harmonischen Abschnitt der deutschen Geschichte mit einem ähnlichen Gefühl der Zufriedenheit leben – ohne jede Kriegsgefahr am Horizont, umgeben von Freunden und im Vergleich zum Kaiserreich im Wohlstand. Bei sportlichen Erfolgen flattern seit einigen Jahren wieder deutsche Fahnen. Das wird nicht übermäßig problematisiert. Straßenfeste, Stadtjubiläen, Kirchentage und vor allem die Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006 zeigen, dass die Deutschen dazu bereit sind, neben der Erinnerung an die dunklen Seiten der deutschen Geschichte emotional wieder Anschluss an glückliche Momente im Leben der Nation zu finden. Jedes Land braucht Feste und Rituale. Alles dies findet sich auch bei den Moltkes, die prägend für Deutschland waren und sind.


Helmuth Carl Bernhard Graf von Moltke


Anfänge der Familie auf Toitenwinkel


Die strategische Befähigung, der Blick für das Wesentliche, war von dem Moment an erkennbar, in dem die Moltkes in das Licht der Geschichte traten. 400 Jahre lang verstanden sie sich in einem Gebiet im Norden von Mecklenburg zu halten, das gegenüber von Rostock, der bedeutenden Hansestadt, an der Warnow lag.3 Von dort war es nur ein Steinwurf bis zur Ostsee und nicht weit weg von den skandinavischen Staaten wie Dänemark und Schweden, die beim Aufstieg des Geschlechts eine bedeutende Rolle spielten.
Helmuth Carl Bernhard von Moltke war die Geschichte seines Geschlechts stets präsent. Sie diente ihm zur Identitätsbildung, sie bot ihm Orientierung und Hoffnung, eines Tages wieder den angestammten Platz in der Gesellschaft einzunehmen, den die Moltkes jahrhundertelang beansprucht hatten. Im Arbeitszimmer in Kreisau hing ein Stammbaum der Familie an der Wand. Daher muss man, wenn man mit Moltke beginnt, zu den Anfängen seines Geschlechts zurückkehren.

Über Jochen Thies

Biografie

Jochen Thies, geboren 1944 in Rauschen in Ostpreußen, Dr. phil., arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in London. Er war Redenschreiber von Bundeskanzler Helmut Schmidt, Ressortleiter Außenpolitik der Tageszeitung „Die Welt“, Chefredakteur der Zeitschrift...

Pressestimmen
Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Jochen Thies hat sich in seinem sehr persönlichen Buch mit dem Erfolg der Moltke-Familie beschäftigt.“

Wiener Zeitung (A)

„Jochen Thies, Historiker und Redenschreiber von Bundeskanzler Helmut Schmidt, legt ein gründlich recherchiertes Buch vor.“

ZDF ›Auf den Punkt‹

„Der Historiker Jochen Thies, der Journalist, kommt den einzelnen Personen näher. Er widmet sein Buch vor allem auch einigen Frauen, vor allem Freya von Moltke, der Witwe des Widerstandskämpfers, die hoch betagt, erst vor Kurzem gestorben ist.“

Deutschlandradio Kultur

„Dem Anspruch, anhand der Moltkes das sich wandelnde Selbstverständnis Deutschlands über zwei Jahrhunderte darzustellen, wird Jochen Thies hervorragend gerecht.“

Geschichte und Wissen

„Gut geschrieben, aufschlussreich, ja fast persönlich. Schönes ›rundes‹ Buch ohne Allüren.“

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