Die Homöopathie-Lüge
So gefährlich ist die Lehre von den weißen Kügelchen
„Um es vorweg zu sagen: Das Buch zu lesen lohnt sich nicht nur für Pharmazeuten (...).“ - PZ Pharmazeutische Zeitung
Die Homöopathie-Lüge — Inhalt
Patienten wollen sie, Ärzte bieten sie an, Kassen zahlen sie: Homöopathische Medizin hat sich wie selbstverständlich eingeschlichen in unser Gesundheitswesen. Der Schulmedizin fehlt es an Wärme und Menschlichkeit, gewiss, aber muss man deshalb an Hokuspokus glauben? Ein Wirkstoff, der bis zur Nichtexistenz verdünnt ist, kann nicht wirken. Wasser hat kein Gedächtnis, wie soll es sich da an eine „geistartige Heilkraft“ erinnern? Die Wissenschaftsjournalisten Christian Weymayr und Nicole Heißmann stellen sich in diesem mutigen Buch gegen eine sehr mächtig gewordene Lobby. Sie zeigen, wie sich alternative Pharmakonzerne bereichern und warum Ärzte Globuli manchmal lieber verschreiben als echte Medizin. Und wie die Anhänger der Homöopathie massiv darauf drängen, ihre Glaubenslehre zu legitimieren – mit mysteriösen Heilerfolgen, aber ohne jeden wissenschaftlichen Beweis.
Leseprobe zu „Die Homöopathie-Lüge“
Vorbemerkungen
Wer sich nicht eingehend mit der Homöopathie beschäftigt, dem muss sie als feste und gesicherte medizinische Größe erscheinen, die je nach Situation die herkömmliche Medizin unterstützen, ergänzen oder sogar ersetzen kann – sozusagen als Partner auf Augenhöhe. Der Eindruck von der Homöopathie als einer gut etablierten Richtung innerhalb der Medizin kommt nicht von ungefähr: Wie wir in diesem Buch zeigen werden, gibt es keinen Bereich des Gesundheitswesens, in dem sie nicht verankert wäre.
Wer aber stutzig wird und sich darauf besinnt, dass [...]
Vorbemerkungen
Wer sich nicht eingehend mit der Homöopathie beschäftigt, dem muss sie als feste und gesicherte medizinische Größe erscheinen, die je nach Situation die herkömmliche Medizin unterstützen, ergänzen oder sogar ersetzen kann – sozusagen als Partner auf Augenhöhe. Der Eindruck von der Homöopathie als einer gut etablierten Richtung innerhalb der Medizin kommt nicht von ungefähr: Wie wir in diesem Buch zeigen werden, gibt es keinen Bereich des Gesundheitswesens, in dem sie nicht verankert wäre.
Wer aber stutzig wird und sich darauf besinnt, dass die in homöopathischen Arzneimitteln gar nicht oder nur in verschwindend geringen Mengen vorhandenen Wirkstoffe nichts bewirken können, weil von nichts nichts kommt, dem erscheint das Gedankengebäude der Homöopathie als Kartenhaus, als große Illusion, die nur aufrechterhalten wird, weil viele gut damit fahren. Wer das realisiert, fühlt sich von Ärzten und Apothekern, Politikern und Journalisten belogen und betrogen. So geht es offenbar auch Menschen, die sich bereitwillig auf die Homöopathie einlassen. So fragte die Nutzerin eines Internetforums in die Runde: „Homöopathie – alles Lüge???“ Sie schilderte ihre vergeblichen Versuche, ihr Kind mit Globuli zu behandeln, und stellte fest: „Also von Homöopathie bin ich erst mal (leider) super enttäuscht!!! Habe mir etwas mehr davon erhofft.“ Und sie beklagte: „Warum hilft das ganze Zeug nichts?“
Uns sind fundierte Kenner der Homöopathie bekannt, die zwar an sie glauben, aber dennoch Schwachstellen und Grenzen der Lehre benennen und auch Mitläufer und Profiteure in den „eigenen Reihen“ kritisieren, die sich die Lehre nach ihrem Gutdünken zurechtformen, bis von der Homöopathie kaum mehr übrig bleibt als der prestigeträchtige Name. Diesen Experten bewusste Täuschungsabsichten unterstellen zu wollen, wäre wohl falsch. Doch indem sie sich ernsthaft und wissenschaftlich mit der Homöopathie auseinandersetzen, helfen gerade sie mit, die Homöopathie salonfähig zu machen.
Begriffe und Definitionen
Wir vermeiden die Unterscheidung in Schulmedizin auf der einen und Alternativ- oder Komplementärmedizin auf der anderen Seite. Die Begriffe sind zwar gebräuchlich, aber unzutreffend. Gerade die „Schulmedizin“ folgt weit weniger einer „Schule“ als die Homöopathie. Auch „Alternativmedizin“ und „Komplementärmedizin“ treffen den Sachverhalt nicht, weil die Homöopathie unserer Ansicht nach weder als Alternative noch als Ergänzung zur „Schulmedizin“ zu sehen ist. Wir bringen die Homöopathie stattdessen eher mit Attributen wie Erfahrung, Glaube, wissenschaftlich nicht fundiert oder den Naturgesetzen widersprechend in Verbindung, die „Schulmedizin“ mit Attributen wie evidenzbasiert, überprüfbar und wissenschaftlich fundiert. Wir wollen damit jedoch nicht behaupten – das sei an dieser Stelle ausdrücklich betont –, dass jedes von „Schulmedizinern“ praktizierte Verfahren wirklich wissenschaftlich gesichert ist. Auch sie berufen sich allzu oft auf ihre Erfahrung.
An vielen Stellen ist von „Wirkung“ die Rede. Meist grenzen wir den Begriff ein. Wenn wir das nicht tun, meinen wir mit „Wirkung“ den spezifischen biochemischen Effekt eines Arzneimittels auf den Stoffwechsel eines Patienten, wobei Auswirkungen des Effekts stichhaltig überprüfbar wahrgenommen werden können. Beispiel: Eine Kopfschmerztablette kann nachweislich Schmerzen lindern. Wir sind uns bewusst, dass in der medizinischen Forschung zwischen Wirkung, Wirksamkeit, Nutzen und Nettonutzen unterschieden wird. Es würde jedoch in einem populärwissenschaftlichen Buch wie diesem zu weit führen, die wissenschaftlichen Definitionen streng einzuhalten.
Wenn wir von „Homöopathika“ sprechen und nicht genau kennzeichnen, welche Potenzen wir meinen, gehen wir grundsätzlich von Hochpotenzen aus, die kein Wirkmolekül mehr enthalten, sowie von solchen Niederpotenzen, die keine Wirkung im oben definierten Sinne haben.
Schließlich verwenden wir durchgehend nur die männlichen Bezeichnungen wie Apotheker, Ärzte und Politiker, schließen damit jedoch auch Apothekerinnen, Ärztinnen und Politikerinnen ein.
Wir haben auf Fußnoten und dezidierte Quellenverzeichnisse verzichtet und unsere Quellen stattdessen direkt im Text so weit kenntlich gemacht, dass man sie ohne große Mühe im Internet identifizieren kann. Am Ende des Buches haben wir noch einmal Quellen zusammengestellt, die für eine vertiefende Lektüre geeignet sind.
Wir danken allen, die uns zu diesem Buch ermutigt und uns mit Rat und Tat unterstützt haben. Ebenso danken wir allen Befürwortern, neutralen Betrachtern und Kritikern der Homöopathie, die uns Rede und Antwort gestanden haben.
Christian Weymayr und Nicole Heißmann, August 2012
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Ohne Substanz: Warum Homöopathie Hokuspokus ist
Luigi Marcello Monsellato ist Orthopäde im italienischen Ferrara. Dem Dottore, obwohl konventionell ausgebildet, haben es besonders die unkonventionellen Verfahren angetan. Seit über 20 Jahren studiert, praktiziert und lehrt er diese sogenannten alternativen oder komplementären Heilmethoden, besonders auch die Homöopathie. Dabei hat er sie nicht nur eingesetzt, sondern – angeregt durch seine eigenen Erfahrungen – auch weiterentwickelt. So kreierte er die „Homöosynergetik“, die er im Jahr 2005 in seinem Buch L’infiammazione e il simile – lezione di medicina omeosinergetica der Öffentlichkeit vorstellte. Offenbar mit Erfolg, denn inzwischen gibt es eine „Akademie für Homöosynergetische Medizin“, deren Ehrenpräsident Dr. Monsellato ist.
Im Oktober 2011 starb Monsellatos vierjähriger Sohn Luca unter tragischen Umständen. Er wurde mit hohem Fieber ins Krankenhaus gebracht, doch es war bereits zu spät, der Junge reagierte nicht mehr auf die Notfallmaßnahmen. Die Frage, wie es so weit kommen konnte, dass ein Kind aus einem Arzthaushalt zu spät in eine Klinik eingeliefert wird, beschäftigte die italienische Justiz – und weltweit die Medien. Dr. Monsellato gab an, die Beschwerden seines Sohnes drei Wochen – wie nach der homöopathischen Lehre üblich – mit Fenchel behandelt zu haben. Einer Schuld war sich der Doktor nicht bewusst. Im Gegenteil: Er klagte die Klinik an, nicht genug für die Rettung des Sohnes getan zu haben.
Auch die Kollegen der Homöosynergetischen Medizin sprachen Monsellato von jeder Schuld frei: Der Doktor sei absolut integer und habe schon vielen Menschen aufopferungsvoll geholfen. Die Stellungnahme des „Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte“ (DZVhÄ) dagegen fiel distanzierter aus. Den Homöopathischen Nachrichten sagte Cornelia Bajic, die Erste Vorsitzende des DZVhÄ : „ Die Selbstbehandlung einer Pneumonie ist generell unverantwortlich, ob mit Homöopathika oder anderen Medikamenten.“ Der Beitrag warnte auch vor „selbst ernannten Spezialisten in der Homöopathie“ – schließlich sei Monsellato „in Italien nicht als Homöopath registriert“.
Die reine Lehre von der Überlegenheit
Offenbar ist der DZVhÄ der Ansicht, wenn Monsellato die Homöopathie fachgerecht angewandt hätte, wäre Lucas Tod vermeidbar gewesen. Wer weiß. Drei Aspekte jedenfalls sollten auch den DZVhÄ nachdenklich stimmen. Zum Ersten gilt Lungenentzündung durchaus als Fall für die Homöopathie. In einem Grundsatzpapier des „European Committee for Homoeopathy“ von 1994, an dem auch der namhafte deutsche Homöopath Harald Walach, heute Leiter des Instituts für transkulturelle Gesundheitswissenschaften an der Universität Frankfurt an der Oder, mitgearbeitet hat, wird die Lungenentzündung zu den Krankheiten gezählt, die „mit homöopathischen Arzneien erfolgreich behandelt werden können“. Zum Zweiten ist Luca kein Einzelfall. So listet beispielsweise das Internetportal whatstheharm.net 437 Fälle (Stand 12. 08. 2012) von Menschen auf, die starben oder geschädigt wurden, weil ihr Arzt an Homöopathie festhielt, statt rechtzeitig bei Methoden der evidenzbasierten Medizin Hilfe zu suchen. Und zum Dritten finden sich in der homöopathischen Literatur viele Stellen, an denen behauptet wird, die Homöopathie sei der „Schulmedizin“ grundsätzlich überlegen.
Diese Ansicht vertreten dabei keineswegs Außenseiter, sondern sowohl frühere als auch heutige Vorbilder der Zunft. So schrieb bereits der Begründer der Homöopathie Samuel Hahnemann in einem seiner Hauptwerke, dem Organon der Heilkunst (6. Auflage, marixverlag, 2005, nach der Ausgabe Leipzig 1921, § 53): „Die reine homöopathische Heilart ist der einzig richtige, der einzig durch Menschenkunst mögliche, geradeste Heilweg, so gewiß zwischen zwei gegebenen Punkten nur eine einzige gerade Linie möglich ist.“ Er verbat sich auch vehement jede Vermischung der Homöopathie mit der von ihm „Allopathie“ genannten wissenschaftsbasierten Medizin (§ 52) und schloss dies auch für die Zukunft kategorisch aus: „Jede steht der anderen gerade entgegen und nur wer beide nicht kennt, kann sich dem Wahne hingeben, daß sie sich je einander nähern könnten oder wohl gar sich vereinigen ließen, kann sich gar so lächerlich machen, nach Gefallen der Kranken, bald homöopathisch, bald allopathisch in seinen Kuren zu verfahren; dies ist verbrecherischer Verrat an der göttlichen Homöopathie zu nennen ! “
Was die Auslegung seiner Lehre anging, war Hahnemann nicht gesprächsbereit. Er gestand seinen Anhängern nicht einen Millimeter Interpretationsspielraum zu, sondern verlangte unbedingte Gefolgschaft in jedem Wort. Abweichler hat er zeitlebens verdammt, beschimpft und bekämpft. Nur er selbst durfte seine Lehre erweitern und modifizieren. Auch heute, gut 200 Jahre nach Hahnemanns erster Niederschrift seiner Heilslehre im Jahr 1810, folgen sogenannte klassische Homöopathen der Lehre ihres Meisters, und einige postulieren wie er die Überlegenheit der Homöopathie. Deutliche Worte findet beispielsweise einer der profiliertesten Vertreter seiner Zunft, der griechische Ingenieur und spätere Homöopath Georgos Vithoulkas, in seinem Buch Medizin der Zukunft (Georg Wenderoth Verlag, 1979, S. 169): „Die chemisch-mechanistisch ausgerichtete Allopathie war ein Irrweg der Wissenschaft.“ Die Zukunft könne deshalb nur einer Lehre gehören: „Ein neues Zeitalter der Medizin, in der die Homöopathie die Allopathie ablöst, wird zugleich ein neues Zeitalter der Menschheit sein.“
Der DZVhÄ bezeichnet auf seiner Homepage (Stand 08. 03. 2012) Vithoulkas als einen „weltweit bekannten Lehrer, dessen SchülerInnen bereits in vielen Ländern der Welt homöopathische Ausbildungsstätten und Kliniken leiten“. Nach Lehraufenthalten in den USA gründete Vithoulkas in Griechenland die „International Academy for Classical Homeopathy“ und unterrichtete mit Lehraufträgen an den Universitäten in Kiew und Barcelona. Höchste Weihen erhielt er im Jahr 1996: Für seine „außergewöhnlichen Beiträge zur Wiederbelebung des homöopathischen Wissens und der Unterrichtung von Homöopathen nach den höchsten Standards“ bekam er den „Right Livelihood Award“ verliehen, besser bekannt als „alternativer Nobelpreis“. In der Laudatio wird davon geschwärmt, dass Vithoulkas „eine fundamentale Kritik der konventionellen allopathischen Medizin “ entwirft.
Nach der reinen homöopathischen Lehre ist es also nur konsequent, wie Dr. Monsellato bei seinem kranken Sohn bis zuletzt auf eine homöopathische Behandlung zu setzen. Das ist eine der Gefahren, vor denen wir warnen möchten: Wer die Homöopathie ernst nimmt, droht erwiesenermaßen nützliche Maßnahmen zu versäumen.
Pragmatisches Verwässern der Hahnemann’schen Lehre
Ärzte, die ihre Patienten grundsätzlich mit wissenschaftsbasierter Medizin behandeln und ihnen nur bei Bagatellerkrankungen oder auf ausdrücklichen Wunsch zu homöopathischen Kügelchen und Tropfen raten, sind also vom Standpunkt Hahnemanns und einiger klassischer Homöopathen aus als Abweichler anzusehen. Von diesen pragmatischen Abweichlern gibt es eine ganze Menge: So bietet einer Umfrage des CGM-Gesundheitsmonitors von 2010 bei 440 Ärzten zufolge etwa jeder zweite niedergelassene Arzt in Deutschland häufig oder gelegentlich Homöopathie an, aber nur die Hälfte dieser Ärzte ist von der Lehre auch überzeugt oder hat gute Erfahrungen damit gemacht. Diese Gelegenheitshomöopathie, auf deren Sympathiewelle so gut wie alle Apotheker sowie etliche Pharmafirmen schwimmen, hätte Hahnemann zu wilden Schimpftiraden gereizt.
Der DZVhÄ nimmt eine Art Zwischenposition ein: Einerseits bezeichnet etwa Cornelia Bajic, die Erste Vorsitzende des DZVhÄ, in einem Interview im Jahresprogramm des DZVhÄ mit dem Titel Ärztliche Homöopathie 2012 Samuel Hahnemann als den „Meister“, andererseits pochen sie und der Zentralverein auf eine solide medizinische Ausbildung der Homöopathen. So schreibt der Arzt für innere Medizin Ulf Riker, ebenfalls im Jahresprogramm 2012: „Therapiesicherheit für den einzelnen Patienten muss immer oberste Priorität haben!“ Und weiter: „Stets muss es darum gehen, schnell, sanft und dauerhaft zu heilen und Komplikationen und Chronifizierungen vorzubeugen. In vielen Fällen ist dabei auch fachärztliches Wissen erforderlich.“ Die Zweite Vorsitzende des DZVhÄ, Silvia Nuvoloni-Buhl, sieht im selben Interview, in dem auch Bajic zu Wort kam, die Homöopathie gar „als gleichberechtigte Therapiemethode neben anderen“, die „nach bestem ärztlichem Wissen eingesetzt wird, wo immer sie indiziert ist“. Dass sich Homöopathie und evidenzbasierte Medizin, wie wir noch zeigen werden, in beinahe allen Grundsätzen widersprechen und sich deshalb nach den Gesetzen der Logik ausschließen, scheint dabei weder den DZVhÄ noch die praktizierenden Homöopathen zu stören.
Es gibt also, wenn man die heutigen Homöopathen grob einteilen möchte, drei große Gruppen: die klassischen Homöopathen, die Hahnemanns reine Lehre hochhalten und sie bestenfalls in Nuancen weiterentwickeln, wie etwa Georgos Vithoulkas; die kreativen Homöopathen, die nur Grundzüge übernehmen und darauf eigene Gedankengebäude errichten, um etwa Pflanzen zu behandeln oder um bestimmte Zeichen auf kranke Körper zu malen; und schließlich die pragmatischen Abweichler, die sich mit Elementen der wissenschaftsbasierten Medizin eine Art „Homöopathie light“ oder „Homöopathie-to-go“ zusammenbasteln und nur das verwenden, was ihnen plausibel oder zumindest vertretbar erscheint. Das Frappierende daran: Alle drei Gruppen, die mit ihren unterschiedlichen Produkten unter dem gemeinsamen Markennamen „Homöopathie“ auf Patientenfang gehen, berufen sich auf einzigartige Heilerfolge. Es scheint also unerheblich zu sein, was im Paket drin ist, Hauptsache, es steht „Homöopathie“ drauf.
Heroische Ärzte
Als Hahnemann vor 200 Jahren den Grundstein für die Homöopathie legte, war sein rigoroses Ablehnen medizinischer Maßnahmen nur zu verständlich. Es darf als sein größtes Verdienst angesehen werden, denn es war damals sicher ein wahrer Segen für unzählige Menschen. Dieses scheinbare Paradoxon, dass heute falsch sein soll, was damals richtig war, löst sich auf, wenn man die Zeitumstände bedenkt, unter denen Hahnemann lebte. Als er in den Jahren nach 1790 die Homöopathie entwickelte, war die Medizin auf einem aus heutiger Sicht schauderlich primitiven Stand. Sie war mehr von Mythen als von Fakten und mehr von den Dogmen der antiken Ärzte wie Galen als von nachprüfbaren Erkenntnissen geprägt.
Damals galt beispielsweise noch das Prinzip, dass organische Substanzen, die Bausteine des Lebens, grundsätzlich nicht künstlich hergestellt werden können, sondern dafür eine „Lebenskraft“ nötig sei. Dieses Prinzip wurde jedoch bereits 1828, also noch zu Lebzeiten Hahnemanns, von Friedrich Wöhler mit der Synthese von Harnstoff widerlegt. Wenn schon die unbelebte organische Chemie damals noch in den Kinderschuhen steckte, wie wenig wussten Hahnemann und seine Zeitgenossen dann von den ungleich komplexeren Vorgängen im lebendigen Menschen. Man kannte zwar den „Makrokosmos Mensch“ mit seinen Knochen, Muskeln, Sehnen und Blutgefäßen aus Anatomiestudien bis in erstaunliche Details, aber warum das Herz schlägt, wozu man atmet, wie man sehen, tasten und fühlen kann, wie der Mensch also funktioniert, war ein großes Rätsel. So wusste Hahnemann, als er seine Homöopathie begründete, noch nicht, dass Lebewesen aus Zellen bestehen, dass es Bakterien und Viren gibt, dass körperliche Merkmale vererbt werden können, dass das Immunsystem uns vor Krankheitserregern schützt und dass wir verschiedene Blutgruppen haben. Auch waren heute selbstverständliche Errungenschaften wie Röntgenstrahlen, Insulin, Narkosemittel, Penicillin und viele andere noch in weiter Ferne.
Doch nicht die Unwissenheit der damaligen Mediziner war das Problem, sondern die fehlende Einsicht in ihre Unwissenheit. Die Ärzte zeigten vielmehr ein von Medizinhistorikern „heroisch“ genanntes Draufgängertum: Sie ließen die Patienten bei jeder Gelegenheit zur Ader, zwangen sie zu Durchfällen, Schweißausbrüchen und Erbrechen, flößten ihnen Quecksilber und andere Gifte ein und brannten ihre Wunden aus. Solche Torturen im Namen Äskulaps überlebten nur die Robustesten.
Unwissend, aber überzeugt
Wie kam es zu diesem krassen Missverhältnis von Unwissenheit und Handlungseifer? Wie konnten die damaligen Ärzte ihre Patienten nur so martern? Die Antwort klingt banal, hat aber weitreichende Implikationen auch für die Medizin der Gegenwart: Die Mediziner waren überzeugt davon, das Richtige zu tun. Sie unternahmen in ihren Augen das Menschenmögliche, um ihren Patienten zu helfen. Je schlechter es den Kranken ging, desto intensiver – aus heutiger Sicht gewalttätiger – mussten folglich die Therapien sein.
Zweifel kamen offenbar den wenigsten. Warum auch? Erstens hielten sie sich an die Lehren der als unfehlbar geltenden Ärzte der Antike, zweitens taten sie das, was alle Kollegen taten, und drittens sahen sie ja immer wieder, dass ihre Behandlungen zum Erfolg führten: Wenn ein Patient die Torturen überlebte, werteten sie das als Beweis für die Nützlichkeit ihrer Therapie. Wenn er starb, war die Krankheit wohl doch so stark gewesen, dass selbst ihre Therapie nichts ausrichten konnte. Ihnen wäre vermutlich nie in den Sinn gekommen, dass es genau umgekehrt war: Dass die meisten Patienten überlebten, obwohl sie behandelt wurden, und dass sie starben, weil sie behandelt wurden. Der Historiker David Wootton bringt es auf den Punkt, wenn er sagt (Bad Medicine, Oxford University Press, 2006): „Seit 2400 Jahren glauben die Menschen, dass Ärzte ihnen Gutes tun. 2300 Jahre lang irrten sie sich.“
Die Überzeugung, das Richtige zu tun, war so stark, dass Gelegenheiten, innezuhalten und das eigene Tun grundsätzlich infrage zu stellen, immer wieder ungenutzt verstrichen. So entdeckte bereits im Jahr 1537 der junge französische Feldarzt Ambroise Paré durch ein Versehen, dass man Wunden nicht, wie es damals Stand der Kunst war, mit kochendem Öl ausbrennen, sondern besser nur mit einem kühlenden Umschlag verbinden sollte. Trotz dieser auch für ihn bestürzenden Erkenntnis war er ansonsten ein „aktiver“ Arzt. So riet er bei Zahnschmerzen, eine Knoblauchzehe in Asche zu erhitzen und so heiß wie möglich auf den wehen Zahn und ins Ohr zu legen sowie Urin zu trinken, der über Nacht in einer Barbierschüssel gestanden hatte. Auch ein Zeitgenosse Parés, der legendäre Arzt Paracelsus, warnte davor, Wunden auszubrennen, doch statt generell behutsamer vorzugehen, schwor er auf ein Einreiben der Wunde mit „Mumienbalsam“, einer Salbe aus Frauenmilch und Leichenteilen.
„Um es vorweg zu sagen: Das Buch zu lesen lohnt sich nicht nur für Pharmazeuten (...).“
„Dieses Buch ist ein Muss, für Ärzte, für Apotheker, für Politiker, für Eltern - eigentlich für jeden, der lesen kann.“
„Mit kritischem Blick von außen haben sie bemerkenswerte Details recherchiert - und zeichnen ein sehr unvorteilhaftes Bild.“
„Das ultimative populärwissenschaftliche Buch zur Homöopathie. Man sollte es jedem Menschen, der sich auch nur ein klein wenig für Homöopathie und die Kontroverse um diese paramedizinische Lehre interessiert, unter den Weihnachtsbaum legen.“
„Wer detailliert und trotzdem verständlich über Lug und Trug in der Homöopathie informiert werden will, ist bei Heißmann und Weymayr an der richtigen Adresse.“
Inhalt
Vorbemerkungen
1 Ohne Substanz:
Warum Homöopathie Hokuspokus ist
2 Sehnsucht nach dem Übernatürlichen:
Warum Patienten so gern an Homöopathie glauben
3 Sturm auf die Wissenschaft:
Wie sich Universitäten dem Mainstream beugen
4 Schamanen in Weiß:
Kügelchen gehören zum Alltag in der Arztpraxis
5 Die andere Pharmaindustrie:
Wie man mit Glauben Geld verdient
6 Im Reich der Pharmazie:
Fragen Sie Ihren Apotheker
7 Der Kniefall der Politik:
Die besonderen Therapierichtungen und die Folgen
8 Kassen mit homöopathischem Aushängeschild:
Wie sanfte Medizin im Wettbewerb hilft
9 Weichgespülte Medien:
Geschichten von Wundern und Heilern
10 Es lebe die Ratio:
3 × 10 Hilfestellungen
An die Autoren: Danke für dieses umfassende und gut recherchierte Buch. Es spricht mir als "Schulmediziner" sehr aus der Seele, da ich mich neben meiner Ausbildung auch viele Jahre mit komplementären Verfahren beschäftigt habe und trotz intensiver Bemühungen keine Zugang finden konnte. Ich habe viele ärztliche Kollegen kennengelernt, die erhebliche Defizite in ihren Fachkenntnissen hatten und als Ersatz z. B. Homöopahtika empfohlen haben (ebenso Elektroakupunktur, Kinesiologie etc). Was man der Homöopahtie entlehnen kann ist der "alte (psychologische) Hut(-Trick)" der Erstverschlechterung, der auch in der Schulmedizin hervorragend eingesetzt werden kann. Wenn diese Eintritt, hatte der Therapeut Recht, wenn nicht, ist er ein Held. Klassisches Win-win.
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