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Der Mann mit den Masken

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Lisa Zeitz
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Das Jahrhundertleben des Werner Münsterberger

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Der Mann mit den Masken — Inhalt

Geboren 1913 als Sohn eines jüdischen Fabrikanten in Dortmund, wuchs Muens - terberger in die turbulenten Jahre der Weimarer Republik hinein, besuchte die Odenwaldschule, studierte Ethnologie und Kunstgeschichte und gelangte in die Künstlerbohème von Amsterdam und Monte Verità, die ihn für sein Leben prägen sollte. Eine Freundin rettete ihm das Leben, indem sie ihn jahrelang in ihrem Ams - terdamer Haus vor der Gestapo versteckte. Nach dem Krieg emigrierte er in die USA, arbeitete als Psychoanalytiker und lehrte als Professor für Ethnopsychatrie in New York. Dort begründete er nicht nur seine bedeutende Sammlung afrikanischer Kunst – er gehörte, bis zu seinem Tod 2011, zu den schillernden Figuren der intellektuellen Szene. Lisa Zeitz hat ihn über mehre re Jahre begleitet. Auf der Grundlage vieler Gespräche und bisher unveröffentlichter Dokumente zeichnet sie nun diese einmalige Lebensgeschichte nach. Eine Ausnahmegestalt – und ein faszinierendes Panorama des 20. Jahrhunderts.

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 12.03.2013
336 Seiten, WMePub
EAN 978-3-8270-7644-1
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Leseprobe zu „Der Mann mit den Masken“

„Nur ein paar Sachen, die mir gefallen“
Sotheby’s liegt weit im Osten Manhattans, an der Ecke 72nd Street
und York Avenue. Ein riesiger moderner Glaskasten: Kaum zu
glauben, dass das Auktionshaus schon vor dreihundert Jahren
gegründet wurde. Inzwischen ist das Unternehmen eine amerikanische
Aktiengesellschaft, und wer das Hauptquartier in New
York betritt, fühlt sich wie in einem Kaufhaus. Sogar Rolltreppen
gibt es hier.
Ich fahre mit dem Aufzug zum Auktionssaal im achten Stock.
Erst letzte Woche wurde an diesem Ort für Edward Munchs Gemälde
„Der Schrei“ die [...]

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„Nur ein paar Sachen, die mir gefallen“
Sotheby’s liegt weit im Osten Manhattans, an der Ecke 72nd Street
und York Avenue. Ein riesiger moderner Glaskasten: Kaum zu
glauben, dass das Auktionshaus schon vor dreihundert Jahren
gegründet wurde. Inzwischen ist das Unternehmen eine amerikanische
Aktiengesellschaft, und wer das Hauptquartier in New
York betritt, fühlt sich wie in einem Kaufhaus. Sogar Rolltreppen
gibt es hier.
Ich fahre mit dem Aufzug zum Auktionssaal im achten Stock.
Erst letzte Woche wurde an diesem Ort für Edward Munchs Gemälde
„Der Schrei“ die Rekordsumme von knapp 120 Millionen
Dollar geboten – das teuerste Bild, das je versteigert wurde. Da
gab es Blitzlichtgewitter.
Bei der Auktion von Stammeskunst geht es ruhiger zu. Keine
Presse, kein Gedränge. Die meisten Stühle sind unbesetzt, und
trotzdem herrscht an diesem 11. Mai 2012 eine Spannung wie vor
einer Theaterpremiere. Jeder wartet auf ein begehrtes Objekt und
fiebert mit, auch wenn es heute oft nur um einige Tausend Dollar
geht. Wenn Stammeskunst versteigert wird, kommen hauptsächlich
Profis, ob Sammler oder Händler. Ich bin aus Neugier dabei,
um zu sehen, wie sich die Einlieferung aus der Sammlung eines
Freundes verkauft.
Die meisten Besucher balancieren den aufgeschlagenen Katalog
„African, Oceanic and Precolumbian Art“ auf ihren Knien
und vermerken jeden erzielten Preis säuberlich neben den betreffenden
Losnummern. Sie wirken unbeteiligt. Dann plötzlich ziehen
sie blitzschnell das blaue Plastikpaddel mit der Bieternummer
heraus und signalisieren dem Auktionator mit verschwitzter
Hand ihr Gebot.
Wie würde ein Anthropologe das Ritual einer Auktion beschreiben?
Ein Mann mit einem Hammer steht an einem erhöhten
Pult – die Aufmerksamkeit der versammelten Menge ist auf
seine Klopfzeichen gerichtet. Es wird getuschelt. Während der
Mann seine Zahlen herunterrattert, treffen neue Gäste ein, andere
klemmen sich ihre Kataloge unter den Arm und huschen
wieder nach draußen. Der Dresscode reicht von Jeans und Strickpullover
bis zum Anzug. Je dunkler die Haut, desto höher die
Krawattenwahrscheinlichkeit.
„Zehntausend Dollar, zehntausendfünfhundert, elftausend,
wer bietet mehr?“ Nach ein paar Hundert Objekten, die meist in
Sekundenschnelle den Besitzer wechseln oder als „Rückgang“ registriert
werden, folgt in wenigen Augenblicken die Sonderauktion,
für die ein eigener Katalog gedruckt wurde: „Masterpieces
of African Art from the Collection of the Late Werner Muensterberger
“. Die Sammlung des Ethnologen und Psychoanalytikers
umfasst nur sechs Stücke. Muensterbergers Erbe Celestin
Clamra, der junge, schöne Stammesprinz aus dem Tschad, hat sie
zur Auktion eingeliefert. Wo ist er eigentlich? Wo sind Muensterbergers
Freunde? Ich blicke mich schon seit einigen Minuten
um, ob sie Platz genommen haben, kann sie aber nicht entdecken.
Schließlich stehe ich auf und fahre mit den Rolltreppen durch das
riesige Auktionshaus bis ins Erdgeschoss – auch hier keine Spur
von Clamra. Jetzt rufe ich ihn an.
„Wir sind in der Skybox“, sagt er mit gedämpfter Stimme.
Eine Angestellte von Sotheby’s begleitet mich in den Aufzug
und führt mich durch labyrinthische Gänge, bis wir vor einer un-
scheinbaren Tür stehen. So also sieht die Skybox von innen aus.
Schaut man vom Auktionssaal hinauf, sind nur die glänzenden
Scheiben zu erkennen, zuweilen eine Hand, die den Vorhang
bewegt, mit oder ohne Champagnerglas. Von innen wirkt der
Raum wie eine Hotelsuite samt dem Sofa und dem silbernen Eimer
voller Eiswürfel, die Palette Cola-Dosen steht neben einer
Schüssel Chips.
Alle Anwesenden, knapp ein Dutzend von Muensterbergers
alten Freunden, lehnen sich zum Fenster, um den Auktionssaal
zu überblicken. Als ich eintrete, drehen sie sich um – Clamra und
Bangally, Louise, Charlie und Xiomara, auch einige mir Unbekannte.
Wir begrüßen uns flüsternd, alle verfolgen aufmerksam
die Auktion. Ich setze mich auf das Sofa und beobachte, wie sie
sich an die Scheibe drängen.
Die ersten beiden Lose der Muensterberger Collection sind
zwei winzige Reiterfiguren aus Bronze, kaum drei und fünf
Zentimeter hoch. Die größere verdoppelt ihre Schätzung und
verkauft sich für rund sechzehntausend Dollar, die andere will
anscheinend niemand haben. Dann ist eine Begräbnisfigur aus
Madagaskar an der Reihe, eine verwitterte weibliche Figur aus
Holz, die ein Gefäß auf dem Kopf trägt und einen halben Meter
misst – sie findet für zwanzigtausend Dollar einen Käufer.
Doch all das wirkt nur wie ein Vorspiel für das Los des Tages.
Jetzt ruft der Auktionator das wertvollste Stück der Sammlung
auf, die Lulua-Maske. Die Schätzung lautet 1,5 bis 2,5 Millionen
Dollar – so viel wird selten für afrikanische Kunst gezahlt.
In Werner Muensterbergers Wohnzimmer stand sie auf einem
hohen Sockel, daneben meist eine gelbgefleckte oder lilafarbene
Orchidee.
Die Lulua ist eine weibliche Ahnenmaske aus dem Kongo, um
1880 entstanden, ihr elegantes Gesicht mit Narbenornamenten
und geschlossenen Augen strahlt konzentrierte Macht aus. Sie ist
aus Holz, hat jedoch eine Patina fast wie Bronze. Man denkt an
Ruß und Schokolade. Muensterberger erzählte mir, die Maske erinnere
ihn an etwas sehr lang Zurückliegendes, einen unbestimmten
Eindruck aus seiner Kindheit. Vielleicht war es der Schatten
seiner Mutter an der Wand in seinem Kinderzimmer?
In Afrika wurde sie einst vermutlich für die Gedächtnisfeierlichkeiten
eines Toten geschaffen: Ein Mann setzt sie auf und
bewegt sich langsam und rhythmisch, während ein anderer über
das Leben des Verstorbenen berichtet. Auch die Auktion hat etwas
von einer Gedächtnisfeier. Ein Los, ein Schicksal.
Zwei Agenten telefonieren mit Bietern, die den Preis der mythischen
Lulua bis auf 2,5 Millionen Dollar treiben. Dann knallt
der Hammer aufs Pult. Er habe sich noch mehr erhofft, sagt
Clamra und wendet seine Aufmerksamkeit dem nächsten Los
zu.
Eine Patina fast wie
Bronze: Die Lulua-Maske ist das wertvollste Objekt der Werner Muensterberger
Collection.
Es folgen ein lebensgroßer männlicher Holz-Torso vom Volk
der Mbembe in Nigeria und ein steinerner Sherbro-Kopf aus
Sierra Leone, den Experten auf die Zeit um 1500 oder früher
datieren. Gelegentlich sammelte Muensterberger auch zeitgenössische
Kunst – darunter ein anthropomorphes Gefäß der kenianischen
Künstlerin Magdalene Odundo, die heute in England
lebt. Das Stück aus dem Jahr 1991 war das erste Werk, das
Odundo in den USA verkaufte, und Muensterberger war dort
ihr erster Kunde. Jetzt erzielt es 134 500 Dollar – ein Rekord für
die Künstlerin und ein Vielfaches von dem, was Muensterberger
damals bezahlte.
„Meistens hat jeder einzelne Gegenstand in einer Sammlung für
den Besitzer eine singuläre Bedeutung“, schrieb Werner Muensterberger
in seinem Buch „Sammeln, eine unbändige Leidenschaft
“, „und dafür sind viele äußere und in der Erfahrungs- und
Erlebniswelt liegende Faktoren bestimmend. Auch wenn zwei
Sammler auf dasselbe Objekt erpicht sind, können ihr jeweiliger
Grund, weshalb sie es haben möchten, und die Art, wie sie es anstellen,
um es zu bekommen, vollkommen verschieden sein – und
gewöhnlich sind sie es auch.“
Die Werke aus der Muensterberger Collection werden nun
getrennte Wege gehen, und jedes wird den neuen Besitzer auf
seine Weise begleiten.
* * *
New York, 16. September 2005. Das erste Mal traf ich Werner
Muensterberger, weil ich ihn für einen Artikel interviewen wollte:
den Psychoanalytiker, der die Kunstsammler versteht. Ich hatte
erst kürzlich sein Buch über die Leidenschaft des Sammelns
gelesen, das rund zehn Jahre zuvor erschienen war.
Nun stand ich an der East 68th Street vor dem großen, gediegenen
Apartmentkomplex, in dem er wohnte. Ein imposantes Gebäude:
Die geschwungene Auffahrt bot genügend Platz für Taxis
und Limousinen, am Eingang warteten drei livrierte Doormen
darauf, Türen aufzuhalten, Besucher zu registrieren oder Pakete
anzunehmen.
In der Lobby überall Antiquitäten, dahinter ging es durch
helle Gänge zu den Aufzügen in den West- und Ostflügel. In
den Sechzigerjahren muss das Haus modern gewesen sein. Jetzt
schien es trotz der noblen Atmosphäre merkwürdig aus der Zeit
gefallen. Und die Bewohner, die mir begegneten, oft so betagt,
dass ich das Gefühl hatte, ein luxuriöses Altersheim zu betreten.
Tony Bennett, der Sänger, wohnte einst in diesem Haus, der
ehemalige New Yorker Bürgermeister David Dinkins lebt noch
immer hier. Außerdem soll es unter den Mietern so viele Richter
geben, dass sich alle Köpfe drehen, wenn jemand „Good Morning,
Your Honor“ in die Lobby ruft.
Direkt vor mir eine Frau, deren Alter wie bei so vielen weiblichen
Bewohnern der Upper East Side ein Mysterium bleibt:
hochhackige Schuhe, schlanke Fesseln, tadellose Beine in Nylonstrumpfhosen,
ein leopardengeflecktes Kostüm mit knielangem
Rock und pelzbesetztem Jackenkragen, darüber ein wippender
blonder Pferdeschwanz. Ihre Augen hinter einer eleganten Sonnenbrille
verborgen. Ihr Gesicht, geliftet oder gespritzt, glich
einer zeitlosen Maske. Dann streckte sie plötzlich die faltige,
fleckige Hand einer Greisin aus, um den Knopf am Aufzug zu
drücken. Wir betraten den Aufzug gemeinsam mit einem Dogwalker,
der einen Pekinesen ausführte. Die Türen schlossen sich,
ich schaute in den Spiegel und zog mir die Lippen nach. Damals
ahnte ich nicht, dass der Gang durch diese Lobby mir bald zur
Gewohnheit werden sollte, denn fortan würde ich Muensterberger
regelmäßig treffen, mindestens einmal die Woche.
Der Aufzug hielt mit dem leisen Klang einer Glocke im siebzehnten
Stock. Während ich den langen, fensterlosen Flur durchquerte,
stellte ich mir den sehr alten Mann vor, den ich gleich
treffen würde. Jahrgang 1913, dachte ich, genau wie meine Frankfurter
Großmutter. Meine geliebten Großmütter waren beide
schon lange tot, ihre Männer noch viel länger: Einer war mit
achtundzwanzig Jahren in Russland gefallen.
Meine Großmütter hatten mir viel vom Krieg und seinen
Schrecken erzählt, von den Bombenangriffen auf Frankfurt und
vom Hunger in der Großstadt, von den Attacken der Jagdbomber
auf dem Land und von der Arbeit in einem elsässischen Lazarett,
von Amputationen und vom Sterben junger Männer. Meine
Schwarzwälder Großmutter war Jahrgang 1919 und wäre gerne
dem Bund Deutscher Mädel beigetreten, durfte aber nicht, weil
ihre Eltern Monarchisten waren. Als Hitler im offenen Wagen
durch ihr Dorf gefahren kam, reihte sich die Müllerstochter in die
Jubelschar ein und hatte ihm zu Ehren sogar einen falschen Zopf
in ihr dunkles Haar gebunden. Meine Frankfurter Großmutter
dagegen war keineswegs begeistert. Sie arbeitete als Kontoristin
für einen jüdischen Getreidehändler und seine Frau. Später wanderten
sie nach Amerika aus und schickten ihr nach dem Krieg,
als in Frankfurt Hunger herrschte, Care-Pakete aus New York.
Jetzt würde ich einem Mann ihrer Generation begegnen, der
Hitlers Unheil von der anderen Seite erlebt hatte, einem Verfolgten,
einem Überlebenden. Einem Mann, der an der Columbia
University Anthropologie gelehrt und Bücher über afrikanische
Kunst und van Gogh geschrieben hatte. Das war eine andere
Welt als die Schwarzwalddrogerie meiner Großeltern. Ich klingelte
an seiner Tür und betrachtete das Teppichmuster am Boden:
Die Blumen waren mittelalterlichen Motiven nachempfunden – Lilien
bedeuten Reinheit, Gänseblümchen stehen für Unschuld.
Disteln halten die Mächte des Bösen fern.
Als Professor Muensterberger mir die Tür öffnete und mich
anlächelte, verflog meine Scheu. Der kleine Mann im karierten
Jackett sah freundlich aus, eine gepflegte Erscheinung: das Hemd
akkurat gebügelt, die Haare gekämmt, ein Hauch Rasierwasser
umwehte ihn. Ich wusste zwar, dass er aus Deutschland kam,
stellte mich aber auf Englisch vor. „Wir können auch Deutsch
sprechen. Kommen Sie rein.“ Es fühlte sich an wie eine Absolution.
Er half mir aus meinem Mantel, kein simples Unterfangen,
denn er war viel kleiner als ich und stützte sich obendrein auf
einen Stock, der mit einem grünlich schimmernden Widderhorn
verziert war.
In seiner Wohnung betrat ich eine andere Sphäre. Überall waren
unheimliche Masken und Fetische zu sehen – an den hellbraunen
Wänden, auf dem schweren Teppich und den antiken
Möbeln. Über dem Esstisch hing ein rußschwarzes Relief aus
Pavianschädeln und Knochen, das Relikt einer Zeremonie in der
Savanne. Auf der Kommode reckte eine Orchidee ihre gefleckte
Blüte zu einer Maske herüber, die nur aus drei ominösen Öffnungen
bestand und abgrundtief böse wirkte. Sie erinnerte mich
an Darth Vader.
Daneben erhob sich mannshoch ein schlanker, kopfloser
Torso mit langem Phallus. Ein verzweigtes Wurfmesser aus dem
Kongo, dessen Umriss an eine schwungvolle Kalligraphie erinnerte,
stand neben dem Telefon. All diese Gegenstände besaßen
eine magische, ja furchteinflößende Aura. Während Muensterberger
in der Küche Tee zubereitete, ließ ich mich auf einem
harten, kratzigen Samtsofa nieder, das die Farbe von vertrocknetem
Moos hatte.
Ich nahm meinen Notizblock und den Kugelschreiber aus der
Tasche und legte beides auf den Sofatisch, neben einen steinernen
Aschenbecher, der eine Pfeife hielt. Die asymmetrische Form
der Tischplatte folgte dem natürlichen Lauf des Holzstammes.
Das musste ein Werk des japanisch-amerikanischen Möbeldesigners
George Nakashima sein, und die wunderschönen, archaisch
wirkenden Lampenfüße aus Bronze mit grüner Patina stammten
vermutlich von Diego Giacometti. Allein die sind ein Vermögen
wert, dachte ich und fühlte mich bei dem Gedanken ertappt, als
Muensterberger etwas unsicher mit der Teekanne aus der Küche
kam, die andere Hand auf den Stock gestützt. War es überhaupt
möglich, vor einem Psychoanalytiker seine Gedanken zu verbergen?
Nachdem er den Tee eingeschenkt hatte, deutete er auf ein
dunkelbraunes Bild mit zwei ausgefransten hellen Farbfeldern,
das an Rothko erinnerte, und fragte: „Was halten Sie davon?“ Es
wirkte nicht so pudrig matt und pigmentgetränkt, wie ich den Maler
kannte, sondern eher glattgeschmirgelt. „Rothko?“ „Nein“,
sagte er mit sichtlicher Befriedigung. „Das hat eine Freundin von
mir gemalt. Wissen Sie, was das Bild kosten würde, wenn es von
Rothko wäre?“ Das wusste ich. Ich hatte kürzlich mit eigenen
Augen gesehen, wie der Preis für einen Rothko immer höher
kletterte, wie das Publikum im Auktionssaal ehrfürchtig erstarrte.
Später stellte sich heraus, dass die Familie des Emirs von Qatar
das Bild gekauft hat.
„Sie haben hier ja eine beeindruckende Sammlung“, sagte ich.
„Das ist keine Sammlung“, erwiderte er mit einem Lächeln. „Das
sind nur ein paar Sachen, die mir gefallen. Die Ästhetik ist wichtig.“
Es klopfte an der Tür. „Yes?“, rief Muensterberger und drehte
sich mühsam um. „The door is open.“ Mit einem Quietschen
ging die Tür auf und ein junger Mann im Jogginganzug trat mit
zwei Hunden herein, die er sofort von der Leine ließ. Sie rannten
schwanzwedelnd auf ihr Herrchen zu: zwei alte Langhaardackel,
deren Bäuche über den Teppich schleiften.
Ich stand auf, um dem lachenden Mann die Hand zu geben,
aber meine ruckartige Bewegung, vielleicht meine plötzliche Anwesenheit,
ließ die Hunde ausgiebig kläffen. „Celestin Clamra“,
stellte der Professor den Mann über das Gebell hinweg vor und
bückte sich aus seinem Sessel hinunter, um das jüngere der beiden
Tiere auf seinen Schoß zu heben. „Mandi – we have a love affair“,
gurrte er dem Hund ins Ohr.
Celestin Clamra legte die Leinen über einen Stuhl an der Tür
und verabschiedete sich. Er stamme aus dem Tschad, sagte Muensterberger,
als die Hunde endlich Ruhe gaben, und er sei quasi sein
Adoptivsohn. Er spreche sieben Sprachen.
Nicht nur über Clamra erfuhr ich noch mehr. Muensterberger
erzählte von seiner Zeit an der Odenwaldschule, von Thomas
Mann, bei dem er als junger Mann zu Gast gewesen sei, und von
Baron Eduard von der Heydt, einem entfernten Verwandten, in
dessen Haus er so manchen Sommer verbracht habe. Den Krieg
erwähnte er nicht. Auch von seinen drei Ehefrauen sprach er wenig.
Oft wich er meinen Fragen aus und wollte plötzlich wissen,
wie alt meine Söhne seien. Doch am Ende dieses Tages hatte ich
auch viel über die psychoanalytische Perspektive auf das Sammeln
erfahren, über frühkindliche Traumata und das sogenannte
Übergangsobjekt. Und warum eine Sammlung nie eine glückliche
Liebe ist.

Über Lisa Zeitz

Biografie

Lisa Zeitz, geboren 1970, studierte Kunstgeschichte in Freiburg, München und Venedig und promovierte über Tizian. Sie ist ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet des internationalen Kunstmarkts, hat u. a. das New Yorker Büro der Villa Grisebach geleitet und war viele Jahre als Korrespondentin für die...

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