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Wir kommen schon klar

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Stephen May
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Wir kommen schon klar — Inhalt

Billy liest am liebsten Boulevardzeitungen: All die grausamen Schreckensmeldungen erinnern ihn daran, dass anderen Menschen noch schlimmere Dinge passieren als ihm. Dabei ist seine Mutter gerade bei einem Überfall ums Leben gekommen und er ist der Einzige, der jetzt für seinen sechsjährigen Halbbruder Oscar sorgen kann. Aus Billys Wut und Verzweifl ung werden Kraft und Mut, und aus den beiden Geschwistern ein unschlagbares Team. Eine lakonisch erzählte, herzzerreißende Geschichte vom frühen Erwachsenwerden.

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 14.07.2012
Übersetzt von: Nicolai von Schweder-Schreiner
320 Seiten, WMePub
EAN 978-3-8270-7549-9
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Leseprobe zu „Wir kommen schon klar“

1
Mums Begräbnis findet im Millennium Crematorium
statt, einem hellen Backsteinkasten im Schatten
des Indoorspielplatzes am Rande der Stadt. Es sieht
aus wie eine Autobahnraststätte. Drei Hilfsarbeiter
in Sig naljacken stehen rauchend im kalten Regen
und warten dar auf, dass sie das Loch mit Erde auffüllen
dürfen. Ein paar Meter weiter steht ein großer,
spindeldürrer Mann, mit einem Gesicht, bei dem
ihm gar nichts anderes übrig blieb, als Leichenbestatter
zu werden. Außerdem Großtanten, Nachbarn, ein
paar junge Büromäuse, enge Anzüge, Hüte und zwei
Arten von [...]

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1
Mums Begräbnis findet im Millennium Crematorium
statt, einem hellen Backsteinkasten im Schatten
des Indoorspielplatzes am Rande der Stadt. Es sieht
aus wie eine Autobahnraststätte. Drei Hilfsarbeiter
in Sig naljacken stehen rauchend im kalten Regen
und warten dar auf, dass sie das Loch mit Erde auffüllen
dürfen. Ein paar Meter weiter steht ein großer,
spindeldürrer Mann, mit einem Gesicht, bei dem
ihm gar nichts anderes übrig blieb, als Leichenbestatter
zu werden. Außerdem Großtanten, Nachbarn, ein
paar junge Büromäuse, enge Anzüge, Hüte und zwei
Arten von Gesichtern. Die zerfließenden und die
leeren.
Auch Dean Hessenthaler ist da, Oscars Vater, der
ziemlich massig wirkt in seinem dicken teuren Mafia-
Mantel und grimmig aus seinem fleischigen Gesicht
schaut, während er so tut, als sähe er sich die
Blumen an, die sich um uns her um stapeln. Mann,
hat der sich gehen lassen.
Und dann Reverend Luke Newell, der Pfarrer,
der mit den Händen ringt wie ein Kinderschänder.
Er sieht ungefähr so alt aus wie ich, müsste aber älter
sein. Das ist bestimmt sein größter Auftritt bisher,
wahrscheinlich ist er tierisch nervös. Sieht aus, als
würde er sich jeden Moment in die Hose machen.
Und dann ist da noch Oscar, feierlich und still,
ein sechsjähriger Kennedy in Anzug und schma6
ler schwarzer Krawatte. Er sieht cool aus, als würde
er in einer Band spielen. Und jedes Mal, wenn ein
Blick auf ihn fällt, bleibt kein Auge trocken. Feuchte
Taschentücher werden gezückt. Oscar braucht die
Leute nur anzusehen, und schon brechen sie in Tränen
aus. Dann zerfließen auch die leeren Gesichter.
Immun dagegen ist offenbar nur Dean. Als er Oscar
sieht, murmelt er: „Alles klar, Kleiner?“ Und als
Oscar nicht reagiert, nickt er nur, als wäre das genau
die Antwort, auf die er gewartet hat. Oscar scheint
ihn gar nicht wahrzunehmen.
Rote Augen, rote Nasen. Alles schnieft und flüstert.
Sogar die Journalisten, sogar die Polizei. Bleiche
Gesichter, schwarze Klamotten. Alles ist rot, weiß
und schwarz. Hakenkreuzfarben. Die Farben des Todes.
Das hier ist kein Lasst-uns-das-Leben-feiern-Begräbnis
oder so ein Quatsch. Hier trägt niemand Partykleider.
Oder Papierhüte. Oder Hawaiihemden.
Oder Fußballtrikots oder Teddybären. Und es gibt
auch keine Gimmicks, wie man sie auf Beerdigungen
heutzutage manchmal bekommt.
Man muss nur die entsprechenden Magazine
durchblättern, und schon stößt man auf Jungs, die im
Auswärtstrikot der Queens Park Rangers beerdigt
werden, oder Mädchen, die im Tutu in die Unterwelt
hin absteigen. Oder einen alten Mann, der seine
Golfschläger, seine Autoschlüssel oder seine Northern-
Soul-Platten mit ins Grab nimmt. Eine Art
Sozialwohnungs-Pharao, der einem sagt: Das letzte
Hemd hat doch noch Taschen.
Hier nicht.
„Komm, Billy, gehen wir.“ Oscar flüstert, aber mit
fester Stimme wie ein General, der seine Truppen anführt.
Oder besser gesagt wie ein Schauspieler, der die
anderen Schauspieler anleitet. Wie jemand, der weiß,
was er zu tun hat. Er strafft die Schultern und macht
sich gerade. Ein schmaler Meter destillierten Heldentums.
Er zerrt an meiner Hand, energisch und erstaunlich
kräftig für so ein Strichmännchen. Ich folge ihm
und habe das Gefühl, dass mein Gesicht auch gleich
zerfließt, als wäre ich eine von diesen blöden Büromäusen.
Fuck! Bitte nicht. Ich gehe in die Hocke,
halte ihn an den Schultern, schaue ihm in die Augen
und sage: „Okay, Mann, bringen wir es hinter uns.“
Dann stehe ich auf, und schon sind wir drinnen.
Jeden Tag höre ich Geschichten, die noch trauriger
und idiotischer sind als unsere. Zum Beispiel heute
Morgen. Heute Morgen las ich von einem Kleinkind
aus Inverness, das auf eine Vase fiel und starb. Russell
Poulter spielte gerade mit seinem Lieblingsspielzeug,
stolperte, warf die Vase um, fiel in die Scherben und
schnitt sich den Hals auf. Alles vor den Augen seiner
Mutter, einer Krankenschwester, die wahrscheinlich
genau wusste, was mit ihrem Kleinen passierte,
aber nichts dagegen tun konnte. Eben ist sie noch am
Abwaschen und hört den Kleinen spielen und im
nächsten Moment hält sie seinen Kopf im Schoß und
muss mit ansehen, wie das Leben aus ihm sickert. Das
ist viel trauriger als unsere Geschichte. Und idiotisch,
denn was bitte gibt es Harmloseres als eine Vase?
Mrs Poulter mochte die Vase nicht mal. Sie war
billig und kitschig, ein Geschenk ihrer Schwiegermutter,
die auch sonst keinen Geschmack hatte. Sie
hatte sie eigentlich auf dem Flohmarkt verkaufen wollen.
Traurig. Idiotisch.
Ich lese diese Zeitschriften inzwischen alle. Chat,
Bella, Best, Take a Break, Love It, Reveal, Pick Me Up –
und noch ein paar mehr. Große Dramen des echten
Lebens. Die Blätter, auf denen in knalliger Schnörkelschrift
Leben! Tod! Kreuzworträtsel! unter dem Titel
steht. In denen es um die Russell Poulters dieser
Welt geht. Das wirkt. Es hilft mir. Ich hab dann das
Gefühl, dass ich noch Glück gehabt habe.
Ich habe Glück gehabt, weil ich noch am Leben
bin und Oscar auch und wir ein Haus haben und genug
Geld, um einmal die Woche zu Morrisons zu
gehen und uns Smacks zu kaufen.
Okay, Oscar. Bringen wir es hinter uns. Beerdigen
wir unsere blöde Mutter, die Frau, die es für nötig
hielt, sich auf einem Parkplatz mit einem dahergelaufenen
Niemand einen Kampf auf Leben und Tod zu
liefern.
Von außen sieht die Kapelle wirklich aus wie eine
Raststätte und innen drin eigentlich auch. Dieses Gebäude
könnte alles sein: eine moderne Pfarrkirche,
ein Museum, ein Supermarkt, eine Schule oder ein
Gefängnis.
Der Gottesdienst selbst ist eher retro. Gedichte.
Hymnen. Psalmen. Tante Toni, Mums Schwester, hat
alles organisiert, und ich kann nicht behaupten, dass
ich es anders gemacht hätte, aber das heißt nicht, dass
es richtig so ist. Ist es nämlich nicht. Es ist alles total
verkehrt. Reverend Luke erzählt aus Mums Leben,
all das, wor um wir – Toni und ich – ihn gebeten
haben, aber aus seinem Mund klingt es irgendwie so
klein und unbedeutend. Nach einer ganz gewöhnlichen
Büromaus. Jemand, den man ruft, damit er einem
die Ablage sortiert oder die Weihnachtsfeier organisiert.
Es sind alles nur Worte. Nicht mal Worte.
Töne. Ein einziges Geblubber. Er erwähnt auch
nicht, wie sie gestorben ist. Dieses lächerliche Pausenhofgerangel,
ein albernes Gezerre. Wahrscheinlich
gar keine schlechte Entscheidung: Es ist wirklich
eine extrem peinliche Art zu sterben, war um sollte
man groß dar über reden? Und Rev. Luke spricht
auch nicht dar über, wer uns alle hier zusammengebracht
hat. Nämlich Aidan Jebb.
Das einzig Moderne ist eine PowerPoint-Präsentation
mit Fotos aus Mums Leben, untermalt von
Vaughn Williams’ Lark Ascending. Und auf jedem
Bild guckt Mum mit aufgerissenen Augen und breitem,
übertrieben optimistischem Grinsen in die Kamera.
Vom glucksenden Baby 1969 zur Hochglanz-
Managerin bei den Southwood Enterprise Awards
2009, jedes Mal scheint sie „Juhu! Smiley!“ zu rufen.
Wenn man die ganzen Fotos so sieht, könnte man sie
glatt für verrückt halten. Ich frage mich, ob sie nicht
tatsächlich irgendwie gestört war.
Hätte Mum so eine Beerdigung gewollt? Wahrscheinlich
nicht. Immerhin war sie Eventmanagerin,
sie hätte ein Riesending dar aus gemacht. Wenn
Mum etwas organisierte, dann richtig. Der Tod als
Event. Es wäre ein Spektakel geworden, etwas, wo -
rüber geredet wird, wor an man sich später erinnert –
ich kann mir gut vorstellen, wie sie zu ›Gimme!
Gimme! Gimme! A Man After Midnight‹ in die Kapelle
kommt. Oder ›Going Underground‹. Irgendwas
Skandalöses jedenfalls.
Und bestimmt hätte es auch nicht hier, in dieser
Raststätten-Kapelle, stattgefunden. Es wäre eine exklusive,
sorgfältig ausgewählte Location gewesen. Wo
man nicht so leicht hinkommt, im Nachhin ein aber
die Mühe wert. Der hipste, angesagteste Totenacker
der Stadt. Friedhof mit Aussicht.
Aber Beerdigungen sind ja nicht für die Toten da.
Den Toten ist das scheißegal. Nein, Beerdigungen
sind einzig und allein für die Lebenden. Und diese
hier ist ganz traditionell und funktional, für diejenigen
unter uns, die einfach funktionieren wollen, in
traditionell englischer Manier. Die einen Fuß vor
den anderen setzen, bis alles überstanden ist.
Nicht alle Lebenden wissen das zu schätzen. Mein
Vater ist nicht hier (eine kurze SMS: Denk an dich,
Kumpel. Kumpel? Er ist nicht mein Kumpel. Er ist
mein Vater. Das sollte er sich mal wieder ins Gedächtnis
rufen. Und seine Textvorlagen kann er sich
auch sparen), aber im Großen und Ganzen ist es ein
Erfolg. Und der Erfolg misst sich hier an der Lautstärke
der Schluchzer in der Kirche, der Anzahl der
knochenzermalmenden Händedrücke, die ich später
in der Oaks Avenue bekomme – und der Menge an
Billig-Alk, der beim Leichenschmaus fließt.
Man muss nicht tot sein, um ein Geist zu sein.
Wenn man sich so umschaut, sieht man genug Leute,
die wie Geister durch ihr Leben irren. Vielleicht geht
das den meisten so. Seufzend und stöhnend ziehen
sie durch die Straßen, durch die Shops und durch
den Jahresurlaub. Schimpfen über ihr Leben, voll beladen
mit irgendwelchem Zeug. In Fesseln und Ketten.
Gefangen in Jobs und Häusern. Steuervergünstigungen.
Mieten und Hypotheken, Elternabenden
und Städtereisen.
Dabei gibt es Schlimmeres, als ein Geist zu sein.
Ein gefährlicher Zombie zum Beispiel, der in einer
Endlosschleife zwischen Dealer, Polizeiwache, Sozialarbeiter,
Wohnheim und Straße steckt. So sieht es
nämlich aus in unserem Land: Geister und Zombies,
wo man hinschaut.
Aidan Jebb wog bei seiner Geburt weniger als zwei
Pfund. Er kam sechs Wochen zu früh. Nur einer der
beiden Zwillinge überlebte. Aidan war der vier Minuten
jüngere, und während Callum Jebb nur einmal
kurz hustete und starb, ohne einen Schrei von sich
gegeben oder auch nur die Hände geöffnet zu haben,
folgte ihm Aidan brüllend und kämpfend, indem er
den Schwächeren zur Seite stieß. Und nach einem
Leben griff, das nicht gerade auf ihn gewartet hatte.
Aidan war so groß wie die Hand seines Vaters, ein
Wunderbaby, in ein Haus geboren, in dem es keine
Teppiche gab, aber einen Breitbildfernseher und Sky
Sports. Als er nach sechs Monaten endlich aus dem
Krankenhaus kam, erschien ein Bild von ihm in der
Gazette. Triumphierend trug man ihn ins Haus, das
inzwischen durch Spenden diverser Wohltäter komplett
eingerichtet war. Aidan – benannt nach seinem
Großvater väterlicherseits, einem legendären Spielsüchtigen
– hatte ihnen Glück gebracht, und die
Willkommensfeier dauerte mehrere Tage lang. Allen
fiel auf, wie still und wie brav Aidan war. Und
Rosie, seine Mutter – selbst noch ein Kind –, lachte
jedes Mal und meinte, wie komisch das sei, weil sie
doch so laut war. Seien wir ehrlich, sie war ein Partygirl,
für alles zu haben, und er guckte einfach nur
und sabberte ein bisschen, wenn er rumgereicht und
geknufft und gestupst wurde und die verschwitzten
Gesichter vor ihm auf- und abtauchten. Nein,
echt, Aidan musste man nur eine Flasche geben, und
schon war er glücklich.
„Da unterscheidet er sich ja nicht groß von dir,
Rosie“, meinte irgendein Klugscheißer.
Bald schon war er das einzige männliche Wesen
in einem reinen Mädchenhaushalt. Ab und zu waren
zwar Männer da, aber nur zu Besuch. Sie kamen und
gingen, und so war es auch allen am liebsten. Aidan
gluckste und lächelte jedes Mal, wenn einer der dürren
Kerle her einschwankte. Er kicherte, wenn sie fluchend
versuchten, den Kinderwagen zusammenzuklappen.
Er klatschte in seine kleinen Hände, wenn
sie ihn nach oben in sein kaltes Zimmer trugen, wo
es nach Apfel roch und ihn das beruhigende Flimmern
von Dads einzigem Vermächtnis erwartete, das
Rauschen von Cartoon Network in der Ecke.
Morgens gab es dann meistens Gepolter und Geschrei,
aber Aidan lag sicher in seinem Gitterbett,
bis sie ihn holen kamen. Es war nie wegen ihm. Mit
ihm hatte das nichts zu tun. Diese morgendlichen
Gewitter entsprachen nun mal dem Klima zu Hause,
die Männer brachten sie mit, und mit ihnen verzogen
sie sich auch wieder, mit einem letzten Windstoß
und einem Knall. Dann gab es nur noch Rosie
und ihn, und seine Oma, und Rosies Freundinnen,
und die Geschäfte, und die warme Musik der
Kneipen, in die man Kinder mitnehmen durfte. Bis
der nächste Unruhestifter vor der Tür stand, dicke
Ringe an den Fingern und ein breites Lachen auf
den Lippen. Bis der nächste Kerl antanzte, mit ein
paar Scheinen in der Tasche, frisch frisiertem Haar
und dem sicheren Gespür dafür, wann es Zeit für die
Drinks war.

Über Stephen May

Biografie

Stephen Mays erster Roman kam bei einem kleinen walisischen Verlag heraus und gewann den Preis für das beste walisische Buch 2009 - obwohl der Autor überhaupt kein Waliser ist. Er hat Kreatives Schreiben unterrichtet und fürs Theater und Fernsehen geschrieben. Stephen May lebt in Yorkshire.

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