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Kein Weg zurück

Kein Weg zurück

Graham Bowley
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Leben und Sterben am K2

„Aus vielen Puzzleteilen montiert er ein Buch, das in seiner Art außergewöhnlich ist. Es hebt sich ab von den zahlreichen Romanen, die Katastrophen an Bergen beschreiben. (…) Er tut dies nicht sensationsheischend, sondern sachlich – packend sind die Erzählungen von alleine.“ - Süddeutsche Zeitung

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Kein Weg zurück — Inhalt

Der K2 ist der zweithöchste Achttausender und doch ungleich gefährlicher und anspruchsvoller als der Mount Everest. Im August 2008 machten sich 30 Bergsteiger in verschiedenen Teams an die Besteigung. 18 Bergsteiger erreichten den Gipfel. Doch auf den Gipfelsieg folgt ein gnadenloser Überlebenskampf. Im Abstieg werden mehrere Bergsteiger sowie die Seilversicherungen in die Tiefe gerissen, die übrigen Expeditionsteilnehmer sind zum ungesicherten Abstieg gezwungen. Elf von ihnen verlieren ihr Leben. Minutiös rekonstruiert der Autor den Ablauf der Expedition, Hoffnungen und Träume der Alpinisten und was letztlich zum Drama am K2 führte.

€ 18,00 [D], € 18,50 [A]
Erschienen am 17.09.2012
Übersetzt von: Ulrike Frey, Karina Of
320 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-40463-1
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Leseprobe zu „Kein Weg zurück“

K2 – RUSSISCHES ROULETTE IN DER TODESZONE


Warum habe ich mich bereit erklärt, für dieses Buch ein Vorwort zu schreiben, dessen Autor mir völlig unbekannt war und der auch mich nur über mein altes Buch „The Endless Knot“ (deutscher Titel: K2 – Traum und Schicksal) kannte, in dem ich von der Faszination des K2 erzählte, vom „ Berg der Berge “? Dort hatte ich 1986 im „schwarzen Sommer“ meine Gefährtin Julie Tullis für immer am gemeinsamen Traumberg zurücklassen müssen. Während ich in Bowleys Buch blätterte, hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass das [...]

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K2 – RUSSISCHES ROULETTE IN DER TODESZONE


Warum habe ich mich bereit erklärt, für dieses Buch ein Vorwort zu schreiben, dessen Autor mir völlig unbekannt war und der auch mich nur über mein altes Buch „The Endless Knot“ (deutscher Titel: K2 – Traum und Schicksal) kannte, in dem ich von der Faszination des K2 erzählte, vom „ Berg der Berge “? Dort hatte ich 1986 im „schwarzen Sommer“ meine Gefährtin Julie Tullis für immer am gemeinsamen Traumberg zurücklassen müssen. Während ich in Bowleys Buch blätterte, hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass das „endlose Band“, das mich seither mit diesem Berg verbindet, auch ihn umfangen hat.
Gerade dorthin, wo sich die von Graham Bowley beschriebene ergreifende Tragödie abspielte, bin ich in Gedanken immer wieder zurückgekehrt, wohl wissend, nicht mehr eingreifen zu können – heute ebenso wenig wie einst.
Doch es gibt noch einen zweiten Grund, warum mich Bowleys Schilderung gepackt hat. Es handelt sich um das ungewöhnliche Buch eines Autors, der, obwohl Nichtbergsteiger, mit verblüffender Genauigkeit ein umfassendes Bild der Ereignisse entwirft, die an zwei aufeinanderfolgenden Tagen eine große Zahl von Menschen, deren Traumziel der Gipfel des K2 war, ins Verderben führte. Stück für Stück hat Graham Bowley unermüdlich die Aussagen der Überlebenden zusammengetragen – die er manchmal nur dank seiner unermesslichen Geduld, seiner Hartnäckigkeit und seiner Fähigkeit, sich nie geschlagen zu geben, erhielt. Er war besessen davon, die Wahrheit herauszufinden, ist beispielsweise einem Italiener und einem Holländer bis in deren Heimatdörfer nachgereist, wo den von ihm hartnäckig Verfolgten endlich „der Knopf aufging“ – und er schließlich doch noch ausführlichen Bericht erhielt. Man wird dieser Jagd des amerikanischen Reporters nach der Wahrheit nicht ohne Schmunzeln folgen, vor allem nach Holland, wo er den verblüfften Wilco van Rooijen vor seiner Haustür am Rand eines gepflügten Feldes antraf und mit Erfolg „bearbeitete “.
Nicht immer waren Bowleys Nachforschungen so eindeutig von Erfolg gekrönt. Schon zu Beginn widersprechen sich manche Schilderungen, und es wird klar, dass in einzelnen Fällen die Erinnerung durch den zerstörerischen Einfluss der großen Höhe verformt ist, möglicherweise auch durch die schrecklichen Geschehnisse selbst oder den Gedanken an persönliches Prestige, an Schuldzuweisungen oder Schuldgefühle. Die volle Wahrheit über all das, was sich damals in den Augusttagen auf über 8000 Metern zutrug, wird man vielleicht niemals wissen.


Im Lauf seiner Recherchen erfährt Bowley, dass die meisten dieser Menschen für das Glücksgefühl und die Befriedigung, auf der Spitze der höchsten Pyramide der Erde zu stehen, ihr ganzes Dasein in die Waagschale werfen. Ist für manchen von ihnen das Leben sonst kein Leben? Bowley überlässt die Antwort auf diese Frage dem Leser. Durch seine Präzision in der Kombination von Erinnerungen der Überlebenden oder die Gegenüberstellung unterschiedlicher Einschätzungen ergibt sich eine breite Fächerung seiner Darstellung – und es wird unwichtig, ob der Leser schwindelfrei ist oder selbst jemals so hoch oben mit dabei war! Mit angehaltenem Atem folgt man den Ereignissen, auch wenn man weiß, dass man selbst nicht aus der Gipfelwand in die dreitausend Meter Tiefe darunter abstürzen kann. Man empfindet Glück und Beklemmung, wenn der 61-jährige Franzose Hugues d’Aubarède auf der Spitze der gewaltigen Pyramide in 8611 Meter Höhe steht, die er erreichte, obwohl sein künstlicher Sauerstoffvorrat längst zu Ende gegangen ist, und ihm nun schlagartig klar wird, dass er für den Abstieg nur noch die dünne, eisige Luft der Todeszone zur Verfügung hat. Noch ist er voll Vertrauen auf den „Lebensfaden“, auf ein Fixseil, das ihn weiter unten durch die Schlüsselstelle – einen ausgesetzten Quergang unter dem riesigen Eisbalkon in der Gipfelwand – leiten wird, dann hinab durch die Eisrinne, die am Morgen beim Aufstieg passiert wurde, jener berüchtigte „Flaschenhals“, durch den von Zeit zu Zeit Eistrümmer, ja auch Lawinen, die von der Séracfront des Hängegletschers abbrechen, zur Tiefe fahren. Wann das geschieht? Niemand weiß es – der Mensch braucht einfach Glück, dieser Abschnitt ist ein „russisches Roulette“. Der Franzose weiß, wenn es ihm gelingt, das Lager 4 in rund 7800 Meter Höhe auf der K2-Schulter zu erreichen, wird er in Sicherheit sein! Er hat es nie erreicht – Hugues d’Aubarède wird eines von elf Todesopfern dieser zwei Augusttage.


Bereits der Beginn des Geschehens zeigt für den relativ selten bestiegenen K2 eine extreme Situation: Es sind 24 Menschen, die an dem strahlenden, prachtvollen, unwirklich schönen 1. August 2008 von einem Lager in 7800 Meter Höhe zum Gipfel des K2 aufbrechen, einem verhängnisvollen Schicksal entgegen, von dem sie freilich nichts ahnen. Bald schon zeigt sich, dass ein im Basislager von den verschiedenen Expeditionen entworfener gemeinsamer Aufstiegsplan jetzt in der großen Höhe am Berg nicht funktioniert, Fixseile falsch verlegt oder überhaupt noch nicht angebracht sind, dass sie gerade dort fehlen, wo sie gebraucht werden, Ausrüstung irgendwo zurückgeblieben ist.
Als K2-Veteran möchte man sagen: Bei so vielen Gipfelkandidaten aus verschiedenen Ländern ist das eigentlich kein Wunder . . . doch was da geschah, ist nicht nur ein organisatorisches Desaster !


24 Menschen am selben Tag an der Gipfelpyramide des K2 !
Tatsächlich: 24 Menschen . . . und anfänglich noch deutlich mehr, denn da waren ja auch Hilfskräfte und Bergsteiger, die angesichts des Staus unter dem gefährlichen Eisbalkon in der Gipfelwand aufgaben oder aus den unterschiedlichsten Gründen umkehrten. Insgesamt vermutlich rund 30 bis 35 Menschen! Mir jagt aber schon die Zahl 24 einen Schauer über den Rücken – denn wenn es im Auf- oder Abstieg an einem schwierigen Berg einen Engpass gibt, dann erhöht sich das Risiko, dass etwas passiert, um ein Vielfaches. Noch dazu in über 8000 Metern, wo das Leben jedes Einzelnen ohnehin auf Sparflamme brennt – und seine physischen und psychischen Fähigkeiten vielfach stark eingeschränkt sind. Es musste bei der Vielzahl der Alpinisten von recht unterschiedlichem Können, die an jenem Augusttag zum Gipfel des K2 aufbrachen, unweigerlich zu Ballungen in der Kolonne kommen – und zwar gerade an den kritischen Passagen, im Flaschenhals und dem folgenden Quergang, wo man viele Tonnen zerklüftetes Eis über dem Kopf hat! Genau dort, wo es gilt, möglichst schnell durchzusteigen, kam die ganze Kolonne kaum noch vorwärts. Glaubte man, in einer Abart des modernen kommerziellen „Everest-Stils “, den „ Berg der Berge “ in einem Massenanlauf dank Sherpas und künstlichem Sauerstoffbezwingen zu können? Eine absurde Idee: Der K2 ist völlig anders als der Everest, wo man an der kurzen Schlüsselstelle – dem Hillarystep – nur den Himmel über sich hat, der einem nicht auf den Kopf fallen kann! Die meisten K2-Anwärter wissen das – und sie gehen trotzdem.
Was aber treibt dann die aus allen Winkeln der Erde angereisten Menschen gerade dort hinauf, auf die Spitze des nie berechenbaren ungeheuren Kristalls, der in unvergleichlicher Schönheit und vollendeter Symmetrie als eisige Pyramide in den Himmel ragt, weit schwieriger und gefährlicher als der nur wenig höhere Everest? Elf der 24 Herausforderer werden am 1. und 2. August ihren Versuch mit dem Leben bezahlen, von den Übrigen werden etliche nur mit schweren Erfrierungen davonkommen. Haben sie oder zumindest einige von ihnen den K2 falsch eingeschätzt oder das hohe Risiko bewusst auf sich genommen?
Der Irrglaube mancher Bergsteiger, den höchsten und den zweithöchsten Berg der Welt aus demselben Blickwinkel beurteilen zu können, wird jedenfalls durch die in diesem Buch zusammengetragenen Fakten eindeutig widerlegt – das ist ein herausragender Wert der Erzählung Bowleys, mag er sich auch auf den ersten Blick höchstens einem Bergsteiger mit Höhenerfahrung offenbaren. Ist der Antrieb etwa auf die gefährliche Exklusivität des K2 zurückzuführen? Nicht ganz ausgeschlossen. Auch der Autor stellt sich die Frage nach dem Warum, nicht zuletzt diese Frage hat ihn seine gründliche Recherche beginnen lassen.


Nach dem Tod zweier Teilnehmer – der Serbe Dren Mandic stürzt im Flaschenhals ab, der pakistanische Hochträger Shaheen Baig kann offenbar in der dünnen Luft nichts mehr kritisch beurteilen und gleitet widerstandslos hinab in den Abgrund auf der Südostseite – haben einige das Ziel aufgegeben und umgedreht, die anderen steigen weiter, allen voran ein kühner Baske, Aldo Zerain; er hilft, die zunächst fehlenden Seile im Quergang unter dem Eisabbruch des Hängegletschers zu fixieren, spurt voraus, wartet immer wieder, ist trotzdem als Erster auf dem Gipfel und steigt bereits um 15 Uhr 30 wieder ab. Und die anderen? Seit Wochen warten sie auf diesen Tag, mancher seit Jahren . . . der launische Berg gewährt nur selten eine solche Chance! Ja, man ist wegen der Verzögerungen beim Aufstieg eigentlich viel zu spät dran, ist am späten Nachmittag erst in der Schlusswand, einer geneigten Schneeflanke – aber dort oben ist er jetzt, der Gipfel!
Schräg fallen die Strahlen der tiefen Sonne auf den höchsten Schnee des K2, erfassen die winzigen Menschlein, die, einander umarmend, in einem Glückstaumel über Tausenden Meter Tiefe tanzen – sie sind im Licht, während sich dort unten erste Schatten blauer Dämmerung ausbreiten . . . es ist eine unwirkliche, traumhafte Stimmung. Der Ire Gerard McDonnell hisst voller Freude eine Fahne mit den Farben seines Landes, reckt das Tuch glückstrahlend empor in den Himmel – eines der ergreifendsten Bilder im Buch! –, dann telefoniert er mit seiner Freundin in Alaska und gibt ihr die phantastische Neuigkeit durch, schließlich ruft er in Irland an . . . ist er doch der Erste seines Landes, der auf dem Gipfel des K2 steht! Ein Sherpa erfährt von seiner Frau aus Nepal, dass er Vater geworden ist, ein anderer schlägt das angebotene Telefonat per Satellit aus und erinnert alle daran, dass es höchste Zeit ist, abzusteigen . . . Auch Hugues d’Aubarède, der zweitälteste Mensch, der je den Gipfel des K2 erreichte, ruft zu Hause in Lyon an und teilt seine versteckte Freude mit. Nach und nach treffen sie alle ein, umarmen sich, schütteln die Hände, feiern den Gipfel: Norweger, Niederländer, Koreaner – unter ihnen auch Go Mi-Sun, die dabei ist, alle vierzehn Achttausender zu „sammeln“. Es ist ein Freudenfest !
Doch noch steht der Abstieg bevor.


Es ist fast 8 Uhr abends, als das niederländische Team unter der Leitung von Wilco van Rooijen als letztes den Weg nach unten antritt; da trifft im letzten Augenblick noch der italienische Alleingänger Marco Confortola ein und bittet um ein paar Gipfelbilder von sich, was die Niederländer ihm nicht abschlagen. Die Sonne sinkt bereits hinter den Horizont, es ist nun wirklich spät.
Doch sie alle, die nun einzeln oder in Gruppen im letzten Licht über das Gipfelschneefeld hinabsteigen, jeder mit dem Bewusstsein im Herzen, dass der große K2 jetzt ihm gehört, wähnen sich trotz der späten Stunde in Sicherheit – was soll denn schon schiefgehen? Man klinkt sich mit dem Karabiner ins Fixseil ein, das unterhalb des gewaltigen Eisbalkons in der Gipfelwand verläuft, erreicht den Flaschenhals und steigt weiter hinab bis zum sanften Schneerücken der K2-Schulter, wo die Zelte des letzten Hochlagers warten. Gewiss, der Quergang unterm Balkon ist schwierig und kompliziert, man wird in der Finsternis die Stirnlampe eingeschaltet haben, auch in der folgenden steilen Eisrinne – doch man braucht nur dem Seil, diesem „Faden der Ariadne“, zu folgen, um das Labyrinth zu verlassen, das die Dunkelheit vielleicht vorgaukelt. Und die Gefahr, dass etwas von oben kommt, das „russische Roulette“ des Séracs? Seit Langem verhält sich das Eisungetüm des riesigen Balkons doch ruhig, auch am Morgen, beim Aufstieg, kam kein Laut aus den vielen Tonnen weißen, blaugrünen, gläsernen Materials, das zerklüftet über allen Köpfen hängt.


Der Lebensfaden im Eisgebäude
Der Abend ist so schön, die Freude, der Stolz über das erreichte Ziel so groß, dass es niemandem in den Sinn kommt, dass dieser riesige K2 fern allen menschlichen Denkens in einer Dimension in den Himmel ragt, die sich jeder Kontrolle entzieht.
Was ist da ein Fixseil, das Menschen durch die Tücken der Schlüsselstelle führt, jenes Balkons, der als mächtiger Erker aus der nach oben führenden Steilwand vorspringt? Ein Faden nur ist es, nichts als ein Faden im letzten, höchsten Eisgebäude des K2, für dessen Bewältigung man den ganzen Tag gebraucht hat . . . es mögen 15 oder 16 Stunden gewesen sein, vielleicht auch mehr, für diesen Aufstieg von rund achthundert Metern in der Todeszone. Jetzt geht es hinunter – und in wenigen Stunden wird man wieder im Lager sein.
Doch da kracht es ein paar Stockwerke tiefer in dem riesigen Eispalast . . . hausgroße Trümmer formen eine Lawine, die den Lebensfaden all derer, die immer noch hoch darüber an der Riesenpyramide kleben, zerreißt! Und die Blöcke zerpflügen auch den ganzen Bereich der Schlüsselpassagen – niemand erkennt jetzt mehr, wo er heraufkam.
Kein Weg hinunter, kein Weg zurück, und die Nacht ist nahe !
Diese Situation und den folgenden Kampf ums Überleben hat der Autor aus den Schilderungen derer, die noch davon erzählen konnten, meisterhaft zusammengefügt, hat schlicht die Tatsachen wiedergegeben, wie sie überliefert wurden – manchmal widersprüchlich von Person zu Person; doch trotz der bei den Interviews offengebliebenen Fragen sprechen die Ereignisse meist für sich.
Das stürzende Eis und das furchtbare Beben der sich spaltenden Masse des Hängegletschers haben auch diejenigen nicht verschont, die sich in diesem Augenblick bereits am Fixseil in Sicherheit wähnten oder gerade an der veränderten Abbruchkante waren; sie sind entweder plötzlich ins Leere hinausgestürzt oder in den eigenen Seilen gefesselt, in gräßlicher Verwicklung in der Steilwand über dem Abgrund hängen geblieben, schutzlos der Kälte ausgesetzt, ohne Möglichkeit, sich zu bewegen. Am nächsten Tag werden nachstürzende Partien des Hängegletschers auch diejenigen treffen, die sich zur Rettung der inzwischen von Marco Confortola, vor allem aber durch die heldenhafte Tat von Gerard McDonnell aus ihrer furchtbaren Lage befreiten Opfer des Berges auf den Weg durch den gefährlichen Flaschenhals gemacht haben – Retter wie „Gerettete“ werden durch eine neue Lawine vom Eisbalkon des Hängegletschers erbarmungslos aus der Wand in die Tiefe gerissen! Nur ein Sherpa überlebt wie durch ein Wunder im Schutz eines Felsvorsprungs.
Es ist, als stünde all dieses Geschehen unter der erbarmungslosen Regie einer bösen Macht oder als wolle der Berg die vielen Eindringlinge – die in den letzten Jahren immer zahlreicher geworden sind – in das erhabene, unberührbare Reich seines Gipfels für alle Zukunft abschütteln. Doch diese Ansicht stammt von mir, Graham Bowley bleibt dabei, nichts zu deuten, sondern lediglich minutiös die Tatsachen zu schildern.
Oder konnte auch er sich dieses Eindrucks nicht erwehren?
Wie viele menschliche Tragödien haben sich dort oben am K2 in den ersten Tagen des August 2008 abgespielt? Bowley kann seine Erschütterung darüber nicht verbergen, dass der K2 sogar das Glück eines frisch verheirateten Ehepaars, das in der Eroberung der Bergwildnis sein gemeinsames Dasein gefunden hat, rücksichtslos zerstört hat. Die junge Norwegerin Cecilie Skog, die gerade vom Gipfel zurückkehrt, muss miterleben, dass ihr Gatte Rolf Bae, der oberhalb der gläsernen Barriere auf sie gewartet hat, plötzlich in Rufweite vor ihr im bebenden, krachenden Chaos aus Eis verschwindet, irgendwo in der Dunkelheit. Zwar gelingt es Skogs Gipfelgefährten Lars Flato Nessa, ein Reserveseil bis hinüber zum Flaschenhals zu spannen, durch den sie beide dank ihres Könnens trotz labiler Eisblöcke und Scherben ungesichert zur K2-Schulter hinabsteigen, doch ihr Mann bleibt verschwunden.


Auf vielen Seiten dieses Buches hat der Autor tief hinter die Kulissen der Ereignisse geblickt, hat dem Leser Menschenschicksale nähergebracht, ist auch dem Leben der am Berg tätigen Sherpas und anderen Hochträger bis in ihre Heimatdörfer nachgegangen, um herauszufinden, warum sie an diesem Killerberg höherstiegen.
Dieses Buch ist so spannend wie ehrlich, vom Anfang bis zum Ende – und vielleicht kann man es deshalb nicht aus der Hand legen.


Kurt Diemberger,
Dezember 2010


VORBEMERKUNG DES AUTORS


Der Bericht über die multinationale Gruppe von Bergsteigern, denen auf der Gipfelpyramide des K2 von einem herabstürzenden Eisblock der Rückweg abgeschnitten wurde, flimmerte am 5. August 2008 über meinen Bildschirm bei der New York Times.
Nachdem sich bestätigt hatte, dass elf von ihnen tödlich verunglückt waren, während sie ihrer Leidenschaft für diesen aufwendigen Sport nachgingen, und drei weitere nach mehreren im Freien verbrachten Nächten schließlich lebend, aber mit Erfrierungen vom Berg herunterkamen, war meine erste Reaktion: Was geht uns das an?
Als mein Chefredakteur mir vorschlug, einen Artikel über dieses Bergdrama zu schreiben, sträubte ich mich zunächst dagegen – Bergsteigen hatte mich noch nie interessiert. Dennoch erschien am nächsten Morgen mein Bericht auf Seite 1.
Erst nachdem die Website der Times mit begeisterten Leserkommentaren überflutet worden war und ich eineinhalb Wochen später am Gedenkgottesdienst eines der verunglückten Bergsteiger teilgenommen hatte, begann ich mich zu fragen, ob hinter der Geschichte nicht womöglich mehr steckte, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Ich interviewte einige der immer noch sichtlich gezeichneten Überlebenden dieser Tragödie, sah mir ihre Verletzungen an und war zugegebenermaßen von dem Charisma dieser Abenteurer fasziniert, die eine mir fremde Welt betreten hatten und dem Tod entronnen waren.
Dann machte ich mich daran, möglichst viele Bergsteiger der verschiedenen Expeditionsteams, Familienangehörige und Bergexperten, die selbst am K2 gewesen waren, zu befragen. Während ich mit den Überlebenden sprach, fand ich ihre Geschichten oft beunruhigend, schmerzlich und manchmal auch unverständlich. Auf den ersten Blick war ich als ein 39-jähriger Reporter, der noch nie im Karakorum gewesen war, wohl ein ungeeigneter Kandidat, um die Faszination des modernen Alpinismus und seine Gefahren nachzuvollziehen. Einige der Faktoren, die anfangs eher gegen mich sprachen, sollten sich später jedoch als vorteilhaft erweisen. Von Beginn an gab es in den Schilderungen der einzelnen Personen viel Widersprüchliches, und mir war auch klar, dass die Erinnerungen durch das aufwühlende Erlebnis in großer Höhe, durch die von den Bergsteigern durchlittenen Martyrien und teilweise wohl auch durch eine geschönte Selbstdarstellung, durch Vorwürfe und Schuldgefühle verfälscht waren. Ich erkannte, dass meine Objektivität und meine Distanz gegenüber den Geschehnissen von Vorteil waren, um dieser Geschichte auf den Grund zu gehen. Und einige Beteiligte sahen das offenbar genauso. Der junge, beeindruckende norwegische Bergsteiger Lars Nessa, mit dem ich drei Stunden lang in Stavanger herumschlenderte, wandte sich mir auf einmal zu und sagte: „Wir finden, dass Sie genau der Richtige sind, um unsere Geschichte zu erzählen.“
Wie auch immer – zu diesem Zeitpunkt war ich ohnehin schon gefangen von der Geschichte. Ich hatte mit diesen Männern und Frauen eine fremde Welt irgendwo oberhalb des Baltoro-Gletschers betreten und konnte nicht mehr zurück.
Als ich mit der Arbeit an diesem Buch begann, wollte ich etwas schreiben, das sich, obwohl es real war, so spannend liest wie ein Roman. Ich nahm mir vor, den K2 durch die Augen dieser wagemutigen Bergsteiger lebendig werden zu lassen, die an diesem unvergleichlichen Himalaja-Riesen ihren Träumen gefolgt waren. Die letzten Tage von elf Menschen zu rekonstruieren, die niemals wieder vom K2 zurückkehren sollten, war kein einfaches Unterfangen. Das Buch, das ich geschrieben habe, basiert auf Hunderten von Gesprächen mit Dutzenden von Menschen, die direkt oder indirekt in dieses Drama verwickelt waren. In Fällen, wo sich die genauen Einzelheiten der Geschehnisse am Berg nicht ermitteln ließen, habe ich Bergsteiger befragt, die sich in entscheidenden Augenblicken in der Nähe befanden, Sachkundige, die ähnliche Situationen durchlebt haben, oder Angehörige und Freunde, die diese Bergsteiger gut kannten. Auf Mutmaßungen habe ich mich grundsätzlich nicht verlassen; wenn keine Berichte aus erster Hand verfügbar waren, habe ich mich auf meine Kenntnisse über die Persönlichkeit des jeweiligen Bergsteigers und auf so viele Belege, wie ich im Verlauf eines Jahres sammeln konnte, gestützt.
Da es mein Ziel war, ein Buch zu schreiben, das die persönlichen Erlebnisse der Betroffenen möglichst hautnah schildert, musste ich auch Dialoge einfügen. Bis auf wenige Ausnahmen sind die hier wiedergegebenen Dialoge persönliche Zitate der jeweils Sprechenden. Bei vielen wichtigen Szenen habe ich der Genauigkeit halber zu einem späteren Zeitpunkt nochmals Rückfragen gestellt, was der Erinnerung in etlichen Fällen auf die Sprünge half und die jeweilige Person zu erneutem Nachdenken anregte. Von Anfang an war mir bewusst, dass ich mit den Interviews so früh wie möglich beginnen musste, damit die Erinnerungen nicht verblassten; in ganz wenigen Fällen – vor allem bei der Wiedergabe von Dialogen verunglückter Bergsteiger – habe ich das Gesprochene so dargestellt, wie es mir anhand der Eindrücke, die ich bei meinen Gesprächen über die jeweiligen Personen gewann, plausibel erschien.

Graham Bowley

Über Graham Bowley

Biografie

Graham Bowley, 1968 in England geboren, arbeitete nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften in Oxford und Bristol für den „International Herald Tribune“ in Brüssel und für die „Financial Times“ u.a. in Frankfurt, Paris und Moskau. Er spricht Russisch, Französisch und fließend Deutsch. Heute ist...

Medien zu „Kein Weg zurück“
Pressestimmen
Globetrotter

„Bowleys aufsehenerregende Reportage wurde zum Ausgangspunkt für dieses packende, zeitlose Buch.“

Süddeutsche Zeitung

„Aus vielen Puzzleteilen montiert er ein Buch, das in seiner Art außergewöhnlich ist. Es hebt sich ab von den zahlreichen Romanen, die Katastrophen an Bergen beschreiben. (…) Er tut dies nicht sensationsheischend, sondern sachlich – packend sind die Erzählungen von alleine.“

bergfieber.de

„Das Ergebnis ist ein großartiges Buch zu einer unfassbaren Katastrophe. Absolut lesenswert!“

Rucksackradio, Bayern 1

Graham Bowleys Verdienst ist es, dokumentarisch an das Bergdrama mit elf Toten heranzugehen, feinfühlig die Gespräche am Berg zu rekonstruieren ohne Katastrophen-Voyeurismus und ohne Schuldzuweisungen. Kein Weg zurück ist ein ergreifendes Dokument übers Leben und Sterben am K2, und den Kampf ums Überleben.

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