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Das erste Jahr ihrer Ehe

Das erste Jahr ihrer Ehe

Anita Shreve
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Roman

„Der Roman lebt von der Faszination des schwarzen Kontinents, der die weißen Reisenden immer wieder erliegen, und der Ehrlichkeit, mit der über verlorenen Gefühle resümiert wird.“ - Schweriner Volkszeitung

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Das erste Jahr ihrer Ehe — Inhalt

Ein Jahr in Kenia: Nur wenige Monate nach ihrer Hochzeit beschließen Margaret und Patrick, sich auf ein großes Abenteuer einzulassen. Sie wollen gemeinsam nach Afrika gehen, um dort als Journalist und Arzt zu arbeiten. Doch sehr bald erkennt Margaret, wie wenig sie von diesem fremden Kontinent weiß – und wie wenig von ihrem Mann Patrick.

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 10.12.2012
Übersetzt von: Mechtild Ciletti
368 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-95902-5
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Leseprobe zu „Das erste Jahr ihrer Ehe“

Für Ginger Barber


Teil 1


„Am Samstag steigen wir auf den Mount Kenya. Nicht am kommenden Samstag – am nächsten.“
Patrick machte seine Ankündigung, als er das Gästezimmer des Großen Hauses betrat, wo sie vorübergehend wohnten, da es in ihrem eigenen kleinen Cottage einen ärgerlichen Rohrbruch gegeben hatte. Er machte sie ohne großes Trara, eher beiläufig, etwa als ginge es um die Einladung zu einer Party in zwei Wochen. Sie waren jung, beide achtundzwanzig, und sie lebten seit drei Monaten in Afrika.
Trotz der Hitze hatte Patricks Hemd sich seine [...]

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Für Ginger Barber


Teil 1


„Am Samstag steigen wir auf den Mount Kenya. Nicht am kommenden Samstag – am nächsten.“
Patrick machte seine Ankündigung, als er das Gästezimmer des Großen Hauses betrat, wo sie vorübergehend wohnten, da es in ihrem eigenen kleinen Cottage einen ärgerlichen Rohrbruch gegeben hatte. Er machte sie ohne großes Trara, eher beiläufig, etwa als ginge es um die Einladung zu einer Party in zwei Wochen. Sie waren jung, beide achtundzwanzig, und sie lebten seit drei Monaten in Afrika.
Trotz der Hitze hatte Patricks Hemd sich seine Bügelfalten bewahrt. James, dessen schwarze Haut einen Stich ins Bläuliche hatte, wusch ihre Kleider in einer Wanne, hängte sie zum Trocknen auf und bügelte sie mit so heißem Eisen, dass der Stoff unter ihm zischte. Nicht einmal der Äquator konnte James’ Bügelfalten etwas anhaben.
Patrick stellte Arzttasche und Aktenkoffer auf den Boden. Zum Zeichen des Respekts hatte er sich den Bart abrasiert, aber das dunkle Haar trug er länger als die meisten.
„Arthur arrangiert alles. Wir brauchen vier Tage. Für den Proviant nehmen wir Träger mit.“
Als die Toilette in ihrem Cottage plötzlich den Geist aufgegeben hatte, waren Margaret und Patrick bei ihren Vermietern, Arthur und Diana, untergekommen, die gut fünfzig Meter entfernt in dem größeren Haus auf dem Anwesen wohnten.
„Zelten wir?“, fragte Margaret.
„Es gibt Hütten.“
In wenigen Minuten würde Margaret sich zum Abendessen umziehen. Unter ihrer Hand fühlte sie die markante Stickerei der Bettdecke. „Da muss ich mir Wanderstiefel kaufen “, sagte sie.
Draußen vor dem Flügelfenster lärmten die Vögel, ein schrilles Krakeelen bis zum frühen Abend, wenn der Tag plötzlich erlosch, im Sommer wie im Winter stets zur gleichen Stunde. In Afrika fühlte sich Margaret oft geblendet, als hätte etwas Gleißendes ihre Augen getroffen.
„Wer kommt alles mit?“, fragte sie.
„Arthur und Diana. Du und ich. Arthur erwähnte noch ein anderes Paar, aber ich habe die Namen vergessen.“
„Und du kannst dir die Tage freinehmen?“
Patrick zuckte mit den Schultern, er hatte flexible Arbeitszeiten. Er kam zum Bett und drückte eine tiefe Mulde in die weiche Matratze, als er sich neben Margaret setzte. Trotz der Hitze trug er eine lange Hose, auch dies ein Zeichen des Respekts. In Kenia traten die afrikanischen Männer in Anzügen vor ihre lehmverputzten Flechtwerkhütten, um Matatus, Sammeltaxis, zu fahren, Altmetall zu verkaufen oder Fleisch zu hacken. Sich salopp zu kleiden, hieß, damit protzen, dass man sich das leisten konnte, und den Amerikaner heraushängen lassen. Nur amerikanische und deutsche Touristen kleideten sich wie Kinder.
„Alles in Ordnung?“, fragte Patrick.
Er hatte sehr helle blaue Augen, die auf Sonne empfindlich reagierten. Im Freien trug er immer eine dunkle Brille.
„Mir geht’s gut“, sagte Margaret.
„Du wirkst so still.“
„Wie war dein Tag?“
„Er hat hauptsächlich im Krankenhaus stattgefunden. Wann gibt es Abendessen?“
Der Haushalt lief mit der Präzision eines Uhrwerks. Sie waren seit fünf Tagen Dianas und Arthurs Gäste; ein ordentlicher Installateur war offenbar schwer aufzutreiben. Zuerst musste eine schriftliche Nachricht geschickt – der Installateur hatte kein Telefon – und das Problem geschildert werden. Ein Preis musste ausgehandelt und die Beförderung geregelt werden. Der Installateur, den Diana gern haben wollte, war, wie es hieß, zu Besuch bei seiner Frau in Limuru. Es war ungewiss, wann er zurückkommen würde.
Margaret hätte gern gefragt, ob sich nicht ein anderer Installateur finden lasse, aber das hätte so ausgesehen, als schätzten sie die gastfreundliche Aufnahme nicht. Immerhin wurden ihnen hier Kost und Unterkunft geboten.
„Um sieben“, antwortete Margaret auf die Frage nach dem Abendessen.
Patrick fragte, ob sie schon einmal einen Berg bestiegen habe, und ergriff ihre Hand. Es geschah oft, dass er unvermittelt nach ihrer Hand fasste, im Beisein anderer ebenso wie wenn sie allein waren. Es hieß,ich muss gerade an dich denken.
Obwohl Patrick und Margaret seit zwei Jahren zusammen waren – seit fünf Monaten verheiratet –, waren jedem von beiden weite Gebiete der Vergangenheit des anderen unbekannt. Margaret erzählte Patrick, dass sie einmal auf den Mount Monadnock geklettert war, einen unbedeutenden Gipfel in Neu-England. Patrick sagte, er sei noch nie auf einen Berg gestiegen, schließlich sei er ein Großstadtjunge aus Chicago.
Der Geruch von kochendem Pferdefleisch drang ins Schlafzimmer. Es war ein abstoßender Geruch. Margaret wusste, dass sie sich nie an ihn gewöhnen würde. Das Fleisch war für die Hunde.
„ Brauchen wir da – ich weiß nicht – Anleitung ? “, fragte Margaret.
„Ach, Arthur wird schon alles in die Hand nehmen.“ Das Fleisch hatte James wahrscheinlich früher am Tag von der Duka, einem kleinen Laden, mitgebracht, in die blutgetränkten Seiten der Kenya Morning Tribune verpackt. Es würde sich kaum von dem Rindfleisch unterscheiden, das Margaret für sich und Patrick einkaufte, die Steaks zu frisch, nicht abgehangen und deshalb zäh, mit einem Geschmack nach totem Tier.
„Wie hoch ist der Mount Kenya?“
„Ungefähr fünftausendeinhundert Meter.“
„Mehr als fünf Kilometer hoch.“
„Na ja, wir sind ja hier schon um die sechzehnhundert Meter über dem Meeresspiegel. Und ich vermute, auf der Fahrt in die Berge werden wir auch noch etwas an Höhe gewinnen. “
„Also ist der Kilimandscharo höher?“, fragte Margaret.
„Höher, aber leichter zu besteigen. Ich glaube, da kann man ganz gemütlich zum Gipfel hinaufspazieren. Immer im Kreis herum. Das dauert eine Weile, aber es ist für die meisten Amateure zu schaffen. Es ist angeblich ziemlich langweilig. “
Patrick zog die schmutzverkrusteten braunen Lederschuhe aus, die er jeden Tag trug. Wenn er sie am Abend vor die Tür stellte, waren sie am Morgen sauber.
„Und wir spazieren nicht?“
„Wir klettern. An manchen Stellen wird es ganz schön anstrengend. “
Margaret stellte sich Dianas Landrover vor, wie er, vollgepackt mit Ausrüstung, durch die schimmernden lindgrünen Teeplantagen fuhr, die sie nur von ferne gesehen hatte.
Das Gästezimmer schien für einen Schriftsteller oder Gelehrten gedacht. Margaret setzte sich manchmal an den massigen geschnitzten Schreibtisch, auf dem eine uralte Schreibmaschine stand. Sie hatte sie einmal ausprobiert und war bei jedem klappernden Anschlag der Tasten zusammengezuckt, als würde etwas Zartes, schüchtern Suchendes mit Trommelschlag angekündigt.
Der Schreibtischstuhl hatte geschnitzte Armlehnen und eine fast silbrige Patina. An den Wänden hingen Fotografien von Leuten, die sie nicht kannte, ein hölzerner Schild, der vielleicht in einem Kampf benutzt worden war, und ein Fächer strahlenförmig angeordneter Speere. Die in Leder gebundenen Bücher sahen alle gleich aus und waren, ihrem Zustand nach zu urteilen, häufig gelesen worden. Margaret stellte sich einen frühen Siedler vor, dem in Nairobi das gedruckte Wort einzig in Form der Bücher verfügbar gewesen war, die er bei Laternenlicht immer wieder gelesen hatte. Bisweilen nahm sie eines von ihnen zur Hand.
Auf der anderen Seite des Raums stand ein Frisiertisch mit bodenlangem Volant von der Art, wie man sie manchmal in alten Filmen sah. In der Glasplatte spiegelten sich Kristalldosen mit silbernen Deckeln. Vielleicht war dies das Zimmer von Dianas Eltern gewesen, die das Haus in den späten Vierzigern des vergangenen Jahrhunderts gebaut hatten. Sie waren nach dem Krieg aus England hierhergekommen, um sich in der Pferdezucht zu versuchen. Margaret nahm eine Fotografie des Paares zur Hand, beide so extravagant gekleidet, als wollten sie zu einem Fest im Muthaiga Country Club. Das Gesicht des Vaters war wettergegerbt; die Mutter hatte ein hübsches, zartes Lächeln. Als Kind hatte Diana wahrscheinlich ständig zu hören bekommen, dass sie ihrem Vater ähnlich sehe.
Margaret musste an die Geschichte von dem jungen Massai denken, dem ein amerikanischer Wohltäter, beeindruckt von seinem Witz und seiner ihm eigenen Intelligenz, die Chance geben wollte, sein Glück in New York zu versuchen. Zwei Monate nach seiner Ankunft sprang der junge Mann aus dem Fenster seiner im zehnten Stockwerk gelegenen Wohnung in den Tod. Sie vermutete, dass die Sehnsucht nach dem Rift Valley dem Massai das Herz gebrochen oder die graue Geometrie der Stadt seinen Verstand verwirrt hatte. Die Anekdote sollte lehrreich sein. Aber Margaret war sich nicht sicher, welche Lehre aus ihr zu ziehen war. Dass man einen Menschen nicht verpflanzen sollte ? Oder dass, wenn dies geschah, lebensgefährliche Verstörung drohte ?
Einmal, als Patrick und Margaret über ein langes Wochenende in die Serengeti gefahren waren, hatten sie bei ihrer Rückkehr das Schlafzimmer ihres Cottage ausgeräumt vorgefunden. Unberührt war einzig die Schublade mit Margarets Unterwäsche, in der sie ihre Pässe aufbewahrte. Es bewies, wie richtig der Rat war, den man ihnen gleich zu Beginn ihres Aufenthalts erteilt hatte: Bewahrt eure Wertsachen in der Wäscheschublade auf; kein afrikanischer Mann würde die Unterwäsche einer Frau anrühren. Die Polizei kam, sah sich das Schlafzimmer an, wies auf ein eingeschlagenes Fenster und sagte: Aha. Einbruch. Ob es Leute gebe, die sie nicht mochten? Ihnen übel wollten? Der Fall wurde nie geklärt.
Patrick und Margaret kauften ein neues Bett und ließen zwischen Schlafzimmer und Wohnzimmer ein Schloss anbringen. Sie erfuhren später von dem Inspektor, dass hier fast alle solche Schlösser hatten; ob denn vorher nie jemand sie darauf aufmerksam gemacht habe? Es war der dritte Diebstahl innerhalb von sechs Wochen. Beim Einkaufen war Margaret ihr Portemonnaie aus der Strohtasche gestohlen worden, und eines Morgens, als Patrick auf dem Weg zum Krankenhaus aus dem Haus ging, fand er ihren gebraucht gekauften Peugeot auf Betonklötzen vor. Alle vier Räder waren in der Nacht abmontiert worden.
Rein intellektuell konnte Margaret die Diebstähle verstehen. Zwischen denen, die sich ein komfortables Leben leisten konnten, und denen, die es nicht konnten, bestand ein steiles Gefälle, und ganz oben, auf unsicherem Boden, der jederzeit bröckeln konnte, standen die Ausländer. Aber in ihrem Herzen saß die Angst; moralisch gesehen stellten sich die Diebstähle als eine Art berechtigter Ausgleich dar. Sie hatte sich angewöhnt, ihre Handtasche fest unter den Arm zu klemmen, und fand sich widerwärtig dabei. Sie gab James großzügige Trinkgelder dafür, dass er ihre Kleider wusch. Sie war ziemlich sicher, dass das nicht Usus war, aber sie fühlte sich besser, wenn sie es tat. James wies das Geld nie zurück.
Patrick fragte Margaret nicht, wie sie den Tag verbracht hatte; zu heikel, da sie bisher keine Arbeit gefunden hatte. Ihm machte das offenbar nichts aus, ihr schon. Hätte er sie gefragt, so hätte sie ihm erzählt, dass sie mit ihrer Kamera durch die staubigen Straßen von Langata gezogen war und fotografiert hatte: die Askaris in ihren langen Soldatenmänteln, die Panga Macheten zur Hand, oder die Schilder mit der Warnung Mbwa Kali, bissiger Hund, an den Toren großer Häuser. Auch den anmutigen Fall der Jacarandazweige und das Feuerwerk violetter, scharlachroter und pinkfarbener Bougainvilleen, die hier wie Unkraut gediehen und Steinmauern und Hausdächer überzogen, fing sie mit ihrer Kamera ein. Sie wusste, dass Patricks Entscheidung, sich in Langata, einer Ausländeroase, niederzulassen, den anderen Ärzten am Krankenhaus suspekt war. Aber Margaret hatte sich rein durch Zufall in das Cottage in Langata verliebt.
Sie war auf der Fahrt zu einer Wohnungsbesichtigung gewesen, als ihr der Peugeot auf einer gepflasterten Straße stehen blieb. Arthur, der sich auf der Heimfahrt von der Arbeit befand, hielt an, um sich zu erkundigen, ob sie Hilfe brauche. Sie hätte sich denken können, was ihn dazu bewog – Beschützerinstinkt und, vielleicht, der Gedanke an eine günstige Gelegenheit: eine junge Weiße im Rock am Straßenrand neben ihrem liegen gebliebenen weißen Peugeot, erst kürzlich gekauft, aber eindeutig gebraucht; vielleicht ein Montagsmodell. Der Peugeot hatte ohne Warnung einfach schlappgemacht.
Arthur kurbelte das Fenster hinunter und rief: „Alles in Ordnung ? “
Margaret ging zu der Stelle, an der er angehalten hatte, Vertrauen von Weiß zu Weiß. Hätte sie den Mann weitergewinkt, fragte sie sich später, wenn er Afrikaner gewesen wäre? Arthur ließ nicht locker, und sie war froh über seine Hilfe. Er versuchte, den Wagen zu starten, für den Fall, dass nur der Tank leer war; Margaret war schließlich eine Frau. Er werde von zu Hause aus anrufen, sagte er; er sei auf dem Heimweg. Er kenne einen Mechaniker, der sich um sie kümmern werde. Das waren seine Worte. Er wird sich um Sie kümmern.
Margaret sah sich den Mann an. Er hatte mittelbraunes Haar und dunkle Augen, ein Grübchen im Kinn und ein ungezwungenes Lächeln. Die untere Gesichtshälfte passte irgendwie nicht zur oberen.
In Arthurs Mercedes begegnete Margaret zum ersten Mal der unerwarteten Schönheit der gepflegten Gärten und hohen Hecken von Langata, einem Vorort von Nairobi.
Arthur bog ab und hielt vor einer langen Einfahrt an. Ein Askari im Soldatenmantel über bloßen Beinen sprang herbei und öffnete das Tor. Arthur nahm keine Notiz von dem Mann. Herabgefallene Jacarandablüten bildeten einen purpurfarbenen Teppich auf dem Weg zum Haus, einem einstöckigen Steinbau mit Fenstern, die von gemauerten Pfosten geteilt waren. Eine lebhafte Landschaft leuchtender Blüten, deren Namen sie nicht kannte, umgab sie. Hinter dem Garten dehnte sich ein gewaltiger Himmel in einem satten Blau, wie sie es nie gesehen hatte. Es musste, dachte sie, mit der äquatorialen Sonne, einem bestimmten Lichteinfall, zu tun haben.
Arthur bot Margaret etwas zu trinken an und erledigte dann die erforderlichen Telefonate. Der Wagen wurde abgeschleppt und zu einer Werkstatt zur Reparatur gebracht. Margaret wurde sich plötzlich ihrer eigenen bloßen Beine bewusst, als Arthurs Frau Diana ins Zimmer kam, offenkundig irritiert über den fremden Gast, von dem ihr nichts gesagt worden war. Arthur erklärte, und Margaret sah zum ersten Mal Dianas Lächeln: eine ungeahnte Überraschung. Margaret rief Patrick im Krankenhaus an, um ihm zu sagen, dass sie in Langata zum Abendessen eingeladen waren. Sie musste in Arthurs Beisein telefonieren und gab sich deshalb enthusiastischer als sie wirklich war, tat beinahe überwältigt. Vom anderen Ende hörte sie Patricks milde Einwände.
Bei diesem ersten Abendessen erfolgte eine weitere Einladung. Auf dem Anwesen stand ein Gästehaus leer. Arthur nannte einen Betrag, der geringer war als der, den Patrick und Margaret für eine Wohnung veranschlagt hatten. Diana schlug vor, Margaret und Patrick, die mit dem Bus gekommen waren, sollten über Nacht bleiben und sich das Cottage am Morgen, bei Tageslicht, ansehen. Patrick war skeptisch, als sie später im Bett lagen – vielleicht hatte er, noch vor Margaret, gehört, wie leise ein Schloss zuschnappte. Sie hielten einander fest umschlungen in dem fremden Bett, als müssten sie sich als Paar bestätigen, als wäre ein Akt des Widerstands geboten.


Am Morgen besichtigten sie das Gästehaus, ein weiß verputztes Cottage mit rotem Schindeldach, von rosa und orangefarbenen Bougainvilleen umwachsen. Im Wohnzimmer stand ein kleiner Tisch, über dem eine üppige gelb-rote Khanga, eines der typischen bunt bedruckten Tücher, lag. Die Küche hatte eine quer geteilte Tür, das Schlafzimmer ein eigenes Bad. Der geschliffene Holzfußboden war in einem komplizierten Parkettmuster verlegt. Die Wände waren weiß, die Fenster durch Streben unterteilt. Selbst in Amerika – oder gerade in Amerika – hatten Patrick und Margaret nie in einem so schönen Haus gelebt. Bevor der Wagen sie im Stich gelassen hatte, hatten sie im Ngong Road Hotel über einem Nachtklub gewohnt, und davor unter gruseligen Umständen im Nairobi Hotel gehaust, wo Waschbecken und Toilette dreckverkrustet waren und die Kakerlaken flüchteten, sobald Margaret die Tür zum Badezimmer öffnete. Sie vermutete, dass Patrick an jenem Morgen ihr Verlangen nach dem Cottage spürte und deshalb seine leisen Bedenken aufgegeben hatte.
Das Gästehaus stand so weit entfernt vom Haus Arthurs und Dianas, dass man nicht um seine Unabhängigkeit fürchten musste. Man würde einander bestimmt nicht ins Gehege kommen, meinte Diana: Arthur sei als Verkaufsleiter von Colgate-Palmolive den ganzen Tag mit seiner Arbeit beschäftigt; Diana selbst züchtete Rhodesian Ridgebacks und hatte wenig Zeit für anderes. Das hörte sich alles gut an. Jedenfalls in Margarets Ohren.
Am selben Nachmittag hatte James ein Foto von Margaret und Patrick gemacht. Das Bild zeigte Margaret in einem Sessel gleich an der Tür ihres neuen Cottage in Afrika. Sie trug ein leichtes weißes Sommerkleid. Ihre Haut war tiefrot – indianerrot, hatte ihre Mutter immer gesagt. Ihr Haar wirkte schmutzigblond, in Wirklichkeit war es hellbraun mit einem Messingschimmer. Ihre glänzende Haut sah aus wie lackiert.
Hinter ihr stand Patrick in einem kurzärmeligen weißen Hemd mit Schlips. Seine Haut hatte eine gesunde Sonnenbräune, sein Haar, vielleicht frisch gewaschen, vielleicht auch nicht, sah auf dem Foto strähnig aus. Sein Gesicht war im Schatten, eine Sonnenbrille schirmte die Augen ab.
James war ernst bei der Arbeit mit Margarets Nikon, aber als er ihr den Apparat zurückgab, lachte er.
Im Großen Haus, wie Patrick und Margaret es heimlich nannten, bereitete James die Mahlzeiten zu, deckte den Tisch, trug das Essen auf, räumte das Geschirr ab und spülte es. Patrick und Margaret hatten keine Hausangestellten. Erst vor Kurzem hatte Diana ihnen James ins Cottage hinübergeschickt, damit er sich um ihre Wäsche kümmerte. Margaret war von Anfang an geraten worden, für diese Arbeit jemanden einzustellen, aber ihr schien es eine zu intime Angelegenheit, um sie einer fremden Person zu überlassen. Sie hatte versucht, in der Badewanne zu waschen, aber sie hatte es nie geschafft, den ganzen Schaum herauszuspülen. Als Patrick am Hals einen Ausschlag bekam, kapitulierte sie. Doch sie kochte weiterhin selbst und Patrick spülte ab. Kein Anlass, sich auf die Schulter zu klopfen. Nur scheinbar lobenswert. Keine Hausangestellten zu haben, hieß, einem Afrikaner einen Arbeitsplatz zu verweigern.

Anita Shreve

Über Anita Shreve

Biografie

Anita Shreve, geboren 1946 in Massachusetts, verbrachte einige Jahre als Journalistin in Afrika und bereiste weite Teile Kenias, bevor sie in die USA zurückkehrte und Schriftstellerin wurde. „Die Frau des Piloten“ und der für den Orange Prize nominierte Roman „Das Gewicht des Wassers“ waren große...

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