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Der italienische Geliebte

Der italienische Geliebte

Judith Lennox
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Roman

Ihre Romane machen süchtig. - Frau im Spiegel

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Der italienische Geliebte — Inhalt

Italien in den frühen 1930ern: In der Villa Millefiore bei Fiesole erleben die englischen Schwestern Tessa und Freddie Nicolson eine ungetrübte Jugend. Nach dem unsteten Künstlerdasein und dem frühen Tod des Vaters hat die Mutter mit ihren beiden Töchtern hier eine Heimat gefunden - und in der gut situierten Familie Zanetti enge Freunde. Als die 17-jährige Tessa sich zum ersten Mal verliebt und eine leidenschaftliche Beziehung mit Guido Zanetti eingeht, werden die Mädchen nach England ins Internat geschickt. Jahre vergehen, in denen die beiden Frauen ihren Weg machen: Freddie fasst als Redakteurin bei einer Zeitschrift in London Fuß, die anziehend schöne Tessa kann sich als Mannequin ein ausgelasseneres Leben leisten. Anders als ihre Schwester weiß Tessa, dass sie eines Tages nach Italien zurückkehren will. Sie scheut sich jahrelang vor einer festen Bindung und droht darüber alles zu verlieren, was sie liebt. Als Italien sich im Zweiten Weltkrieg Deutschland anschließt, wird Tessas lange erträumte Rückkehr zu einem gefährlichen Unterfangen. Und auch Freddie begräbt ihre Sehnsüchte viel zu lang …

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 10.01.2011
Übersetzt von: Mechtild Ciletti
560 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-95036-7
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Leseprobe zu „Der italienische Geliebte“

Für Luke und Ethan:
willkommen im Leben

Prolog

Sommer in der Villa Millefiore

1933

EIGENTLICH SOLLTEN SIE RUHEN. Mama und Mrs. Hamilton waren der Meinung, es sei gesund, sich nach dem Mittagessen hinzulegen. Tessa hielt es für reine Zeitverschwendung. Sie nahm ihren Strohhut und ging hinaus.
Die Villa Millefiore war zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts erbaut worden. Der Verputz auf ihren Mauern war zu einem weichen Ocker verblasst; hinten überrankten Glyzinien und wilder Wein die Hauswand. Im Vestibül mit dem Marmorboden war es selbst an den heißesten [...]

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Für Luke und Ethan:
willkommen im Leben

Prolog

Sommer in der Villa Millefiore

1933

EIGENTLICH SOLLTEN SIE RUHEN. Mama und Mrs. Hamilton waren der Meinung, es sei gesund, sich nach dem Mittagessen hinzulegen. Tessa hielt es für reine Zeitverschwendung. Sie nahm ihren Strohhut und ging hinaus.
Die Villa Millefiore war zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts erbaut worden. Der Verputz auf ihren Mauern war zu einem weichen Ocker verblasst; hinten überrankten Glyzinien und wilder Wein die Hauswand. Im Vestibül mit dem Marmorboden war es selbst an den heißesten Tagen dunkel und kühl. Seine Türen standen im Sommer stets offen, damit die Luft zirkulieren konnte.
Tessa war siebzehn. Sie lebte mit ihrer Mutter Christina und ihrer zwölfjährigen Schwester Frederica seit vier Jahren in der Villa, seit dem Tod ihres Vaters, Gerald Nicolson. Nie hatten sie länger an einem Ort gewohnt. Gerald Nicolson war Künstler gewesen, Maler, und seine ewige Jagd nach Anerkennung und Erfolg hatte die Familie von Ort zu Ort getrieben. Nach seinem Tod hatte Mrs. Hamilton ihre wesentlich jüngere Freundin Christina mit ihren Töchtern zu sich in die Villa eingeladen. Und irgendwie waren sie geblieben. Bei ihrer Ankunft fanden Tessa und Freddie die massigen dunklen Schränke, die kleinen vergitterten Fenster und die Schreie der Eulen aus dem nahe gelegenen Wald so gruselig, dass sie sich für ein gemeinsames Zimmer entschieden.
Mrs. Hamilton war Engländerin und mittlerweile gut über sechzig. Es wurde gemunkelt, dass ihr Mann England nach einem Fehltritt mit einem gut aussehenden Kammerdiener verlassen musste. Die Ehe der Hamiltons war eine sogenannte weiße Ehe gewesen, einzig geschlossen, um den Schein zu wahren, und das Paar hatte keine Kinder. Nach dem Tod ihres Mannes war Mrs. Hamilton in der riesigen, weitläufigen Villa an einem Hügelhang mit Blick auf Fiesole geblieben und gab Lunchgesellschaften für die in Florenz ansässigen Engländer, bei denen eine dünne Suppe gereicht wurde und hinterher ein Eintopfgericht zweifelhaften Ursprungs.
Der verstorbene Mr. Hamilton war Kunstsammler gewesen, zum Nachteil seiner verarmten Witwe allerdings kein kluger. Die Villa steckte voll bizarrer Schätze, die sich nicht zu Geld machen ließen, unter anderem gab es da die überlebensgroße Marmorbüste eines Jünglings mit abgebrochener Nase, das Porträt eines jungen Mandolinenspielers, dessen Instrument mit bunten Bändern geschmückt war, die gerahmte Fotografie eines Papageis, auf die jemand mit verblassender Tinte ›Darling Bobo, ein Freund in widrigen Zeiten‹ geschrieben hatte. Die Repräsentationsräume der Villa zeigten sich in verblichener Pracht. Die Seidenbezüge der Sofas waren zerschlissen, die Damastvorhänge an den Fenstern von Motten durchlöchert, von den mit allegorischen Fresken geschmückten Wänden blätterte die Farbe. Ein Netz von Sprüngen zog sich über die hohen Zimmerdecken, und manchmal fielen, von einer Staubwolke begleitet, ganze Stuckbrocken herab. In den abgelegenen Teilen des Hauses hatte der Verfall schon über die Pracht gesiegt. Jahrelang unbenutzt und vom Hausmädchen übergangen, schienen die Räume sich mit der weichen Staubdecke, die sich über sie gelegt hatte, arrangiert zu haben.
Von der Terrasse hinter dem Haus konnte Tessa die im Hitzedunst schimmernden Terrakottadächer und -kuppeln von Florenz erkennen. Später, gegen Abend, würde das Läuten der Kirchenglocken den Hang hinauf zur Villa getragen werden. Tessa lief die Steintreppe hinunter und schlug einen Fußweg ein, zu dessen Seiten Buchsbaum und Zypresse eine dichte Mauer bildeten. Auf der einen Seite des Parks waren der Gemüsegarten und eine Obstpflanzung; auf der anderen stand ein von Lorbeer umgürteter Steineichenwald. Hinter dem Park dehnten sich Weingärten und Olivenhaine, die früher zur Villa gehört hatten, inzwischen aber längst verkauft worden waren, um die Rechnungen zu bezahlen.
Tessa liebte den Park der Villa Millefiore. Hinter jeder Biegung, hinter jedem Torbogen konnte man auf Außergewöhnliches stoßen – eine Pfingstrosenallee, eine Rabatte mit riesigen weißen Lilien, von dicken bronzefarbenen Faltern wie Kolibris umschwirrt, oder einen Teich mit golden glitzernden Karpfen und einem muschelförmigen Springbrunnen, der Wassergarben zum Himmel warf. Überall begleitete einen der Klang des Wassers, das in einem glatten Vorhang vor der Seejungfrau in ihrer Grotte herabfiel, durch schmale Kanäle eilte und sich schließlich in einem tiefen runden Becken sammelte, wo ein steinernes Meeresungeheuer mit gerolltem schuppigem Schweif es immer von Neuem ausspie.
Tessa zog ihre Sandalen aus und lief barfüßig die Mauer rund um das Becken entlang. Statuen schmückten das Rondell. Es waren Musen oder Nymphen, Tessa konnte sich nicht erinnern. Geraffte Marmorgewänder, die sie mit zierlichen Fingern vergeblich festzuhalten suchten, enthüllten weiße Brüste und runde Gesäße. Tessa fand ihre Gesichter dümmlich und langweilig.
Unter dem Sommerkleid hatten sie ihren Badeanzug an. Sie zog sich das Kleid über den Kopf und ließ es auf die Mauer fallen. Dann sprang sie kopfüber ins Wasser.
Das Becken war tief, um die sechs Meter oder so. Mrs. Hamilton hatte ihr erzählt, dass die Menschen im Haus in Zeiten der Dürre das Wasser aus dem Becken getrunken hatten. Tessa konnte nur hoffen, dass sie es vorher abgekocht hatten, es war schlierig von Wasserlinsen. Sie musste immer ohne Nachdenken, wie aus dem Impuls heraus, hineinspringen, um das Grausen vor den glitschigen Fäden, die sich zwischen ihre Finger und Zehen setzten, gar nicht erst aufkommen zu lassen. Unter der Oberfläche war das Wasser von einem tiefdunklen trüben Grün. In der Mitte stand die Steinsäule, die das Seeungeheuer trug. Beim letzten Besuch der Zanettis hatten sie ein Wetttauchen ausgetragen, um zu sehen, wer die meisten Runden um die Steinsäule schaffte, ehe er wieder Luft holen musste. Guido hatte gewonnen; sie sah ihn vor sich, ein geschmeidiger dunkler Körper, der unter Wasser dahinschoss.
Die Zanettis – der zweiundzwanzigjährige Guido, sein achtzehnjähriger Bruder Alessandro und seine Schwester Faustina, mit vierzehn die Jüngste – waren Freunde der Nicolsons und der Hamiltons. Guidos Vater Domenico war der Geliebte von Tessas Mutter. Guido hatte das Tessa letztes Jahr erzählt, und Tessa wiederum hatte es Freddie erzählt. Beide gönnten ihrer Mutter diese Beziehung. Mit Domenico Zanetti war sie glücklich, während sie an der Seite ihres Vaters, der sehr jähzornig und scharfzüngig gewesen war, oft gelitten hatte. Tessa, die ihre Mutter sehr liebte, war immer besorgt um sie.
Domenico Zanetti war Eigentümer einer Seidenmanufaktur im San-Frediano-Viertel von Florenz. Seine Frau Olivia hatte ein langes Gesicht und einen flachen Busen. Ihre braunen und beigefarbenen Kleider und Kostüme waren gediegen, saßen aber nie richtig auf ihrem langen, dünnen Körper – immer schlug der Stoff irgendwo Falten, wo keine sein sollten. Wenn man Tessa gefragt hätte, so hätte sie weiches Lachsrosa oder vielleicht ein helles Seegrün vorgeschlagen, Töne, die Olivias gelblichem Teint etwas mehr geschmeichelt hätten. Tessa vermutete, dass Guido ihr die Geschichte zwischen ihrer Mutter und seinem Vater verraten hatte, um sie zu schockieren – aber das war ihm nicht gelungen. Inmitten der schillernden Gemeinde von Malern und Poeten aufgewachsen, die aus dem bedrückenden Grau ihrer nördlichen Heimat nach Italien geflohen waren, war sie kaum noch zu schockieren.
Erst als sie das Gefühl hatte, gleich würde ihre Lunge bersten, schwamm sie wieder zum smaragdgrünen Licht hinauf und schnappte gierig nach Luft, sobald sie die Wasseroberfläche durchstoßen hatte. Danach ließ sie sich mit geschlossenen Augen auf dem Wasser treiben. Am Abend würden sie mit den Zanettis zusammen essen. Sie würde ihr neues lila Seidenkleid anziehen und Freddie das mandelblütenfarbene. Domenico Zanetti hatte ihrer Mutter die Stoffe geschenkt, die in den Zanetti-Werkstätten gewoben worden waren, und sie und Tessa hatten gemeinsam die Kleider genäht. Tessa liebte schöne Kleider, verschlang jede Modezeitschrift, die ihr in die Hand fiel und war eine geschickte Schneiderin. Sie beschloss, ihre Mutter zu überreden, sie an diesem Abend den Wakeham-Granatschmuck tragen zu lassen. Das Collier hatte ihrer Urgroßmutter gehört und war eines der wenigen Schmuckstücke, die Christinas Ehe mit Gerald Nicolson überlebt hatten. Tessa liebte die Granate, sie würden ganz wunderbar zu ihrem neuen Kleid passen.
„Du hast Wasserlinsen in den Haaren“, sagte jemand über ihr.
Tessa öffnete die Augen. Guido Zanetti stand am Rand des Beckens, einen Fuß auf der Mauer.

„Eure Haushälterin hat gesagt, ihr schlaft alle“, erklärte er. „Da wollte ich ein bisschen im Park herumspazieren. Komm doch mal her.“
„Warum?“
„Damit ich dir die Pflanzen aus den Haaren ziehen kann.“
Seine Augen lachten. Tessa fand, er wirke selbstzufrieden. Er sah aus, wie sie sich den typischen Römer vorstellte, mit klassischem Profil, lockigem schwarzen Haar und glutvollen tiefbraunen Augen. Der helle Leinanzug mit dem blassblauen Hemd darunter war von lässiger Eleganz. Er war ein eitler Mensch und wusste genau, wie gut er aussah. Tessa konnte sich gut vorstellen, wie er das Revers seines Jacketts gerichtet hatte und sich noch einmal mit der Hand über die Haare gefahren war, bevor er von zu Hause weggegangen war. Guido gab sich ihr und den anderen gegenüber gern ein wenig distanziert, als wollte er ihnen zeigen, dass sie nur Kinder waren, er hingegen ein Mann.
Sie schwamm zum Beckenrand. Guido setzte sich auf die Mauer. Seine Berührung, als er die grünen Fäden aus ihrem Haar löste, elektrisierte sie. In seinem Blick las sie, wie sehr er sich seiner Macht bewusst war – seines Aussehens, seiner Größe, seines überlegenen Alters. Sie hatte Lust, ihm einen Dämpfer zu verpassen und ihn von seinem hohen Ross zu stoßen.
„Komm schwimmen“, sagte sie.
„Geht nicht, tut mir leid. Ich habe meine Badesachen nicht mit.“
„Ich meinte, so wie du bist.“
„In Kleidern?“
„Wetten, du bist zu feige?“
Sie schwamm von ihm weg, drehte sich auf den Rücken und strampelte mit den Beinen, dass es spritzte. „Feige! Feige!“, rief sie.
Er lachte, dann zog er Schuhe und Jackett aus und tauchte mit einem sauberen Sprung ins Wasser. Mit ein paar schnellen, kräftigen Kraulzügen holte er sie ein.
„Na bitte“, sagte er prustend. „Ich habe gewonnen.“ Das Hemd, dunkler blau jetzt, klebte ihm am Körper. „Jetzt will ich auch den Preis haben.“
„Ich lade dich zu einem Eis im Vivoli ein.“
„Ich hatte eigentlich etwas anderes im Sinn.“
„Und das wäre?“, fragte sie. Die Glut in seinen Augen erregte sie; sie wusste, was er sagen würde.
„Ein Kuss“, sagte er.
„Und wenn ich dir keinen geben will?“ Sie lachte ihm ins Gesicht.
„Dann hole ich ihn mir einfach.“
So schnell sie konnte, schwamm sie von ihm weg, aber er war schneller, und sie kreischte laut auf, als er sie um die Taille fasste.
„Einen Kuss“, forderte er. „Einen Kuss, meine schöne Tessa.“ Seine Lippen streiften ihren Mund. Gesicht an Gesicht schaukelten sie im Wasser. Er umschlang sie mit beiden Armen und küsste sie, und sie schloss die Augen, während sie hinabsanken, im dämmrigen Licht sanft gestreichelt von den Pflanzenfäden. Dunkle Formen wie die Ruinen einer versunkenen Stadt schwammen unter ihnen, und ihr Lachen verklang in der Wonne seines Kusses.
Sie musste Atem holen, und er zog sie mit sich zur Oberfläche. Noch während sie beide nach Luft schnappten, hörten sie im Haus eine Tür zuschlagen. Die Villa Millefiore war aus dem Mittagsschlaf erwacht.
„Komm“, sagte er. „Schnell.“
Er kletterte auf die Mauer und reichte ihr die Hand, um ihr aus dem Wasser zu helfen. Eilig schlüpften sie in ihre Schuhe, er packte sein Jackett und ihr Kleid. Dann rannten sie Hand in Hand, Tessa mit auf den Mund gepressten Fingern, um ihr Lachen zu dämpfen, auf dem Kiesweg zum Lorbeerhain auf der einen Seite des Parks. Unter dem dunkelgrünen Baldachin verloren sie sich, die nassen Körper eng aneinandergepresst, in wilden Küssen, und durch das Laub fiel das Sonnenlicht in Diamantsprenkeln auf sie herab.
Sie war siebzehn Jahre alt, und der Sommer ihrer Liebe war ein Taumel der Begierde und der Verzückung: erfüllt vom Zauber seiner Berührung, wenn er beim Spaziergang ihre Hand mit seinen Fingern umschloss, mit dem Fuß unter dem Esstisch ihr Bein liebkoste. Erfüllt von Spannung und Geheimnis, wenn sie nachts auf Zehenspitzen durch die Villa schlich, zwischen Sesseln und Tischen hindurch, die sich aus der Dunkelheit hoben wie Felsen aus einem Fluss. Der massige Kleiderschrank an der Wand war wie ein schwarzes Tor in eine andere Welt. Ein feines Geräusch, und Tessa blieb reglos stehen, alle Sinne hellwach, aber es war nur eine Maus, die zu ihrem Loch in der Täfelung huschte. Als sie leise und vorsichtig die Tür zur Terrasse öffnete, wehte ihr die duftende Wärme der Nacht entgegen. Mit dem leichten, sicheren Schritt einer Träumerin flog sie über die Steinplatten und die Treppe hinunter zum Parkweg.
Guido erwartete sie. Sie hörte das Knirschen des Kieses unter seinem Schuh, als er sich zu ihr herumdrehte. Die Zypressen, die zu beiden Seiten den Weg säumten wie dunkle Wächter, verbargen sie dem Haus. Er sagte kein Wort, als er sie in die Arme nahm und küsste. Mit einer Hand streichelte er ihr Haar, und sie fühlte die Hitze seines Körpers. Umschlungen gingen sie zum Lorbeerhain und legten sich auf dem weichen Laubboden nieder. Seine Hand glitt ihr Bein hinauf zur geraden, schmalen Linie ihres Schenkels. Als er ihren Bauch streichelte, brannte sie lichterloh und zog ihn an sich, um ihn in sich aufzunehmen.
Ein kühlender Wind strich über sie hin, als sie später still in der Dunkelheit lagen. Das Plätschern des Brunnens war wie ferne Musik. Sie glaubte, sie würden einander ewig lieben und das Glück werde niemals aufhören.

Teil 1

Eine Art Verzauberung

Oxfordshire, England, 1937

1

HINTER fREDDIES sCHULE WAR EIN WEIHER. In kalten Wintern durften die Schüler dort manchmal Schlittschuh laufen. Davon erzählte Freddie, als sie an diesem Nachmittag mit Tessa in einer Teestube in Oxford saß.
„Wer in der Fünften oder Sechsten ist, darf vor den Hausaufgaben eine halbe Stunde eislaufen. Und an Wochenenden eine Stunde.“
„Weißt du noch“, sagte Tessa, „als wir in Genf lebten und auf dem See gelaufen sind?“
„Ja, und Mama hat uns zugeschaut“, antwortete Freddie. „Sie hat immer im Café gesessen und heiße Schokolade getrunken.“
Sie sprachen oft von ihrer Mutter, hatten beide stillschweigend beschlossen, es zu tun, seit sie vor drei Jahren, in dem Frühjahr, nachdem sie Italien verlassen hatten, von ihrem Tod nach einem akuten Asthmaanfall erfahren hatten. So erhielten sie sie am Leben.
„Wir wohnten in dieser ulkigen kleinen Pension“, erinnerte sich Freddie. „Wie hieß die Wirtin gleich wieder? Madame … Madame –“
„Depaul. Madame Depaul.“ Tessa lächelte. „Jeden Tag gab es Käsetoast zum Abendessen, weil Madame Depaul überzeugt war, das wäre das Leibgericht aller Engländer. Morgens nach dem Frühstück hat Mama ihren Pelzmantel angezogen, und dann sind wir zusammen zum See gegangen.“
Den Pelzmantel hatte Tessa geerbt. Als er aus Italien angekommen war, hatte er noch nach dem Parfüm ihrer Mutter geduftet. Sie zog ihn an, schloss die Augen und weinte zum Duft von Mitsouko ihren Kummer und ihre Verlassenheit in den weichen Pelz des Kragens. Der Duft war lange verweht, aber wenn Tessa die Augen schloss und sich konzentrierte, konnte sie ihn immer noch riechen.
„Heiße Schokolade hat nie wieder irgendwo so gut geschmeckt wie in der Schweiz“, sagte sie.
„In der Schule gibt es sie auch, aber die ist wässrig.“ Freddie, die immer hungrig zu sein schien, hatte eine Riesenportion Eier auf Toast verdrückt und war jetzt beim Kuchen angelangt.
Tessa lächelte. „Mach langsam, Schatz, wir haben jede Menge Zeit.“
„Entschuldige. Aber weißt du, wenn man im Internat nicht schnell genug ist, bekommt man keine zweite Portion. Erinnerst du dich nicht mehr?“
Doch, Tessa erinnerte sich jetzt, da sie zurückdachte. Sie war nur sechs Wochen auf der Westdown-Internatsschule geblieben, wohin ihre Mutter sie und Freddie im Herbst 1933 geschickt hatte. Sie hatte vom ersten Tag an gewusst, dass sie es dort nicht aushalten würde, und nur eine Weile ausgeharrt, um sicher zu sein, dass Freddie ohne sie zurechtkommen würde. Jetzt, gut drei Jahre später, erinnerte sie sich nur noch, dass sie auf der Schule ständig irgendwohin rennen und in größter Eile sinnloses Zeug erledigen musste.
Seit sie Westdown den Rücken gekehrt hatte, lebte sie in London, wo sie sich eine Karriere als Mannequin und Fotomodell aufgebaut hatte. Anfangs hatte sie zur Untermiete gewohnt, später, als ihre Karriere allmählich in Gang kam, war sie in ihre erste eigene Wohnung umgezogen. Die Wohnung in Highbury, in der sie jetzt lebte, war eine Pracht, geräumig und hell, mit einem riesengroßen Wohnzimmer und einem luxuriösen Bad. Sie liebte London, nur manchmal, wenn irgendetwas eine Erinnerung weckte, überfiel sie eine brennende Sehnsucht nach ihrem früheren Leben, so wie jetzt, da sie sich wieder auf dem zugefrorenen Genfersee ihre Pirouetten drehen sah.
Auf dem Kuchenteller lag nur noch langweiliges Zeug, ein Stück Johannisbeerkuchen und ein Sandwich. Nachdem sie frisches Gebäck und noch eine Kanne Tee bestellt hatte, zündete sie sich eine Zigarette an.
Als sie Freddies begehrlichen Blick auf das Schokoladen-eclair bemerkte, sagte sie: „Nimm ruhig.“
„Aber es ist doch eigentlich deins.“
Tessa schüttelte den Kopf. „Lass nur. Ich muss an meine Linie denken. Ein dickes Mannequin will keiner haben.“
„Darf ich auch eine rauchen?“
„Nein, Schatz. Erst wenn du siebzehn bist.“
„Darf ich dann wenigstens mal mit deinem Auto fahren?“ „Auf der Landstraße vielleicht, wenn es nicht zu eisig ist.“ Als sie später zur Schule zurückfuhren, erlaubte Tessa ihrer Schwester, den kleinen roten MG das letzte Stück der schmalen, gewundenen Landstraße bis zum Tor von Westdown zu lenken. Sie hatte Verständnis für Freddies Ungeduld, endlich all das zu tun, was die Erwachsenen taten – Auto zu fahren, zu rauchen, Champagner zu trinken, Nachtlokale zu besuchen –, aber ihre Sorge um die Schwester überwog. Sie hatten nur noch einander. Als sie nach England abgereist waren, hatte ihre Mutter als Letztes zu ihr gesagt: „Pass gut auf Freddie auf, Liebes.“ Wie in einer rührseligen viktorianischen Schnulze, dachte Tessa manchmal leicht ironisch, aber versprochen war versprochen, und sie wollte ihr Versprechen halten.
In der Schulgarderobe hängte Freddie Mütze und Mantel auf.
Tessa sagte: „Wenn du irgendetwas brauchst –“
„Nichts, danke.“
„Ich schicke dir Shampoo und Körperpuder. Ich habe einen Haufen Zeug von der Coty-Kampagne.“
„Oh, super.“

Judith Lennox

Über Judith Lennox

Biografie

Judith Lennox, geboren 1953 in Salisbury, wuchs in Hampshire auf. Sie ist eine der erfolgreichsten Autorinnen des modernen englischen Gesellschaftsromans und gelangt mit jedem neuen Buch auf die deutschen Bestsellerlisten. Judith Lennox liebt Gärtnern, ausgedehnte Wanderungen, alte Häuser und...

Pressestimmen
Tina

„In 'Der italienische Geliebte' weckt Autorin Judith Lennox wie immer leidenschaftliche Gefühle.“

Luzerner Rundschau (A)

„Ein mitreißender Pageturner!“

Radio Arabella

„Elegant verdichtet Erfolgsautorin Judith Lennox die Schicksale ihrer Figuren in den bewegtesten Jahren europäischer Geschichte zu einem großen, mitreißenden Roman.“

tina

„Mitreißender Roman über die 30er- und 40er-Jahre.“

NDR 1

„Judith Lennox hat mit Der italienische Geliebte einen anrührenden und zugleich spannenden Roman über das alte Thema geschrieben, wie eng und doch auch wie weit entfernt Schwestern zueinander stehen können und was Verwandtschaft eigentlich bedeutet. Fesselnd aber ist vor allem der historische Hintergrund, der den Wandel Europas von den zwanziger bis in die vierziger Jahre eindrücklich schildert, von Zeiten des Friedens bis hin zu erbittertem Krieg.“

B.Z.

„Perfekter Lesestoff für Winterabende.“

Blick am Abend (CH)

„Judith Lennox webt in ihrem Buch die Lebensläufe dreier Frauen packend geschrieben zusammen.“

Wienerin (A)

„Dramatisch – schön!“

Joy

„Wortgewaltig!“

Frau im Spiegel

Ihre Romane machen süchtig.

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