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Der Traum von Rosen und Kristall (Elenas Erbe 2)

Luanne G. Smith
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Roman

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Der Traum von Rosen und Kristall (Elenas Erbe 2) — Inhalt

Eine zauberhafte Geschichte voller mitreißender Gefühle und alter Geheimnisse

Paris, kurz nach der Jahrhundertwende: Seit Yvette Lenoir als kleines Kind in einer unscheinbaren Pension von ihrer Mutter verlassen wurde, sehnt sie sich danach, die Geheimnisse ihrer Herkunft zu ergründen. Doch das einzige Erinnerungsstück an ihre Mutter ist ein mysteriöses altes Buch. Yvette setzt auf die Hilfe ihrer Freundin Elena, der Eigentümerin des renommierten Weinguts Château Renard – denn diese scheint eine rätselhafte Verbindung zu Yvettes Mutter zu haben. Zwischen prachtvollen Weinreben und duftenden Rosenbüschen versuchen die Freundinnen, Yvettes Erbe auf die Spur zu kommen ...

Luanne G. Smith schreibt eindringlich und berührend über die Freundschaft zwischen drei außergewöhnlichen Frauen, über Liebe, Geheimnisse, Glück und Verrat.

€ 15,00 [D], € 15,50 [A]
Erschienen am 07.01.2022
Übersetzt von: Vanessa Lamatsch
352 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-70618-6
Download Cover
€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 03.01.2022
Übersetzt von: Vanessa Lamatsch
320 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99935-9
Download Cover

Leseprobe zu „Der Traum von Rosen und Kristall (Elenas Erbe 2)“

Prolog


Sie materialisierte sich aus dem Nebel, zu spät, um nicht mit dem rosafarbenen Fenster im dritten Stock zu kollidieren. Ihr rechter Flügel schlug gegen das Glas und hinterließ dort einen Abdruck in Form einer Feder, als sie hilflos auf das Sims darunter taumelte. Der kleine Vogel kämpfte mit Unsicherheit und grub die Krallen in den Stein. Das Spiegelbild eines überraschten Spatzen erschien im unteren Teil der Glasfläche. Zitternd ordnete sie ihre gesträubten Federn.

Ihr gefiedertes Ich konnte sich nicht an den Flug erinnern, hatte keine Vorstellung [...]

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Prolog


Sie materialisierte sich aus dem Nebel, zu spät, um nicht mit dem rosafarbenen Fenster im dritten Stock zu kollidieren. Ihr rechter Flügel schlug gegen das Glas und hinterließ dort einen Abdruck in Form einer Feder, als sie hilflos auf das Sims darunter taumelte. Der kleine Vogel kämpfte mit Unsicherheit und grub die Krallen in den Stein. Das Spiegelbild eines überraschten Spatzen erschien im unteren Teil der Glasfläche. Zitternd ordnete sie ihre gesträubten Federn.

Ihr gefiedertes Ich konnte sich nicht an den Flug erinnern, hatte keine Vorstellung davon, wieso sie gegen das Gebäude geknallt war. Oder wieso sie überhaupt Federn trug. Ein roter Seidenfaden hing von ihrem linken Bein und rief den Schatten einer Erinnerung hervor. Dieser Faden bedeutete etwas, so musste es sein; doch egal, wie sehr sie sich auch bemühte, seinen Sinn zu verstehen, die Bedeutung fand in ihrem Vogelhirn keinen Halt, blieb so flüchtig wie Nebel. Sie beging den Fehler, die Klarheit ihrer Gedanken erzwingen zu wollen, indem sie an der Schnur pickte, doch kaum sah sie den Fluss tief unter sich, setzte Schwindel ein. Panisch schlug sie mit den Flügeln.

Von einem Aufwind in die Luft gehoben, stieg sie unsicher höher, bevor sie auf einem schmalen Balkon mit steinerner Balustrade landete. Das war nicht die Richtung, die sie hatte einschlagen wollen, aber zumindest gab es hier genug Platz, um herumzuhüpfen, ohne von einem schmalen Sims zu fallen. Und die Aussicht! Von so hoch oben konnte sie die gesamte Stadt sehen. Aber welche Stadt? Sie hüpfte ein wenig weiter, spähte durch die gotischen Spitzbögen der Steinbalustrade, bis sie den schlanken Umriss eines Metallturms in der Ferne erkannte. Er streckte sich aufrecht zum Himmel, ragte über den niedrigen Formen der modernen Gebäude und steinernen Brücken auf. Ein gereckter Finger, der in die Zukunft zeigte. Die Stadtsilhouette war zu vertraut, zu sehr mit einem Gefühl der Gefahr behaftet. Sie sollte nicht hier sein. Sie wusste nicht, warum – und doch wiesen ihre Instinkte sie an, wegzufliegen, zu fliehen.

Sie breitete ihre Flügel aus, bereit, den Wind einzufangen und der Sicherheit entgegenzustreben, als weißer Rauch über die Terrasse waberte und ihre Nasenlöcher mit dem Geruch von verbrannten Zitronen füllte. Ihre Spatzenaugen tränten, und ihre Kehle wurde eng. Sie schlug mit den Flügeln, nur getrieben von Gedanken an Flucht, doch der rote Seidenfaden schloss sich fester um ihr Bein und hielt sie am Boden fest. Sicherlich würde sie ersticken – ein armer Vogel, der sich verflogen hatte –, weil die verschmutzte Luft der Stadt in diesem industriellen Zeitalter ihr den Atem raubte.

Der Rauch wurde dichter, der Geruch von Räucherwerk stärker. Ihr wurde so schwindelig, dass sie zur Seite kippte, überzeugt, jeden Moment an Sauerstoffmangel zu sterben. Ihre Lider flatterten, kurz davor, sich für immer zu schließen, als eine Frau mit dunklen Augen aus dem Rauch trat und sich über sie beugte.

„Du stirbst nicht, Yvette“, sagte die Dschinn, wobei sie ihre rot-goldene Kleidung zurechtrückte. „Steh auf.“

Die Dschinn stupste Yvettes Schwanzfedern mit der Spitze einer abgetragenen Sandale an, blies einen heißen Atemzug über ihren winzigen Kopf und sprach ein fremdes Wort voller harter Konsonanten. Ein warmer Westwind wirbelte den Spatz in einer Säule aus Rauch nach oben, unruhig wie die heiße Abluft eines Kamins, und ein Energiestoß riss das Vögelchen von den Beinen. Die Federn vergingen in Hitze, der Schnabel bildete sich zurück, die zweigdünnen Knochen wuchsen und wurden menschengroß und schwer. Schließlich materialisierte Yvette sich erneut als schlanke junge Frau, immer noch gekleidet in das schwarz-rote Harlekinkostüm, das sie getragen hatte, als sie so eilig aus dem Keller und vor les flics geflohen waren. Sie rieb sich die schmerzenden Arme, während ihr Geist sich mit all den Erinnerungen füllte, die zu groß gewesen waren für ihr winziges Vogelhirn. Und dann sah sie ihn wieder – den schmalen Turm, der in der Ferne gen Himmel strebte.

Yvette umklammerte mit beiden Händen die Balustrade. „Nein, nein, nein, nicht hier!“, sagte sie, als ihr Blick über die Weite der Stadt glitt, in der gerade die ersten Lichter zum Leben erwachten. „Sidra, du musst mich irgendwo anders hinbringen.“

Die Dschinn, aufgeschreckt von ihrer Reaktion, beugte sich über das Geländer … und auch ihre Miene verzog sich entsetzt, als sie den Turm entdeckte, den Fluss und die geschäftige Straße unter ihnen, gefüllt mit Automobilen, bicyclettes und Karren, die alle versuchten, sich einen Weg durch das Gedränge zu bahnen. Neben ihr musterte ein steinerner Gargoyle bedächtig die Aussicht. „Wir sind in der Stadt der tausend Lichter? Das habe ich nicht verfügt.“ Sie wandte sich an Yvette. „Was hast du getan? Dafür werde ich dich zu Asche zerfallen lassen, das schwöre ich!“

„Ich? Ich habe gar nichts getan. Du hast mich in einen Vogel verwandelt, schon vergessen? Du hättest mich damit umbringen können, du verrückte Wüstenhexe.“

Sidra starrte sie böse an, und Hass stieg in heißen Wellen von ihr auf. „Ich hätte dich fesseln und für die Behörden zurücklassen sollen. Hätte zulassen sollen, dass die Klinge dir diesen nutzlosen Kopf von den Schultern trennt. Dort, wo er jetzt sitzt, hat er offenbar keinen Nutzen.“

Die Dschinn schob ihre Ärmel nach oben, als bereite sie sich darauf vor, einen magischen Angriff zu starten. Yvette griff nach ihrer spitzen Haarnadel, die sie zur Selbstverteidigung immer in ihrem unordentlichen Dutt trug … doch sie war nicht da. Yvette wich zurück, den Finger warnend erhoben. „Denk nicht mal darüber nach, mich in irgendetwas anderes zu verwandeln.“

„Vermisst du etwas? Deine sterblichen Schmuckstücke könnten gegen mich sowieso nichts ausrichten. Wir sind nicht mehr im Gefängnis, Mädchen.“ Die Dschinn wedelte mit der Hand, und ein dünner Nebelfaden bildete sich in der Luft.

Yvette zuckte zusammen, in der Erwartung, von der Armbewegung vom Balkon und in eine Schlangengrube geschleudert zu werden … doch nichts geschah. Sie öffnete die Augen und entdeckte, dass Sidra die Hände schüttelte und ihre eigenen Finger anstarrte, als hätten ihre Gliedmaßen sie betrogen. „Nun, das ist interessant“, sagte Yvette, die Hände fest um die Balustrade geschlossen.

Doch sie wagte nicht, sich zu entspannen. Noch nicht. Dschinns waren hinterhältig. Gefährlich. Und diese hier war eine verurteilte Mörderin.

Yvette war mutiger gewesen, als sie und die Dschinn noch in der Maison de Chêne eingekerkert waren, dem Gefängnis für Hexen. Dort waren sie Gleichgestellte gewesen, beide ihrer Magie beraubt, während sie auf ihr Schicksal warteten. Doch hier, auf dieser Terrasse, vor der Dschinn, war Yvette hilfloser als je zuvor. Eine Stummelhexe, mit nicht mehr in ihrem Repertoire als ein paar Jahrmarkttricks.

Sidra hob ihre Robe, um zu kontrollieren, dass sie keine Schellen an den Knöcheln trug. Doch da war keine Kette, keine Beschränkung ihrer Magie. „Was hast du getan?“

„Hör auf, mir Vorwürfe zu machen. Vielleicht bist du einfach zu alt, um noch richtige Magie zu wirken.“

Sorgenfalten bildeten sich auf Sidras Stirn, als sie den Blick zum Turm richtete. „Ich hatte geschworen, niemals in diese stinkende Stadt zurückzukehren. Die Propheten mögen mich schützen, ich sollte nicht hier sein.“

„Dann hättest du uns vielleicht nicht hierher zaubern sollen.“

Die Dschinn fletschte knurrend die Zähne und enthüllte damit einen elfenbeinfarbenen Eckzahn, der mit Gold verziert war. „Ich bin nicht diejenige, die uns hierhergebracht hat.“

„Nun, wir sind nicht zufällig hier gelandet, oder?“

Sidra rückte ihr seidenes Halstuch zurecht und schüttelte klappernd die goldenen Armbänder an ihren Handgelenken, während sie darüber nachdachte. „Nein, sind wir nicht“, sagte sie und lehnte sich gegen die Balustrade, sodass ihr Profil vor dem des Gargoyle schwebte. Sie starrte über die Stadt hinweg und musterte mit ihren Augen, die wie schwarze Diamanten glitzerten, die Dächer unter sich.

Yvette, immer noch auf der Hut vor plötzlichen Bewegungen, fragte sich, was die Dschinn plante. Sidra konnte sie immer noch über das Geländer werfen … doch die ehrliche Verwirrung der Dschinn vermittelte ihr für den Moment ein Gefühl der Sicherheit.

Sidra schnalzte mit der Zunge, während sie laut nachdachte. „Du hast etwas in dein Herz geschmuggelt“, sagte sie, als wäre ihr ein Gedanke gekommen, der es wert war, verfolgt zu werden. „Etwas, was du mehr ersehnst als alles andere. Genau in dem Moment, in dem ich die Verwandlung eingeleitet habe. Der Wunsch muss sich mit der Magie verbunden haben. Das muss der Grund sein, warum wir hier sind.“ Sidra wirbelte zu ihr herum. „Du hast einen Wunsch gestohlen!“

„Habe ich nicht.“

„Hast du doch.“

„Oh, là, là, ist es jetzt schon ein Verbrechen, sich etwas zu wünschen?“

Die Dschinn wedelte mit dem Zeigefinger vor Yvettes Nase herum, dann stampfte sie mit wehender Robe ans andere Ende der Terrasse, wo sie den Arm über die Balustrade streckte und ein verlassenes Vogelnest aufhob, das auf einer Steinverzierung ruhte. Sie umfasste es zärtlich mit den Händen, die vorsichtige Geste begleitet von einem strengen Blick zu Yvette. „Jetzt werden wir sehen, wie viel dein Herzenswunsch wert ist.“

„Was hat ein Vogelnest damit zu tun?“

Sidra zog ihre Robe enger um sich und setzte sich im Schneidersitz auf die Terrasse. Sie hob erneut einen mahnenden Finger. „Setz dich und halt deinen frechen Mund.“

Yvette fürchtete eine Falle, doch ihr blieb keine andere Wahl. Selbst über die zwei Meter zwischen ihnen konnte sie den heißen Zorn der Wüstenhexe fühlen, der dafür sorgte, dass Yvette sich so klein und hilflos fühlte, wie sie es früher als Mädchen auf den Straßen unter ihnen gewesen war. Sie setzte sich vor die Dschinn und zog die Beine ebenfalls in den Schneidersitz.

Sidra hielt das Nest in einer Hand, dann blies sie sanft auf die trockenen Zweige und das Stroh, die mit Instinkt und Sorgfalt verwoben worden waren. Feine Daunen bewegten sich in der flachen Vertiefung, als das Nest Feuer fing. Die Flamme breitete sich aus, verzehrte aber weder das kleine Nest noch die Federn darin. Das Nest glühte orange, als das Feuer in einem Kreis über die Hand der Dschinn tanzte. Sidras Blick folgte dem flackernden Licht, als läse sie in einer Zeitung.

„Wie hast du das gemacht? Ich dachte, deine Magie wäre erloschen.“

„Sie ist nicht erloschen, nur gedämpft. Und jetzt still. Das Schicksal einer Person darf nicht von Geschwätz gestört werden. Nicht einmal das deine.“

Das Schicksal einer Person?

Sidra legte den Kopf schief und kniff die Augen zusammen, als mustere sie eine Vision. Was wollte sie damit sagen? Yvette kaute nervös am Daumennagel, während sie abwartete, ob die Dschinn nicht vielleicht doch plante, sie vom Gebäude zu werfen.

„Es ist, wie ich vermutet hatte“, sagte Sidra, als sie das Nest auf den Boden legte, unbeschädigt von der Flamme. „Es war dein Verlangen, das uns in diese Stadt voller Ungläubiger gebracht hat.“

Yvette schüttelte den Kopf. „Das habe ich nicht getan. Ich schwöre es!“

„Das Feuer lügt nicht.“ Sidra stand auf und nickte Yvette zu. „Hoch mit dir.“

„Warum? Was willst du tun?“ Eilig sah Yvette sich nach einer Tür um. Es musste doch einen Fluchtweg geben!

„Steh auf, Mädchen. Ich muss dir etwas geben.“ Die Dschinn griff zwischen die Falten ihrer Robe und zog eine Parfümflasche aus grünem Glas heraus, verziert mit einem goldenen Blattmuster, mit einem Verschluss in Form eines winzigen Glasvogels. Auserlesen. Ein Gegenstand, wie man ihn in den Bourgeoisie-Läden an der Rue de Valeur fand. Sidra legte den Flakon in Yvettes linke Hand.

„Was habe ich getan, um das zu verdienen?“

Sidra schnaubte abfällig. „Nichts. Und das ist kein Geschenk. Aber du hast einen Wunsch gestohlen, also musst du jetzt etwas für mich tun.“

Wie du mir, so ich dir. Bei der Dschinn ging es immer darum. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht …“

„Leugne es nicht. Dein Herz strebte in diese Richtung, als wir entkommen sind, und nun hast du auch mich in diese dreckigen Straßen gezerrt.“

„Ich weiß einfach nicht, warum du das ständig behauptest. Du bist eine Dschinn, um Himmels willen! Simsalabim dich doch weg, wenn es dir hier nicht gefällt.“

Sidra trat einen Schritt vor, die Hände zu Fäusten geballt. „Du weißt nichts über die Regeln der Magie.“

„Nein, aber ich weiß, was das hier wert ist“, meinte Yvette und hob den Flakon auf eine Weise, die andeutete, dass sie ihn auch fallen lassen konnte, wenn Sidra nicht zurückwich.

„Stell mich nicht auf die Probe, sharmoota! Dieser Flakon ist zehntausend deiner schmutzigen Herzenswünsche wert.“

Yvette warf das Fläschchen so in die Luft, dass es sich einmal um die Längsachse drehte, bevor sie es geschickt mit der rechten Hand auffing. „Warum gibst du ihn mir dann?“

Die Dschinn hob verängstigt die Hand. „Mir fehlt die Zeit für Erklärungen, aber aufgrund deines leichtsinnigen Wunsches bin ich jetzt innerhalb der Stadtgrenzen gebunden. Ich kann nicht weg. Und du auch nicht.“

„Ich kann sofort hier verschwinden, wenn ich will.“

„Nein, Mädchen, kannst du nicht. Das, was du dir mit jeder Faser deines Herzens gewünscht hast, ist hier. Und bis du es gefunden und deinen Wunsch erfüllt hast, kannst du nicht weg.“ Ein Schauder überlief Sidras Körper – und das hatte Yvette noch nie zuvor gesehen. „In der Zwischenzeit darf dieser Flakon nicht in meinem Besitz gefunden werden“, fuhr sie fort. „Nicht, während meine Kräfte beschränkt sind.“

„Also soll ich ihn für dich aufbewahren?“ Normalerweise hätte Yvette die mürrische Wüstenhexe gerne weiter aufgezogen, doch diesmal erkannte sie etwas Neues in Sidras Augen: einen Anflug von Verzweiflung. Sogar von Angst. Mitgefühl erwachte in Yvette zum Leben, tief unter der toughen Fassade, die sie in ihren Jahren auf der Straße um sich errichtet hatte. Sie wusste, wie es sich anfühlte, jemandem etwas Wertvolles anzubieten … nur um zu erleben, wie es durch Mangel an Sorgfalt zerbrach.

Yvette schloss die Finger um den Flakon und schob ihn in ihr Kostüm. „Ich nehme an, ich schulde dir etwas für deine Hilfe bei der Flucht. Ich werde ihn sicher aufbewahren, wenn es das ist, was du möchtest.“

Sidra nickte entschlossen, ihre Erleichterung war offensichtlich. Die Dschinn schien die Angelegenheit damit als erledigt zu betrachten, als wäre eine Schuld beglichen worden. Sie trat neben den hörnerbewehrten Gargoyle und sah über die Stadt hinweg, bevor sie auf einen Hügel am anderen Ende der Stadt zeigte, auf dem sich ein gewölbtes Dach noch höher in den Himmel erhob. „Du bist nicht zu spät. Die Person, nach der du Ausschau hältst, ist noch dort.“

Furcht überschwemmte Yvette. Sie wusste nicht, welchen Traum die Dschinn in den Flammen gesehen hatte, doch zu beobachten, wie sie vollkommen korrekt das Viertel auf dem Hügel auswählte, in dem Yvette geboren worden war, verriet ihr, dass die magische Vision in Wahrheit verwurzelt war. Oder zumindest kam sie der Wahrheit so nah, wie es eben möglich war. Zum Teil verstand Yvette, warum sie zurück in die Stadt geweht worden war. Vielleicht hatte sie sich tief in ihrem Herzen tatsächlich eine Rückkehr gewünscht. Bevor Sidra sie in einen Spatz verwandelt hatte, hatte Yvette echte Magie gesehen, gewirkt von einer echten Hexe – und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie sich genau das für sich selbst gewünscht. Magie lag ihr im Blut, so war es immer gewesen. Sie kribbelte auf der Haut an ihren Fingerspitzen, in ihren Haarwurzeln und glitt über ihre Wirbelsäule. Und doch hatte sie bei jeglichen Zaubern immer nur versagt. Es hatte nie jemanden gegeben, der ihr gezeigt hätte, wie man sie richtig wirkte, oder der ihr beigebracht hätte, wie sie diese rastlose Energie kanalisieren konnte, die scheinbar durch ihre Adern floss. Es hatte niemanden gekümmert.

Doch jetzt, nachdem sie gesehen hatte, wie eine Weinhexe ihre Magie ausübte – und erfahren hatte, was alles möglich war –, sehnte Yvette sich mehr nach dieser Macht als jemals zuvor. Das war der Gedanke, der gerade tief in ihrem Herzen gebrannt hatte, als der Zauber der Dschinn sie umschlossen hatte.

Yvette lehnte sich über das Geländer und musterte die Stadt, in der Straßenlaternen vor einem purpurfarbenen Himmel glitzerten. Der Anblick schenkte ihr den Mut zu einem Geständnis. „Ich will lernen, selbst Magie zu wirken, das ist alles. Ich möchte wissen, welche Art von Hexe ich hätte werden können, bevor alles in die Binsen gegangen ist und ich im Gefängnis gelandet bin.“

Ihr gegenüber streckte ein dicker Gargoyle seine Zunge heraus und ließ den Kopf in die Hände sinken.

„Und deswegen, Mädchen, habe ich entschieden, dich nicht zu töten.“ Die Dschinn musterte Yvette aus dem Augenwinkel, als erwarte sie einen Temperamentsausbruch … um zu lächeln, als nichts geschah. „Es gibt keine wichtigere Reise als die, mit der man seinem Schicksal folgt“, sagte sie mit sanfter Stimme, vielleicht in Erinnerung an ihre eigenen Umstände. „Selbst wenn sich dieses Schicksal an diesem stinkenden Ort verbirgt.“

„Es ist drei Jahre her“, sagte Yvette, als sie schließlich den Blick doch auf die Kathedrale mit der weißen Kuppel auf dem entfernten Hügel richtete.

„Ein Wimpernschlag nach dem anderen.“

„Gewöhnlich kocht in dem kleinen Café oben auf dem Hügel immer irgendeine Suppe auf dem Herd, falls du hungrig bist. Also, für den Fall, dass du mich begleiten willst.“

Die Dschinn schüttelte den Kopf und deutete mit dem Kinn in die entgegengesetzte Richtung, zum südlichen Ufer des Flusses. „Mein Pfad führt mich in diese Richtung. In dieses Labyrinth aus schmalen Gassen, in denen ich verschwinden kann.“

„Und das war’s dann? Wir landen zusammen in der Stadt, und dann trennen wir uns? Wie soll ich dir den Flakon zurückgeben?“

Sidra hob das Tuch um ihren Hals, sodass es ihren Kopf bedeckte. „Das Schicksal hat uns aneinandergekettet, aus welchem Grund auch immer. Wir werden uns wiederfinden, daran zweifele ich keinen Moment. Bis dahin pass auf den Flakon auf, oder ich werde dich und deine Kinder und Kindeskinder verfluchen, in einer ewigen, brennenden Hölle zu leben, als ob Tausende Feuerameisen sich an deinem Hirn gütlich tun.“

„Ehrlich, ich verstehe einfach nicht, wieso du nicht mehr Freunde besitzt.“

Sidra zeigte ihre Zähne – halb Lächeln, halb Grimasse –, dann stieg sie auf die Balustrade und verwandelte sich in eine Rauchwolke, die über den Kopf eines schmollenden Gargoyles hinweg verschwand. Yvette blieb allein zurück, um sich zu überlegen, wie sie von dieser Terrasse herunterkommen sollte.




1


Elena und Jean-Paul kamen mit dem Nachmittagszug in die Stadt. Sie nahmen sich nur kurz die Zeit, um ihr Gepäck vorauszuschicken, bevor sie eines der jetzt so häufigen, motorisierten Taxis heranwinkten. Sie waren unterwegs zu einem Platz mit alten Gebäuden am südlichen Ende der Nordbrücke, zu einer Vorladung des Ministeriums für Abstammung und Lizenzen. Die Adresse, die in kühnem Druck auf dem Kopf des Telegramms prangte, erklärte deutlich, dass Elena in der Rue de Courbé 333 vorsprechen sollte. Nachdem sie die Hausnummer noch einmal kontrolliert hatte, schob sie die Vorladung zurück in ihre Tasche und versuchte, ihre Nervosität hinter einem angestrengt selbstbewussten Lächeln zu verbergen.

„Bist du dir sicher, dass dies der richtige Ort ist?“ Jean-Paul sah die Straße auf und ab, als hätten sie sich geirrt. Er rüttelte an der Tür, nur um festzustellen, dass sie verschlossen war.

Elena vermutete, dass die einfache, blaue Tür in einer Nische am Beginn der schmalen Gasse für menschliche Augen recht unscheinbar wirkte. Es gab keinen Namen auf dem Türschild, keinen freundlichen Blumentopf neben den Stufen und … na ja, keinerlei Hinweise darauf, dass diese Tür mehr war als ein selten benutzter Dienstboteneingang. Und doch strahlte von ihr die Aura offizieller Hexenangelegenheiten aus – ein unterschwelliges Summen, das von Dokumenten sprach, die auf der anderen Seite parapsychologisch in Augenschein genommen und unterzeichnet wurden. Sie konnte quasi das Murmeln in Tinte niedergelegter Beschwörungen hören.

„Ich bin mir sicher“, sagte sie und drückte die Klinke, ohne den geringsten Widerstand zu spüren.

Jean-Paul nahm seinen grauen Homburg ab und folgte Elena in den offiziellen Empfangsbereich des Ministeriums für Abstammung und Lizenzen. Er war oft gezwungen, in Bezug auf die Welt der Magie Elenas Instinkten zu vertrauen. Und in der kurzen Zeit ihrer Beziehung hatte er gelernt, das zu akzeptieren. Seine Bereitschaft, sein Herz und seinen Geist einer Welt zu öffnen, die für ihn überwiegend unsichtbar war, gehörte zu den vielen Dingen, die Elena an Jean-Paul bewunderte. Die Lobby roch nach Bürokratie – viele Lagen davon, die sich über Jahre durch eine beiläufige Missachtung von Logik und Praktikabilität aufgebaut hatten, doch unterlegt von dem durchaus nicht unangenehmen Aroma von frischem Café au Lait, das aus einem nahe gelegenen Büro drang. In den Eingangskörben sortierten sich Papiere von selbst. Verzauberte Schreibmaschinen füllten Formulare aus und spuckten sie dann auf Stapel, um sortiert und verschickt zu werden. Und an der hinteren Wand saßen Tauben auf einer Stange, in Erwartung von Nachrichten, die innerhalb der Stadtgrenzen ausgeliefert werden sollten. Jedes Mal, wenn ein Vogel seine Federn ausschüttelte, wirbelten Daunen in die Luft und legten sich auf das Porträt des Premierministers, das über der Stange hing. Elena bemühte sich sehr, die muffige Büroluft nicht zu tief einzuatmen, um zu verhindern, dass der Geruch ihre Lunge übernahm und eine dauerhafte Apathie in ihr auslöste … wie sie der Beamte ausstrahlte, der sie mit glasigen Augen hinter einer Halbmondbrille begrüßte.

„Mademoiselle Boureanu ist hier, um Minister Durant zu treffen“, verkündete Jean-Paul in seinem besten Anwaltstonfall.

Der Gentleman senkte den Blick und grub sich durch einen Stapel von Formularen auf seinem Tisch. „Ah ja. Der Fall der Doppellizensierung. Hier entlang“, sagte er, nachdem er einen Stapel geblichen Dünndruckpapiers an sich genommen hatte. Die Dokumente schienen in altmodischer Kalligrafie von Hand geschrieben zu sein, anders als die getippten Papiere, die sich hinter dem Beamten auf Schreibtischen auftürmten.

Elena und Jean-Paul folgten dem Brille tragenden Mann durch eine Schwingtür aus Mahagoni zu einem privaten Büro am Ende des Flurs. Der Beamte klopfte drei Mal, bevor er die Tür öffnete und sie in den Raum führte. Er legte die Dokumente auf den riesigen Schreibtisch neben den Neuantrag, der dort bereits ruhte, dann zog er sich zurück. Das Paar blieb zurück, um auf den zwei harten Holzstühlen zu warten.

Keine Minute später trat ein schlanker Gentleman in einem malvenfarbenen Gehrock mit passender Fliege ein und schüttelte Jean-Paul die Hand, bevor er Elena kurz zunickte. „Mademoiselle, ich weiß zu schätzen, dass Sie so kurzfristig in die Stadt gekommen sind.“ Minister Durant setzte sich hinter seinen ausladenden Schreibtisch und trommelte mit den Fingern einen seltsamen Rhythmus aufs Holz, als wirke er einen wortlosen Rhythmuszauber. Der unterschwellige Geruch von Tinte erfüllte die Luft. Elena beobachtete, wie der Minister einmal tief einatmete, bevor er eine Schublade aufzog, um einen Füller und ein Vergrößerungsglas herauszuziehen.

„Natürlich folgt Mademoiselle Boureanu der Anordnung des Gerichts“, sagte Jean-Paul und wischte einen kleinen Kohlefleck von der Zugfahrt von seinem Hut.

„Ganz recht.“ Durant ließ den Blick über das Dünndruckpapier gleiten. Gleichzeitig rieb er die Finger aneinander, wie Grand-Mère es so oft getan hatte – als wolle er die Luft auf die statische Elektrizität eines Zaubers testen. Doch bei Minister Durant konnte es auch nur ein arbeitsbezogener Tick sein – die Auswirkung davon, dass er sich täglich mit Tinte und Papier auseinandersetzen musste. Er zog den neuer wirkenden Antrag von der Tischecke und schien ihn mit den älteren Papieren zu vergleichen, die der Beamte mitgebracht hatte. „Hier steht, Mademoiselle, dass Sie den Antrag gestellt haben, als venefica registriert zu werden, in Übereinstimmung mit dem Urteil des Strafgerichts vor einem Monat.“

Elena nickte, als Durant sie ansah. Er kaute auf der Unterlippe und zog eine Augenbraue hoch, dann richtete er den Blick wieder auf die Dokumente auf dem Schreibtisch und runzelte die Stirn, als wäre er verwirrt.

„Und doch sind Sie bereits als Weinhexe des Chanceaux-Tals registriert. Ist das korrekt?“ Er hob eine Ecke des neueren Dokuments, um klarzustellen, aus welcher Quelle seine Information stammte. Das offizielle Siegel – Liberté, die ihre Krone mit sieben Sternen trug – prangte auf der unteren Ecke des Blattes.

„So ist es“, bot Jean-Paul an. „Wir produzieren Wein auf dem Weingut Renard. Sie ist die ansässige Weinhexe. Und meine Verlobte“, fügte er hinzu.

„Ja“, kommentierte Durant in ziemlich missbilligendem Tonfall. Er rieb erneut die Finger aneinander, während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte. „Nun … von dieser Neuigkeit mal abgesehen kann ich Ihnen sagen, dass wir uns in diesem Büro normalerweise mit Hexen aus der Provinz auseinandersetzen, die sich bisher noch nicht der Registrierungspflicht unterworfen haben, die sich aus dem Pakt von 1745 ergibt, oder die von einer Kunst zur anderen wechseln wollen. Zum Beispiel war früher in dieser Woche ein Herr hier, der das Gefühl hatte, dass er besser für die Arbeit mit Elektrizität geeignet ist als für den Umgang mit Feuer. Kein Problem in diesen modernen Zeiten. Wir haben einfach seine Registrierung an die Veränderung angepasst und werden ihn weiterhin auf Missbrauch von Magie überwachen.“ Der Minister trommelte erneut mit den Fingern auf den Schreibtisch, einen dreiteiligen Rhythmus, den er dreimal wiederholte. „Doch so, wie ich Ihren Antrag verstehe, möchten Sie Ihren Status als Weinhexe behalten und sich zusätzlich als venefica eintragen lassen, richtig?“

„Ja. Sie müssen verstehen, ich wurde als Kind adoptiert und von meinen Mentoren zur Weinhexe ausgebildet. Meine Eltern …“ Elena zögerte, da sich ihr Herz verkrampfte, weil sie Grand-Mère und Grand-Père nicht als ihre Eltern anerkennen durfte. „Mir war immer erzählt worden, dass Raul und Esmé Boureanu ländliche Heckenhexen waren, die Heil- und Stärkungsmittel aus ihrem Karren heraus verkauften. Erst vor Kurzem habe ich die Wahrheit über die Abstammung meiner Eltern erfahren.“

Durant blätterte durch die dünnen, gelblichen Dokumente. „Das Problem liegt allerdings darin, dass … ah … hier ist es.“ Er zog ein Blatt aus dem Stapel und drehte es, sodass Elena und Jean-Paul es lesen konnten. „Ihre Eltern wurden für die Vergiftung von drei Sterblichen verurteilt und gehängt. Wegen dieser Todesfälle hat das Gericht in seiner einzigartigen Weisheit festgelegt, dass Sie sich als venefica registrieren und sich als solche eine gewisse Zeit lang einer Beobachtung unterwerfen müssen, bis der Magistrat überzeugt ist, dass Sie keine Gefährdung darstellen.“

„Deswegen sind wir hier.“ Jean-Paul rutschte auf seinem Stuhl nach vorne, als rechne er mit Problemen.

„Natürlich. Aber sicherlich kann sogar ein Sterblicher wie Sie verstehen, dass die eine Kunst im Konflikt mit der anderen steht. Jemand, der weiterhin in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie arbeiten will, darf nicht gleichzeitig mit Giften in Verbindung gebracht werden. Das wäre katastrophal.“

Elena spürte einen Stich, als sie die Namen ihrer Eltern mit dem Zusatz „hingerichtet“ dahinter sah. „Ich verstehe nicht. Was genau wollen Sie damit sagen?“

„Ich entschuldige mich dafür, dass ich mich in meinem Telegramm nicht so deutlich ausgedrückt habe, wie es nötig gewesen wäre. Ich habe Sie hierhergebeten, um Sie darüber zu informieren, dass wir Ihre Registrierung als Weinhexe einziehen müssen, solange Sie auch als auf Gifte spezialisierte Trankhexe registriert sein wollen.“

„Aber das bin ich nicht!“ Doch gleichzeitig mit der Leugnung musste Elena Schuldgefühle unterdrücken, weil sie wusste, dass sie erst vor Kurzem noch geplant hatte, jemanden aus Rache zu vergiften. Und dass das Gift, das sie für diese Rache gemischt hatte, gegen ihren Willen den Tod von zwei Personen verschuldet hatte.

„Das Gericht behauptet etwas anderes, Mademoiselle.“ Durant drehte den Siegelring an seinem Finger, der ein grobes Pentagramm mit einem Motto zeigte, das zu klein geschrieben war, als dass Elena die Worte hätte lesen können. Doch sie ahnte, was dort stand. „Ich verstehe, dass Sie Ihre Tätigkeit als Weinhexe als Ihre Berufung betrachten und sehr gut in dem sind, was Sie tun; doch hier geht es um die öffentliche Sicherheit. Diejenigen, die Ihren Wein kaufen, müssen sich sicher sein können, dass das Produkt ohne schädliche Wirkung getrunken werden kann. Um es unverblümt zu sagen: Sie können Ihren Wein nicht unbesorgt trinken, wenn Sie gleichzeitig auch als venefica registriert sind. Eine Registrierung, auf die das Gericht allerdings besteht.“

Jean-Paul rieb sich das Kinn, während er diese Nachricht verarbeitete. „Er hat recht. Wenn unsere Käufer das erfahren, wären wir ruiniert.“ Er wich Elenas Blick einen Moment lang aus, dann ergriff er ihre Hand. „Doch es muss eine Lösung innerhalb des Gesetzrahmens des Paktes geben. Elena ist keine Giftmischerin. Es waren ihre Eltern, die verurteilt wurden, nicht sie.“

„Vergeben Sie mir, Monsieur, aber Sie sind ein sterblicher Anwalt, richtig?“

Jean-Paul nickte langsam, fast defensiv. Er hatte die abfällige Betonung des Wortes „sterblich“ durchaus gehört. „Das Hexenrecht ist so viel komplizierter als die Regeln, an die Sterbliche sich halten müssen. Auch wenn das für Sie wahrscheinlich wenig Sinn ergibt, werden unsere Gesetze oft aufgrund von Instinkt und Intuition festgelegt. Aufgrund von uralten Regeln, die sich in Jahrhunderten der praktischen Anwendung entwickelt haben.“

„Ich bin mit den Hexengesetzen durchaus vertraut. Ich habe den Pakt von 1745 gelesen. Die Abtei in unserem Dorf besaß glücklicherweise eine Ausgabe.“

„Non, Monsieur, ich fürchte, das dürfte der Landkodex für Hexen gewesen sein.“ Der Mann zog ein dickes, ledergebundenes Buch von der Größe eines kleinen Reisekoffers aus der Kredenz hinter sich. „Die Abhandlung über den Hexenkodex, die für das gesamte Land und seine übernatürlichen Einwohner gilt, ist viel komplizierter und weitreichender. Zum Beispiel gibt es darin ein hundertseitiges Kapitel über die Regeln zum Giftgebrauch innerhalb der Stadtgrenzen. Nach der Panik von 1647 hat die örtliche Gendarmerie darauf bestanden, dass die Parameter der Intention definiert werden. Motiv und Absicht sind nur ein Teil der Definition eines Verbrechens. Unter gewissen Umständen ist für jemanden mit der Abstammung von Mademoiselle Boureanu schon der Besitz der richtigen Zutaten ein Verbrechen. Aus diesem Grund fürchte ich, dass ich verbieten muss, dass sie auf dem Weingut lebt und arbeitet, bis ein Gericht ihre Rückkehr für unbedenklich erklärt.“

„Ich kann nicht nach Hause zurückkehren? Aber das ist lächerlich. Das ist nicht einmal zumutbar. Sie werden unsere Lebensgrundlage zerstören, wenn ich nicht zurückkehren kann. Außerdem wollen wir bald heiraten.“

Angst breitete sich in Elenas Adern aus, als die Wahrheit ihrer Vergangenheit und die Unsicherheit ihrer Zukunft Besitz von ihr ergriffen. Das Weingut, Château Renard, sie und Jean-Paul – all das könnte zerstört werden wegen der Lügen, die man ihr als Kind erzählt hatte. Die Schuld ihrer Eltern legte sich so sicher um ihre Handgelenke wie eine vom Bureau zur Regelung des Paktes geschmiedete Fessel.

„Hier muss ein Irrtum vorliegen.“ Sie richtete sich höher auf, mit so viel Kampfeslust in der Haltung, wie sie vor dem Minister für vertretbar hielt. „Sicherlich muss es einen Weg geben, wie ich meine Arbeit auf dem Weingut fortführen kann, während das alles geklärt wird.“

Durant blinzelte, den Mund selbstgefällig verzogen, als hätte er genau mit dieser Reaktion gerechnet. Er trommelte erneut mit den Fingern diesen seltsamen Rhythmus aufs Holz. „Es gäbe eine Bedingung, die es mir vielleicht erlaubt, die Regeln in diesem Fall ein wenig zu beugen.“

„Nennen Sie sie mir bitte.“

Der Minister griff in seinen Schreibtisch und zog eine silberne Haarnadel heraus, deren Spitze geschärft worden war, bis sie einem Stilett glich. Dieselbe Haarnadel, mit der eine gewisse junge Frau Elena im Gefängnis bedroht hatte, bis sie zusammen entkommen waren und eine Gemeinsamkeit darin gefunden hatten, dass sie beide Hexen waren, die ihre Mütter nie kennengelernt hatten. Als Elena klar wurde, was dieses Instrument in der Hand des Ministers bedeutete, lief ihr ein Schauder über den Rücken.

„Mademoiselle, ich sehe an Ihrer Miene, dass Sie diese recht grobe Waffe als Besitz von Yvette Lenoir erkennen. Es interessiert Sie vielleicht, dass die Nadel in dem Weinkeller gefunden wurde, in dem Sie meinen Informationen nach das letzte Mal verhaftet wurden.“

Bevor sie antworten konnte, legte Jean-Paul ihr mahnend eine Hand auf den Arm und fragte: „Was genau möchten Sie, Minister?“

„Sterbliche. Immer so eifrig darauf bedacht, zum Punkt zu kommen. Nun gut.“ Durant lehnte sich vor und legte die Fingerspitzen aneinander. „Kurz gesagt, Mademoiselle, mir wurde die Autorität verliehen, die Aberkennung Ihres Titels als Weinhexe im Austausch gegen gewisse Informationen auszusetzen.“

„Welche Informationen?“

„Sie müssen uns alles sagen, was Sie über den Aufenthaltsort von Mademoiselle Lenoir wissen. Es ist bekannt, dass das Mädchen sich kurz vor Ihrer erneuten Verhaftung in Ihrer Gegenwart befand … daher scheint wenig glaubhaft, dass Sie keinen Anteil an ihrer Flucht hatten.“

Elena starrte ihn mit offenem Mund an. „Aber ich habe wirklich keine Ahnung, wo Yvette sich aufhält. Ich habe bereits Inspektor Chardon mitgeteilt, dass ich nicht weiß, was nach ihrem Verschwinden mit ihr geschehen ist.“

„Sie können Elena nicht für die Inkompetenz des Rechtswesens verantwortlich machen“, beharrte Jean-Paul. „Das ist Nötigung. Das Gesetz ist bereit, ihr den Lebensunterhalt zu rauben, nur weil seine Vertreter nicht tatkräftig genug waren, um die junge Frau zu ergreifen, als die Chance dazu bestand.“

„Eine junge Hexe, Monsieur. Und dürfte ich Sie daran erinnern, dass sie eine Mörderin ist, die sich nach vielen Wochen der Flucht sowohl als gefährlich als auch als schwer fassbar erwiesen hat? Wenn Ihre Verlobte irgendetwas über den aktuellen Aufenthaltsort dieser jungen Frau weiß, würde ich vorschlagen, dass sie diese Informationen sofort enthüllt … weil das Gesetz sonst keine andere Wahl hat, als ihr für immer den Status als Weinhexe zu verwehren.“

Die Klammern in Elenas Haaren stachen, ihre Schuhe kniffen, und ihr Korsett schien ihre Rippen zu stauchen. Sie stand auf, weil diese unangenehme Nachricht ihr ein weiteres Sitzen unmöglich machte. „Wie soll ich Ihnen etwas sagen, was ich nicht weiß?“

„Diese Last ist die Ihrige, Mademoiselle. Ich würde vorschlagen, dass Sie Ihre besonderen Talente einsetzen, um Mademoiselle Lenoir zu finden, wenn Sie in Ihrer vorherigen Stellung auf Ihr Weingut zurückkehren wollen. In der Zwischenzeit: Hier ist meine Visitenkarte. Schicken Sie mir eine Taube … oder ein Telegramm, wenn Sie die menschliche Kommunikation bevorzugen“, sagte der Minister mit einem Blick zu Jean-Paul. „Wenn Sie bereit sind zu reden, werden wir ihren Status wiederherstellen.“

„Das Gesetz ist ein Esel“, sagte sie.

„Zu Ihrem großen Bedauern gilt dies für das Gesetz tatsächlich sehr oft“, antwortete Durant, dann griff er nach einem Stempel, drückte ihn auf ein Tintenkissen und stempelte ihre Registration als Weinhexe als ANNULLIERT.

Luanne G. Smith

Über Luanne G. Smith

Biografie

Luanne G. Smith ist Bestsellerautorin und lebt in Colorado am Rande der schönen Rocky Mountains. Sie verbringt ihre Zeit am liebsten mit Lesen, Gärtnern und Wandern und lässt sich gerne von der Magie in den Kleinigkeiten ihres Alltags verzaubern. „Der Zauber von Wein und Lavendel“ ist ihr erster...

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