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Afrikanisches FieberAfrikanisches Fieber

Afrikanisches Fieber

Ryszard Kapuściński
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Erfahrungen aus vierzig Jahren

„Afrika aus den Augen eines Liebenden (...) Es ist so lektoriert, dass der Band wie eine Lebens- und Liebesgeschichte gelesen werden kann, man spürt bei jedem Satz, wie das Feuer für den Kontinent und seine Menschen in Kapuściński brennt.“ - Kleine Zeitung (A)

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Afrikanisches Fieber — Inhalt

Immer wieder zog es den polnischen Journalisten Ryszard Kapuściński nach Afrika, zu den Schauplätzen von Staatsgründungen, Putschen und Bürgerkriegen. Mehr als 40 Jahre hat er den Schwarzen Kontinent bereist, die Menschen erforscht und in seinen Reportagen beschrieben. Die Summe seiner Neugier, seiner Erfahrungen, seiner Faszination und seines ohnmächtigen Staunens über die gewaltigen Dimensionen Afrikas geben ein hautnahes Bild. Dieser Band, einer seiner größten Erfolge auf dem deutschen Buchmarkt und ein zeitloses Dokument, ist nun endlich wieder lieferbar.

€ 15,00 [D], € 15,50 [A]
Erschienen am 02.11.2016
368 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-40607-9
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€ 12,99 [D], € 12,99 [A]
Erschienen am 04.10.2016
368 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-96263-6
Download Cover

Leseprobe zu „Afrikanisches Fieber“

Ein Übersetzer von Kulturen
Afrika sei seine große Liebe, eine Liebe fürs ganze Leben, im Grunde unerfüllbar wie jede tiefe Leidenschaft, vertraute mir Ryszard Kapuściński einmal an, als wir uns über seine vielen Reisen und Auslandsaufenthalte unterhielten. Wenn er längere Zeit nicht nach Afrika reisen könne, so sagte er, werde er beinahe schwermütig, wie ein unglücklich Verliebter. Kapuściński hat viele Jahre auf Reisen verbracht, als Journalist und später als Autor, in Lateinamerika, Asien und in Russland; doch mit Afrika fühlte er sich am engsten [...]

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Ein Übersetzer von Kulturen
Afrika sei seine große Liebe, eine Liebe fürs ganze Leben, im Grunde unerfüllbar wie jede tiefe Leidenschaft, vertraute mir Ryszard Kapuściński einmal an, als wir uns über seine vielen Reisen und Auslandsaufenthalte unterhielten. Wenn er längere Zeit nicht nach Afrika reisen könne, so sagte er, werde er beinahe schwermütig, wie ein unglücklich Verliebter. Kapuściński hat viele Jahre auf Reisen verbracht, als Journalist und später als Autor, in Lateinamerika, Asien und in Russland; doch mit Afrika fühlte er sich am engsten verbunden, vor allem mit dem Afrika zur Zeit der Entkolonialisierung, die er als junger Reporter hautnah erlebte und so eindringlich wie mitfühlend beschrieb.
„ Afrikanisches Fieber “ ist auf den ersten Blick eine Sammlung von Reportagen über den riesigen Kontinent, die einen Zeitraum von vierzig Jahren umfassen, beginnend in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, als der 25-jährige Kapuściński im Auftrag der polnischen Nachrichtenagentur PAP erstmals nach Afrika geschickt wurde, um von dort zu berichten. Er erlebte in Afrika zahlreiche Revolutionen, Umstürze und Militärputsche, er sah Machthaber kommen und gehen, Patrice Lumumba im Kongo, Idi Amin in Uganda oder Haile Selassie in Äthiopien, dem er eines seiner bekanntesten Bücher, „ König der Könige “, widmete. Er beobachtete die schmerzlichen Geburtswehen neuer Staaten und Nationen, blutige Bürgerkriege und Hungersnöte, und er registrierte mit dem scharfen Blick des Reporters die politischen Entwicklungen und Verwerfungen, die den Kontinent bis heute erschüttern. Doch in erster Linie galt sein Interesse stets den einfachen Menschen, deren Leben er nach Möglichkeit zu teilen suchte, weil er sie begreifen wollte, weil er sich mit ihnen solidarisch fühlte, obwohl das für einen Weißen auf dem schwarzen Kontinent nicht einfach war.
In einem seiner Notizbücher versuchte er die Anziehung, die diese Länder und Menschen auf ihn ausübten, zu erklären. „ Ich war und bin fasziniert von den Menschen in der Dritten Welt, die im Kampf ihre eigenen Staaten und Nationen schufen. Das ist das Thema meines Lebens. Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich aus einem armen Teil Europas stamme. “
Kapuściński verlebte seine Kindheit in Pińsk, einem armseligen Städtchen in der von undurchdringlichen Sümpfen und Wäldern beherrschten Landschaft Polesien im einstigen Ostpolen, heute Belarus. Eine rückständige, gottverlassene Gegend, die damals tatsächlich so etwas wie die Dritte Welt Europas darstellte.
Es war diese Herkunft, so betonte er oft, die ihn befähigte, sich ohne Vorbehalte und Vorurteile auf die Menschen in Afrika einzulassen und ihr Vertrauen zu gewinnen. „ Afrikanisches Fieber “ ist denn auch, wie Kapuściński im knappen Vorwort feststellt, kein Buch über Afrika, sondern über die Menschen von dort, über die Begegnungen mit ihnen. Der Kontinent ist so riesig, vielfältig und widersprüchlich, dass es unmöglich ist, ihn schreibend zu erfassen. Kapuściński war viel zu sehr Reporter, um das auch nur ansatzweise zu versuchen. Das ist nicht die Aufgabe der Reportage, wie er sie verstand. Und er war unbestritten ein Meister seines Faches. In Polen, wo die literarische Reportage gepflegt wird wie nirgends sonst, wurde er denn auch zum „ Reporter des Jahrhunderts “ ernannt.
Die Reportage möchte nicht die ganze Welt erklären, sondern beschäftigt sich immer mit einzelnen Menschen, sie beschreibt einzelne Ereignisse, einzelne Bilder und Szenen. Im Vordergrund steht das Detail. Die Geschichte wird anhand von Details, scheinbar zufälligen Szenen, Beobachtungen und Begegnungen erzählt. Zum Beispiel das Loch von Onitsha: ein tiefer Krater, der sich in einer Landstraße vor der unbedeutenden Ortschaft Onitsha in der Ostregion Nigerias auftat, sodass der Verkehr zum Erliegen kam, was den Menschen vor Ort unerwartete Einkommensquellen erschloss. Die kleine, liebevolle, sehr genau beobachtete Erzählung beschreibt mehr über Afrika, über die Mentalität seiner Menschen, über das Unglück des Kontinents, aber auch seine Faszination, seine unglaubliche Kraft und Dynamik als so mancher wissenschaftliche Wälzer. Mit den hier versammelten Texten hat Kapuściński neue Maßstäbe für ein Genre gesetzt, das in Polen nach wie vor als Königsdisziplin des Journalismus gilt: die literarische Reportage.
„ Afrikanisches Fieber “ ist allerdings mehr als eine Sammlung hervorragender Reportagen über Afrika, die man, zugegeben, auch zwanzig Jahre nach ihrem ersten Erscheinen mit enormem Gewinn und Vergnügen lesen kann: Es ist vor allem ein literarisches Werk großer Klasse, in dem der Autor große Fragen stellt, Fragen nach der conditio humana, danach, was den Menschen ausmacht, unabhängig von seiner Hautfarbe und Religion.
Kapuściński hat sich im Gespräch mit seinen Übersetzern gern, ganz ohne Koketterie, als „ einer von uns “ bezeichnet. Er sei allerdings kein Übersetzer literarischer Werke, sondern einer von Kulturen. In „ Afrikanisches Fieber “, so der polnische Kritiker Michał Nawrocki, hat Kapuściński auch gezeigt, dass ein hochkarätiger Reporter auch ein „ Übersetzer von Menschen “ sein kann.

Martin Pollack
August 2016



Ich habe einige Jahre in Afrika gelebt. Zum ersten Mal fuhr ich im Jahre 1957 dorthin. In den folgenden vierzig Jahren kehrte ich jedes Mal dorthin zurück, wenn sich eine Gelegenheit ergab. Ich reiste viel herum. Ich mied offizielle Routen, Paläste, wichtige Gestalten und die große Politik. Viel lieber fuhr ich mit zufälligen Lastwagen herum, zog mit Nomaden durch die Wüste oder war bei Bauern der tropischen Savanne zu Gast. Ihr Leben ist eine Plackerei, eine Mühsal, die sie jedoch mit erstaunlicher Ausdauer und Gleichmut hinnehmen.
Dies ist daher kein Buch über Afrika, sondern über einige Menschen von dort, über die Begegnungen mit ihnen, die gemeinsam verbrachte Zeit. Dieser Kontinent ist zu groß, als dass man ihn beschreiben könnte. Er ist ein regelrechter Ozean, ein eigener Planet, ein vielfältiger, reicher Kosmos. Wir sprechen nur der Einfachheit, der Bequemlichkeit halber von Afrika. In Wirklichkeit gibt es dieses Afrika gar nicht, außer als geografischen Begriff.
R. K.



Anfang, Kollision, Ghana 1958

Vor allem anderen fällt das Licht auf. Überall Licht. Überall Helligkeit. Überall Sonne. Noch gestern das regentriefende, herbstliche London. Das regentriefende Flugzeug. Kalter Wind und Dunkelheit. Und hier seit dem Morgen der ganze Flughafen in der Sonne, wir alle – in der Sonne.
Früher einmal, als die Menschen noch zu Fuß durch die Welt zogen, auf Pferden ritten oder auf Schiffen segelten, bereitete die Reise selber sie auf die Veränderungen vor. Die Bilder der Erde zogen langsam an ihren Augen vorüber, die Weltbühne drehte sich ganz, ganz langsam. Die Reise dauerte Wochen, Monate. Der Mensch hatte genug Zeit, um sich in eine andere Umgebung, eine andere Landschaft einzuleben. Auch das Klima veränderte sich in Etappen, stufenweise. Bevor der Reisende aus dem kühlen Europa zum glühend heißen Äquator gelangte, hatte er schon das angenehm warme Las Palmas, die Hitze von El-Mahary und die Gluthölle von Kap Verde hinter sich.
Heute ist von diesen Abstufungen nichts mehr geblieben ! Das Flugzeug reißt uns unvermittelt aus Schnee und Eis und schleudert uns noch am selben Tag in den glühenden Abgrund der Tropen. Wir haben kaum Zeit, uns die Augen zu reiben, da sind wir schon inmitten der feuchten Hölle. Sofort beginnen wir zu schwitzen. Wenn wir im Winter aus Europa ankommen – reißen wir uns den Mantel vom Leib, ziehen den Pullover aus. Das ist die erste Geste der Initiation von uns Menschen aus dem Norden nach unserer Ankunft in Afrika.
Menschen aus dem Norden. Haben wir je darüber nachgedacht, dass die Menschen aus dem Norden auf unserem Planeten eindeutig in der Minderheit sind ? Kanadier und Polen, Litauer und Skandinavier, ein Teil der Amerikaner und Deutsche, Russen und Schotten, Lappen und Eskimos, Ewenken und Jakuten, die Liste ist nicht besonders lang. Ich weiß nicht, ob sie insgesamt mehr als fünfhundert Millionen Menschen umfasst: weniger als zehn Prozent der Bewohner der Erde. Die überwiegende Mehrzahl hingegen ist in warmen Regionen zu Hause, brät ihr ganzes Leben in der Sonne. Im Übrigen wurde der Mensch unter der Sonne geboren, seine ältesten Spuren wurden in warmen Ländern gefunden. Welches Klima herrschte zur Zeit des biblischen Paradieses ? Es war ständig warm, ja heiß, sodass Eva und Adam nackt gehen konnten und nicht einmal im Schatten der Bäume fröstelten.

Schon auf der Treppe des Flugzeugs begegnet uns eine weitere Neuheit: der Geruch der Tropen. Eine Neuheit ? Das ist doch der Duft, der den kleinen Laden mit „ Kolonialwaren und anderen Produkten “ von Herrn Kanzman in der Perez-Straße in Pinsk erfüllte. Mandeln, Gewürznelken, Datteln, Kakao. Vanille, Lorbeerblätter, Orangen und Bananen nach Stück, Kardamom und Safran nach Gewicht. Und Drohobycz ? Das Innere der Zimtläden von Bruno Schulz ? „ Schwach beleuchtet, dunkel und feierlich schwelgten ihre Eingeweide im tiefen Geruch von Farben, Lack, Weihrauch, dem Aroma ferner Länder und seltener Materialien … ! “ Der Geruch der Tropen ist aber doch ein wenig anders. Schon nach kurzer Zeit spüren wir seine Schwere, seine klebrige Körperlichkeit. Dieser Geruch macht uns sofort bewusst, dass wir uns in den Breiten unserer Erde befinden, wo die üppige und rastlose Biologie ständig am Werk ist, etwas hervorbringt, wuchert und blüht und gleichzeitig krank wird, sich zersetzt, vermodert und verfault.
Es ist der Geruch erhitzter Körper und dörrender Fische, verfaulenden Fleisches und gerösteter Kassawa, frischer Blumen und faulender Wasserpflanzen, mit einem Wort ein Geruch von allem, was gleichzeitig angenehm und eklig ist, was anzieht und abstößt, was verlockt und Abscheu erweckt. Dieser Geruch weht aus den nahen Palmenhainen zu uns herüber, er entströmt der heißen Erde, steigt aus den fauligen Rinnsteinen der Stadt. Er lässt uns nicht los, ist ein Teil der Tropen.

Und schließlich die wichtigste Entdeckung – die Menschen. Die Einheimischen, die Eingeborenen. Wie gut sie zu dieser Landschaft, dieser Welt, diesem Geruch passen. Wie das alles eine Einheit darstellt. Wie Menschen und Landschaft eine unzertrennliche, einander ergänzende, harmonische Gemeinschaft, eine Übereinstimmung bilden. Wie jede Rasse ihrer Landschaft, ihrem Klima angepasst ist ! Wir gestalten unsere Landschaft, und diese formt wieder unsere Gesichtszüge. Der weiße Mensch ist unter diesen Palmen, diesen Lianen, in diesem Busch und Dschungel ein seltsamer, auffallender Eindringling. Bleich, schwach, das Hemd verschwitzt, die Haare verklebt, ständig von Durst geplagt, vom Gefühl der Kraftlosigkeit, der Trübsal. Dauernd hat er Angst, fürchtet Moskitos, Amöben, Skorpione, Schlangen – alles, was sich bewegt, erfüllt ihn mit Furcht, Schrecken, Panik.
Ganz anders die Eingeborenen: Sie bewegen sich mit Kraft, Anmut und Ausdauer ganz natürlich und frei, in einem von Klima und Tradition diktierten Tempo, einem etwas langsameren, bedächtigen Tempo, weil man im Leben ohnehin nicht alles erreichen kann, was würde denn sonst für die anderen bleiben ?

Ich bin seit einer Woche hier. Ich versuche Accra kennenzulernen. Es wirkt wie eine vervielfältigte, vergrößerte Kleinstadt, die aus dem Busch, aus dem Dschungel gekrochen ist und am Ufer des Golfs von Guinea haltgemacht hat. Accra ist flach, ebenerdig, elend, doch es gibt auch Häuser, die ein oder mehrere Stockwerke besitzen. Keine raffinierte Architektur, keinerlei Aufwand, kein Pomp. Der Verputz ist einfach, die Wände sind pastellfarben, hellgelb, hellgrün. Und überall Wasserflecken. Unmittelbar nach der Regenzeit noch frisch, bilden sie zahllose Konstellationen und Collagen von Flecken, Mosaike, fantastische Landkarten, Arabesken. Die Innenstadt ist eng verbaut. Dichter, lärmender Verkehr, alles spielt sich auf der Straße ab. Die Straße besteht aus der Fahrbahn, die der offene Rinnstein vom Randstreifen trennt. Es gibt keine Gehsteige. Auf der Straße mischen sich Autos mit Menschen. Alles bewegt sich gleichzeitig dahin. Fußgänger, Autos, Fahrräder, Träger mit ihren Handwagen, Kühe und Ziegen. Am Rand, hinter dem Rinnstein, spielt sich auf der ganzen Länge der Straße das häusliche Leben und das Geschäftsleben ab. Frauen stampfen Maniok, rösten über Kohlen Taro-Knollen, bereiten irgendwelche Gerichte zu, handeln mit Kaugummi, Keksen und Aspirin, waschen und trocknen ihre Wäsche. Alles sichtbar, als gelte hier die Vorschrift, dass alle um acht Uhr morgens das Haus verlassen und sich auf der Straße aufhalten müssen. In Wahrheit ist der Grund ein anderer: Die Wohnungen sind klein, eng und ärmlich. Sie sind dumpf, es gibt keine Ventilation, es stinkt, man bekommt kaum Luft. Außerdem kann man, wenn man sich auf der Straße aufhält, am sozialen Leben teilnehmen. Die Frauen unterhalten sich die ganze Zeit über, sie schreien und gestikulieren, dann lachen sie wieder. Während sie sich über ihre Töpfe oder Schüsseln beugen, haben sie alles im Blick. Sie können die Nachbarn beobachten, die Passanten, die Straße, sie können Streitigkeiten und Tratsch belauschen, Unfälle verfolgen. Der Mensch ist den ganzen Tag über unter Menschen, in Bewegung und an der frischen Luft.

Durch diese Straßen fährt ein roter Ford mit einem Lautsprecher auf dem Dach. Eine heisere, weit hallende Stimme lädt ein, zu einer Versammlung zu kommen. Attraktion der Versammlung wird Kwame Nkrumah Osagyefo sein, Premierminister und Führer von Ghana, Führer von ganz Afrika, aller unterdrückten Völker. Nkrumahs Fotografien sieht man überall – in den Zeitungen ( täglich ), auf Plakaten, auf Fähnchen, auf den bis zu den Knöcheln reichenden Kattunkleidern. Das energische Gesicht eines Mannes mittleren Alters, lächelnd oder auch ernst, mit einem Ausdruck, der suggerieren soll, dass der Führer in die Zukunft schaut.
„ Nkrumah ist der Erlöser ! “, sagt der junge Lehrer Joe Yambo mit Begeisterung in der Stimme zu mir. „ Hast du gehört, wie er spricht ? Wie ein Prophet ! “
Ja, ich habe ihn gehört. Er kam zu einer Versammlung, die hier im Stadion abgehalten wurde. Mit ihm kamen seine Minister – jung und rührig, machten sie den Eindruck von Menschen, die sich gut amüsierten, die Freude empfanden. Die Veranstaltung begann damit, dass Priester mit Ginflaschen in der Hand das Podium mit Alkohol besprühten – das war ein Opfer für die Geister, der Versuch, Kontakt mit ihnen aufzunehmen, ihr Wohlwollen, ihre Gunst zu erlangen. Natürlich kommen vor allem Erwachsene zu diesen Versammlungen, aber es gibt auch viele Kinder – von Säuglingen angefangen, die von den Müttern auf dem Rücken getragen werden, über solche, die gerade krabbeln können, bis zu Kleinen und Schulkindern. Um die Jüngsten kümmern sich die Älteren, und um diese Älteren – noch Ältere. Diese Hierarchie des Alters wird streng eingehalten, der Gehorsam ist absolut. Ein Vierjähriger hat die volle Gewalt über einen Zweijährigen, ein Sechsjähriger über den Vierjährigen. Dadurch, dass Kinder von Kindern beaufsichtigt werden, die Älteren für die Jüngeren verantwortlich sind, können sich die Erwachsenen ihren eigenen Angelegenheiten widmen, zum Beispiel aufmerksam Nkrumah zuhören.
Der Osagyefo sprach kurz. Er sagte, das Wichtigste sei es, die Unabhängigkeit zu erringen – alles Übrige komme dann schon irgendwie von alleine, alles Wohlergehen resultiere eben aus dieser Unabhängigkeit.

Er war stattlich, mit energischen Bewegungen, gut geformten, ausdrucksvollen Gesichtszügen und großen, lebhaften Augen, die aufmerksam über das Meer der schwarzen Köpfe schweiften, als wollte er alle genau zählen.
Nach der Versammlung mischten sich die Leute vom Podium unter die Menge, es entstand ein Gedränge, man konnte keine Bedeckung, keine Leibwächter, keine Polizisten ausmachen. Joe kämpfte sich zu einem jungen Mann durch ( wobei er mir mitten im Gewühl sagte, dass der ein Minister sei ) und fragte ihn, ob ich ihn am nächsten Tag aufsuchen könne. In dem allgemeinen Lärm war kaum zu verstehen, was Joe eigentlich wollte, doch der andere sagte, vielleicht um uns loszuwerden: „ In Ordnung ! In Ordnung ! “
Am nächsten Morgen fand ich nach einigem Suchen das unter Palmen liegende neue Gebäude des Ministeriums für Bildung und Information. Es war Freitag. Am Samstag schrieb ich in meinem kleinen Hotel die Eindrücke vom Vortag nieder:
» Der Weg ist frei, kein Polizist, keine Sekretärin, keine Tür. Ich hebe den durchscheinenden Vorhang und trete ein. Das Kabinett des Ministers liegt im warmen Halbdunkel. Er selber steht neben dem Schreibtisch und ordnet irgendwelche Papiere. Die einen werden zusammengeknüllt und in den Papierkorb geworfen. Die anderen geglättet und in eine Mappe gelegt. Eine schlanke, feingliedrige Gestalt in Sporthemd, kurzen Hosen, Sandalen, eine blumige Kente über die linke Schulter geworfen, nervöse Bewegungen.
Das ist Kofi Baako, der Minister für Bildung und Information.
Er ist der jüngste Minister in Ghana und im gesamten Britischen Empire. Er ist 32 Jahre alt und versieht seit drei Jahren sein Amt. Sein Kabinett liegt im zweiten Stock des Ministeriums. Hier entspricht die Höhe der Stockwerke dem jeweiligen Rang. Je höher der Rang einer Person, umso höher das Stockwerk. Denn oben herrscht Zugluft, während unten die Luft schwer und unbeweglich steht. Im Erdgeschoss bekommen die niedrigen Beamten kaum Luft, einen Stock darüber genießen die Abteilungsleiter bereits eine leichte Brise, und ganz oben verschafft ein Durchzug den Ministern die ersehnte Kühlung.
Zum Minister kann kommen, wer will. Und wann er will. Wenn jemand etwas zu besprechen hat, fährt er nach Accra, fragt, wo hier der Minister zum Beispiel für Landwirtschaft ist, geht zu dem hin, hebt den Vorhang, nimmt vor der Amtsperson Platz und legt ihr dar, was ihn beschäftigt. Wenn er den Minister nicht im Ministerium antrifft, dann findet er ihn zu Hause. Das ist sogar noch besser, weil er dort etwas zu essen und zu trinken bekommt.
Gegenüber der weißen Administration verspürten die Menschen eine Distanz. Doch nun herrschen die eigenen Leute, und man kann sich locker geben. Das ist meine Regierung, also muss sie mir helfen. Damit sie helfen kann, muss sie wissen, um was es geht. Damit sie das erfährt, muss ich hingehen und ihr das erklären. Am besten mache ich das selber, persönlich und ohne viel Umschweife. Die Besuche dieser Interessenten reißen nicht ab.
„ Guten Tag ! “, sagte Kofi Baako. „ Von wo bist du ? “
„ Aus Warschau. “
„ Weißt du, es hat nicht viel gefehlt, und ich wäre dorthin gekommen. Ich habe ganz Europa bereist: Frankreich, Belgien, England, Jugoslawien. In der Tschechoslowakei wartete ich auf die Weiterreise nach Polen, als Kwame ein Telegramm schickte, ich solle zum Parteitag unserer regierenden Convention People's Party zurückkommen. “
Wir saßen am Tisch, in seinem Kabinett ohne Tür und Fenster. Anstelle der Fenster gab es nur Fensterläden mit offenen Sparren, durch die eine leichte Brise wehte. Das kleine Zimmer war vollgestopft mit Papieren, Akten und Broschüren. In der Ecke stand ein Panzerschrank, an den Wänden hingen ein paar Bilder von Nkrumah, auf einem Regal stand ein Lautsprecher, den man bei uns Kolchosnik nannte. Aus diesem Lautsprecher erklangen die Rhythmen von Tam-Tams, bis Baako ihn schließlich abstellte.
Ich bat ihn, von sich und seinem Leben zu erzählen. Baako genoss großes Ansehen bei der Jugend. Sie liebte ihn, weil er ein guter Sportler war. Er spielte Fußball und Cricket und war Tischtennismeister von Ghana.
„ Gleich “, unterbrach er mich, „ ich bestelle nur ein Gespräch nach Kumasi, weil ich morgen zu einem Match dorthin fahre. “
Er rief das Postamt an, sie sollten ihm eine Verbindung geben. Sie gaben ihm keine und sagten, er solle warten.
„ Gestern habe ich zwei Filme gesehen “, sagte er zu mir, den Hörer am Ohr. „ Ich wollte sehen, was sie spielen. Sie führen Filme vor, die Schulkinder besser nicht sehen sollten. Ich muss eine Verordnung erlassen, die es der Jugend verbietet, solche Dinge anzuschauen. Und heute habe ich seit dem Morgen die Verkaufsbuden mit Büchern in der Stadt besucht. Die Regierung hat niedrige Preise für Schulbücher festgesetzt. Doch die Leute sagen, dass die Verkäufer diese Preise heraufsetzen. Ich wollte das überprüfen. Es stimmt, sie verkaufen sie teurer, als sie sollten. “
Er rief wieder beim Postamt an.
„ Hört einmal zu, was macht ihr dort eigentlich ? Wie lange soll ich noch warten ? Wisst ihr denn nicht, wer hier spricht ? “
Eine Frauenstimme tönte aus dem Hörer: „ Nein. “
„ Und wer bist du ? “, fragte Baako.
„ Die diensthabende Telefonistin. “
„ Nun, und ich bin der Minister für Bildung und Information, Kofi Baako. “
„ Guten Tag, Kofi ! Gleich bekommst du deine Verbindung. “
Und schon sprach er mit Kumasi.
Ich betrachtete seine Bücher, die in einem kleinen Schrank standen: Hemingway, Lincoln, Koestler, Orwell. Eine populäre Geschichte der Musik, Wörterbuch des Amerikanischen, Taschenausgaben, Kriminalromane.
„ Lesen ist meine Leidenschaft. In England habe ich die Encyclopaedia Britannica gekauft, die lese ich jetzt nach und nach. Ich kann nicht essen, ohne zu lesen, immer muss ich ein offenes Buch vor mir liegen haben. “
Und nach einer Weile:
„ Noch mehr Spaß bereitet mir die Fotografie. Ich mache immer und überall Aufnahmen. Ich habe mehr als zehn Fotoapparate. Wenn ich in ein Geschäft gehe und einen neuen Apparat sehe, muss ich den sofort kaufen. Für meine Kinder habe ich einen Projektor angeschafft, und am Abend führe ich ihnen Filme vor. “
Er hat vier Kinder, zwischen drei und neun Jahren. Alle gehen in die Schule, auch das jüngste. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein dreijähriger Knirps die Schule besucht. Vor allem wenn er schlimm ist, dann steckt ihn die Mutter in die Schule, um ihre Ruhe zu haben.
Auch Kofi Baako besuchte schon mit drei Jahren die Schule. Sein Vater war Lehrer und wollte den Jungen lieber unter seiner Aufsicht wissen. Als er die Grundschule beendet hatte, wurde er ans Gymnasium nach Cape Coast geschickt. Er wurde zuerst Lehrer, später Beamter. Ende 1947 kehrte Nkrumah von seinem Studienaufenthalt in Amerika und England nach Ghana zurück. Baako hörte, was dieser Mann sagte. Er sprach über die Unabhängigkeit. Da schrieb Baako einen Artikel mit dem Titel: „ Mein Hass gegen den Imperialismus “. Er wurde von seiner Arbeitsstelle entlassen. Er fand keine neue Stelle mehr, nirgends wollte man ihm Arbeit geben, er lungerte untätig in der Stadt herum. Es kam zu einer Begegnung mit Nkrumah. Kwame übertrug ihm den Posten des Chefredakteurs der Cape Coast Daily Mail.
Zu diesem Zeitpunkt ist Kofi zwanzig Jahre alt. Er schreibt einen Artikel unter dem Titel „ Wir rufen nach Freiheit “, für den er ins Gefängnis wandert. Neben ihm werden noch Nkrumah und ein paar andere Aktivisten verhaftet. Sie sitzen dreizehn Monate, dann werden sie freigelassen. Heute bildet diese Gruppe die Regierung von Ghana.
Dann sprach er über allgemeine Fragen: „ Nur dreißig Prozent der Menschen in Ghana können lesen und schreiben. Wir wollen in den nächsten fünfzehn Jahren den Analphabetismus liquidieren. Dabei gibt es Probleme: Es fehlt an Lehrern, Büchern und Schulen. Es gibt zwei Arten von Schulen: Missionsschulen und staatliche. Doch alle unterstehen der Regierung, und es gibt eine einheitliche Bildungspolitik. Außerdem studieren fünftausend Studenten im Ausland. Mit denen ist es in vielen Fällen so, dass sie zurückkommen und sich dann mit den einfachen Menschen nicht mehr verständigen können. Schau dir doch nur mal die Opposition an. Die Führer der Opposition sind Absolventen von Oxford und Cambridge. “
„ Was will die Opposition ? “
„ Ich habe keine Ahnung. Aber wir sind der Ansicht, dass wir eine Opposition brauchen. Der Führer der Opposition im Parlament bezieht ein staatliches Gehalt. Wir haben es allen oppositionellen Kleinparteien, Gruppen und Grüppchen gestattet, sich zu einer Partei zusammenzuschließen, damit sie stärker sind. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass jeder, der will, in Ghana das Recht hat, eine politische Partei zu gründen. Sie darf sich allerdings nicht auf Kriterien der Rasse, der Religion oder des Stammes berufen. Jede Partei hat bei uns die Möglichkeit, alle konstitutionellen Mittel zu nützen, um die politische Macht zu erringen. Aber es ist trotzdem nicht klar, was die Opposition will, verstehst du. Die Oppositionellen berufen Versammlungen ein und schreien: Wir haben Oxford und so ein Kofi Baako hat nicht einmal das Gymnasium abgeschlossen. Er ist heute Minister, und ich bin niemand. Aber wenn ich einmal Minister bin, dann wird Baako für mich zu dumm sein, um mir als Bürobote zu dienen. – Die Leute hören gar nicht auf dieses Geschwafel, denn solche Kofi Baakos gibt es bei uns mehr als alle Oppositionellen zusammengenommen. “

Ich sagte, ich müsse gehen, denn es sei Zeit zum Essen. Er fragte, was ich am Abend vorhätte. Ich wollte nach Togo fahren.
„ Aber wozu denn “, winkte er ab. „ Komm zu unserem Fest. Heute gibt der Rundfunk ein Fest. “
Ich hatte keine Einladung. Er suchte ein Stück Papier und schrieb: „ Empfangt Ryszard Kapuściński, Journalist aus Polen, zu Eurem Fest – Kofi Baako, Minister für Bildung und Information. “
„ Hier, bitte, ich werde auch dort sein, wir machen ein paar Aufnahmen. “
Die Wache vor dem Tor zum Rundfunkgebäude salutierte schneidig vor mir, und ich nahm an einem separaten Tisch Platz. Das Fest war in vollem Gang, als ein grauer Peugeot bis zum Tanzparkett vorfuhr ( es war im Garten ), dem Kofi Baako entstieg. Er war genauso gekleidet wie im Ministerium, nur dass er jetzt einen roten Trainingsanzug über dem Arm trug, weil er noch in der Nacht nach Kumasi fahren wollte und es kalt werden konnte. Alle hier kannten ihn. Baako war Minister für die Schulen, die Hochschulen, die Presse, den Rundfunk, das Verlagswesen, die Museen, kurz, für alles, was in diesem Land mit Wissenschaft, Kultur, Kunst und Propaganda zu tun hat.
Wir tauchten gleich ins dichte Gedränge ein. Etwas später setzte er sich, um eine Cola zu trinken. Gleich sprang er wieder auf.
„ Komm, ich zeig dir meine Apparate. “
Er öffnete den Kofferraum des Wagens und holte einen Koffer heraus. Er legte ihn auf den Boden, kniete nieder und klappte ihn auf. Wir nahmen die Apparate heraus und legten sie auf den Rasen. Es waren insgesamt fünfzehn.
In diesem Moment kamen zwei leicht angetrunkene Burschen auf uns zu.
„ Kofi “, setzte der eine zu einer Beschwerde an. „ Wir haben Karten gekauft, und jetzt wollen sie uns nicht erlauben hierzubleiben, weil wir keine Jacken haben. Warum haben sie uns dann überhaupt Karten verkauft ? “
Baako stand auf, um ihm zu antworten.
„ Hört einmal zu, ich bin zu wichtig, um mich um solche Angelegenheiten zu kümmern. Hier gibt es jede Menge kleiner Typen, sollen die sich auch um diese kleinen Dinge kümmern. Ich habe schließlich die Probleme des ganzen Staates am Hals. “
Die beiden zogen schwankend ab, und wir gingen los, um Aufnahmen zu machen. Es genügte, dass er mit den umgehängten Fotoapparaten auftauchte. Sofort riefen ihn die Leute von den Tischen an, sie zu knipsen.
Er ging herum, suchte die hübschesten Mädchen, zeigte ihnen, wie sie sich hinstellen sollten, wies sie an zu lächeln und blitzte. Er kannte alle beim Vornamen: Abena, Ekwa, Esi. Sie begrüßten ihn, indem sie ihm, ohne aufzustehen, die Hand reichten, wobei sie mit den Schultern zuckten, ein Zeichen der raffiniertesten Koketterie. Baako ging weiter, und wir machten zahlreiche Aufnahmen. Schließlich schaute er auf die Uhr.
„ Ich muss fahren. “
Er wollte zum Match zurechtkommen.
„ Komm morgen, dann entwickeln wir die Bilder. “
Der Peugeot blinkte mit den Lichtern und verschwand in der Dunkelheit, und das Fest tanzte oder besser wiegte sich und schwankte bis zum frühen Morgen.

Ryszard Kapuściński

Über Ryszard Kapuściński

Biografie

Ryszard Kapuściński, geboren 1932 in der ostpolnischen Stadt Pinsk, gestorben 2007 in Warschau, wurde in den Fünfzigerjahren als Korrespondent nach Asien und in den Mittleren Osten, später auch nach Lateinamerika und nach Afrika entsandt. Er zählte zu den großen Journalisten seiner Zeit, seine...

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