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Stieranger (Garmisch-Krimis 3)

Stieranger (Garmisch-Krimis 3)

Marc Ritter
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Kriminalroman

„Am ›Stieranger‹ kommen Fans wie Neulinge auf ihre Kosten.“ - Münchner Merkur

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Stieranger (Garmisch-Krimis 3) — Inhalt

Dass ausgerechnet er, Lokalreporter Karl-Heinz "Gonzo“ Hartinger, sich um den Unternehmer Oliver Klammert kümmern muss, der in Garmisch-Partenkirchen einen neuen Standort sucht, ist schlimm genug. Dass dies auch noch joggenderweise passieren muss, weil Klammert sich als Fitnessfreak entpuppt, macht die Sache nicht besser. Aber spätestens als sie das Grand Hotel Sonnenbichl erkunden und Hartinger auf dem Dachboden ein bekannter, höchst unangenehmer Geruch in die Nase strömt, ist mal wieder klar, dass hier etwas ziemlich zum Himmel stinkt …

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 10.03.2014
320 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-96398-5
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Leseprobe zu „Stieranger (Garmisch-Krimis 3)“

Kapitel 1

Das Werdenfelser Land präsentierte einen oskarverdächtig schönen Herbst. Die Laubbäume, die hier und dort zwischen den Fichten und Tannen der niedrigen Vorberge hervorlugten, leuchteten ihr helles Gelb und ihr sattes Rot in die Postkartenkulisse. Darüber ragten die grauen, steilen Felsen des Wettersteins in den Himmel. Dessen Blau war von zarten weißen Wolkenfähnchen durchzogen, die der Föhn vor sich hertrieb. Die Spitzen der Kalkfelsen waren noch schneefrei. Der Bergsommer hatte seine Tätigkeit bis in den September ausgedehnt.

Karl-Heinz [...]

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Kapitel 1

Das Werdenfelser Land präsentierte einen oskarverdächtig schönen Herbst. Die Laubbäume, die hier und dort zwischen den Fichten und Tannen der niedrigen Vorberge hervorlugten, leuchteten ihr helles Gelb und ihr sattes Rot in die Postkartenkulisse. Darüber ragten die grauen, steilen Felsen des Wettersteins in den Himmel. Dessen Blau war von zarten weißen Wolkenfähnchen durchzogen, die der Föhn vor sich hertrieb. Die Spitzen der Kalkfelsen waren noch schneefrei. Der Bergsommer hatte seine Tätigkeit bis in den September ausgedehnt.

Karl-Heinz Hartinger radelte entgegen den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung durch die Fußgängerzone des Ortsteils Garmisch. In den Kopfhörern erklang ein Best-of der Joni-Mitchell-Songs, die er vor dreißig Jahren auf eine Musikkassette überspielt hatte. Er philosophierte in Gedanken darüber, welches das größere Wunder war: dass das schmale Tonband in der BASF-Kassette oder der Sony-Walkman die Zeiten überstanden hatte. Ein Phänomen, eines Artikels im Feuilleton der Zeitung aus der Stadt würdig. Doch Wunder sollte man nicht verstehen wollen, dachte er sich. Er lauschte seiner mittlerweile siebzigjährigen Lieblingssängerin, während er auf dem genauso alten Miele-Fahrrad der Witwe Schnitzenbaumer erhobenen Hauptes durch seinen Heimatort Garmisch-Partenkirchen radelte, und blickte hinauf in die Wälder. Dabei träumte er sich in das Herkunftsland Joni Mitchells, nach Kanada, wo die Blätter Ende September genauso bunt aussahen wie in den Alpen. Beseelt hielt er auf die Konditorei Krönner zu. Von Weitem wehte ihm ein Croissant-Duft um die Nase, der sein Glück an diesem Donnerstagmorgen ins Unendliche gesteigert hätte …

Hätte da nicht in der Mitte der Straße eine Radlstreife der Garmisch-Partenkirchner Polizei auf grün-weiß lackierten Mountainbikes gestanden. Ein Polizist und seine Kollegin reckten beide ihre mit Kellen bewehrten Hände nach oben, um ihn aufzuhalten.

„Was gibt’s, Sheriff?“, grüßte Hartinger den ihm unbekannten Uniformierten. Die Polizistin kannte Hartinger. Auch ihr gönnte er einen für seine Gewohnheiten und sein spezielles Verhältnis zur Garmisch-Partenkirchner Ordnungsmacht netten Spruch: „Servus, Natalie. Fesche Haxen hast du in den Radlerhosen. Viel besser als in der sackartigen Uniform, die sie euch geben.“ Er bewegte den Kopf nach links, um die Angesprochene von der Seite anzusehen. Diese wusste genau, dass er ihren Hintern musterte. Dessen Ausmaße konnten im vierten Jahrzehnt seiner Existenz die Abstammung aus dem örtlichen Genpool nicht verheimlichen. „Sauber, ich mein, für dein Alter“, sagte Hartinger. „Respekt.“ Er konnte es sich nicht verkneifen, dem zwiefotzigen Kompliment einen Zungenschnalzer folgen zu lassen.

Die Angesprochene grinste schief. „An dir ist der letzte harte Winter auch nicht spurlos vorübergegangen, Gonzo. Und die vierzig bis fünfzig vorher ebenfalls nicht.“ Sie richtete ihre Augen auf seinen Bauch, der sich unter dem karierten Hemd breitmachte.

Hartinger zog die Wampe ein und beendete die Frotzeleien. Er stieg vom Rad, ging einen Schritt auf die Beamten zu und tat vertraut: „Wen suchts ihr? Kann ich helfen?“

„Sie suchen wir“, antwortete der junge Beamte.

„Gefunden!“, jubelte Hartinger. „Unsere Polizei ist großartig! Ich sag’s ja, solche Spürnasen gibt’s eigentlich nur im Krimi. Also, im Groschenroman halt. Dass ihr genau auf meinem Arbeitsweg eine Straßensperre aufbaut – Leistung. Sollen wir noch eine Verfolgungsjagd anschließen? Für euer Protokoll? Ich fahr euch nicht weg, versprochen. Nur bis vorn zum Bischoffseck. Ihr müssts nicht schwitzen, Ehrensache. ›Wir konnten Karl-Heinz Hartinger, der auf dem ungeölten Vorkriegsrad flüchtete, mit unseren Hightechgeräten in der Fußgängerzone stellen – ohne Schusswaffengebrauch!‹ Das liest sich gut im Polizeibericht, oder?“

Der Polizist fuhr unbeirrt fort. „Sie sagen es: Fußgängerzone. Sie fahren in dieser Fußgängerzone Rad. Mit Kopfhörern. Beides verboten. Jetzt würde ich gerne eine Funktionskontrolle an Ihrem … ähem, Fahrrad vornehmen.“

„Einen Schmarren. Kein Mensch ist unterwegs in eurer Fußgängerzone. Es ist halb acht am Morgen. Die Läden sind alle zu! Da ist es wurscht, ob ich da radele, weil, ist eh keiner unterwegs. Außer euch natürlich.“

„Macht nichts, Gesetze gelten immer.“

„Und für jeden“, assistierte Natalie Berchtenbreiter dem jungen Kollegen mit einem zufriedenen Lächeln.

„Ihr wisst schon, dass ich da mit dem Radl durchgefahren bin, als der Autoverkehr noch zweispurig hin- und herraste?“, empörte sich Hartinger. „Ich hab ein Gewohnheitsrecht. So, jetzt Schluss mit der Gaudi, ich brauch ein Croissant. Muss in die Arbeit. Mein erster Fototermin ist heut um acht.“ Hartinger schwindelte. Er wollte vor allen anderen in der Redaktion sein, um sich die besten Termine des Tages vor dem Fotografenkollegen Meerbusch vom Terminbrett zu klauben. Doch das ging die Polizei nun weiß Gott nichts an.

„Interessiert uns nicht“, beharrte der Polizist. „Ihre Ausweispapiere, bitte.“

„Natalie, sag ihm, dass der Spaß irgendwo ein Loch hat! Überhaupts, wer iss’n der?“

„Polizeimeister Buchheimer mein Name.“

„Tja, tut uns leid“, erklärte Natalie Berchtenbreiter. „Seit gestern in der Zeitung stand, dass die Garmisch-Partenkirchner Polizei die Radler im Ort nicht unter Kontrolle hat, haben wir Befehl, gegen Radl-Rambos vorzugehen.“

„Radl-Rambos? Ich bin quasi umgefallen, so langsam war ich. Ich hab das Radl praktisch geschoben. Schauts es euch an: Ist das ein Rambo-Radl? Und: Wer schreibt so etwas in unsere Zeitung rein?“

„Wer liest denn da seine eigene Zeitung nicht?“, neckte Natalie Berchtenbreiter ihren ehemaligen Schulkameraden Hartinger. Seit er einmal im Kolpingsheim mit einer Colaflasche in der Hose Schieber mit ihr getanzt hatte, was dazu geführt hatte, dass sie kreischend den Discokeller verlassen und jahrelang darob gehänselt worden war, war das Verhältnis zwischen den beiden recht getrübt. Seit gut dreißig Jahren also.

„Ich bin für die Bilder zuständig, nicht für die Buchstaben!“, wehrte sich Hartinger.

„Euer Chefredakteur war’s. Der hat einen Kommentar geschrieben, weil in der Fußgängerzone zweimal diesen Sommer ein Tourist von einem Einheimischen mit dem Radl umgenietet wurde. Angeblich. Ob unsere Polizei die wenigen Touristen, die der Ort anzieht, auch noch zur Jagd freigibt und ob hier die Verkehrsregeln aus dem Wilden Westen herrschen, lauter so Sachen. Kannst dir denken, dass das den Bernbacher Ludwig nicht amüsiert hat.“

„Mei, der Bernbacher … Wie gesagt, ich schreib so was nicht. Außerdem: Die Läden haben jetzt zu! Da hupft kein Touri nicht raus.“

„Können wir bitte die Funktionsprüfung vornehmen?“, mischte sich Polizeimeister Buchheimer in die Unterhaltung ein und wagte es, seine Hand an Hartingers Lenker zu legen.

Hartinger dachte kurz darüber nach, ob er sich nicht auf den Sattel des Schnitzenbaumer-Radls schwingen und durch die Achenfeldstraße abhauen sollte, die nach links aus der Fußgängerzone hinausführte. Doch wahrscheinlich hätte ihn der junge Mann mit dem nagelneuen 21-Gang-Polizei-Bike nach dreißig Metern gestellt. „Machts doch, was ihr wollts!“, schimpfte er, schmiss den Drahtesel gegen die nächste Laterne und verschwand in der Konditorei. „Ich bin Ehrenbürger dieser Gemeinde – ich werd’ mich beschweren!“, zürnte er nach draußen, während er den Verkaufsraum betrat. Dort bestellte er zwei Butterhörnchen, legte kommentarlos das Geld auf den Tresen und verlangte den Chef. Als der in der weißen Konditorenkleidung aus der Backstube kam, sagte Hartinger: „Franz, ich muss heute hinten raus.“

Der Konditor ließ ihn durch den Personalausgang abhauen.



Kapitel 2

Zehn Minuten später kam Hartinger zu Fuß in der Redaktion des Garmisch-Partenkirchner Tagblatts an. Der ungewollte Fußmarsch hatte seinen Grant mit jedem Schritt gesteigert. Der schöne Spätsommermorgen war ihm vom Auftritt der Berchtenbreiter Natalie samt ihrem Jungbullen gründlich vergällt worden. Weil dem Herrn Polizeiinspektionsleiter Bernbacher ein Artikel im Tagblatt nicht gefallen hatte, wurde Dienst nach Vorschrift gemacht. Typisch. Und dann war ausgerechnet er, der von Geburt an mit der Obrigkeit auf Kriegsfuß stand, aber Mitarbeiter dieser Zeitung war, den Diensthabenden in die Falle gegangen. Logisch, dass die sich ein Loch ins Knie gefreut hatten, als sie gesehen hatten, wer da auf einem Radl, dessen Licht schon seit den frühen Fünfzigern nicht mehr funktionierte und dessen Bremse noch einen Gummiklotz von oben auf den Vorderreifen drückte – oder drücken sollte, denn dieser Klotz war sicher in den Wirren der letzten Tage des Zweiten Weltkrieges abhanden gekommen –, durch die Fußgängerzone auf sie zugestrampelt war. Und wer war schuld? Der Habersetzer, der Klugscheißer, weil er jeden Schmarrn in die Zeitung reinschrieb, der ihm sauer aufstieß. Wahrscheinlich war er selbst, als er durch die Shoppingmeile getapst war, der blinde Fisch, von einem Radlfahrer dant genommen worden, wie man hier sagte. Hatte wieder seine Brille auf dem Schreibtisch vergessen, der Trottel … So was war sein Chef, dem er für jedes Foto, das gedruckt wurde, dankbar sein durfte … Hartinger steigerte sich in seinen Zorn hinein. Na, dem würde er es kochen, dem Habersetzer. Schade, dass der Lulatsch um diese Zeit noch nicht im Büro war. Hatte der nicht nötig. Bezog ein feistes Gehalt. Da reichte es, wenn man so um halb zehn in der Redaktion aufkreuzte, um seinen Käse in die Tastatur zu hämmern …

Mit dieser Saulaune schloss Hartinger den im Hof des Zeitungshauses gelegenen Mitarbeitereingang auf und stieg die Stiege hinauf in den ersten Stock. Wie erwartet, war zu dieser Uhrzeit noch kein Redakteur, keine Praktikantin und – gottlob! – kein Kollege Meerbusch am Werk. Hartinger stapfte direkt zur Terminwand, an der die Fotoaufträge für die beiden Tagblatt-Fotografen hingen. Er wollte sich die besten – sprich am schnellsten abzuarbeitenden – Vormittags-Jobs abholen, diese hinter sich bringen und dann den Rest des Tages die Sonne an einem der Seen im Garmisch-Partenkirchner Umland genießen. Ja, das hatte er sich jetzt verdient. Vielleicht konnte er da wieder auf andere Gedanken kommen. Und seine gute Laune würde ihn wiederfinden. Genau, dachte er sich, während er den letzten Bissen des zweiten Croissants hinunterwürgte, er würde sich schnellstens an den Geroldsee oder in die Braxenbucht des Eibsees begeben, wo er hoffen durfte, noch die eine oder andere Nackte anglotzen zu können, die die letzten Sonnenstrahlen mit ihrem makellosen Körper einfing. Bald würde sich die kalte Jahreszeit breitmachen, die in den Bergen von Oktober bis Juni reichte, und die Grazien würden sich unter Schichten von Funktionskleidung und Daunenjacken verstecken. Ein Dreivierteljahr lang.

Das Telefon am Fotografentisch neben dem Terminboard klingelte. Nicht wenige im Ort kannten diese Durchwahl, dennoch war es ungewöhnlich, dass morgens um acht Uhr jemand anrief, denn es war nicht mit der Anwesenheit eines der beiden Fotografen zu rechnen. Hartinger blickte auf das Display und schnaufte durch. Redaktionsleiter Peter Habersetzer rief aus dem zweiten Stock herunter. Was der um diese Uhrzeit wollte? Na, der kam ihm gerade recht. Der würde sich was anhören können. Hartinger riss den Hörer vom Apparat. „Was ist?“, blaffte er hinein.

„Entschuldigen Sie, Herr Hartinger, ich habe Sie kommen gehört. Hätten Sie ein paar Minuten für mich? Es wäre großartig, wenn Sie es einrichten könnten, nur drei Minütchen, ja?“, flötete Habersetzer in die Leitung. Seit Hartinger nach der bösen Sache mit dem Müll- und Bauunternehmer Anton Brechtl und der Rettung des Bürgermeisters Hans Meier die Ehrenbürgerurkunde verliehen worden war, war er wer. Nicht nur war die Kündigung, die die Zeitung ihm gegenüber ausgesprochen hatte, zurückgenommen worden, der karriereorientierte Redaktionsleiter behandelte ihn seitdem mit ausgesuchter Höflichkeit. Doch derart gesäuselt hatte er noch nie.

„Hm“, raunzte Hartinger. Er knallte den Hörer auf und stiefelte nach oben.

Habersetzer riss seine Bürotüre auf, noch bevor Hartinger durch Hämmern mit den Handknöcheln seinen ersten Zorn auf den Chef abreagieren konnte. Er wollte daraufhin direkt auf ihn losplärren, kam aber nicht zu mehr als einem „Was für einen Schmarrn über Radler und Touristen …“ Dann bemerkte er, dass Habersetzer nicht allein in seinem Arbeitszimmer war. Auf der Couch, die in der Ecke des Büros stand, saß ein Mann.

„Herr Hartinger, wenn ich Sie mit Herrn Klammert bekannt machen dürfte“, stellte der Redaktionsleiter die beiden einander vor.

Hartinger nickte und äußerte nichts außer „Hm“. Widerwillig nahm er die Hand entgegen, die sich ihm von der Couch aus entgegenstreckte.

„Oliver Klammert. Freut mich sehr“, sagte der Mann, der gute zehn Jahre jünger als Hartinger aussah. Er schien drei Klassen besser gewandet, als man sich in Garmisch-Partenkirchen einkleiden konnte. Der Mann kam von auswärts, das war klar.

„Hm“, wiederholte Hartinger.

„Herr Hartinger, setzen Sie sich bitte“, lud Habersetzer ihn ein. „Herr Klammert ist ein Freund unseres Verlages. Also des Verlegers.“

Diese Information war nicht geeignet, Hartingers Sympathie für den geschniegelten Fremden zu wecken. Im Gegenteil. Mit einem deutlich zweifelnden „Hm“ quittierte er sie.

„Also eher ein Freund der gesamten Verlegerfamilie, wenn ich richtigliege“, plapperte Habersetzer nervös weiter, als ginge es um seinen Job. „Herr Klammert ist an einigen Internet-Start-Ups beteiligt, die die Tochter unseres Herrn Verlegers so überaus erfolgreich betreibt.“ Es ging also wirklich um Habersetzers Job, dachte Hartinger. Mit einem „M-hm“ ließ er vernehmen, dass er nicht nur akustisch verstanden hatte.

„Außerdem hat Herr Klammert eine Gemeinsamkeit mit Ihnen, lieber Herr Hartinger.“

„Hm?“ Hartinger zog erstaunt die Augenbrauen hoch.

„Er läuft sehr gern – gell, Herr Klammert, tun Sie? – und da habe ich gedacht, es wäre großartig, Sie würden ihn einmal – aber natürlich nur, wenn es in Ihren Terminplan passt, Herr Hartinger, die Arbeit geht vor, ist klar –, also, wenn es möglich wäre, auf eine – wie sagen Sie immer? –, eine Ihrer Ortsrunden, die Sie rennen, Sie wissen schon, mitnehmen könnten, ich meine: Wie wäre es mit heute Nachmittag? Da würde es dem Herrn Klammert gut passen, ich meine, stimmt doch, oder, Herr Klammert? Können Sie, Herr Hartinger, ich meine, da können Sie doch, oder?“

Es musste Habersetzer wirklich viel daran liegen, dass diesem smarten Jüngelchen ein schönes Berglauferlebnis zuteilwurde, dachte Hartinger. Er war kein Unmensch und erlöste seinen Redaktionsleiter. Doch bevor er mit einem „Hm, von mir aus“ dem Plan zustimmte, der ihn seiner Ausblicke auf die Schönen an den Bergbadegewässern berauben würde, ließ er eine quälend lange Pause entstehen, wobei er Habersetzer tief in die Augen blickte. Wir sprechen uns noch, und das wird teuer, bedeutete dieser Blick.

„Wunderbar, Herr Hartinger, ich meine, wunderbar, Karl-Heinz, ich habe ganz vergessen … Wir sind ja jetzt – gell? –, seitdem Sie … Quatsch, seitdem du wieder bei uns bist, nach der Zeit im Krankenhaus … Das habe ich Ihnen schon gesagt – gell, Herr Klammert? –, dass unser Karl-Heinz, dass er Ehrenbürger der Marktgemeinde ist, weil er den Herrn Bürgermeister vor dem sicheren Verbrennungstod gerettet hat.“

Oliver Klammert ging nicht auf die Lobpreisungen Habersetzers ein. „Sagen wir, um 14 Uhr im Partenkirchner Posthotel? Dort bin ich abgestiegen.“

„In Ordnung“, bestätigte Hartinger.

„Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Hartinger“, sagte Oliver Klammert.

„Hm. Also, um zwei.“ Hartinger erhob sich, nickte in die Runde und verdrückte sich, bevor noch weitere Spezialaufträge auf ihn zukommen konnten.

Draußen vor der Redaktion hielt ein Streifenwagen der Polizeiinspektion Garmisch-Partenkirchen. Hartinger sah durch das Fenster des Treppenhauses zwei Beamte aussteigen. Er rannte hinab in den ersten Stock, schnappte seine Fototasche, flitzte ins Erdgeschoss und verschwand durch den Hinterausgang auf den Parkplatz. Vorn klingelten die Polizisten an der Anzeigenannahme, deren Tür sich zur Straße hin befand. Natürlich war dort vor neun Uhr niemand anzutreffen, der die Türe hätte öffnen können. „Deppen“, murmelte Hartinger, schüttelte den Kopf und kraxelte über den Jägerzaun aufs Nachbargrundstück.



Kapitel 3

„Ich weiß, dass Sie das nicht gern machen, und ich weiß es umso mehr zu schätzen.“ Die SMS von Oliver Klammert kam um zwölf Uhr auf Hartingers Handy an. Klar. Habersetzer hatte ihm Hartingers Nummer gegeben. Klammert überließ offenbar nichts dem Zufall. Er wollte die Dinge kontrollieren, vor allem die Menschen, die ihn umgaben. Das entsprach dem Bild, das sich Hartinger von ihm nach einer ausführlichen Internetrecherche und einem Telefonat mit Kurt Weißhaupt in München von dem Unternehmer gemacht hatte.

In den frühen 1990ern hatte der ehemalige Banklehrling aus Kassel zwei Semester Wirtschaft in München studiert und hatte dann sein Studium hingeschmissen, um nach Amerika zu gehen. Er war direkt ins Silicon Valley im Süden von San Francisco gefahren, hatte reihum bei den dort entstehenden Internetfirmen Praktika absolviert und die ersten – noch äußerst überschaubaren – Aktienpakete der Yahoos, Ebays und Amazons erworben. Diese waren plötzlich ein Vielfaches seines Einsatzes wert gewesen und hatten Oliver Klammert zu einem ziemlich reichen jungen Mann gemacht. Er hatte aber dieses Geld sofort wieder in Unternehmen des Neuen Marktes investiert und spätestens mit dem Börsengang von EM.TV seinen Status von reich auf steinreich verbessert. Rechtzeitig vor dem Platzen der Internetblase im Jahr 2001 hatte er seine Gewinne realisiert und war dazu übergegangen, die in Amerika erfolgreichen Geschäftsmodelle des Internets auf Europa zu übertragen. In Deutschland, später auch Frankreich, Italien, Skandinavien und vor allem in Russland, hatte er Kopien der großen US-Internetfirmen aus dem Boden gestampft, um diese dann an eben jene Unternehmen verkaufen zu können, als sie sich mit eigenen Niederlassungen in der Alten Welt hatten ausbreiten wollen. Oliver Klammerts Kopien von Stellenmarktportalen oder Schuhversendern waren immer schon vor ihren Originalen da gewesen. Für die Amerikaner war es einfacher gewesen, ihre eigenen Klone zu kaufen, als sich gegen sie durchsetzen zu müssen. Klammert schien wie König Midas alles, was er anfasste, in Gold zu verwandeln. Allerdings war er mit einigen Investments in China gescheitert, wo die Verhältnisse nicht ganz so einfach lagen. Hier musste man die Kinder der Kader ins Geschäft mit einbeziehen, was Klammert zuerst verpasst, dann aber schnell nachgeholt hatte.

Mittlerweile wurde sein Privatvermögen auf über zwei Milliarden Dollar geschätzt, wobei die Werte seiner unüberschaubaren Beteiligungen je nach Marktlage noch wesentlich wertvoller beschrieben wurden. Dabei sei, so entnahm es Hartinger den wenigen Porträts, die die Wirtschaftspresse anzubieten hatte, Klammert ein relativ bescheiden auftretender Mensch geblieben, der nicht wie Software-Milliardäre amerikanischen Zuschnitts mit teuren Hochseejachten oder Einstieg in Raumfahrtunternehmen von sich reden machte. Er hielt sogar seine Wohltätigkeitsaktionen aus der Öffentlichkeit und ließ sich nicht mit hungernden Kindern in Afrika fotografieren. Er stiftete Dorfbrunnen und Schulen in Ghana und der Elfenbeinküste.

„Ich habe den einmal bei uns gesehen, als er sich einen Nachmittag lang überlegt hat, unsere gesamte Zeitung zu kaufen“, hatte Kurt Weißhaupt berichtet, der ehemalige Lokalchef der Süddeutschen Zeitung und damit Hartingers Boss zu dessen Münchner Zeit. „Ich dachte eigentlich, der ist der Sekretär oder Assistent, der auf seinen Zampano wartet, bis ich kapiert hab, dass er das selbst war. Klammert hat uns wohl nicht gekauft, weil wir ihm zu altmodisch waren. Schade eigentlich, jetzt müssen wir uns mit schwäbischen Rechtsanwälten rumschlagen“, hatte Weißhaupt sein Resümee beendet.

Hartinger musste das nicht erzählt werden. Er hatte schließlich seinen Job als Polizeireporter bei der großen Zeitung verloren, nachdem er einem dieser neuen Manager Prügel angedroht hatte. Aber das war auch schon wieder fast vier Jahre her. Er hatte sich in seiner neuen alten Heimat Garmisch-Partenkirchen eingerichtet. War vom Paria zum Ehrenbürger aufgestiegen. Wenn ihm das mal einer vorausgesagt hätte … Nur die Steuerschulden, die nahmen täglich Raum in seinen Gedanken ein. Ob er die jemals würde abstottern können?

Jedenfalls hatte er an diesem Tag einem milliardenschweren Unternehmer seine Heimat joggenderweise zu zeigen. Eine Aufgabe, die ihm zu seinen Münchner Zeiten, als er höchstens zwischen Taxi und Schumann’s Bar zu Fuß gegangen war, niemand zugetraut hätte. Die Frage war, ob er sich das zutrauen konnte. Er brachte noch immer zwei Zentner auf die Waage, und sein Laufpartner sah so aus, als wöge er knapp mal die Hälfte. Hartinger hatte in dem Moment, als ihn Habersetzer gebeten hatte, mit Klammert laufen zu gehen, gewusst, dass das ein harter Job werden würde. Aber auch, dass er dem Redaktionschef zehnmal so viel für eine Ortsrunde aus den Rippen leiern konnte wie für ein Foto von einem Friseurjubiläum, das er sonst an diesem Tag geknipst hätte.

Er hatte telefonisch zweihundert Euro für eine Runde rund um Garmisch-Partenkirchen mit Habersetzer vereinbart – und von diesem den Tipp erhalten, er möge doch um die Ordnungshüter einen weiten Bogen machen. Hartinger hatte kurz klargestellt, dass er die Malaise mit den ihn suchenden Polizisten einzig und allein dem Leitartikel aus der Feder Habersetzers zu verdanken habe. Und dass dieser bitte schön dafür zu sorgen habe, dass sein wichtigster Mitarbeiter unbehelligt aus der Sache herauskomme. In seiner Dachgeschosswohnung in der Dreitorspitzstraße war die Polizei bislang aber nicht aufgekreuzt.

Hartinger hatte also wieder einmal alles in seinem eigenen Sinne bestens geregelt. Locker joggend kam er im Partenkirchner Posthotel an. Von seiner Wohnung unterm Dach der Witwe Schnitzenbaumer hatte er bis in die Ludwigstraße nur fünf Minuten Laufstrecke zu absolvieren. Genau vier Minuten vor zwei zeigte die Uhr über der Rezeption, als er die Lobby betrat.

„Herr Professor Klammert erwartet Sie in Suite 201“, begrüßte ihn die hinter dem Empfangstresen stehende hübsche Ostdeutsche, die sehr gut in ihr Dienstlandhausdirndl passte, wie Hartinger fand. Diese Mandy würde er sich merken. Professor Klammert – über diesen Titel hatte Hartinger gar nichts gelesen. Vielleicht hatte er es aber auch überlesen. Es war ja üblich geworden, dass Wirtschaftsgrößen durch generöses Spendenverhalten gegenüber einer Privatuni eine Honorarprofessur erwarben, doch mittlerweile waren den meisten der Schleichprofessoren diese Titel schon wieder peinlich. Hartinger beschloss, diese Schwäche seines Kunden bei der richtigen Gelegenheit anzusprechen. Kunden – wie er dieses Wort schon hasste: Er war Journalist, der hatte keine Kunden.

„Der Herr Professor erwartet uns in der Suite. Na sauber. So tief sind wir gesunken, Hartinger“, murmelte er vor sich hin. „Gut, zweihundert Euro pro Joggingrunde sind zweihundert Euro.“ Hartinger nahm sich vor, nicht darüber nachzudenken, ob sein Schützling so viel in der Sekunde oder in der Minute verdiente, als er die Treppen zum zweiten Stock erklommen hatte und an die Tür von Suite 201 klopfte.

Nichts tat sich. Hartinger klopfte wieder und setzte die Knöchel ein bisschen deutlicher ein. Nichts. „Herr Klammert?“, rief er gegen die Türe, doch dahinter blieb es still. Er wartete ein paar Sekunden, dann klopfte er erneut. Nichts. Er rief noch einmal den Namen des Zimmergasts. Aber es tat sich nichts.

Die Zimmertüren des Posthotels waren noch nicht mit Kartenlesegeräten ausgestattet und wurden per Schlüssel versperrt. Hartinger drückte auf Verdacht die Klinke nach unten. Wider seiner eigenen Erwartung ließ sich die Tür öffnen. Hartinger schob sie einen Spalt weit auf. Was würde ihn wohl erwarten? Bei seinem Riecher für Leichen, die sich ihm regelrecht in den Weg legten, war es beinahe schon wahrscheinlich, dass er in dieser Suite ein Blutbad vorfinden würde. Mit einem aufgeschlitzten Internetmilliardär in der Mitte der unappetitlichen Szenerie.

„Herr Klammert, sind Sie da?“, rief Hartinger durch den Spalt nach innen. Als er wieder keine Antwort erhielt, nahm er sich ein Herz und stieß die Tür ganz auf, betrat den Vorraum der Suite – und erstarrte. Ein gelblich weißer Hund in der Größe eines neugeborenen Kalbs und mit einem Kopf, so groß wie eine Wassermelone, fletschte ihn an und zeigte sein beeindruckendes Gebiss. Hartinger sah die sich unter den hochgezogenen Lefzen vorschiebenden Zahnreihen. Waren das rote Fleischfetzen zwischen den Zähnen? Hartinger bewegte sich langsam rückwärts, aber das schien das Monster als Einladung zu sehen, sich ihm zu nähern. War Oliver Klammert von seinem eigenen Wachhund zerrissen worden? Hartinger versuchte, seinen Blick von den schwarz funkelnden Augen des Untiers zu lösen, um in der Suite irgendetwas ausmachen zu können. Er konnte von seiner Position aus nur einen Teil des Raums einsehen, doch er hatte freien Blick auf die Couch mit Blumenmuster, und auf der lag kein zerfleischter Mann, was Hartinger aber nicht beruhigte. Vielleicht hatte sich der Hund im Bad über seinen Herren hergemacht.

„Ruhig, ganz ruhig“, sagte er mit möglichst unaufgeregter Stimme, was schon deswegen schwierig war, weil ihm das Herz bis zum Hals schlug.

Hartinger spürte in seinem Rücken plötzlich ein weiteres Lebewesen. Jemand oder etwas hatte sich hinter ihm bewegt, da war er sicher. Hartinger fuhr herum, sah Oliver Klammert und drehte sich in der gleichen Sekunde wieder zurück zum Hund, denn der hatte sicher schon zum Sprung angesetzt, um ihn von hinten niederzureißen. Er wollte wenigstens seine Hände zwischen sich und das Beißwerkzeug des Mordsviechs bekommen.

Marc Ritter

Über Marc Ritter

Biografie

Marc Ritter, geboren 1967 in München, wuchs in Garmisch-Partenkirchen auf, wo er nach dem Abitur Zivildienst machte und für eine Garmisch-Partenkirchner Lokalzeitung über Politik, Sport und Nachtleben berichtete. Zum Studium von Germanistik, Politikwissenschaften und Werbepsychologie sowie einer...

Pressestimmen
Münchner Merkur

„Am ›Stieranger‹ kommen Fans wie Neulinge auf ihre Kosten.“

Lahn-Dill-Anzeiger

„Ein Roman, der von der ersten bis zur letzten Seite beste Unterhaltung verspricht und Krimi-Fans voll auf ihre Kosten kommen lässt.“

FreiZeitSchrift (Landkreis Starnberg/Weilheim/Garmisch)

„Marc Ritter (...) versteht es wie kein Zweiter, Bayerns touristischen Vorzeigeort wie auch die Machenschaften einiger Herrschaften mit Witz und Biss unter die detektivische Lupe zu nehmen.“

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