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Der sanfte Hauch des Todes (Alexander-Gerlach-Reihe 17)

Wolfgang Burger
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Ein Fall für Alexander Gerlach

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Der sanfte Hauch des Todes (Alexander-Gerlach-Reihe 17) — Inhalt

Ein Serienmörder für Kommissar Gerlach: Der neue Krimi von SPIEGEL-Bestsellerautor Wolfgang Burger!

Eine unglaubliche Jagd in den Straßen von Heidelberg und eine Familie in großer Gefahr: Der 17. Fall in der Alexander-Gerlach-Reihe hat es in sich!

Ermittler Alexander Gerlach ist einer der dienstältesten Krimi-Kommissare der deutschen Literaturlandschaft. Ein Grund für Ermüdungserscheinungen? Weit gefehlt! In seinem 17. Fall „Der sanfte Hauch des Todes“ schickt ihn Bestsellerautor Wolfgang Burger auf die Jagd nach einem Serienmörder, die Gerlachs Leben aufs Schlimmste bedrohen könnte.

In den Wäldern um Heidelberg beginnen sich die Leichen zu stapeln. Einer der Toten ist ein Bekannter von Gerlachs Zwillingen. Tochter Sarah tritt ambitioniert in die Fußstapfen ihres alten Herren, ermittelt heimlich selbst weiter und kommt eines Abends nicht wieder nach Hause. Es beginnt ein Albtraum, der das beschauliche Heidelberg erschüttern wird.

Mit seinen atemlosen Showdowns und unerbittlich treibenden Entwicklungen rund um Kommissar Gerlach hat sich Wolfgang Burger eine riesige Fangemeinde erschrieben. Und ein Ende ist nicht in Sicht.

Der ultimative Heidelberg-Krimi

Die Ikone der deutscher Kriminalromane hat einen Namen: Kriminaloberrat Alexander Gerlach! Über eine halbe Million verkaufte Exemplare machen die Romane von Wolfgang Burger zu einer großen Erfolgsserie, die immer wieder neue Fans anzieht. Burger gibt Heidelberg und dem Regionalkrimi einen düsteren Dreh abseits jeder Postkartenidylle. Er zeigt, wo atemloses Lesevergnügen zu Hause ist!

Preisgekrönte Spannung in Krimiserie!

Mit „Heidelberger Requiem“ legte Wolfgang Burger 2005 ein fulminantes Krimi-Debüt vor, das sich aus dem Stand zur neuen Obsession der Fans des Ermittlerkrimis mauserte. Seine Bücher waren bereits mehrfach für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert, ein Platz in den Bestsellerlisten ist ihm so gut wie sicher.

€ 11,00 [D], € 11,40 [A]
Erschienen am 30.09.2021
400 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-31818-1
Download Cover
€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 05.10.2020
400 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99709-6
Download Cover

Leseprobe zu „Der sanfte Hauch des Todes (Alexander-Gerlach-Reihe 17)“

Dienstag, 22. Oktober, 2:30 Uhr

Ich habe es getan, endlich!
Ich fühle mich so frei, so leicht, so … glücklich?
Nein, wie Glück fühlt es sich seltsamerweise nicht an. Oder ist man vielleicht einfach dann glücklich, wenn man keine Wünsche mehr hat? Wenn man eine große Aufgabe bewältigt hat, eine ungeheure Aufgabe, die trotz aller damit verbundenen Schwierigkeiten und Gefahren erledigt werden musste?
Zufrieden bin ich, ja. Zutiefst befriedigt, das trifft es besser.
Es war …
Ja, wie war es? Kann ich diese Stunde, die ich so lange herbeigesehnt, so akribisch [...]

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Dienstag, 22. Oktober, 2:30 Uhr

Ich habe es getan, endlich!
Ich fühle mich so frei, so leicht, so … glücklich?
Nein, wie Glück fühlt es sich seltsamerweise nicht an. Oder ist man vielleicht einfach dann glücklich, wenn man keine Wünsche mehr hat? Wenn man eine große Aufgabe bewältigt hat, eine ungeheure Aufgabe, die trotz aller damit verbundenen Schwierigkeiten und Gefahren erledigt werden musste?
Zufrieden bin ich, ja. Zutiefst befriedigt, das trifft es besser.
Es war …
Ja, wie war es? Kann ich diese Stunde, die ich so lange herbeigesehnt, so akribisch vorbereitet habe, in die ich so viele Hoffnungen und Erwartungen gesetzt, vor der ich mich so sehr gefürchtet habe, überhaupt mit Worten beschreiben?
Aufwühlend war es, faszinierend. Eine berauschende Erfahrung, in eine völlig andere Welt einzutauchen. In eine Welt, die keine Tabus kennt, keine Grenzen des Tuns, keine Schranken der Lust. Eine Welt, in der nur eines zählt: der eigene Wille. Und, ja, ich gestehe gerne: auch Lust.
Am intensivsten war vielleicht das Gefühl der Macht. Das Bewusstsein, unbeschränkte Macht über einen anderen Menschen zu haben, über seinen Körper, sein Leben, über einfach alles. Ein Rausch war es, ein wilder, feuriger Ritt, der Gipfel jeglicher Euphorie, und das ganz ohne chemische Hilfsmittel.
Der Hauch des Todes hat mich angeweht, als er seinen letzten Atemzug tat, als sein Herz aufhörte zu schlagen, und es war – ich finde doch kein besseres Wort dafür – es war das reine, pure, goldene Glück.


1
„Wo?“, fragte ich ins Telefon, schon halb im Stehen. Der automatische Blick zur Uhr: zwei Minuten nach elf.
„Im Wald oberhalb von Rohrbach“, sagte Klara Vangelis in ihrer üblichen leicht unterkühlten Sachlichkeit. „Er liegt noch keine zwölf Stunden, meinen die Kollegen.“
„Woraus schließen sie das?“
„Der Regen. Die Leiche ist trocken, und in der vergangenen Nacht hat es zwischen zehn und zwölf geregnet.“
Das Opfer war ein junger Mann, erfuhr ich, als wir Minuten später in einem Dienstwagen mit Blaulicht auf dem Dach in den Heidelberger Süden rasten.
„Wer er ist, wissen wir noch nicht. Er hat nichts bei sich gehabt.“ Meine Kollegin setzte zum Überholen an, scherte knapp vor dem Gegenverkehr wieder ein. Wie immer schlug mir ihre Fahrweise auf den Magen. „Der Täter hat ihm nur das gelassen, was er am Leib trug.“
„Er wird auch nicht wieder lebendig, wenn wir bei einem Autounfall ums Leben kommen“, brummte ich.
Vangelis lächelte siegessicher und war schon wieder auf der linken Spur. Manchmal kam mir der Verdacht, dass sie es genoss, mich leiden zu sehen. Vielleicht hatte sie die Enttäuschung immer noch nicht verwunden, dass ich ihr den Job des Kripochefs vor der Nase weggeschnappt hatte. Sie war die Tochter griechischer Eltern, jedoch in Deutschland zur Welt gekommen, und in manchen Dingen deutscher als jeder andere in der Heidelberger Polizeidirektion.
Im Rückspiegel sah ich weit hinter uns noch ein Blaulicht blitzen. Wahrscheinlich die Spurensicherung oder der Notarzt, den die beiden uniformierten Kollegen, die zurzeit den Tatort bewachten, ebenfalls alarmiert hatten.
„Wer hat ihn gefunden?“
„Ist noch nicht bekannt.“ Vangelis spielte ständig mit der Lichthupe, um die Wirkung unseres Martinshorns und des blauen Gefunkels auf dem Dach noch zu verstärken. „Anonymer Anruf.“
Die meisten Fahrzeuge vor uns machten bereitwillig Platz. Einige wenige Fahrer beharrten stur auf ihrem vermeintlichen Recht auf was auch immer und wurden von meiner Fahrerin in oft waghalsigen Manövern überholt. Warum hatte ich sie bloß ans Steuer gelassen? Ich wusste doch, dass sie fuhr wie ein Gangster. Früher war sie hin und wieder sogar kleine Rallyes gefahren und hatte nicht selten gewonnen. Dieses Hobby hatte sie jedoch aufgegeben, als sie Mutter eines kleinen Sohnes wurde, der inzwischen wohl längst laufen und sprechen gelernt hatte. Meine Erste Kriminalhauptkommissarin sprach grundsätzlich nie über private Dinge mit mir. Über andere Kanäle hatte ich jedoch erfahren, dass sie vom Vater ihres Sohnes längst wieder getrennt lebte. Die Erziehung ihres Kindes überließ sie ihren Eltern, die in Schriesheim ein Restaurant betrieben.
„Das macht Ihnen Spaß, nicht wahr?“ Instinktiv hielt ich mich am Griff über der Beifahrertür fest.
Anstelle einer Antwort lachte Vangelis nur.
Heute war Dienstag, der zweiundzwanzigste Oktober. Bis auf einige Regenschauer hatten wir in diesem Herbst bisher nur sonnige und für die Jahreszeit zu warme Tage erlebt.

Als wir den Tatort im Wald oberhalb von Rohrbach erreichten, war es Viertel vor zwölf. Der Platz hätte idyllischer nicht sein können. Eine kleine, verwunschene Lichtung, von hohen Laub- und Nadelbäumen und lichtem Gebüsch umgeben, vielleicht dreihundert Meter von einem kleinen Wanderparkplatz am Rand der Landstraße entfernt, von wo ein unbefestigter Fahrweg hierher führte. Vereinzelte Pfützen zeugten vom kurzen nächtlichen Regen. Die Schranke, die mir am Beginn des Wegs aufgefallen war, sah aus, als wäre sie schon sehr lange nicht mehr geschlossen worden.
Vögel zwitscherten fröhlich, aus dem Tal wehten Verkehrsgeräusche herauf. Ein schweres Motorrad blubberte, Lkws brummten, ein Pkw-Motor wurde von einem sportlichen Fahrer auf höchste Drehzahlen gejagt. Nie werde ich begreifen, wie man auf ein Pedal treten Sport nennen kann.
Das Gras auf der Lichtung wiegte sich im frischen Herbstwind. Buntes Laub tanzte Ringelreihen, eine freundliche Sonne beschien die Szenerie, die so lieblich hätte sein können, so friedlich, wäre da nicht die Leiche gewesen.
Der Tote lag auf dem Rücken und mit ausgestreckten Beinen in der Mitte der fast kreisrunden Lichtung, an deren südlichem Rand ich zwei grob gezimmerte Bänke neben einer kleinen Feuerstelle sah. Dahinter stand eine schon etwas baufällige Schutzhütte mit bemoostem Dach. Die Hände seines Opfers hatte der Mörder vermutlich posthum auf dem Bauch wie zum Gebet gefaltet.
Ein uniformierter Kollege kam eilig auf uns zu. Er wirkte erleichtert, weil er und sein Mitstreiter jetzt nicht mehr allein waren mit dem Toten. Ich schätzte den Uniformierten auf etwa dreißig Jahre, er war athletisch gebaut, blass, aber gefasst.
„Er hat ihm den Dings abgeschnitten“, erklärte er atemlos anstelle einer Begrüßung.
„Seinen was?“, fragte Vangelis mit krauser Stirn.
„Na.“ Der Kollege kratzte sich unbehaglich am Kopf. „Den Penis halt. Daran ist er wahrscheinlich auch gestorben. Wie es aussieht, ist er verblutet. Der Täter hat ihn ausbluten lassen wie … wie Schlachtvieh.“
„Gott im Himmel!“ Vangelis, die sonst nicht leicht aus der Fassung zu bringen war, erblasste ebenfalls.
Wir gingen einige Schritte näher an den Toten heran. Der obere Teil der Jeans, die der junge, kräftig gebaute Mann trug, stand offen und war schwarz von Blut. Den Oberkörper bekleidete ein hellgrauer Kapuzenpulli, dessen Aufdruck ich aus der Entfernung nicht lesen konnte. Am linken Fuß sah ich einen weißen, noch relativ neuen Sportschuh von einer der teureren Marken, am rechten nur eine rote Socke.
Um den Toten herum standen in einem Radius von vielleicht fünf Metern etwa zwanzig rote Grablichter, die alle noch brannten. Der Mörder hatte seine grausame Tat offenbar regelrecht inszeniert.
„So etwas habe ich noch nie gesehen.“ Auch Vangelis schluckte bei dem makabren Anblick.
Bremsen quietschten in unserem Rücken, die Spurensicherung rückte an, zwei Frauen, zwei Männer sprangen aus ihrem grauen Kombi, stiegen – als führten sie eine oft geübte Pantomime auf – in ihre weißen Overalls, zogen Latexhandschuhe an, die Kapuzen über die Haare, zerrten wortlos schwere Metallkoffer aus dem Laderaum ihres Fahrzeugs.
Man begrüßte sich, und der Uniformierte wiederholte seinen knappen Bericht. Der anonyme Anruf bei der Heidelberger Polizeidirektion war vor anderthalb Stunden gekommen, von einem Prepaidhandy.
„Männerstimme, eher jung als alt. Hat behauptet, er sei hier spazieren gegangen und hätte eine Leiche gesehen.“
Vangelis zückte ihr eigenes Smartphone, tippte kurz darauf herum und gab jemandem in der Direktion mit verhaltener Stimme die Anweisung, den Besitzer dieses Handys ausfindig zu machen. Möglicherweise gehörte es dem Täter selbst oder jemandem, der ihn vergangene Nacht beobachtet hatte.
Die Spurensicherer achteten sorgfältig darauf, wohin sie ihre Füße setzten, um nichts zu übersehen, keine Spuren zu zerstören. Eine der Frauen begann aus allen denkbaren Perspektiven Fotos zu schießen. Das nächste Fahrzeug brummte heran. Der Arzt.
Vangelis und der überraschend junge, schmale Mann mit runder, randloser Brille und Intellektuellenstirn schienen sich von früheren Begegnungen dieser Art zu kennen.
„Hier laufen doch bestimmt jeden Morgen hundert Jogger vorbei“, sagte ich mit Blick auf den Weg.
„Das Gras steht hoch“, entgegnete Vangelis finster. „Und der Tote liegt flach am Boden. Außerdem, wer guckt beim Joggen schon in der Gegend herum?“
Da hatte sie recht. Die meisten Jogger hatten sogar Stöpsel in den Ohren, um nichts zu hören oder zu sehen von ihrer Umgebung, während sie ihre Strecke liefen, die sie schon tausendmal gelaufen waren.
„Geben Sie mir mal die Nummer von diesem unbekannten Handy“, bat ich den Kollegen, der immer noch bei uns stand, als suchte er Schutz, und nervös von einem Fuß auf den anderen trat. Er fasste in seine Hosentasche, förderte einen zerknitterten Zettel zutage.
„Er hat mit unterdrückter Nummer angerufen.“ Mit der flachen Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
Die wenigsten Menschen wissen, dass bei der Polizei auch unterdrückte Nummern angezeigt werden, dass dieser billige Trick also nicht überall und immer funktioniert. Zudem wird grundsätzlich jeder Anruf aufgezeichnet.
„Ja?“, meldete sich eine mürrische Stimme nach dem dritten Tuten. „Wenn Sie wegen dem Corsa anrufen, der ist schon weg. Hab’s bloß noch nicht geschafft, die Anzeige zu …“
„Gerlach hier“, unterbrach ich den Wortschwall des Menschen am anderen Ende. „Kripo Heidelberg.“
„Äh. Polizei? Wegen dem Corsa jetzt, oder was?“
Noch immer war ich mir nicht im Klaren darüber, ob ich mit einer Frau oder einem Mann verbunden war.
„Mit wem spreche ich denn?“
„Ich … äh … Sie sind echt von der Polizei? Und … und was wollen Sie von mir?“
„Sie haben heute Morgen eine Leiche gefunden.“
„Wenn das ein Witz sein soll, dann ist es ein verdammt schlechter.“
„Mit wem spreche ich denn bitte?“
„Ich hab in meinem ganzen Leben noch keine Leiche gefunden, du Spinner! Ist das hier so eine Radioverarsche, oder was soll der Quatsch?“
Schließlich ließ der Mensch am anderen Ende sich doch dazu herab, mir seinen Namen zu nennen. Ich sprach mit Yvonne Kübelbeck, wohnhaft in Nußloch, nur fünf Kilometer von der Stelle entfernt, wo ich mich befand.
„Hat sonst noch jemand Zugriff auf Ihr Handy?“
„Wie kommen Sie darauf? Nein. Höchstens die Miriam, meine Tochter. Sie darf es aber bloß nehmen, wenn sie mich vorher gefragt hat, dass sie mir nicht wieder das ganze Guthaben verjubelt.“
„Ist Ihre Tochter zu Hause?“
„Die ist natürlich in der Schule um die Zeit, was denken Sie denn? Sie ist dreizehn.“
„Jedenfalls hat jemand vor anderthalb Stunden von Ihrem Handy aus die Polizei angerufen.“
„Das mit der Leiche ist echt wahr? Eine Nachbarin hat mir vorhin so was erzählt. Ihr Neffe ist nämlich auch Polizist. Dann ist das also echt wahr?“
„Leider ja. Wo waren Sie denn vor anderthalb Stunden?“
„Beim Doktor war ich. Bin erst vor zehn Minuten heimgekommen. Dabei hab ich einen Termin um halb neun gehabt, aber dann ist wieder ein Notfall nach dem anderen reingeschneit. Notfälle, da lach ich doch! Privatpatienten sind das gewesen, ist doch klar wie Flädlesuppe. Von denen hat keiner wie ein Notfall ausgesehen, kein einziger.“
„Das Handy hatten Sie dabei?“
Nun wurde Frau Kübelbeck eine Spur leiser. „Das hatt ich … äh … daheim vergessen. Bin ein bisschen spät dran gewesen heut Morgen. Wenn ich gewusst hätt, dass die mich zwei Stunden warten lassen, dann hätt ich nicht so hetzen brauchen.“
„Das heißt, Ihre Tochter hätte es problemlos benutzen können.“
„Hätt sie können, wenn sie nicht in der Schule wär.“
„Sie hat einen Schlüssel zu Ihrem Haus, nehme ich an?“
„Haus?“ Frau Kübelbeck lachte kurz und grimmig. „Schön wär’s! Wir leben hier in einer winzigen Zweizimmerwohnung unterm Dach, und die Frage ist bloß, wer zuerst wen umbringt. Ich die Miriam oder die Miriam mich.“
„Hat sonst noch jemand einen Schlüssel?“
„Bloß die alte Kohlberg im ersten Stock. Aber die ist schon dreiundneunzig und fast blind. Die weiß wahrscheinlich nicht mal, wie ein Handy aussieht, und die Treppen zu uns rauf schafft sie schon lang nicht mehr.“

Miriam Kübelbeck war keineswegs in der Schule, erfuhr ich vom Sekretariat der Internationalen Gesamtschule in Rohrbach, dem südlichsten Stadtteil Heidelbergs.
„Sie macht uns in letzter Zeit leider ein wenig Sorgen.“ Die Schulleiterin, mit der ich verbunden wurde, seufzte. „Im Grunde ist die Miriam ein kluges und aufgewecktes Mädchen, wenn auch ein wenig still und in sich gekehrt. Im Unterricht hat sie sich noch nie durch große Beteiligung hervorgetan, aber an ihren schriftlichen Arbeiten kann man sehen, dass sie durchaus bei der Sache ist beziehungsweise war.“
„Warum sagen Sie ›war‹?“
„In den letzten zwei, drei Monaten hat sie sich verändert. Wir haben erst kürzlich im Kollegium über sie gesprochen. Sie hat in ihren Leistungen sehr nachgelassen und immer öfter unentschuldigt gefehlt. Wenn Sie Genaueres wissen wollen, müssten Sie sich an den Klassenlehrer wenden, Oberstudienrat Schumann. Den werden Sie aber erst am Nachmittag erreichen.“
„Hat Miriam Freunde in der Klasse?“
„Auch dazu kann Ihnen der Kollege mehr sagen als ich.“
„Vielleicht könnte er mich zurückrufen? Es ist wirklich sehr wichtig.“
Ich diktierte der Schulleiterin meine private Handynummer.
„Und Sie sind also von der Polizei?“, fragte sie anschließend. „Ist denn etwas … vorgefallen?“
Ich berichtete der Schulleiterin, was sie wissen musste, um die Dringlichkeit meines Anliegens zu begreifen.
„Ich suche Miriam nur als Zeugin. Eventuell hat sie etwas beobachtet.“
„Wie alt ist der junge Mann denn?“ Natürlich war ihr erster Gedanke, der Tote könnte einer ihrer Schüler gewesen sein.
„Dem Augenschein nach zwischen achtzehn und zweiundzwanzig.“
Ich beschrieb ihr das Mordopfer, und die Schulleiterin klang erleichtert, als sie sagte: „Nein, kommt mir zum Glück nicht bekannt vor.“
Ich hörte das Klappern einer Computertastatur.
„Kurt, will sagen, Herr Schumann, hat gleich eine Freistunde, sehe ich gerade. Ich werde ihn bitten, sich bei Ihnen zu melden.“
Tatsächlich dauerte es keine fünf Minuten, bis mein Handy die ersten Takte von Keith Jarretts Köln Concert zu spielen begann.
„Schumann hier“, sagte eine helle, aber feste Männerstimme. „Es geht um die Miriam?“
Auch der Klassenlehrer des Mädchens konnte mir nicht mehr sagen, als dass seine Schülerin sich in den vergangenen Wochen mehr und mehr abgekapselt und mit ihren eigenen Themen und Problemen beschäftigt hatte.
„Sie ist auch auf einmal ganz anders angezogen. Früher hat sie sich immer rausgeputzt, wie die Teenies es halt so machen, kurze Röckchen, bauchfreie Tops, fette Schminke und so weiter. In letzter Zeit läuft sie auf einmal so gothic-mäßig herum. Sie wissen schon: Leder und Metall, dunkler Lippenstift, jede Menge Kajal und so weiter. Anfangs ist mir nur aufgefallen, dass sie immer gelangweilter geguckt und sich überhaupt nicht mehr am Unterricht beteiligt hat. Dann kam das mit dem neuen Outfit, und vor zwei, drei Wochen ging es los, dass sie immer öfter gefehlt hat. Teils entschuldigt, teils auch unentschuldigt. Wobei …“
„Wobei?“
„Wissen Sie, ich unterstelle niemandem irgendwas“, sagte der Oberstudienrat unbehaglich. „Aber heutzutage ist es so unfassbar leicht, eine Unterschrift zu fälschen, und wir sind ja hier schließlich keine Kriminalisten …“
Freunde oder Freundinnen schien Miriam in der Klasse nicht zu haben.
„Sie ist erst seit Beginn des Schuljahrs in meiner Klasse. Ist sitzen geblieben, hauptsächlich wegen Mathe, aber auch in den anderen Fächern ist sie regelrecht abgestürzt. Besonders umgänglich ist sie leider auch nicht. Ich habe es bis heute nicht geschafft, mal ein vernünftiges Gespräch mit dem Kind zu führen.“
„Würden Sie vielleicht kurz in die Klasse gehen und Miriams Mitschüler fragen, ob jemand weiß, wo sie stecken könnte?“
„Sie meinen, jetzt sofort?“
„Ich weiß, es ist eine Zumutung, aber ich wäre Ihnen wirklich dankbar.“
„Die 7 A müsste … Chemie haben die gerade. Ich lauf schnell rüber, okay?“
„Herr Gerlach?“, fragte eine Jungmännerstimme hinter mir kläglich.
Ich wandte mich um. Der rundliche Kollege mit weichem Gesicht und blassen Augen hatte offenbar nur darauf gewartet, dass ich das Handy vom Ohr nahm. Er war der zweite Mann der Streifenwagenbesatzung, die als erste am Tatort gewesen war.
„Nämlich … also …“ Er senkte den Blick. Schluckte. Würgte fast. „Also dahinten, beim Grillplatz …“
Die Spurensicherer hatten im Papierkorb einen weißen Plastikteller gefunden samt passendem Besteck. Dieser Teller war verschmiert mit Fleischsaft und Blut. Nun musste auch ich schlucken.
„Sie meinen …?“
Der Kollege nickte mit so betretener Miene, als wäre das ganze Drama seine Schuld. „Er hat es aufgegessen, genau. Erst am Feuer geröstet, aber anscheinend nicht mal, bis es ganz durch war, und dann hat er es wirklich … aufgegessen.“
Mit einem Ruck wandte der Kollege sich ab und erbrach sein Frühstück ins Gras. Als nichts mehr kam, packte ich ihn am Oberarm und führte ihn zu dem blau-silbernen Mercedes, mit dem er hergekommen war.
„Setzen Sie sich mal hin, trinken Sie einen Schluck, versuchen Sie an was Schönes zu denken.“
„Was es für Arschlöcher gibt!“, murmelte der andere und schüttelte immer wieder den Kopf. „Wieso macht denn einer so was? Wie muss einer drauf sein, dass er so was fertigbringt?“
„Atmen Sie tief und gleichmäßig. Ich schicke Ihnen den Arzt, sobald er Zeit hat.“
„Kein Arzt.“ Fahrig wischte er mit der flachen Hand an der blauen Uniformhose herum, die einiges von der Bescherung abbekommen hatte. „Geht schon. Geht schon wieder.“
Wieder mein Handy – Oberstudienrat Schumann war ein wenig außer Atem.
„Also, die Miriam ist heut nur in der ersten Stunde da gewesen. Es sei ihr nicht gut gegangen, heißt es. Richtig käsig sei sie gewesen im Gesicht, und in der Pause ist dann so ein Gothic-Typ gekommen, viel älter als Miriam. Sie haben kurz geredet, und dann ist sie anscheinend mit dem Kerl zusammen verschwunden. Eines der Mädchen sagt, sie hätte die Miriam in letzter Zeit mehrfach im Park beim Schlösschen gesehen, mit einer Clique zusammen. So vier, fünf Leute, mal mehr, mal weniger, und alle auch so gruftig aufgemacht.“
Ich ließ mir den Weg zum Rohrbacher Schlösschen beschreiben, und da ich hier ohnehin nichts weiter tun konnte, bat ich Vangelis um den Schlüssel zu unserem Dienstwagen und machte mich auf den kurzen Weg ins Tal hinunter.


2
Heute bestand Miriams Clique nur aus ihr selbst und zwei hageren, hoch aufgeschossenen und deutlich älteren Männern. Alle drei trugen die in ihren Kreisen angesagte Uniform: lange, schwarze und für die herrschende Temperatur entschieden zu warme Mäntel, schwere Stiefel, Ketten hier, Nieten dort. Dazu schwarz umrandete Augen, blasse Gesichter. Nicht nur wegen der Sonne hatten sie sich in den hintersten Winkel des kleinen Parks verzogen. Das adrette frühklassizistische Gebäude, vor zweihundertfünfzig Jahren als Jagdschloss erbaut, heute eine Dependance des Heidelberger Uniklinikums, sonnte sich im warmen Mittagslicht des Oktobertages. Miriam und ihre Freunde saßen wie satt gefressene Kormorane auf einem Mäuerchen im Schatten und ließen einen Joint kreisen. Erst als meine Schuhe in ihr Blickfeld kamen, sahen sie auf und blinzelten mich schläfrig an.
„Miriam Kübelbeck?“, fragte ich mit Blick auf das Mädchen.
Sie sah mich zwei Sekunden lang abschätzig an, sagte dann: „Fick dich selber, Opa“, warf den bis auf einen letzten Zipfel heruntergerauchten Joint in den Sand, trat ihn aus und beobachtete konzentriert, wie er verglühte.
Ich hielt meinen Dienstausweis vor ihr rundliches Gesichtchen mit leicht geröteten Augen.
„Lassen Sie sie in Ruhe“, mischte sich der Lange rechts neben ihr ohne ernsthaftes Engagement ein. „Wir haben keinem was getan. Wir hocken hier bloß und unterhalten uns.“
„Und Sie konsumieren in aller Öffentlichkeit Drogen. Die junge Dame hier ist minderjährig, das wissen Sie.“
„Und was kostet das?“, fragte der andere augenrollend und zückte allen Ernstes ein riesiges schwarzes und schon sehr abgewetztes Portemonnaie.
Ich ignorierte ihn einfach und wandte mich wieder an Miriam: „Du hast vorhin die Polizei angerufen.“
„Ich?“ Ihr abfällig gemeintes Lachen geriet zu schrill. Die Stimme klang, als wäre der Joint ein wenig zu stark für sie gewesen. „Was soll’n der Scheiß, ey? Verpiss dich, Alter, haste was an den Ohren?“
Durch ihre beiden Begleiter war ein merklicher Ruck gegangen, als sie das Wort „Polizei“ hörten. Vor allem der linke, der bisher keinen Ton von sich gegeben hatte, war plötzlich unruhig. Sein bartloses Gesicht war von Aknepickeln übersät, von denen manche sich entzündet hatten.
„Wir haben deine Stimme auf Band“, behauptete ich und beobachtete die Reaktion des Mädchens, ohne die anderen beiden aus dem Auge zu lassen. Der Picklige spannte die Muskeln an, spähte nach links, nach rechts, machte sich offensichtlich startklar.
Miriams Lachen missriet noch kläglicher als beim ersten Mal. „So’n Bullshit, Stimme auf Band! Ich piss mir gleich ins Höschen vor Lachen.“
„Anrufe bei der Polizei werden grundsätzlich aufgezeichnet, und …“
Der Nervöse schoss hoch und begann zu laufen. Ich folgte ihm, holte ihn ohne Anstrengung schon nach wenigen Schritten ein, da er durch den langen Mantel und die schweren Stiefel behindert und außerdem wohl nicht allzu gut in Form war. Als ich ihn am Kragen packte, warf er den Mantel ab. Ich blieb mit dem linken Fuß daran hängen, kam kurz ins Straucheln, holte ihn erneut ein und stellte ihm der Einfachheit halber von hinten ein Bein. Er schlug der Länge nach ins weiche Gras. Ich hielt ihn am Genick fest, er keuchte, schnaufte, wand sich, merkte aber bald, dass sein Widerstand sinnlos war. Meine Sorge, Miriam und der andere Kerl könnten ihrem Freund zu Hilfe kommen, erwies sich als unbegründet. Als ich über die Schulter blickte, waren beide verschwunden.

Vierzig Minuten später saßen wir uns in meinem Büro gegenüber.
Mit meinem Knie im Rücken des jungen Mannes, der von empörtem Zetern bald zu Winseln und Betteln übergegangen war, hatte ich Verstärkung gerufen, und eine Streife vom Polizeirevier Süd hatte mir geholfen, den Festgenommenen in meinen Wagen zu verfrachten. Ich hätte es vermutlich auch alleine geschafft, hatte jedoch keine Lust gehabt, im Fall des Falles noch einmal hinter dem Idioten herzulaufen.
Während der Fahrt hatte ich mir die Aufzeichnung des anonymen Anrufs aufs Handy schicken lassen und sie dem schwarz gekleideten, erbärmlich schwitzenden und ständig leise klimpernden Kerl vorgespielt. Nach kurzem Leugnen hatte er zugegeben, der Anrufer zu sein.
Mein Gegenüber hieß Jörgen Balduini, war erst kürzlich volljährig geworden und nach seinem schon zwei Jahre zurückliegenden Realschulabschluss immer noch auf der Suche nach einem Beruf, der ihm Spaß machte. Zurzeit wohnte er noch bei seinen Eltern, die mein Mitgefühl hatten, und kellnerte hin und wieder in einer Wein- und Bierstube in der Altstadt, wenn dort wieder einmal Personalmangel herrschte.
„Also dann“, eröffnete ich das Gespräch freundlich, nachdem wir beide mit Kaffee versorgt waren und ich mir die Personalien von Miriams Drogenfreund notiert hatte. „Jetzt erzählen Sie mal, was diese Aktion vorhin sollte.“
Balduini schnaufte gequält, kniff kurz die Augen zu, riss sie wieder auf. Dann gab er sich einen Ruck. „Die Miri und ich, wir lieben uns nämlich“, begann er mit einem Blick, der nirgendwo länger als eine halbe Sekunde Halt fand. Bei der Eile, mit der Miriam vorhin das Weite gesucht hatte, war diese Liebe wohl eine eher einseitige Angelegenheit.
„Ihre Ma darf’s aber nicht wissen, weil sie doch erst dreizehn ist.“
Und damit fünf Jahre jünger als ihr angeblicher Geliebter, der mich jetzt unsicher, um Verständnis bittend ansah. Er war hager, knochig und roch, als hätte ihm heute Morgen die Zeit für die Dusche gefehlt. Meist nuschelte er mehr, als dass er sprach. Ich nahm einen Schluck Kaffee und lehnte mich ein wenig zurück.
„Das ist zunächst mal nicht weiter schlimm.“
„Wir … äh … manchmal knutschen wir auch.“
Seine Hände kamen nicht zur Ruhe.
„So was kommt in den besten Familien vor.“
Er nickte, schien sich allmählich ein wenig zu entspannen, hatte vermutlich mit einer rüderen Behandlung gerechnet.
„Die Miri muss nämlich immer warten, bis ihre Alte, also, ihre Ma eingepennt ist. Sie säuft ziemlich krass, ihre Ma, und wenn die mal pennt, meistens vor der Glotze, dann weckt die so schnell nichts mehr auf. Ich hab ein Auto, also, es ist nicht wirklich mein Auto, ein Kumpel leiht mir manchmal seins, und der ist zurzeit in Urlaub in Marokko, und da hab ich die Miri gestern, also … So gegen halb zwölf ist das gewesen, wir sind nach Gaiberg raufgefahren und von da in den Wald rein. Ich kenn da nämlich einen chilligen Parkplatz, wo nachts kein Mensch ist …“
Und wo es sich ungestört knutschen ließ. Miriam hatte in der vergangenen Nacht jedoch keine Lust auf Zärtlichkeiten im Kleinwagen gehabt.
„Sie hat nämlich hinterher oft blaue Flecken, weil’s so eng ist.“
So waren die beiden auf die Idee gekommen, einen kleinen Waldspaziergang bei Vollmondlicht zu machen und sich ein gemütlicheres Plätzchen fürs Knutschen zu suchen. Es war hell genug gewesen, dass man den Weg nicht verlor, und vermutlich noch warm genug, sodass man nicht fror, wenn man nicht mehr ganz vollständig bekleidet war.
„Erst haben wir gedacht, irgendwo im Wald, wo Moos ist oder so. Aber es ist alles total nass gewesen, weil’s doch vorher geregnet hat. Dann haben wir die Lichtung gefunden, wo … Also, da sind Bänke, und eine Hütte gibt’s auch. In der Hütte ist’s dann voll geil gewesen und trocken, und ich hab eine Decke dabeigehabt, aus dem Auto, und so haben wir’s dann voll chillig gehabt.“
Die Gemütlichkeit war abrupt zu Ende gewesen, als sich ein Auto näherte.
„Was für ein Auto?“, fragte ich mit dem Stift in der Hand.
Achselzucken. „Schwer zu sagen. Es war ja stockdunkel. Größer als der Peugeot von meinem Kumpel, denk ich, aber richtig groß auch wieder nicht.“
Außer den Scheinwerfern hatte er im Grunde nichts von dem Auto gesehen.
„Die sind eckig gewesen, die Scheinwerfer, zwei auf jeder Seite, das weiß ich noch, und das Auto war schon älter.“
„Woraus schließen Sie das?“
„Es hat kein Xenon-Licht gehabt wie die neuen Autos, sondern mehr gelbes Licht. Auch keine LEDs oder wie das heißt.“
Das turtelnde Pärchen hatte seine Aktivitäten vorübergehend eingestellt und beobachtet, wie der Wagen hielt und jemand ausstieg.
„Den Motor hat er ausgemacht, aber die Lichter hat er angelassen. Erst haben wir gedacht, ein Jäger vielleicht oder ein Pilzsammler. Aber dann hat er den Kofferraum aufgemacht und die Leiche rausgeholt.“
„Woraus schließen Sie, dass es eine Leiche war?“
„Der hat sich kein bisschen bewegt und auch nicht gewehrt oder so. Wie ein Sack ist der gewesen, voll tot irgendwie.“
Der dunkel gekleidete Fahrer, nicht besonders groß, nicht besonders klein, nicht gerade breitschultrig, hatte den leblosen Körper dann mit ziemlicher Mühe in die Mitte der Lichtung geschleift.
„Und da sind wir dann abgehauen. War krass gruselig, das alles.“
„Hat der Mann Sie bemerkt?“
„Nö. Wir sind immer schön im Dunkeln geblieben, und der Typ hat sich sowieso um nichts gekümmert. Der ist viel zu beschäftigt gewesen.“
„Womit?“
„Mit seiner Leiche halt, nehm ich an. Wir haben da lieber gar nicht hingeguckt, weil’s doch so gruselig war. Die Miri hat auch voll Panik geschoben. Hat gemeint, wenn er uns erwischt, dann macht er uns auch kalt.“
Anfangs waren die beiden durch den Wald gelaufen, später, als sie außer Hörweite waren, auf dem Weg.
„Dann müssten Sie den Wagen auch von hinten gesehen haben.“
Balduini zerrte an seinen Fingern herum, als wollte er sie zum Knacken bringen, was jedoch nicht klappte.
„Ehrlich, Mann, mir ist das so was von egal gewesen, was das für ein Auto war. Mir ist auch krass die Muffe gegangen, und voll schlecht ist mir gewesen und der Miri auch. Hab dann auch voll scheiße geschlafen in der Nacht, das können Sie mir glauben.“
„Wie spät war es eigentlich, als der Mann mit dem Auto kam?“
Das wusste der junge Zeuge nur ungefähr. „Daheim gewesen bin ich um halb zwei, von Gaiberg losgefahren bin ich gegen eins, glaub ich. Und dann hab ich erst mal Miri heimgebracht.“
Der Mord war also zwischen Mitternacht und ein Uhr morgens geschehen. Dass der Fundort zugleich der Tatort war, hatten die Spurensicherer bereits festgestellt. Das Opfer hatte noch gelebt, als der Mörder es auf die Lichtung schleifte, war allerdings offenbar nicht bei Bewusstsein gewesen.
Balduini hatte seine kleine Freundin nach Hause gebracht und war anschließend mit dem geliehenen Auto nach Kirchheim gefahren, wo das Reihenhaus seiner Eltern stand.
„Ein saublödes Feeling hab ich gehabt die ganze Zeit“, gestand er. „War ja klar, dass da irgendeine linke Sache läuft. Drum hab ich dann gleich gesagt, wir müssen Bescheid geben. Wir müssen die Polizei anrufen. Aber die Miri wollt nichts hören von Polizei. Weil sie doch erst dreizehn ist.“
Am Morgen hatte er zu seinem Schrecken festgestellt, dass die Decke, die ins Auto seines Kumpels gehörte, in der Schutzhütte geblieben war.
„Ich also noch mal hin zu der Hütte. Nicht dass die Decke einer findet, hab ich gedacht. Mein Kumpel wär bestimmt auch megasauer, wenn die weg wär, die Decke, weil, die ist noch fast neu.“
Als er wieder an der Lichtung war, hatte die Decke noch an ihrem Platz gelegen, und vorübergehend hatte Balduini gedacht, alles sei nur ein schlechter Traum gewesen.
„Aber dann bin ich ein Stück auf die Lichtung raus, und da hat er dann gelegen, und so rote Kerzen waren da und haben sogar noch gebrannt. Näher ran hab ich mich nicht getraut.“
„Wieso haben Sie nicht gleich die Polizei angerufen?“
„Dann wär doch rausgekommen, dass die Miri nachts nicht daheim gewesen ist, und sie hätt wieder Zoff mit ihrer Alten gehabt. Drum wollt ich erst mit ihr reden. Ich wollt auch nicht in irgendwas reingezogen werden, weil … Ich steh nicht auf Stress mit der Bullerei.“
So war er weiter nach Rohrbach gefahren, hatte Miriam nach der ersten Stunde im Klassenzimmer abgefangen und ihr erzählt, was er auf der Lichtung gesehen hatte: dass dort wirklich und wahrhaftig ein Toter lag.
„Da ist sie gleich wieder voll ausgetickt, hat gemeint, das geht ihr alles am Arsch vorbei und ich soll sie in Ruhe lassen und sie will nichts mit so Zeug zu tun haben. Bringt bloß Stress, hat sie gemeint, und bestimmt kriegen wir total Ärger, weil sie doch erst dreizehn ist. Drum wollten wir dann auch nicht mit einem von unseren Handys anrufen, und da sind wir auf die Idee gekommen mit dem Handy von ihrer Alten. Die ist beim Arzt gewesen, das hat die Miri gewusst, und das Handy lässt sie meistens daheim liegen.“
„Noch mal zurück zur vergangenen Nacht. Versuchen Sie bitte, sich die Szene genau vorzustellen. Vielleicht haben Sie ja noch mehr gesehen, etwas, das uns helfen könnte, den Täter zu finden.“
Balduini schloss die Augen, öffnete zögernd den Mund: „Also, das Auto ist gekommen. Ziemlich langsam. Der Weg da ist übelst holprig, und drum wollt er vielleicht nicht schneller fahren, keine Ahnung.“
„Wie hat sich das Auto angehört? Hat es normale Geräusche gemacht? Oder war irgendwas ungewöhnlich?“
„Der Motor hat okay geklungen. Da hat nichts geklappert oder gescheppert oder so. Aber, jetzt, wo Sie fragen: Die Federn, die haben gequietscht. Und die Tür auch, wie er sie aufgemacht hat.“
Dann war es wohl wirklich ein älteres Fahrzeug gewesen. Eckige Scheinwerfer waren in den Achtziger- oder frühen Neunzigerjahren modern gewesen, meinte ich mich zu erinnern.
„Diesel oder Benziner?“
„Kein Diesel.“
„Die Standlichter, waren die extra oder in die Scheinwerfer integriert?“
Dieses Mal überlegte Balduini länger. „Extra“, sagte er schließlich und vollführte wieder den Augen-zukneifen-und-aufreißen-Ritus. „Unter den Scheinwerfern sind die gewesen und auch eckig. Und, jetzt fällt’s mir ein, eins war kaputt.“
„Von den Standlichtern?“
Plötzlich blinzelte er aufgeregt. „Genau, das linke. Nein, das rechte. Also, vom Fahrer aus gesehen das rechte.“
„Er hat den Motor ausgemacht, die Lichter aber angelassen.“
„Damit er was sehen kann, nehm ich an. Sonst war’s ja ziemlich schattig da.“
„Der Mond hat geschienen.“
„Klar, aber trotzdem.“
„Er hat also die Tür aufgemacht …“
„Und die hat gequietscht, die Tür, aber das hab ich schon gesagt, glaub ich.“
Der Fahrer war ausgestiegen und nach hinten gegangen, hatte den Kofferraum geöffnet und den leblosen Körper herausgezerrt.
„Sie haben vorhin gesagt, er hätte sich ein bisschen schwergetan damit. Er war also nicht besonders kräftig.“
„Gar nicht, nein.“
„Wie konnten Sie das eigentlich sehen? Haben die Scheinwerfer Sie nicht geblendet?“
Die Augen wurden geschlossen und wieder aufgerissen. „Wir haben das Auto mehr so von schräg vorne gesehen. Er hat den anderen rausgezerrt und einfach fallen lassen. Wollt ihn wohl rausheben, hat’s aber nicht geschafft, und dann hat er den einfach volle Kanne runterknallen lassen. Hab noch gedacht, autsch, das hat bestimmt wehgetan.“
„War er gefesselt?“
Ratloses Kopfschütteln. „Glaub ich nicht, nein. Jedenfalls hat er den dann unter den Achseln gepackt und auf die Lichtung geschleift. Übelst geschnauft hat er dabei und gestöhnt und so. Der Fitteste ist der echt nicht gewesen.“
Im Vorzimmer hörte ich Sönnchen telefonieren. Offenbar ging es nicht um dienstliche Angelegenheiten, denn sie lachte viel und herzlich dabei. Auf der Straße unten beschimpfte eine Frau mit kreischender Stimme ein jämmerlich weinendes Kind.
Ich ging noch einmal die Beschreibung des Täters durch, die ich mir eben notiert hatte. Balduini blieb dabei, der Mann sei weder auffallend groß noch ungewöhnlich klein gewesen.
„Was für Haare hatte er?“, hakte ich nach.
Wieder grübelte mein Zeuge ein Weilchen mit geschlossenen Augen. „Kann ich nichts zu sagen, sorry. Jedenfalls ist nichts Auffälliges dran gewesen, an den Haaren. Kein Iro oder Afro oder so. Voll normal halt, irgendwie.“
„Vom Gesamteindruck – wie alt würden Sie ihn schätzen?“
„Jung nicht. Richtig alt auch nicht. Vielleicht wie mein Pa, Mitte vierzig? Keine Ahnung.“
„Was haben Sie von dem anderen Mann gesehen?“
„Von dem aus dem Kofferraum? Gar nichts, eigentlich.“
„Immerhin so viel, dass Sie sagen können, dass es ein Mann war.“
Sein Blick wurde ratlos. „Stimmt. Wieso eigentlich? Vielleicht, wie er angezogen war? Oder weil eine Frau leichter gewesen wär?“
„Es gibt auch schwere Frauen.“
Balduini grinste kurz und schief. „Sie müssten Miris Alte mal sehen. Stimmt total!“
„Konnten Sie erkennen, was das Opfer angehabt hat?“
Er kratzte sich umständlich an der Nase. „Eine Jeans, wahrscheinlich. Einen Pulli mit Kapuze, da bin ich sicher. Der ist heller gewesen als die Hose, ein bisschen.“
„Schuhe?“
„Sneakers, denk ich, oder … Warten Sie, ich glaub fast, er hat bloß einen angehabt, bloß einen Schuh. Den anderen hat er vielleicht verloren bei dem Gezerre. Oder er ist im Auto geblieben, keine Ahnung. Oder er hat ihn vorher schon verloren, wie der Typ ihn in den Kofferraum gestopft hat?“
So schlecht, wie ich befürchtet hatte, schien Balduinis Erinnerungsvermögen doch nicht zu sein.
„Und heute Morgen? Was haben Sie da gesehen?“
„Bloß, dass er noch da gewesen ist. Dass irgendwas da gewesen ist. Ich … Ich bin da nicht hingegangen, wissen Sie? Wollt nicht mal genau hingucken, weil mir gleich wieder die Kotze hochgekommen ist.“
„Sie sind sich also nicht sicher, dass das, was Sie heute Morgen gesehen haben, der Mann aus dem Kofferraum war?“
„Was …“ Balduini schluckte, dass sein ausgeprägter Adamsapfel hüpfte. Der Pickel an der Nase, an dem er sich eben gekratzt hatte, begann ein wenig zu bluten. „Ich mein, was hätt’s denn sonst sein sollen?“
Ich stellte ihm noch mehr Fragen, wiederholte, was wir schon besprochen hatten. Aber es kam nichts Neues mehr hinzu.
„Jetzt hätte ich noch eine Bitte“, sagte ich, als ich meine Notizen zur Seite legte. „Wir haben hier eine Art digitales Fotoalbum mit Bildern von allen möglichen Autos. Und wir haben Leute, die sich mit dem Thema gut auskennen und Ihnen helfen können. Es wäre für mich eine sehr große Hilfe, wenn ich wüsste, was für ein Auto der Täter fährt.“
Balduini war geradezu begeistert von meinem Vorschlag, vermutlich auch heilfroh, dass die lästige Fragerei endlich zu Ende war. Er bedankte sich überschwänglich für den Kaffee und war offenkundig erleichtert, dass er immer noch keine Handschellen trug.
„Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf“, sagte ich, als ich seine kalte, schweißklebrige Hand drückte. „Passen Sie auf mit Ihrer Miriam. Sie ist noch nicht mal vierzehn, und Sie sind schon erwachsen. Wenn da irgendwas anbrennt, dann kommen Sie schlimmstenfalls vor Gericht, ist Ihnen das klar?“
Als Jörgen Balduini die Tür hinter sich schloss, war es zehn Minuten vor drei. In Kürze würde die erste Sitzung der Soko „Grablicht“ beginnen, zu deren Leiterin ich Klara Vangelis bestimmt hatte.
Gerade noch genug Zeit, um noch einmal Frau Kübelbeck anzurufen, Miriams Mutter. Ich musste unbedingt heute noch mit ihrer Tochter sprechen. Frau Kübelbeck ging allerdings nicht an ihr Handy. So ließ ich mir einen Cappuccino aus der Maschine und machte mich mit ihm zusammen auf den Weg zum Besprechungsraum.

Wolfgang Burger

Über Wolfgang Burger

Biografie

Wolfgang Burger, geboren 1952 im Südschwarzwald, ist promovierter Ingenieur und hat viele Jahre in leitenden Positionen am Karlsruher Institut für Technologie KIT gearbeitet. Seit 1995 ist er schriftstellerisch tätig und lebt heute in Karlsruhe und Regensburg. Seine Gerlach-Krimis wurden bereits...

Weitere Titel der Serie „Alexander-Gerlach-Reihe“

Ein Ermittler, der aus der heutigen Krimilandschaft nicht mehr wegzudenken ist: Alexander Gerlach löst seit vielen Jahren hochbrisante Fälle in Heidelberg.

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