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Abenteurer der Lüfte

Alexis von Croy
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Die besten Geschichten über das Fliegen

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Abenteurer der Lüfte — Inhalt

1903 vollbrachten die Brüder Orville und Wilbur Wright den ersten Motorflug der Menschheit. Er dauerte 12 Sekunden und war der Beginn einer Geschichte von immer neuen Rekorden und gefährlichen Abenteuern, von wagemutigen Pionieren und Pilotinnen, von technischen Triumphen und Tragödien. Alexis von Croy spannt den Bogen von der Erfindung des Flugzeugs über Charles Lindberghs spektakulären Atlantikflug, Erfolg und Niedergang der Überschall-Concorde bis hin zu Fliegern unserer Tage. Anhand zahlreicher Einzelporträts gelingt es ihm, die Faszination des Fliegens greifbar zu machen.

€ 20,00 [D], € 20,60 [A]
Erschienen am 01.04.2016
416 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-40596-6
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€ 14,99 [D], € 14,99 [A]
Erschienen am 01.04.2016
416 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-97302-1
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Leseprobe zu „Abenteurer der Lüfte“

Vorwort

100 Jahre motorisierte Luftfahrt haben Tausende von spannenden Fliegergeschichten produziert – warum wollte ich ausgerechnet diese 14 Geschichten noch einmal recherchieren und neu erzählen?

Natürlich ist so eine Auswahl immer subjektiv. Ich habe deshalb die Geschichten ausgesucht, die ich selbst für die faszinierendsten halte. Und natürlich musste ich mich dabei beschränken. Dass dieses Buch hauptsächlich Fliegergeschichten aus den USA zum Thema hat, ergab sich daraus, dass ich als Luftfahrtjournalist auf die USA spezialisiert bin. Die Auswahl [...]

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Vorwort

100 Jahre motorisierte Luftfahrt haben Tausende von spannenden Fliegergeschichten produziert – warum wollte ich ausgerechnet diese 14 Geschichten noch einmal recherchieren und neu erzählen?

Natürlich ist so eine Auswahl immer subjektiv. Ich habe deshalb die Geschichten ausgesucht, die ich selbst für die faszinierendsten halte. Und natürlich musste ich mich dabei beschränken. Dass dieses Buch hauptsächlich Fliegergeschichten aus den USA zum Thema hat, ergab sich daraus, dass ich als Luftfahrtjournalist auf die USA spezialisiert bin. Die Auswahl soll aber die ebenso wichtigen Leistungen von Luftfahrtpionieren in Europa und in vielen anderen Teilen der Welt keineswegs schmälern.

Ich will Ihnen von den beeindruckenden Persönlichkeiten der frühen Pioniere berichten, von technischen Entwicklungen, die unser Leben in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben. Aber ich möchte Ihnen auch Einblick geben in die Welt der Flieger, in den Beruf und die Sprache des Piloten, die technische Komplexität des Fliegens. Und natürlich sollen es Geschichten sein, die spannend sind und Sie mitreißen.

Bei einigen der Stories fiel die Entscheidung leicht: Ohne die Geschichte von der Erfindung des Flugzeugs wäre dieses Buch undenkbar. Und die immer noch atemberaubenden Flüge von Charles Lindbergh, Amelia Earhart oder Chuck Yeager darf man nicht weglassen. Ihre Pioniertaten sind untrennbar verbunden mit 100 Jahren motorisierter Luftfahrt. Aber wir wollten mehr: von Fliegerabenteuern, technischen Entwicklungen und Dramen erzählen, die viele Leser heute nicht mehr kennen. Natürlich – es gibt Luftfahrtexperten, denen der 1944 in der Wüste verschollene Bomber Lady be Good ein Begriff ist. Und es gibt Insider, die genau wissen, warum der tragische Absturz der Concorde an jenem Sommertag 2000 in Paris passierte, der letztlich das Kapitel Überschall-Passagierflug beendete.

Meine Intention aber war es, kein Buch für Fachleute, Ingenieure oder Luftfahrthistoriker zu schreiben, sondern eines, das in einer lebendigen Mischung die bunte – und manchmal auch düstere – Vielfalt zeigt, die dieses Jahrhundert der Fliegerei geprägt hat. Ich wollte diese Aspekte einem Publikum näherbringen, das sonst nur wenig Berührung mit der Welt der Flieger hat. Und ich hatte noch eine andere Absicht: über diese 14 Geschichten verteilt wichtige technische Zusammenhänge der Luftfahrt mit dem richtigen Maß an Tiefgang zu erläutern. Es war eine echte Herausforderung. Denn will man die Aerodynamik des Überschallflugs so erklären, dass auch ein Wissenschaftler sie ernst nähme – selbst erfahrene Piloten würden sie nicht verstehen, so komplex ist die Materie. Und wenn ich Ihnen im reinen Jargon der Flieger erzähle, wie es die Piloten von United 232 schafften, doch noch den Flughafen von Sioux City zu erreichen, nachdem ihre riesige DC-10 unsteuerbar wurde – die meisten Laien würden nur Bahnhof, pardon Flughafen, verstehen.

2016, 13 Jahre nach dem Ende des ersten Jahrhunderts der motorisierten Luftfahrt, haben die „besten Geschichten über das Fliegen“ nichts von ihrer Faszination verloren. Für diese Neuausgabe von Malik National Geographic wurde die Sammlung um zwei Kapitel erweitert und der Anhang um einige der wichtigsten Ereignisse in der Luftfahrt bis zum heutigen Tage ergänzt. Somit sind es nunmehr 113 Jahre motorisierte Luftfahrt, auf die dieses Buch zurückblickt.

Alexis von Croy, Januar 2016



1903

In den Dünen von Kitty Hawk lernt die Menschheit fliegen

Der Morgen des 17. Dezember 1903, 10.30 Uhr in Kitty Hawk, North Carolina. Orville (32) und Wilbur Wright (36), stehen mit dem von ihnen erdachten und gebauten Flugapparat in den Sanddünen der Outer Banks. Heute will Orville den Start wagen. Eingehängt in die im Sand verlegte Holzschiene, vibriert das zerbrechlich aussehende Gerät aus stoffbespannten Fichten- und Eschenholzlatten, verspannt mit Stahldraht, im starken aber steten Nordwind. Der Winter ist bereits zu spüren, die Wasserpfützen am Strand sind gefroren. Seit dem Morgengrauen sind sie heute bereits auf den Beinen, warten gespannt auf die Gelegenheit, ihr erstes Motorflugzeug endlich zu testen. Am frühen Morgen sind sie zunächst der Meinung, der Wind, der heute mit über 40 Stundenkilometern bläst, sei zu stark für einen Start. Gegen zehn aber werden sie ungeduldig. Vielleicht ist der Wind sogar von Vorteil? Egal, heute werden sie es wagen. Für die nächsten Tage ist noch schlechteres Wetter vorhergesagt, und sie dürfen keine weitere Zeit mehr verlieren.

Um zehn Uhr haben sie begonnen, die Startschiene, auf der das seltsame Gefährt beschleunigt werden soll, an einer ebenen Stelle in der Nähe des Camps zu verlegen. Ein Fahrwerk hat das erste Flugzeug der Menschen nicht, nur dünne Kufen. Es ist so kalt, dass Wilbur und Orville die schwere Arbeit immer wieder unterbrechen müssen, um sich am improvisierten Ofen in ihrer kargen Hütte in den Kill Devil Hills der Outer Banks, so heißt dieser Strandabschnitt, aufzuwärmen. Nach und nach treffen Bekannte ein, Männer aus den umliegenden Orten. J. T. Daniels, W. S. Dough und A. D. Etheridge von der Wasserwachtstation sind anwesend, ein Mister W. C. Brinkley aus dem kleinen Ort Manteo ganz in der Nähe, ein Junge aus Nags Head, Johnny Moore. Der Flyer ist bereit …

Wilbur und Orville Wright sind zwei von sieben Kindern Milton Wrights, einem Priester und späteren Bischof der evangelischen „United Brethren Church“. Zwei Geschwister sterben kurz nach der Geburt. Wilbur wird 1867 auf einer Farm bei Milville, Indiana, geboren, Orville kommt vier Jahre später in Dayton, Ohio, auf die Welt, wo sich die Wrights nach einigen Umzügen quer durch den Mittleren Westen niedergelassen haben. In der Familie herrscht ein innovatives und technikfreundliches Klima. Es ist vor allem die Mutter, Susan Wright, die handwerklich und naturwissenschaftlich begabt ist. Die Tochter eines noch in Deutschland geborenen Wagenbauers war regelmäßig Klassenbeste in Mathematik und hat neben Literatur auch Naturwissenschaften studiert. Als junge Mutter erfindet und baut sie oft die verschiedensten Haushaltsgeräte und begeistert ihre Kinder früh für alles Mechanische. Wann immer die Jungen einen technischen Rat brauchen, kommen sie zu ihr. Der Vater aber ist es, der seine beiden jüngsten Söhne zum ersten Mal auf das Thema Luftfahrt stößt. Von einer Dienstreise bringt er ihnen ein fliegendes Spielzeug mit, das die Kinder sofort fasziniert: einen von einem Gummimotor angetriebenen kleinen Hubschrauber aus Bambus und Federn. In ähnlicher Form ist es bereits seit dem 14. Jahrhundert bekannt. Auch der berühmte englische Flugpionier George Cayley war davon fasziniert und entwickelte es weiter. Wilbur und Orville ahnen nichts von der Bedeutung, die das faszinierende Spielzeug für ihr weiteres Leben haben wird. Aber sie beginnen sofort, den kleinen Hubschrauber nachzubauen – und stoßen nach kurzer Zeit an eine Grenze, die sie als Kinder nicht verstehen können: Warum fliegt der Apparat nicht, wenn man ihn maßstabsgetreu, aber viel größer nachbaut? Erst Jahre später, als sie sich ernsthaft mit den physikalischen Grundlagen auseinandersetzen, lernen sie, dass ein nur doppelt so großer fliegender Apparat bereits acht mal so viel Auftrieb wie das Spielzeug benötigt, um die Schwerkraft der Erde zu überwinden. Als Orville eines Tages in der Schule wieder einmal einen der kleinen Drehflügler baut, obwohl er sich eigentlich mit schulischen Aufgaben beschäftigen soll, erklärt er dem erst ungehaltenen, dann erstaunten Lehrer, sein Bruder und er hätten vor, eine Flugmaschine zu bauen, die groß genug sein werde, sie beide zu transportieren. Die möglicherweise wenig schmeichelhafte Antwort seines Lehrers ist nicht überliefert.

Für die darauffolgenden Jahre verzeichnen die Biografen keinerlei aeronautische Aktivitäten, die Brüder wenden sich erst einmal praktischen beruflichen Dingen zu. Wilbur lernt eifrig Griechisch und Trigonometrie und ist auch ein sehr guter Sportler – bis ihm 1885, mit 18 Jahren, eines Tages beim Hockeyspiel mehrere Zähne ausgeschlagen werden. Von einer Infektion, Operationen und Zahnarztbesuchen geschwächt, beginnt er zu kränkeln und verbringt viel Zeit zu Hause. Er liest alles, was ihm in die Finger kommt, und pflegt nebenbei noch seine an Tuberkulose erkrankte Mutter, die 1889 stirbt.

Bruder Orville beschäftigt sich zu dieser Zeit vor allem mit dem Druckwesen. Als er 17 Jahre alt ist, baut er nacheinander verschiedene Druckerpressen. Wilbur, der vielleicht technisch noch begabtere der beiden, hilft ihm dabei. Zum ersten Mal lösen die Brüder gemeinsam eine diffizile technische Aufgabe, und bis zu Wilburs frühem Tod 1912 (wie seine Mutter stirbt auch er an Tuberkolose) bleiben sie ein hervorragendes kreatives Team, in dem immer wieder der eine den anderen anspornt und inspiriert. Obwohl sie die gleichen wachen grau-blauen Augen haben, unterscheiden sie sich auch in vielem. Wilbur, das technische Genie und von blitzschneller Auffassungsgabe, hat ein markantes, falkenähnliches Profil, abstehende Ohren und schon früh eine Glatze. Orville hingegen trägt sein volles Haar lang, hat einen stolzen Schnauzer und immer etwas Dandyhaftes an sich. Im Gegensatz zu Wilbur, der in dieser Beziehung eher nachlässig ist, kleidet er sich immer höchst elegant. Orville aber ist der scheuere der Brüder. Innerhalb der Familie taut er auf und ist oft zu Scherzen aufgelegt, in der Öffentlichkeit aber ist Orville fast immer stumm – zeit seines Lebens hält er nie eine Rede. Beide Brüder entwickeln schon früh beachtliche handwerkliche Fähigkeiten, aber meist ist es Wilbur, der die Lösung für ein mechanisches Problem findet.

Nachdem Orvilles Stadtteilzeitung West Side News ein Erfolg wird, gibt er ein paar Monate lang sogar eine echte Tageszeitung heraus, den Evening Item. Wilbur betätigt sich als Redakteur für das Blatt. Allerdings erweist sich die Konkurrenz zu den etablierten Tageszeitungen Daytons doch als etwas zu ambitioniert, die Wrights stellen die Zeitung nach wenigen Monaten wieder ein.

1892 erwerben die Brüder zwei Exemplare der zu dieser Zeit populär werdenden modernen Fahrräder mit zwei gleich großen Reifen, damals „Sicherheitsfahrräder“ genannt, die mehr und mehr die umständlichen Hochräder ablösen. Beide sind schon seit Längerem begeisterte Radfahrer, und Orville hat sogar einige Medaillen bei Radrennen gewonnen. Kurz darauf machen sie sich als Fahrradhändler selbstständig. Ab 1896 bauen sie eigene Fahrräder, die sie aus Standardkomponenten montieren und in vielen Details verbessern. Ihre Modelle haben Namen wie „Van Cleve“ oder „St. Clair“, die Rahmenteile sind in fünf Schichten schwarz oder karminrot emailliert. Ihre Geschäfte laufen gut. So gut, dass Orville nach einiger Zeit auch auf die Annahme von Druckaufträgen verzichtet, die bis dahin ein zweites wirtschaftliches Standbein sind. Ganz zufrieden scheint vor allem der hochbegabte Wilbur mit diesem Leben aber nicht zu sein, denn er schreibt eines Tages: „Allen Jungs der Wright-Familie fehlen die Ziele und der Antrieb. Keiner von uns hat bis jetzt Gebrauch von seinen Talenten gemacht, um andere zu übertreffen.“

1894 erscheint im amerikanischen Magazin McClure’s ein Artikel über den fliegenden Menschen Otto Lilienthal, der Tausende von Kilometern entfernt, in der Nähe von Berlin, aufsehenerregende Versuche mit Gleitern macht und über den alle Welt spricht. Es ist nicht bekannt, ob die Wrights diesen Artikel gelesen haben, aber es spricht einiges dafür. Zwei Jahre später, im August 1896 – in diesem Sommer pflegt Wilbur den tuberkulosekranken Orville – hören sie von Lilienthals Absturz und von seinem Tod. Ab diesem Zeitpunkt beginnen sie sich mehr für die Luftfahrt zu interessieren und lesen alles, was sie an wissenschaftlicher Literatur über das Fliegen, oder vielmehr über den Wunsch zu fliegen, in ihrer Umgebung finden können. Im Mai 1899 gibt es in Dayton für die Wrights keinerlei neue Literatur zu den Themen der Flugmechanik mehr. Deshalb schreibt der inzwischen 32-jährige Wilbur an die Smithsonian Institution und bittet um Informationen über weiterführende Literatur. Ein Mitarbeiter der wissenschaftlichen Einrichtung, Richard Rathburn, schickt alsbald vier neuere Artikel sowie eine Liste mit Literatur nach Dayton. Bei der Lektüre von Samuel Langleys Experiments in Aerodynamics, Octave Chanutes Progress in Flying Machines, Lilienthals Über Theorie und Praxis des freien Fluges und den Aeronautical Annuals des Bostoner Wissenschaftsredakteurs James Mean wird den staunenden Wrights schlagartig klar, dass keiner der weltberühmten Forscher eine konkrete Idee hat, wie die Steuerung einer Flugmaschine funktionieren könnte: weder der bereits legendäre Deutsche Otto Lilienthal noch der berühmte amerikanische Flugforscher Octave Chanute oder der vom Kriegsministerium für den Bau eines brauchbaren Flugapparats mit 50000 Dollar gesponserte Direktor der ehrwürdigen Smithsonian Institution, Samuel Langley, der auch ein berühmter Astronom und in den USA einer der angesehensten Forscher seiner Zeit ist. „Es gibt keine Flugkunst“, stellt Wilbur eines Tages lakonisch fest, „es gibt nur ein Flugproblem“.

Bereits zuvor, 1898, hat Wilbur einen Bussard im Flug beobachtet und sich damals erste Gedanken über das Probleme einer wirksamen Steuerung gemacht. Vor allem darum bemüht, endlich mit einem Fluggerät, das (im Gegensatz zu den bereits bekannten Heißluftballonen) schwerer als Luft ist, die Erdanziehung zu überwinden, scheinen fast alle Flugforscher eines der wichtigsten Probleme verdrängt zu haben: Wenn das Flugzeug abhebt, wie kann es dann gelenkt werden? Vögel, bemerken die Wrights schon früh, drehen sich nach rechts oder links um ihre Längsachse, indem sie die Spitzen ihrer Flügel gegeneinander verdrehen und so eine Differenz im Auftrieb der beiden Flügel herstellen. Folge ist der Kurvenflug. Hat beispielsweise der linke Flügel einen geringeren Auftrieb als der rechte, neigt sich der Vogel nach links und beginnt nach links wegzudrehen. Wie kann man die Flugtechnik des Bussards auf ein Flugzeug übertragen? So sehr waren alle Pioniere bis jetzt damit beschäftigt, ihren Fluggeräten auch nur die kleinsten Hüpfer zu entlocken, dass keiner von ihnen an den Fall gedacht zu haben schien, dass dies auch einmal gelingen könnte!

Alle führenden Kapazitäten der Aeronautik setzen zu dieser Zeit in ihren Versuchen auf Konstruktionen, deren Piloten nach einem erfolgreichen Abheben wenig mehr tun können als zu hoffen, dass ihr Apparat die gewünschte Flugbahn einschlägt. Langley baut, wie vor ihm schon Maxim oder Pénaud, ganz auf das eigenstabile Flugzeug. Dieser Philosophie stehen vor allem der Engländer Pilcher und Otto Lilienthal gegenüber, deren Gleiter in erster Linie durch die Verlagerung des Körpergewichts gesteuert werden. Was bei einem leichten Gleiter, wie ihn Lilienthal entwickelt hat, mehr schlecht als recht funktioniert – für die Steuerung eines großen oder gar eines motorisierten Flugzeugs ist diese Methode untauglich. Durch einfaches Verschieben des Schwerpunkts allein lässt sich ein Flugzeug nicht präzise steuern. Ein eigenstabil gebautes Flugzeug wiederum fliegt nach dem Start zwar stabil geradeaus, lässt sich aber ohne Steuerung auch durch Gewichtsverlagerung kaum in eine Kurve zwingen. Intuitiv erfassen die Wrights, dass die Erfindung einer wirksamen Steuerung einer der wichtigsten Schlüssel zur Lösung des Menschheitstraums vom Fliegen sein wird. Und sofort machen sie sich mit der für sie typischen Akribie, Systematik und Ausdauer daran, Lösungen zu entwickeln. Ihre erste Idee ist es, die Flügel (noch haben sie überhaupt kein einziges Fluggerät gebaut!) als Ganzes gegeneinander verdrehbar zu machen, um so die aerodynamische Asymmetrie zu schaffen, die Vögel kurven lässt. Schnell wird ihnen aber klar, dass die dafür benötigte Mechanik zu schwer für einen leichten Gleiter wäre.

Im Juli 1899 steht Wilbur an der Theke des Fahrradladens und unterhält sich mit einem Kunden, dem er soeben einen Fahrradschlauch verkauft hat. Gedankenverloren spielt er mit dem rechteckigen Karton, in dem der Schlauch verpackt war, als es ihn plötzlich durchfährt. Wenn er, wie er es soeben geistesabwesend getan hat, die Enden der Schachtel gegeneinander verdreht … – genauso müssten die Tragflächen funktionieren! Sie müssen sich gar nicht als Ganzes gegeneinander drehen, sie müssen sich in sich selbst verwinden! Noch am selben Abend entwerfen die Brüder ein System aus Seilen und Umlenkrollen. Und wenige Tage später haben sie ihr erstes Fluggerät fertiggestellt. Es ist ein kleiner Drachen mit zwei parallelen Tragflächen von je 1,52 Meter Länge, deren Enden sich vom Boden aus mithilfe von Drähten gegeneinander verwinden lassen. Dieses erste Flugzeug der Wrights funktioniert bereits beim ersten Steigenlassen so gut, dass die beiden unverzüglich darangehen, sich über die Konstruktion eines bemannten Gleiters in voller Größe Gedanken zu machen. Bevor sie sich damit wie Lilienthal von einem Hügel stürzen, soll auch der erste große Gleiter zunächst wie ein Drachen an einem Seil befestigt fliegen. Um das mit 5,2 Meter Spannweite, 15 Quadratmeter Flügelfläche und einem vorn angebrachten Höhenruder viel schwerere neue Gerät aber wie einen Drachen steigen lassen zu können – und vielleicht sogar bemannt damit zu fliegen! –, benötigen die Wrights ein geeignetes Gelände mit ausreichend starken und konstanten Winden.

Als sich der Bau des Gleiters langsam der Vollendung nähert, beschließen sie, das U.S. Weather Bureau anzuschreiben, um mit dessen Hilfe einen geeigneten Startplatz zu finden. Die Antwort der Behörde kommt bald: Der Strand von Kitty Hawk, einem Dorf auf der lang gezogenen Halbinsel Outer Banks vor der Küste North Carolinas, würde die besten Windverhältnisse bieten, schreiben die Meteorologen – und darüber hinaus nicht zu weit von Dayton entfernt sein. Vom Leiter der Wetterstation von Kitty Hawk, Joseph J. Dosher, erfahren die Wrights in einem Briefwechsel mehr über die tatsächlichen Verhältnisse am Strand von Kitty Hawk. Dosher beschreibt in einem Brief den weiten Sandstrand mit den vereinzelten, verkrüppelten Bäumen und den hohen Dünen, und er bestätigt die Windverhältnisse. Nur ein Quartier kann er den Wrights nicht anbieten, im bescheidenen Fischerdorf sind zu Beginn des 19. Jahrhunderts keine Häuser zu vermieten.

Wilbur trifft am 12. September 1900 zum ersten Mal in Kitty Hawk ein, wo er zuerst bei William Tate, dem Leiter der örtlichen Post, Quartier findet. Umgehend beginnt er mit dem Zusammenbau des Gleiters. Zwei Wochen später kommt Orville nach. Er bringt ein Zelt und auch weiteren Proviant mit. Anfang Oktober starten sie die ersten Versuche mit dem Gleiter als Drachen. Aber es ist enttäuschend: Der Apparat entwickelt nicht annähernd so viel Auftrieb, wie die Brüder berechnet haben, und am 10. Oktober machen die Wrights zum ersten Mal Bruch. Es soll nicht das letzte Mal sein. Eine starke Windböe erfasst den am Boden liegenden Gleiter und schleudert ihn einige Meter weit weg, wobei er stark beschädigt wird. Sofort reparieren sie ihn und machen unbeeindruckt weiter. Sie lassen den Gleiter wieder und wieder steigen, mal leer, mal mit Gewichten von bis zu 22 Kilogramm beschwert. Und am 17. Oktober haben sie sogar ihren ersten Passagier. Tom Tate, der zehn Jahre alte Neffe von Bill Tate, lässt sich von dem gefesselten Gleiter emportragen. Der nächste Versuch wird der erste echte Flug von Wilbur. Er legt sich in den Gleiter und segelt fast 120 Meter weit von einem Dünenhügel hinab. Trotz dieser kleinen Erfolge sind die Ergebnisse ernüchternd. Dann lässt auch der Wind langsam nach, und bald darauf ist er zu schwach für weitere bemannte Flüge. Am 23. Oktober brechen die Wrights ihr Lager deshalb ab und kehren für den Winter nach Dayton zurück. Den Gleiter lassen sie zurück. Bill Tates Frau schneidet später Stücke aus dem Satinstoff der Bespannung und näht daraus Kleider für ihre drei Töchter.

Obwohl die Versuche mit dem Gleiter nicht so Erfolg versprechend waren, wie sie es sich erhofft hatten – Wilbur und Orville haben nun richtig Feuer gefangen, was die Fliegerei betrifft. Im Frühjahr 1901 dreht sich ihr Leben nur noch um die Idee, mit einem neuen Flugapparat möglichst schnell nach Kitty Hawk zurückzukehren. Für die Fahrradwerkstatt stellen sie einen Mechaniker namens Charlie Taylor ein, und ihre Schwester Catherine wird mit der Führung des Fahrradgeschäfts beauftragt. Das wirft immerhin genügend Geld für eine Fortsetzung der Flugversuche ab. Als sie im Juli 1901 nach Kitty Hawk zurückkommen, haben sie ein neues Flugzeug mit fast sieben Meter Spannweite im Gepäck. Sieben Kilometer vom Ort entfernt, in der Nähe großer Sanddünen, den Kill Devil Hills, schlagen sie ihr Lager auf. Sie bohren sogar einen Brunnen, der allerdings meist trocken bleibt. Um mehr Auftrieb zu erzeugen, hat der neue Apparat einen wesentlich größeren Flügel von 28 Quadratmetern Fläche inklusive Höhenruder. Es ist der größte bisher gebaute Gleiter überhaupt. Das Profil des Flügels haben die Wrights sorgfältig nach Otto Lilienthals veröffentlichten Berechnungen gebaut. Zwei Flugenthusiasten, Edward Huffaker und George Spratt, gesellen sich zu ihnen. Octave Chanute, die graue Eminenz der amerikanischen Flugforschung und selbst mit Gleitflugversuchen beschäftigt, hat die beiden geschickt in der Annahme, sie könnten von den Wrights lernen. Am Tag ihrer Ankunft wird das Lager von aggressiven Mücken heimgesucht, derer sie erst Herr werden, als Chanute bei einem Besuch ein feinmaschiges Moskitonetz mitbringt.

Alexis von Croy

Über Alexis von Croy

Biografie

Alexis von Croy, geboren 1959 in München, war Chefreporter der Pilotenzeitschrift fliegermagazin und später Chefredakteur von Planet Aerospace, der Hauszeitschrift von Airbus. Er war für seine Recherchen und als Fotograf in vielen Teilen Europas und den USA unterwegs und ist Inhaber mehrerer...

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