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Das zauberhafte Puppenhaus

Das zauberhafte Puppenhaus

Alexandra Fischer-Hunold
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Das zauberhafte Puppenhaus — Inhalt

Haus Sonnenbühl! Endlich darf Juline auf das Internat ihrer Träume. Schon ihre Eltern haben dort ihre Schulzeit verbracht und erzählen davon mit glänzenden Augen. Magisch sei es dort gewesen ... Nur was genau war dort so zauberhaft? Juline ist wild entschlossen, das herauszufinden. Doof nur, dass sie gleich am ersten Tag mit der hochmütigen Luisa zusammenrasselt. Gerade als Juline glaubt, die Gemeinheiten Luisas nicht länger ertragen zu können, entdeckt sie auf dem Dachboden der Schule ein wundervolles, antikes Puppenhaus mit knisterndem Kaminfeuer, duftendem Kirschkuchen und ganz reizenden Bewohner. Wenn da mal nicht Magie im Spiel ist …

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 01.10.2019
256 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99426-2
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Leseprobe zu „Das zauberhafte Puppenhaus“

Kapitel 1

Juline wusste nicht, wie lange sie schon wach in ihrem Bett gelegen und neugierig in die Nacht gelauscht hatte. Sie genoss Chiaras leises Schnarchen ebenso wie die vorsichtigen Schritte, die sie ab und an über den Flur huschen hörte, wenn sich eine ihrer neuen Mitschülerinnen auf den Weg zum Klo machte, oder wie das leise Klappern der altmodischen Fensterläden. Alles klang spannend für sie. An Schlaf war nicht zu denken! Sie konnte einfach immer noch nicht glauben, dass sie endlich – endlich! – hier war.

Nach der turbulenten Anreise inklusive [...]

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Kapitel 1

Juline wusste nicht, wie lange sie schon wach in ihrem Bett gelegen und neugierig in die Nacht gelauscht hatte. Sie genoss Chiaras leises Schnarchen ebenso wie die vorsichtigen Schritte, die sie ab und an über den Flur huschen hörte, wenn sich eine ihrer neuen Mitschülerinnen auf den Weg zum Klo machte, oder wie das leise Klappern der altmodischen Fensterläden. Alles klang spannend für sie. An Schlaf war nicht zu denken! Sie konnte einfach immer noch nicht glauben, dass sie endlich – endlich! – hier war.

Nach der turbulenten Anreise inklusive Staus, Autopanne, der langen Warterei auf den ADAC im Nieselregen und die ständig wiederholte Frage ihrer Mutter, ob Juline sich auch ganz sicher sei, dass sie nicht doch lieber mit ihnen auf die Konzerttournee kommen wollte, den nervösen Blicken ihres Vaters auf seine Armbanduhr (ihr Flieger ging um 5:00 Uhr früh), waren sie mitten in der Nacht angekommen.

Kurz bevor ihr klappriger Bus auf die lang gezogene Einfahrt eingebogen war, huschte das Scheinwerferlicht einen Wimpernschlag lang über ein weiß lackiertes Schild aus Holz. Und da hatte Juline es buchstäblich schwarz auf weiß lesen können: Internat Haus Sonnenbühl.

Sosehr sie sich auch die Nase an der Scheibe platt gedrückt hatte, außer den dicken, großen Tannen, die dicht gedrängt wie Riesen die Einfahrt säumten, hatte sie beim besten Willen nichts erkennen können. Aber Juline war darüber nicht ernsthaft traurig oder enttäuscht gewesen. Immerhin war sie zwei Jahre, acht Wochen, die Herbstferien und drei Tage zu spät dran. Da kam es auf die paar Stunden doch auch nicht mehr an, bis sie ihr neues Zuhause richtig in Augenschein nehmen konnte. Alles, was zählte, war, dass sie endlich am Ziel ihrer Träume war.

Kaum hatte der Bus ruckelnd vor der breiten Treppe auf dem knirschenden Kies gestoppt, hatte Juline ein Mädchen die Stufen zu ihnen hinunterspringen sehen.

„Herr und Frau Taubert? Und du musst Juline sein.“

„Stimmt!“, strahlte Juline das fremde Mädchen an.

Es breitete theatralisch die Arme aus. „Herzlich willkommen in unserer berühmt-berüchtigten Lehranstalt!“ Sie zwinkerte. „Ich bin Sophie Hartlieb aus der Elf und zurzeit die Aufsicht über deinen Schlafflur“, stellte sie sich vor. „Herr Leonard, also unser Direktor, wäre gerne hier gewesen, um dich und deine Eltern persönlich in Empfang zu nehmen“, erklärte Sophie, während sie sich tatkräftig einen von Julines Koffern schnappte. „Aber er hat es wohl nicht rechtzeitig zurückgeschafft. Er musste zu einem Termin. Keine Ahnung, was da läuft. Schätze aber, dass es irre wichtig ist, so wenig, wie er sich hier in letzter Zeit blicken lässt.“

„Er soll bloß kein schlechtes Gewissen haben!“, winkte Jana Taubert schuldbewusst ab. „Wir sind es, die sich entschuldigen müssen. Bei ihm und …“, ihre Augen wanderten über Sophies Bademantel mit dem Schulwappen von Haus Sonnenbühl bis zu den behausschuhten Füßen, „… bei dir auch. Der Plan war, heute am frühen Nachmittag hier zu sein und nicht mitten in der Nacht. Es tut mir wirklich unendlich leid. Aber es ist alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte.“

„Kein Problem. Ich habe eh noch bis gerade gelernt“, behauptete Sophie gähnend.

„Hellwach, ich sehe es!“, lachte Jana Taubert und gähnte ebenfalls. „Wir sind auch gleich weg, dann könnt ihr fix in eure Kojen.“

Während sie sich über die Rückenlehne beugte und leise fluchend hinter dem Fahrersitz herumkramte, legte Julines Vater einen Arm um Julines Schultern. Er nickte zu dem großen Schattenriss des Schulgebäudes.

„Wenn ich an unsere Zeit hier zurückdenke, als deine Mutter und ich hierhergegangen sind … da werde ich richtig neidisch. Hier wirst du die schönste Zeit deines Lebens verbringen. Was ihr für einen Spaß haben werdet. Mitternachtspartys, Schlittschuhlaufen auf dem See, Tennisturniere, den Lehrern Streiche spielen, Schulbälle und … und … und … ach, so vieles mehr. Lernen musst du natürlich auch.“

„Klar, Papa!“, lachte Juline und knuffte ihren Vater in die Seite.

Als sie jetzt zu ihm aufsah, entdeckte sie diese verträumte, leicht nachdenkliche Miene. Unbemerkt schlich sie sich immer dann auf sein Gesicht, wenn er an Haus Sonnenbühl dachte. Das war Juline schon häufig aufgefallen. Beide, Julines Mutter und ihr Vater, hatten ihr schon so häufig von ihrer glücklichen Zeit im Internat erzählt und davon, wie besonders sie gewesen war. Magisch, fast wie mit bunten Zuckerstreuseln garniert, hatte Jana Taubert mal gesagt und hilflos mit den Schultern gezuckt, weil sie es nicht besser erklären konnte. Aber jetzt war Juline hier, und sie würde schon noch herausfinden, was hier so unbeschreiblich magisch war.

„Da ist es ja! Endlich! Auf den letzten Drücker und es ist wirklich nichts Besonderes“, sagte Julines Mutter, als sie keuchend aus dem Bus kletterte. „Ich habe es noch nicht mal geschafft, es einzupacken. Aber wir wären wirklich schreckliche Eltern, wenn wir dich hier ohne Abschiedsgeschenk abladen würden. Ich meine, wo kämen wir denn da hin?“ Sie pustete sich eine vorwitzige Locke aus der Stirn. Als sie Juline die leise knisternde Papiertüte überreichte, bemerkte Juline die Tränen in ihren Augen aufblitzen.

„Ach, Mama, ihr seid doch die allerbesten Eltern der Welt. Ob mit oder ohne Geschenk!“ Juline linste in die Tüte. Es war ein gerahmtes Bild, das sie und ihre Eltern bei einem Strandspaziergang auf Juist zeigte. Sie schlang die Arme um ihre Mutter und sog tief den Duft ihres frischen Parfums ein.

Sie wusste jetzt schon, dass sie ihre Eltern ganz fürchterlich vermissen würde. Doch sie wusste auch, dass das der Preis war, den sie zahlen musste, aber schließlich würden sie sich ja schon bald wiedersehen. Zu Weihnachten. In Sydney. Dann würden die Berliner Philharmoniker, mit denen ihre Eltern unterwegs waren, in Australien gastieren, und sie hatten sogar ein paar Tage zwischen all ihren Konzerten frei.

Zu Hause hatte dieser Gedanke sie immer getröstet und den blöden Kloß in ihrem Hals in Schach gehalten. Aber spätestens als ihr Vater sie jetzt bei den Schultern nahm, sie auf Armeslänge von sich hielt, ihr tief in die Augen schaute und sagte: „Sobald wie möglich skypen wir, und dann will ich von dem ganzen Unsinn hören, mit dem ihr eure Lehrer in den Wahnsinn treibt!“, schnürte ihr dieser blöde Kloß die Kehle zu. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie gleich noch losheulen. Und das, obwohl sie doch dafür gekämpft hatte, hierherkommen zu dürfen.

„Ich auch! Unbedingt!“, rief Julines Mutter und zwinkerte Sophie wissend zu. „Aber jetzt: nichts wie los! Da ich leider die Telefonnummer unseres Piloten nicht habe, um ihn zu bitten, auf uns zu warten, muss unsere alte Kiste jetzt alles geben, damit wir unseren Flug nach Hongkong noch schaffen. Juline, mein Schatz, wenn irgendetwas sein sollte – Heimweh, Liebeskummer oder ne Fünf in Mathe – und wir wegen Proben, Funkloch oder Zeitverschiebung nicht erreichbar sind –, ruf Oma an und lade dich zu ihr über das Wochenende nach Stuttgart ein.“

Juline sah den Rücklichtern so lange nach, bis sie hinter dem dunklen Tannenmeer verschwunden waren.

Bevor sich dieser blöde Kloß in ihrem Hals richtig ausdehnen konnte, tippte ihr zum Glück Sophie auf die Schulter. „Juline? Können wir?“

 

Juline vermutete mal, dass die Flure und Treppen nachts so schummrig beleuchtet waren, um Strom zu sparen. Sophie schien das Dämmerlicht jedenfalls nichts auszumachen. Sie bewegte sich im Halbdunkel wie eine Katze in einer mondlosen Nacht. Und schon bald hatten sich auch Julines Augen an das Zwielicht gewöhnt. Trotzdem konnte sie sich nicht vorstellen, wie sie sich jemals in diesem Labyrinth aus Treppen, Fluren und schmalen Gängen zurechtfinden sollte.

„Hier ist dein Zimmer“, sagte Sophie plötzlich und blieb stehen. „Du teilst es dir mit Chiara. Die pennt wahrscheinlich schon. Das will ich zumindest für sie hoffen. Dein Bett ist das an der linken Wand. Schmeiß Chiaras Krempel einfach runter, wenn sie sich mal wieder ausgedehnt hat. Schuluniform und Bücher kannst du dir morgen besorgen, auch den Waschraum zeigt Chiara dir morgen. Heute muss die kleine Toilette hier nebenan für die Katzenwäsche reichen. Also noch mal, herzlich willkommen! Und schlaf gut! Wecken ist um Viertel vor sieben.“

 

Juline fuhr aus ihrem Kissen hoch. Jemand hämmerte gegen Türen. Klinken quietschten, und Sophies Stimme dröhnte über den Flur: „Morgen, ihr Schlafmützen! Raus aus den Federn!“

Es war so weit …

Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte Juline, ob sie warten sollte, bis Sophie vor ihrer Tür stand, entschied sich aber augenblicklich dagegen. Sie schwang die Decke weg, knipste die Nachttischlampe an und sprang mit einem Satz aus dem Bett.

„Oh, nö! Licht aus!“, brummelte es verschlafen aus dem gegenüberliegenden Bett. „Sophie ist doch noch kilometerweit entfernt!“

Juline sah einen Wasserfall aus märchenhaft langen blonden Locken, bis sich eine Hand ins Freie schob und energisch die Bettdecke darüberzerrte. Sie musste leise kichern. Wie gut sie Chiara verstehen konnte! Normalerweise musste ihre Mutter sie dreimal kräftig wachrütteln und manchmal sogar einen nassen Waschlappen bemühen, bevor Juline auch nur einen Zeh unter der Bettdecke hervorstreckte. Aber heute war nichts davon nötig! Ganz bestimmt nicht heute!

„Morgen, ihr Schlafmützen! Raus aus den Federn!“ Sophie steckte ihren Kopf durch die Tür. „Ah, schon auf den Beinen, Juline? Chiara, es ist heute dein Job, Juline mit in den Speisesaal und in den Unterricht zu nehmen, hörst du? Also hopp-hopp!“

„Wer zum Henker ist Juline?“, knurrte es gereizt unter der Bettdecke.

Sophie verdrehte die Augen. „Erde an Chiara? Deine neue Zimmernachbarin. Das weißt du verdammt gut. Sie ist gestern Nacht angekommen.“

„Oh, ja, richtig“, gähnte Chiara und rollte sich im Zeitlupentempo aus ihrem Bett. Durch einen Schleier aus Haaren warf sie einen neugierigen Blick auf Juline: „Morgen!“

„Guten Morgen!“ Am liebsten hätte Juline Chiara sofort mit all ihren Fragen bestürmt. Wann gab es Frühstück? Und wo? Wo waren die Waschräume? Wann würde sie ihre Schuluniform bekommen? Noch vor dem Unterricht? Wann fing der genau an? Und natürlich brannte sie darauf herauszufinden, was für ein Mädchen Chiara war. Bestimmt würden sie gute Freundinnen werden. Das wurde man doch wie von selbst, wenn man sich ein Zimmer teilte, oder? Chiara war aber offensichtlich noch viel zu verschlafen, um sich für irgendetwas anderes als ihre Plüschhausschuhe mit den Perlenschnallen zu interessieren.

Ohne aufzugucken murmelte sie: „Alles easy, Sophie. Ich mach ja den Babysitter.“

„Genau das wollte ich hören!“, grummelte Sophie. Sie war schon fast wieder auf dem Flur, als sie es sich doch noch einmal anders überlegte und zurück ins Zimmer trat. Juline hörte es klicken, gleichzeitig blitzte grell die Deckenlampe auf und Chiara stieß einen Fluch aus. „Ich steh ja schon auf, Sophie, du Nervensäge!“

Juline sah sich jetzt zum ersten Mal richtig in dem nun hell beleuchteten Zimmer um. Ohne eine sichtbare Grenze zu haben, war ihr neues Zuhause zweigeteilt. Auf Julines Seite standen das Bett, ein Nachttisch mit Lampe, ein Schrank und ein Schreibtisch. Auf Chiaras Seite befanden sich die gleichen Möbel. Nur waren sie spiegelverkehrt angeordnet.

Aber das kalte Licht enthüllte nicht nur die Zimmeraufteilung und Anordnung der Möbel, sondern auch, was Juline gestern Nacht im Halbdunkel nur hatte erahnen können, als sie auf dem Weg zu ihrem Bett – auf dem sich im Übrigen wirklich ein Klamotten-Mount-Everest getürmt hatte – über eine Stolperfalle nach der anderen getaumelt war. Ein unglaubliches Chaos aus Klamotten, Schuhen, Schulsachen, Reit-Equipment und Büchern, Hochglanzmagazinen, Kosmetik und Modeschmuck.

„Chiara!“, stieß Sophie fassungslos hervor. „Nennst du das aufgeräumt? Glaubst du nicht, dass Juline nicht auch gerne zwei, drei Sachen in diesem Zimmer unterbringen will?“

Juline legte den Kopf schief, um die Etiketten auf den herumfliegenden Klamotten besser entziffern zu können. Chanel, Dior, Gucci, Prada, Louis Vuitton. Au weia. Das ganze Zeug sah stinkteuer aus.

„Ach, Sophie, jetzt chill doch mal!“

Zum ersten Mal sah Chiara Juline richtig an und bemühte sich um ein Lächeln. In Sophies Richtung sagte sie: „Also, Juline und ich, wir regeln das unter uns, okay? Das ist es doch, was du immer predigst. Die Sachen selber in die Hand nehmen.“

„Guter Vorschlag!“, stimmte Sophie so schnell und so erleichtert zu, dass Juline der Verdacht beschlich, Sophie sei heilfroh, sich nicht länger mit Chiara und ihrem Kleiderchaos herumschlagen zu müssen. Prompt hechtete Sophie dann auch eiligst auf den Flur hinaus.

Mit einem breiten Grinsen band Chiara ihre Löwenmähne zu einem Zopf zusammen. „Sophie macht immer mächtig einen auf Hey, ich bin schon in der Oberstufe, und ihr müsst auf mich hören und so. Wenn sie will, kann sie auch wirklich gruselig streng werden. Aber mit der Zeit weiß man, was sie hören will. Alles eine Frage der Taktik.“

„Ich werde es mir merken!“, lachte Juline und begann auf der Suche nach ihrem Kulturbeutel ihre Koffer durchzuwühlen.

„Wo sind denn die Waschräume?“, fragte sie.

„Momentchen!“, raunte Chiara geistesabwesend, während sie vor ihrem übervollen Kleiderschrank stand und mit Kennermiene einen Bügel nach dem andren inspizierte. Geduldig ließ Juline sich wieder auf ihr Bett plumpsen. Leise summend wippte sie den Kulturbeutel auf ihren Oberschenkeln und ließ ihren Blick erneut durch das Zimmer gleiten. Großer Gott! Scharf sog sie die Luft ein. Mit diesem Arsenal an Parfumfläschchen, Make-up-, Puder-, und Rougedöschen, Pinseln, Cremes und was Chiara sonst noch hortete, konnte sie glatt eine eigene Parfümerie aufmachen. Wozu um alles in der Welt braucht man denn so viel Schminkkram?, wunderte sich Juline. Oder so viele Klamotten, dass noch nicht mal zwei Kleiderschränke ausreichten. Denn nicht nur Chiaras, sondern auch Julines Kleiderschrank war so vollgestopft mit Chiaras Kram, dass er sich nicht mehr schließen ließ. Ungläubig schüttelte Juline den Kopf. Im Haus Sonnenbühl herrschte doch Schuluniformpflicht!

Über Chiaras Bett und Schreibtisch hingen gerahmte Fotos an den Wänden. Auf jedem war Chiara zu sehen. Chiara, wie sie einem wunderschönen pechschwarzen Pferd einen Kuss auf die Pferdenase drückt. Chiara, wie sie auf dem Rücken dieses Pferdes über ein Hindernis springt. Chiara auf dem Rücksitz eines sehr edel aussehenden Cabrios. Vor ihr ein Mann und eine Frau, bestimmt ihre Eltern. Schön wie die Hollywoodstars. Alle drei lächeln strahlend in die Kamera. Darüber stand: Oldtimer-Race Monaco 2018.

Und auf dem nächsten Bild … Chiara mit einem Mädchen. Es hat noch blondere Haare als Chiara, Sommersprossen und eine Stupsnase. Die beiden liegen Kopf an Kopf in Bikinis auf einer Jacht im Sonnenschein, blinzeln lachend in die Kamera und machen dabei das Victoryzeichen. Juline konnte förmlich das Plätschern der türkisblauen Wellen hören, die sachte gegen die Jacht rollten.

„Das war in den letzten Osterferien“, sagte Chiara, die Julines Blick gefolgt war. „Da waren Luisa und ich mit ihren Eltern auf Barbados.“

„Sieht toll aus!“, staunte Juline neidlos. „Wir fahren meistens an die Nordsee.“

„Auf Sylt haben wir auch ein Haus, aber deswegen fahren wir nicht ständig dorthin!“, brummelte Chiara gedämpft. Sie war mit dem Kopf im Kleiderschrank verschwunden und wühlte einen Stapel Hosen durch.

„Wer ist Luisa?“ Juline war aufgestanden, um das Foto mit der Jacht besser in Augenschein nehmen zu können.

„Meine beste Freundin. Seit dem ersten Tag im Internat“, kam es gedämpft aus dem Schrank. „Sie geht in unsere Klasse.“

„Warum teilt ihr euch dann kein Zimmer?“

„Weil Herr Leonard der Meinung ist, dass wir uns zu viel mit unsinnigen Sachen wie Posten, Partys und so weiter beschäftigen, wenn wir zusammen sind … Verdammt!“, fluchte Chiara, als sie wieder auftauchte und die Schranktür zudonnerte, die allerdings sofort wieder aufsprang. „Erst letztes Wochenende hab ich mir zwei neue schwarze Reithosen gekauft. Wo können die nur hin sein? Ich kann unmöglich eine von meinen alten zum Training nachher anziehen. Die sind mindestens ein halbes Jahr alt und genau so sehen sie auch aus. So ein Mist!“

„Wie wäre es, wenn wir nachher zusammen aufräumen?“, schlug Juline vor. Dabei machte sie eine Handbewegung, mit der sie das ganze Tohuwabohu einschloss. „Du hast es Sophie eh versprochen, und so kann es echt nicht bleiben.“

Chiara zog einen Flunsch. „Ich kann mir Schöneres vorstellen. Sag mal, hast du auch dein Pferd mit ins Internat gebracht?“

Juline prustete los. „Mein eigenes Pferd?“ Entschieden schüttelte sie den Kopf. „Nein. Ich reite nicht. Dafür spiele ich Geige!“ Sie nickte auf den Geigenkasten neben ihrem Bett. Er war ziemlich verschrammt, die Scharniere rostig, der Griff abgewetzt. Manch anderer hätte vielleicht gesagt, dass er gammelig aussah und auf den Müll gehörte. Doch das fand Juline ganz und gar nicht. Für sie war er der schönste Geigenkasten der Welt. Denn er erzählte eine ganz besondere Geschichte. Und zwar die von ihrem Vater und seiner Geige und irgendwie auch ein Stück Geschichte von Haus Sonnenbühl. Die Geige spielte Papa schon, seit er ein kleiner Junge gewesen war, aber den Kasten hatte er während seiner Zeit im Internat geschenkt bekommen. Er liebte ihn abgöttisch, auch wenn er sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern konnte, wer ihm den geschenkt hatte.

„Och, nee, du fidelst?“, seufzte Chiara entsetzt, verdrehte die Augen und ließ theatralisch den Kopf nach hinten kippen. „Aber nicht in unserem Zimmer!“

Alexandra Fischer-Hunold

Über Alexandra Fischer-Hunold

Biografie

Alexandra Fischer-Hunold, geboren in Düsseldorf, studierte Germanistik und Anglistik und arbeitete in einem Reisebuchverlag, bevor sie sich vollständig der Schriftstellerei widmete. Sie hat zahlreiche Kinder- und Jugendbücher aus den Bereichen Fantasy, Krimi und Abenteuer geschrieben. Alexandra...

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