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Wahrheit gibt es nur zu zweien

Wahrheit gibt es nur zu zweien

Hannah Arendt
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Briefe an die Freunde

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Wahrheit gibt es nur zu zweien — Inhalt

Selten hat sich ein Mensch solch ein ­Universum der Freundschaft erschlossen wie Hannah Arendt. Darin findet die ins Exil Geflohene Halt, davon erzählen ihre Briefe: Bot­schaften der Liebe an ihren Mann Heinrich ­Blücher, philo­sophische und politische Gespräche mit ihrem Lehrer Karl Jaspers, Bekenntnisse zur Dichtung an den jungen Schriftsteller Uwe Johnson. „Wahrheit“, schreibt Arendt, „gibt es nur zu zweien“. Wie viele Facetten das ­Gespräch unter vier Augen für sie hat, zeigt diese Auswahl ihrer schönsten Briefe.

€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erschienen am 08.06.2015
Herausgegeben von: Ingeborg Nordmann
464 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-30718-5
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Leseprobe zu „Wahrheit gibt es nur zu zweien“

Vorwort


Ob ich zur Freundschaft fähig bin,

weiß ich nicht.

Aber fähig bin ich dessen,

was Rahel Varnhagen einmal

die „suchende Treue“ genannt hat.

Hannah Arendt


Die Idee zu diesem Buch hat ein berühmtes Vorbild: Das Buch des Andenkens, für das Rahel Levin Varnhagen eine Auswahl ihrer Briefe an die Freundinnen und Freunde, geschrieben in den Jahren zwischen 1787 und 1833, selbst zusammengestellt hat.[1] Es war ihr Entwurf für das nächste Jahrhundert, von dem sie hoffte, dass es die Versprechen der Aufklärung einlösen würde. Wir haben es aber nicht nur mit einem [...]

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Vorwort


Ob ich zur Freundschaft fähig bin,

weiß ich nicht.

Aber fähig bin ich dessen,

was Rahel Varnhagen einmal

die „suchende Treue“ genannt hat.

Hannah Arendt


Die Idee zu diesem Buch hat ein berühmtes Vorbild: Das Buch des Andenkens, für das Rahel Levin Varnhagen eine Auswahl ihrer Briefe an die Freundinnen und Freunde, geschrieben in den Jahren zwischen 1787 und 1833, selbst zusammengestellt hat.[1] Es war ihr Entwurf für das nächste Jahrhundert, von dem sie hoffte, dass es die Versprechen der Aufklärung einlösen würde. Wir haben es aber nicht nur mit einem Andenken, sondern mit einem Denken oder besser mit einem Anders- und Neudenken zu tun. In den Korrespondenzen Rahel Varnhagens zeigt sich ein neues Verständnis des Briefs. Er wird begriffen als ein eigenständiger und rätselhafter Dialograum, in dem mehr passiert, als die Schreibenden intendiert haben, und als ein Raum der Freiheit, in dem man sich zwanglos zwischen verschiedenen Denk- und Schreibweisen bewegen kann.

Betrachtet man den Brief wie die Romantik als Ausdrucksmedium von Subjektivität, dann erscheint es selbstverständlich, dass der Briefwechsel mehr dialogische Vielfalt bietet als eine Zusammenstellung, in der nur die Briefe einer Person versammelt sind. Das „nur“ ist aber schon eine verstellende Einschränkung. Denn betrachtet man den Brief als Dialograum, so öffnet sich in ihm eine innere Komplexität, die im Hin und Her des Briefwechsels leicht überspielt werden kann. Diese innere Komplexität besteht darin, dass jeder Brief bereits eine Antwort ist und die Antwort das zuvor Geschriebene mitenthält. Wir werden zu einem anderen Lesen motiviert, und es rücken andere Wirklichkeiten in den Fokus der Aufmerksamkeit. Durch den häufigen Wechsel der Adressaten entsteht in der Wahrnehmung des Lesers ein Dialog der Vielen. Schon auf der Ebene der Anschauung wird wahrnehmbar, wie unterschiedlich die Freundschaften sind und dass sie eigene Sprachen haben. Es entsteht ein Mosaik der Vielstimmigkeit.

Es ist nicht bekannt, ob Hannah Arendt je erwogen hat, ihre Briefe als Bücher zu publizieren. Vorrang hatten die philosophischen und politischen Schriften. Aber sie hat die Briefe aufgehoben, den Briefwechsel mit Jaspers im Literaturarchiv Marbach selbst geordnet. Ihr ambivalentes Verhältnis zum Briefeschreiben – „Briefeschreiben ist […] ein gefährlicher Unfug“[2] – hat sie nicht daran gehindert, eine der eifrigsten Briefeschreiberinnen ihrer Zeit zu werden, die in diesem Medium zu einer Ungezwungenheit des Nachdenkens findet, sodass man zuweilen auf einer einzigen Seite den Entwurf zu einem ganzen Buch des Lebens zu lesen meint.

Eine erstaunliche Anzahl von Briefwechseln wurde nach ihrem Tod bereits veröffentlicht, bedenkt man, dass sie beinahe noch unsere Zeitgenossin ist. Viele unveröffentlichte Briefe und Briefwechsel liegen noch in der Handschriftenabteilung der Library of Congress in Washington und in anderen Archiven. Wenn nun nachträglich eine Zusammenstellung von Briefen Hannah Arendts versucht wird, die von ihr so nicht vorgesehen war, so lassen sich aus Aspekten ihrer Biografie und ihrer Gedankenwelt Kriterien benennen, die diesem Entwurf einen nachvollziehbaren Sinn zu geben vermögen.

Der Brief und die Freundschaft sind Hannah Arendts Antworten auf die „finsteren Zeiten“, in denen Menschen von heute auf morgen zu Flüchtlingen und Staatenlosen werden, die Freunde über die ganze Welt verstreut sind und die Vorstellung von Heimat überhaupt problematisch geworden ist. Für diejenigen, die „in keinem Besitz verwurzelt sind, und darum ihr Milieu sozusagen immer mit sich herumtragen oder, richtiger, darauf angewiesen sind, es immer neu zu produzieren“,[3] die folglich in einem existenziellen Sinn unterwegs sein müssen, wird der Brief zu einem unverzichtbaren Mittel, Zusammenhänge stiften zu können. Diesen Zusammenhängen entspricht das, was Arendt Freundschaft nennt.

Im November 1949 begann Arendts erste Europareise nach ihrer Flucht und Emigration in die USA. Sie kam nach Europa im Auftrag der Jewish Cultural Reconstruction, um gerettete jüdische Bücher, Manuskripte und Kultgegenstände aufzufinden und dem jüdischen Volk zurückzuerstatten. Sie war sich vollkommen bewusst, dass sie nie wieder nach Deutschland zurückkehren wollte, und sie war von äußerst widersprüchlichen Gefühlen durchdrungen in Erwartung dessen, was auf sie zukam. Aber sie ahnte nicht, dass sie noch mehr als 20 Mal nach Europa reisen würde. Die Reisen wurden Teil ihres Lebens: „Mir ist die Lust zum Reisen ja überhaupt erst gekommen, nachdem das Zuhause [in New York] so ins Zentrum gerückt war, dass man darum herum die ganze Welt gruppieren konnte.“[4]

Die Reisen, die Treffen mit den Freunden und das Schreiben von Briefen umreißen einen Raum ganz besonderer Art, der nur in dieser Konstellation existiert. Ohne die Reisen wären viele der Briefe nicht geschrieben worden, und ohne die Briefe hätten sich die Freundschaften nicht zu derart differenzierten Lebenswelten entwickelt. Wir haben es hier mit einem Projekt zu tun, das nicht geplant war, sondern sich ergab und erst in der Montage der Briefe Arendts eine wahrnehmbare Gestalt annimmt. Es entsteht ein aus Brieffragmenten zusammengesetztes Lebensbild Arendts.

Im Mittelpunkt dieser Briefauswahl stehen die Reisen Arendts nach Europa. Ihre europäischen Skizzen, die vor allem in den Briefen an Heinrich Blücher zu finden sind, laden ein zu einer Spurensuche entlang der verzweigten Facetten einer Wirklichkeit, die für Arendt eine so elementare Bedeutung hatte: das „Beziehungsgewebe“ zwischen den Menschen, von ihr kurz das Zwischen oder auch Welt und Freundschaft genannt, jener komplexe und konkrete Raum, in dem die Menschen sich direkt „aneinander richten und sich gegenseitig ansprechen“[5]: mit Bekenntnissen der Zuneigung und Anerkennung, Erwartungen und Hoffnungen, Erzählungen von Erfahrungen und Geschichten, durch Aufeinanderzugehen und Sichzeigen, durch Begegnungen der verschiedensten Art, in denen Nähe und Ferne immer wieder neu definiert werden mussten. Dass sie diesen Gedanken in ihrer Vita activa entfaltet hat, ist mehr oder weniger bekannt. Dass sie aber auch fähig war, noch die kleinsten Aufbrüche in den zahlreichen zufälligen Begegnungen wahrzunehmen, erfahren wir aus den Briefen. Es ist charakteristisch für Arendt, dass sie sich nicht nur auf die Analyse der großen Zusammenhänge verließ, sondern auch die kleinen Begebenheiten ernst nahm, und zwar nicht als Philosophin, die dem Zufälligen und Unspektakulären durch gesellschaftskritische Einordnung Bedeutung verleiht, sondern auf der gleichen Ebene: als Gegenüber im Gespräch. Dass sie sah, wo andere gar nichts wahrnahmen, zeigt, wie sehr die Erfahrungen der Freundschaft ihre Wahrnehmungsfähigkeit differenziert haben. So werden die politischen und kulturellen Landschaften Europas nicht nur analysiert, sondern in der Alltäglichkeit des Lebens „greifbar“ gemacht: „Europa ist hier irgendwie Wirklichkeit“, in den Plätzen der Städte, den kleinen Cafés, in denen man dazugehört, „auch wenn man kein Wort italienisch spricht“.[6]

Das Reisen zwischen den zwei Kontinenten USA und Europa ist immer wieder Anlass, die Erfahrungen in philosophischen und politischen Einschätzungen aufzuarbeiten. Diese analytische Seite ist vor allem in den Briefen an Karl Jaspers und Mary McCarthy präsent, während die Briefe an Kurt Blumenfeld der jüdischen Welt gelten und den politischen Sorgen um die Entwicklung Israels. Blücher ist der Adressat, um der unerträglichen, aber alltäglichen Widersprüchlichkeit des Lebens Ausdruck zu verleihen: dass die Weltgeschichte immer wieder in die falsche Richtung läuft und daher eine ständige Quelle von Ängsten ist und dass es gleichzeitig Momente gibt, in denen man einfach glücklich ist. Je nachdem, ob die Beweglichkeit durch Reisen eine große oder geringere Rolle spielte, bildete sich ein eigener Freundschaftsstil aus. Bei Jaspers, der eigentlich nie sein Zuhause verließ, hatte sich die Bewegungsfreiheit, nach Arendt die ursprünglichste Gebärde des Freiseins überhaupt, ganz in den philosophischen Raum verlagert. Blumenfeld, der aus finanziellen Gründen nicht reisen konnte, brach immer wieder zu Lesereisen auf, um die Schätze der verborgenen Tradition des deutschen Judentums zu erkunden, in deren Mittelpunkt zumeist Rahel Varnhagen und Heinrich Heine stehen. Anders Mary McCarthy. Seit 1961 wohnte sie aufgrund der Diplomatentätigkeit ihres Ehemannes Jim West in Paris und anderen europäischen Städten und pendelte wie Arendt zwischen Europa und Amerika hin und her. Aus dem Zusammentreffen zweier Artistinnen der Bewegungsfreiheit ergab sich ein bemerkenswertes Phänomen: eine von jeder Melancholie befreite Leichtigkeit im Umgang mit allen Fragen, der Freundschaft und Liebe, der Literatur, Philosophie, Politik und des Alltags. Als nach Blüchers Tod die Melancholie vehement zu Arendt zurückkehrte, entstand ein Riss in dieser Freundschaft, den beide nicht verstanden, weil sich das Zwischen bei ihnen verändert hatte.

Jaspers, Blumenfeld und McCarthy gehörten zum engsten Freundeskreis, ebenso die große Liebe ihres Lebens Heinrich Blücher, der auch ein Freund war, und mit einem gewissen Abstand auch der ehemalige Liebhaber Heidegger, der kein Freund sein konnte. Die gemeinsame Zeit mit den Schriftstellern Broch und Johnson war zu kurz, um alle Möglichkeiten dieser Freundschaften auszuloten. Dagegen war die Beziehung zu Hilde Fränkel trotz der wenigen Jahre, die sie miteinander teilten, von einer rätselhaften Intimität. Beinahe alle Freunde kannten sich untereinander und tauchen in den Briefen auf, die an andere gerichtet sind. So ergeben sich verschiedene Freundeskreise, die sich voneinander abheben, überschneiden und neue Verbindungen eingehen. Im Wechselspiel der Sichtweisen wird eine Welt der Freundschaften in allen ihren Facetten sichtbar: mit ihren Geheimnissen und dem Wagnis zur Offenheit, dem Vertrauen und der Verlässlichkeit, dem plötzlichen Fremdwerden und der Verschlossenheit.

Ingeborg Nordmann

Frankfurt am Main, im Mai 2013



[1] In einer ausgezeichneten neuen Edition: Rahel Levin Varnhagen, Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde, hrsg. v. Barbara Hahn, Göttingen 2011.

[2] Hannah Arendt an Karl Jaspers, 30. Juni 1947, in dieser Ausgabe S. 71.

[3] Hannah Arendt an Kurt Blumenfeld, 2. August 1945, in dieser Ausgabe S. 30.

[4] Hannah Arendt an Heinrich Blücher, 24. Oktober 1956, in dieser Ausgabe S. 206.

[5] Hannah Arendt, Vita activa, München 1981, S. 173.

[6] Hannah Arendt an Heinrich Blücher, 10. September 1955, in dieser Ausgabe S. 182.


Hannah Arendt

Über Hannah Arendt

Biografie

Hannah Arendt, am 14. Oktober 1906 im heutigen Hannover geboren und am 4. Dezember 1975 in New York gestorben, studierte unter anderem Philosophie bei Martin Heidegger und Karl Jaspers, bei dem sie 1928 promovierte. 1933 emigrierte Arendt nach Paris, 1941 nach New York. Von 1946 bis 1948 arbeitete...

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